Bilirubinenzephalopathie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

Sie sind hier: Startseite Krankheiten Bilirubinenzephalopathie

Die Bilirubinenzephalopathie ist eine schwere Komplikation der Hyperbilirubinämie im Neugeborenenalter. Es handelt sich um eine Schädigung des zentralen Nervensystems. Dabei sind schwere Folgeschäden oder sogar ein tödlicher Ausgang möglich.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Bilirubinenzephalopathie?

Erhöhte Bilirubinwerte sind in den ersten Lebenstagen sehr häufig. Deshalb werden in den Geburtskliniken Screenings durchgeführt, um möglichst frühzeitig durch die Feststellung einer eventuellen Hyperbilirubinämie die Gefahr einer Bilirubinenzephalopathie abzuwenden.
© iPortret – stock.adobe.com

Eine Bilirubinenzephalopathie zeichnet sich durch eine schwere Schädigung des zentralen Nervensystems (ZNS) aus, welche durch erhöhte Bilirubinwerte im Neugeborenenalter verursacht wird. Die Hyperbilirubinämie kann einen sogenannten Kernikterus (Gelbsucht mit Hirnintoxikation) des Säuglings auslösen. Freies unkonjugiertes Bilirubin ist wasserunlöslich. Es löst sich nur in Fetten. Allerdings wird es normalerweise durch bestimmte Albumine im Blut gebunden und zur Leber transportiert.

Aus verschiedenen Ursachen kann jedoch die Bindekapazität der Albumine überfordert sein, sodass es zu einer Bilirubinanreicherung im Blut kommt. Es entsteht eine Neugeborenengelbsucht, die in seltenen Fällen gefährlich werden kann. Überschreitet Bilirubin die Blut-Hirn-Schranke, kann es in die Kerngebiete des Gehirns eindringen und dort neurotoxische Wirkungen entfalten. Daraus folgt der Begriff Kernikterus.

Besonders von der Schädigung betroffen sind die Basalganglien, die sich aus Putamen, Globus pallidus und Nucleus caudatus zusammensetzen. Eine schwere Bilirubinenzephalopathie endet oft tödlich. Diese Komplikation tritt in der westlichen Welt bei 0,4 bis 2,7 Fällen von 100.000 lebend Geborenen auf. Aufgrund der geringeren medizinischen Betreuung tritt der Kernikterus in einigen Entwicklungsländern 100-mal häufiger auf.

Ursachen

Die Ursache für eine Bilirubinenzephalopathie besteht in der Schädigung bestimmter Kerngebiete im Gehirn des Neugeborenen durch die Intoxikation mit unkonjugierten Bilirubin. Unkonjugiertes Bilirubin findet sich bei Neugeborenen sehr häufig frei im Blut. Rund 60 Prozent aller Säuglinge zeigen Symptome einer Neugeborenengelbsucht, die jedoch meist innerhalb von vier Tagen wieder ausheilt. Aufgrund der noch unreifen Leber kann Bilirubin oft nicht so schnell abgebaut werden. Allerdings sind diese Symptome in der Regel nicht besorgniserregend.

In seltenen Fällen wird die Bilirubinkonzentration jedoch so hoch, dass freies unkonjugiertes Bilirubin die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann. Dort wirkt es neurotoxisch und schädigt wichtige Kernbereiche des Hirns. Normalerweise wird das unkonjugierte fettlösliche Bilirubin an Albumine gebunden, zur Leber transportiert und dort abgebaut. Bei einer erhöhten Bildung von Bilirubin durch Hämolyse bei Blutgruppenunverträglichkeiten gegenüber der Mutter wird die Bindungskapazität von Albumin überfordert. So erhöht sich die Bilirubinkonzentration im Blut sehr stark und kann die Blut-Hirn-Schranke überwinden.

Auch verschiedene Medikamente erniedrigen die Bindungskapazität von Bilirubin an Albumin durch Verdrängungsprozesse. Dazu zählen beispielsweise Diazepam, Sulfonamide, Furosemid und andere. Selbst bei normaler Bilirubinkonzentration im Blut kann die Blut-Hirn-Schranke für Bilirubin durchlässig werden. Das kommt oft bei Sauerstoffmangel (Hypoxie), Unterzuckerung (Hypoglykämie), Blutübersäuerung (Azidose) oder Unterkühlung (Hypothermie) vor. Auch bei einer zu niedrigen Albuminkonzentration (Hypalbuminämie) kann es zur Überschreitung von Bilirubin durch die Blut-Hirn-Schranke kommen.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Eine akute Bilirubinenzephalopathie verläuft meist in drei Phasen:

  • In einer zweiten Phase beginnt der Neugeborene, schrill zu schreien. Zunehmend trübt sich das Bewusstsein ein (Stupor). Des Weiteren tritt eine gesteigerte Muskelspannung in Erscheinung, wobei es zu Überstreckung von Hals oder Wirbelsäule kommt.
  • Schließlich können die Muskelspannungen zunehmen, wobei Krämpfe auftreten. Der Stupor kann in ein Koma übergehen. Oftmals endet die Erkrankung tödlich. Wenn der Säugling die akute Phase jedoch übersteht, stellen sich oft Spätfolgen mit Taubheit, extrapyramidal-motorische Bewegungsstörungen und psychosomatische Entwicklungsstörungen ein.

Die extrapyramidal-motorischen Bewegungsstörungen werden als Athetose bezeichnet und äußern sich in unwillkürlich langsam ausfahrenden schraubenden Bewegungen von Füßen und Händen. Die Gelenke werden dabei überdehnt. Der Gang ist stolpernd und überschießend. Die Ursache für diese bizarren Bewegungen liegt in der Störung des Zusammenspiels zwischen Antagonisten und Agonisten.

Diagnose & Verlauf

Erhöhte Bilirubinwerte sind in den ersten Lebenstagen sehr häufig. Deshalb werden in den Geburtskliniken Screenings durchgeführt, um möglichst frühzeitig durch die Feststellung einer eventuellen Hyperbilirubinämie die Gefahr einer Bilirubinenzephalopathie abzuwenden. Wenn der Säugling gelb wird, liegen erste Anzeichen für erhöhte Bilirubinwerte vor. Dabei werden die Bilirubinwerte bereits in den ersten 20 Stunden über ein Multispektralgerät durch die Haut bestimmt.

Wenn die Werte kritisch sind, muss eine Blutuntersuchung auf Hyperbilirubinämie erfolgen. Es hat sich gezeigt, dass bereits bei einem Wert über 20 mg/dl neurologische Störungen auftreten können. Wenn bei diesem Wert nicht rechtzeitig behandelt wird, können im Alter von sieben Jahren motorische Dysfunktionen auftreten. Bei Bilirubinkonzentrationen über 25 mg/dl besteht bereits die große Gefahr, einen Kernikterus zu erleiden.

Komplikationen

Eine erhöhter Bilirubinspiegel beim Kind führt zunächst zu einer gelblichen Färbung des Kindes (Neugeborenenikterus), was in der Regel nicht schlimm ist und ohne jegliche Komplikationen wieder abklingt. Jedoch kann sich in den schlimmsten Fällen das Bilirubin im Gehirn in den Basalganglien ansammeln und so zu einem Kernikterus führen, eine Bilirubinenzephalopathie ist die Folge. Der Säugling ist zunächst von einer allgemeinen Schwäche und Muskelschwäche gekennzeichnet.

Daraus entsteht eine Trinkunlust, worauf das Baby austrocknen kann (Exsikkose). Dadurch wird die Haut rissiger und das Baby wird anfälliger gegenüber Infektionen. Außerdem kann im schlimmsten Falle das Herz versagen. Daneben sind die Reflexe beim Neugeborenen abgeschwächt.

Des Weiteren kann das Baby plötzlich anfangen, schrill vor Schmerzen zu schreien. Daneben gesellt sich eine Trübung des Bewusstseins und ein Verkrampfen der Muskulatur vor allem des Nackens und der Wirbelsäule (Opisthotonus), so dass das Baby den Kopf überstreckt. Zudem kann sich beim Säugling das Sonnenuntergangsphänomen offenbaren, was heißt dass das Auge sich beim Öffnen nach unten dreht und so die Sehweite eingeschränkt wird.

In den schlimmsten Fällen kommt es beim Kind zu zerebralen Ausfällen, die verschiedene Folgen haben kann wie zum Beispiel eine Taubheit. Außerdem kommen meist weitere Krampfanfälle und eine geistige Entwicklungsstörung hinzu. Die Erkrankung kann auch über ein Koma bis hin zum Tod des Kindes führen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

In den meisten Fällen wird die Bilirubinenzephalopathie schon vor der Geburt oder direkt nach der Geburt diagnostiziert. Aus diesem Grund ist keine zusätzliche Diagnose oder Behandlung durch einen anderen Arzt notwendig. Die Behandlung im Krankenhaus muss allerdings sofort erfolgen, da die Bilirubinenzephalopathie im schlimmsten Fall sonst zum Tod des Betroffenen führen kann.

In den meisten Fällen sollte dann eine Untersuchung durchgeführt werden, wenn das Kind keine Muskelspannung aufweist oder sehr schläfrig ist und sich nicht bewegt. Auch das Bewusstsein des Kindes wird getrübt und kann damit auf die Krankheit hindeuten. In schwerwiegenden Fällen fallen die Kinder dabei in ein Koma. Damit es später nicht zu Komplikationen oder zum Tod kommt, sollte bei diesen Beschwerden sofort ein Arzt alarmiert werden.

Die Diagnose und Behandlung der Bilirubinenzephalopathie erfolgt in den meisten Fällen direkt im Krankenhaus. Die Eltern müssen dafür in der Regel keinen zusätzlichen Arzt aufsuchen. Ein positiver Krankheitsverlauf kann nicht in jedem Fall garantiert werden.

Behandlung & Therapie

Bei sehr hohen Bilirubinwerten über 20 mg/dl muss sofort eine Behandlung eingeleitet werden, um eine Bilirubinenzephalopathie zu vermeiden. Die Behandlung erfolgt innerhalb der ersten 72 Stunden durch eine Fototherapie mit Blaulicht. Die Wellenlänge des blauen Lichtes liegt zwischen 425 und 475 Nanometer.

Bei der Fototherapie wird das unkonjugierte wasserunlösliche Bilirubin in wasserlösliches Lumirubin umgewandelt. Dieses wird dann über die Gallenflüssigkeit oder die Nieren aus dem Körper ausgeschieden. Wenn die Bilirubinwerte über 30 mg/dl liegen, hilft die Fototherapie nichts mehr. Dann sollte eine Bluttransfusion erfolgen.

Aussicht & Prognose

Die Prognose einer Bilirubinenzephalopathie hängt davon ab, wie schnell nach dem Auftreten der ersten Symptome der Erkrankung oder bei erhöhten Bilirubinkonzentrationen eine Therapie eingeleitet wird.

Bereits vor Ausbruch der Erkrankung muss der Säugling ständig überwacht werden, um bei einer Überschreitung der Konzentration von unkonjugiertem Bilirubin über 15 mg/dl schnell reagieren zu können. Wenn unkonjugiertes Bilirubin über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn gelangt, zerstört es dort die Nervenzellen, indem es Phosphorylierungsreaktionen blockiert.

Diese Vorgänge sind potenziell irreversibel. Sie können also nicht mehr oder nur teilweise rückgängig gemacht werden. Das wasserunlösliche unkonjugierte Bilirubin wird im Rahmen der Behandlung durch Blaulicht in wasserlösliches konjugiertes Bilirubin verwandelt und kann so über Blutaustauschtransfusionen aus dem Körper ausgeschieden werden.

Wenn keine Behandlung erfolgt, können sich Spätfolgen einstellen, deren Symptome sich nur noch durch symptomatische Therapien mildern lassen. Zu diesen Spätfolgen zählen motorische Störungen, Taubheit, ständige Krampfanfälle und geistige Retardierung. Die motorischen Störungen äußern sich unter anderem durch schraubenartige Bewegungen der Extremitäten. Die Spätschäden sind umso gravierender, je später eine Behandlung einsetzt. Jedoch garantiert eine sofort einsetzende Behandlung nach Beginn der Erkrankung nicht, dass es keine Spätschäden gibt.

Da bei Neugeborenen ein erhöhter Bilirubinspiegel sehr häufig vorkommt, ist ein frühzeitiges Screening nach der Geburt sehr wichtig, um eine Hyperbilirubinämie (erhöhte Bilirubinkonzentration im Blut) rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln.


Vorbeugung

Einer Bilirubinenzephalopathie kann nur durch ein frühzeitiges Screening nach der Geburt vorgebeugt werden. Bei stark erhöhten Bilirubinwerten muss sofort eine Blaulichtbehandlung oder bei extrem hohen Werten eine Blutaustauschtransfusion durchgeführt werden. Wenn erst nach einigen Tagen zu Hause eine Gelbsucht auftritt und das Kind in eine Lethargie verfällt, sollte sofort der Arzt aufgesucht werden.

Nachsorge

In der Regel stehen dem Betroffenen bei einer Bilirubinenzephalopathie keine besonderen Mittel zur Nachsorge zur Verfügung. Bei dieser Erkrankung kann es im schlimmsten Fall auch zu einem tödlichen Ausgang kommen, wobei das Kind verstirbt. Eine frühzeitige Diagnose und Therapie wirken sich dabei sehr positiv auf den weiteren Verlauf der Erkrankung aus und können verschiedene Komplikationen vermeiden.

In der Regel ist der Patient auf eine Bestrahlung mit Blaulicht angewiesen, um die Beschwerden zu lindern. Kommt es nicht zu einer Behandlung, verstirbt das Kind oft sofort. Die weitere Nachsorge bei der Bilirubinenzephalopathie bezieht sich in den meisten Fällen auf das neugeborene Kind und nicht auf die Mutter. Das Kind ist auf eine spezielle Förderung angewiesen, um die geistige Retardierung und die weitere verzögerte Entwicklung zu behandeln.

Auch die Krampfanfälle können mit Hilfe verschiedener Medikamente gelindert werden. Dabei müssen die Eltern auf eine regelmäßige Einnahme achten, wobei auch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten beachtet werden sollten. Nach der Geburt ist das Kind auf regelmäßige Untersuchungen angewiesen. Da die Bilirubinenzephalopathie auch zu psychischen Beschwerden bei den Eltern und den Angehörigen des Kindes führen kann, sind hier auch intensive Gespräche und der Kontakt zu anderen Betroffenen der Bilirubinenzephalopathie sehr hilfreich.

Das können Sie selbst tun

Die Möglichkeiten der Selbsthilfe sind bei der Bilirubinenzephalopathie sehr begrenzt. Die Erkrankung tritt bei Neugeborenen auf. Diese können naturgemäß keine Maßnahmen ergreifen, um eine Verbesserung ihrer Situation zu erwirken. Daher sind die Folgen der Erkrankung meist von Angehörigen und Eltern zu tragen. Diese sehen sich aufgrund der Umstände der Hilflosigkeit ausgesetzt und müssen ihre eigenen emotionalen Zustände regulieren.

Kann dies aus eigener Kraft nicht erreicht werden, sollte eine psychologische Hilfestellung in Anspruch genommen werden. Wichtig ist eine sofortige medizinische Versorgung des Neugeborenen. Ein engmaschiger Austausch mit den behandelnden Ärzten und Krankenschwestern ist notwendig, damit schnellstmöglich bei Veränderungen des Gesundheitszustandes reagiert werden kann.

Zudem sollten sich Angehörige über die Erkrankung in einem ausreichendem Maß aufklären lassen sowie selbst informieren. Die Folgen und Störungen sind individuell, jedoch in einem stark lebensbeeinträchtigendem Umfang. Es ist Ruhe zu bewahren, damit gute und optimale Entscheidungen getroffen werden können, die im Interesse des Nachwuchses sind.

Einigkeit und eine gegenseitige Stärkung unter den Familienmitgliedern ist anzuraten, damit sich kein Interessenkonflikt abzeichnet und Ämter oder Behörden eingeschaltet werden müssen. Streitigkeiten, Eigennutz oder Machtspiele schaden letztlich dem Wohl des Neugeborenen und führen zu Zeitverzögerungen, wenn Ärzte für die Behandlungsmethoden das Einverständnis der Eltern benötigen.

Quellen

  • Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • I care Krankheitslehre. Thieme, Stuttgart 2015

Das könnte Sie auch interessieren