Blausäurevergiftung
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Eine Blausäurevergiftung ist eine durch Kontakt mit Blausäure (Zyanid) auftretende Vergiftung, die schon bei Aufnahme geringer Mengen tödlich sein kann.
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Was ist eine Blausäurevergiftung?
Schon die orale Aufnahme von 70 mg Blausäure-haltiger Substanzen kann durch Blausäurevergiftung zum Tod führen. Teilweise wird eine tödlichen Wirkung ab einer Aufnahme von 1 bis 2 mg Blausäure je Kilo Körpergewicht angenommen.
Blausäure befindet sich in den Kernen mancher Früchte. Blausäure entwickelt sich ferner, wenn Kunststoffe zum Beispiel bei Wohnungs- oder Autobränden verbrannt werden. Aber auch in der galvanoplastischen Industrie kann es überdurchschnittlich oft zu Blausäurevergiftungen kommen. Ferner kamen Fälle einer Blausäurevergiftung bei medizinisch angezeigter Infusion des zu den Zyaniden gehörenden Arzneistoffes Nitropussid vor.
Etwa eine Drittel aller Menschen kann erblich bedingt den von Blausäure ausgehenden Geruch bitterer Mandeln nicht wahrnehmen. Mit möglicherweise Zyanid enthaltenden Nahrungsmitteln und Stoffen muss daher wegen der Gefahr einer Blausäurevergiftung sehr vorsichtig umgegangen werden.
Ursachen
Eine Blausäurevergiftung kann durch Hautkontakt, Verschlucken oder Inhalation ausgelöst werden. Die Vergiftung erfolgt durch Zyanwasserstoff, der die Zellatmung blockiert und damit "inneres Ersticken" herbeiführt.
Blausäure kann (zum Beispiel nach einer Gasbildung bei Schwelbränden) durch die Atemluft über die Lunge in das Blut und in umgebende Gewebebereiche gelangen. Da Blausäure bei normalen Raumtemperaturen rasch verdunstet, gelingen Zyanide schnell in die Luft.
Blausäure kann ferner ohne Schwierigkeiten die oberen Hautschichten durchdringen und so in den Blutkreislauf eintreten. Die Aufnahme der Blausäure über die Haut wird bei schweißbildender körperlicher Tätigkeit begünstigt, da Blausäure sehr gut wasserlöslich ist.
Ebenso gelangt Zyanid bei Verzehr blausäurehaltiger Nahrungsmittel mit der Folge einer Blausäurevergiftung in die Blutbahn.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Wenn von einer Blausäurevergiftung die Rede ist, wird meist an eine akut schwere und immer tödlich endende Vergiftung gedacht. Das ist bei der Inhalation großer Mengen an Blausäure auch der Fall. In diesen Fällen kommt es zu schwerer Atemnot, Krämpfen, Erbrechen und Bewusstlosigkeit. Die Atemluft der Vergifteten hat einen typischen Bittermandelgeruch.
Der Tod durch Ersticken tritt innerhalb weniger Sekunden oder Minuten ein. Nachträglich kann eine Blausäurevergiftung durch eine hellrote Färbung der Haut des Toten erkannt werden. Die Leichenflecke erscheinen leuchtend rot. Bei weniger starken Konzentrationen von Blausäure kann eine schnelle Behandlung mit Cyanid bindenden oder Cyanid abbauenden Substanzen das Leben retten.
Weniger bekannt ist jedoch, dass es auch nichttödliche akute Blausäurevergiftungen gibt. In der medizinischen Literatur gibt es dazu wenige Angaben. Aber auch in diesen Fällen äußert sich die Vergiftung zunächst durch Atemnot, starke Kopfschmerzen, Schwindel, Krämpfen, Erbrechen und gegebenenfalls Bewusstlosigkeit. Nach dem Ende der akuten Phase können sich jedoch neurologische Symptome einstellen.
So treten in Einzelfällen Sprachstörungen, Merkfähigkeitsstörungen, Energielosigkeit, starke Müdigkeit, Orientierungslosigkeit sowie allgemeiner körperlicher und geistiger Verfall auf. Diese Störungen sind sehr langwierig und können für immer bestehen bleiben, da das zentrale Nervensystem und das Gehirn oft irreversibel geschädigt werden. Es wurde jedoch auch festgestellt, dass andere Organe in der Regel nicht betroffen sind.
Diagnose & Verlauf
Der an einer Blausäurevergiftung erkrankte Patient leidet an Schwindelgefühlen, Erbrechen, Kopfschmerzen und Ohrgeräuschen. Ein typisches Symptom ist bei Blausäurevergiftung die nach Bittermandel riechende Atemluft des Erkrankten.
Der hyperventilierende Erkrankte gerät in Atemnot. In schweren Vergiftungsfällen treten epileptische Anfälle auf. Der Kranke verliert das Bewusstsein (durchschnittlich nach 26 Minuten) und erleidet schließlich eine Atemlähmung. Erfolgt keine Behandlung, tritt bei einer hohen Giftdosis innerhalb sehr kurzer Zeit nach Aufnahme der Giftstoffe der Tod ein.
Da der Sauerstoff nicht mehr vom Körper verarbeitet werden kann und daher in den Venen verbleibt, erscheint das Blut hellrot, so dass die Schleimhäute und die Haut des Erkrankten eine rosarote Färbung zeigen. Nach einem Tod durch Blausäurevergiftung zeigen sich deshalb auch typische, leuchtend rote Leichenflecke (Livores) ähnlich einer Vergiftung durch Kohlenstoffmonoxid.
Eine sichere Diagnose lässt sich gewöhnlich nur mithilfe von Informationen Angehöriger oder dritter Personen stellen (Fremdanamnese), da der Betroffene bei Blausäurevergiftung gewöhnlich nicht mehr zu entsprechenden Auskünften in der Lage ist.
Komplikationen
Eine Blausäurevergiftung ist eine sehr schwerwiegende Vergiftung des menschlichen Körpers und muss zwingend von einem Arzt behandelt werden. Wird die Blausäurevergiftung nicht rechtzeitig behandelt, so können beim Patienten bleibende Schäden entstehen. Im schlimmsten Falle führt die Blausäurevergiftung zum Tode.
Nach einer Blausäurevergiftung leidet die betroffene Person in der Regel zuerst an starker Atemnot. Zu dieser Atemnot kommt der typische Geruch der Bittermandeln, der aus dem Atem des Patienten austritt. Daneben treten Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, Ohnmachtsanfälle und Krämpfe ein. Die Hautfarbe färbt sich oft rosig.
Sollte sich die Haut langsam rosig oder hellrot färben, so muss dringend ein Notarzt gerufen werden, da es in diesem Falle zum Tod kommt. Bei einer Blausäurevergiftung mit relativ hoher Konzentration bleibt die rote Färbung allerdings aus. Wurde die Blausäure inhaliert, so kommt es schon nach nur wenigen Minuten zum Atemstillstand und zum Herzstillstand.
In dem Fall ist keine Behandlung mehr möglich. Bei kleineren Blausäurevergiftungen findet eine Behandlung mit Schwefel statt, die dem Körper zusätzlich zugeführt wird. Falls nur eine geringe Menge an Blausäure aufgenommen wurde, besteht eine relativ große Chance, dass der Patient wieder gesund wird. Bei höheren Mengen ist die Wahrscheinlichkeit geringer. Die letale Dosis liegt für den Menschen bei 100 Molekülen Cyanid pro eine Million Luftmoleküle.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Bei einer Cyanidvergiftung sollte umgehend medizinische Hilfe in Anspruch genommen werden. Dies gilt auch dann, wenn die aufgenommene Menge des Giftstoffes nur sehr gering ist. Insbesondere bei Kindern und Haustieren, die sich oft durch Obst oder rohe Hülsenfrüchte vergiften, ist größte Vorsicht geboten.
Blausäure findet sich nicht nur in den berüchtigten Bittermandeln. Auch die Kerne von Kirschen und Äpfeln sowie die Steine von Pflaumen, Aprikosen und Pfirsichen sind blausäurehaltig. Besteht die Gefahr, dass ein Kind oder ein Haustier solche Obstbestandteile verschluckt oder rohe Bohnen oder rohe Erbsen direkt vom Strauch gegessen hat, sollte vorsorglich sofort ein Arzt bzw. Tierarzt aufgesucht werden. Auch bei älteren Menschen und Personen mit schlechtem Allgemeinzustand sollte ein Arzt zugezogen werden, um Komplikationen und Spätfolgen vorzubeugen.
Gesunde Erwachsene sollten spätestens dann medizinische Hilfe in Anspruch nehmen, wenn eine gefährliche Menge an Blausäure konsumiert wurde oder sich erste Vergiftungserscheinungen zeigen. Die letale Dosis beim Menschen liegt bei etwa einem Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Allerdings müssen auch geringere Dosen zeitnah behandelt werden.
Zeigen sich bereits erste Symptome einer Blausäurevergiftung, muss sofort ein Arzt konsultiert werden. Betroffene leiden zunächst unter Übelkeit und Erbrechen, häufig kommen starke Kopfschmerzen und Krämpfe hinzu. Sobald der Patient eine rosige Hautfarbe zeigt, besteht akute Lebensgefahr durch eine Kohlenmonoxidvergiftung. In diesem Fall muss unverzüglich der Notarzt verständigt werden.
Behandlung & Therapie
Ist eine Blausäurevergiftung zu befürchten, ist unverzüglich ein Arzt hinzuzuziehen. Vom Ausmaß der Vergiftung hängt es ab, ob die Zuführung von Frischluft genügt, unter Einsatz einer Atemmaske zu beatmen ist oder sogar eine Sauerstoffbeatmung unter Überdruck durchgeführt werden muss.
Die Beatmung erfolgt dann durch 100-prozentigen Sauerstoff mittels Einführung eines Tubus in die Atemorgane. Um Organschäden auszuschließen, wird diese Behandlung auch dann vorgenommen, wenn der Erkrankte zwischenzeitlich wieder ansprechbar sein sollte.
Dagegen darf keinesfalls eine Mund-zu-Nase- oder Mund-zu Mund-Beatmung vorgenommen werden, da der Helfer sich ansonsten selbst der Gefahr einer Blausäurevergiftung aussetzt.
Dem Patienten wird als Gegenmittel ein zur Inaktivierung oder Wirkungsreduzierung von Giftstoffen geeignetes sogenanntes Antidot, insbesondere Natriumthiosulfat, 4-DMAP (4-Dimethylaminophenol) oder Hydroxocobalamin verabreicht, um die Blausäure in weniger gefährliches Thiozyanat umzuwandeln, das nicht mehr zu einer Atemlähmung führen kann. Bei nur geringen Vergiftungserscheinungen erfolgt z. B. die Verabreichung von einem bis 3,25 mg 4-DMAP je Kilogramm Körpergewicht sowie anschließend die allmähliche Gabe von 10 Gramm Natriumthiosulfat.
Hat der Kranke größere Mengen an Bittermandeln verzehrt oder liegt eine andere orale Aufnahme des Giftes vor, erfolgt eine Magenspülung. Um die Blausäureverbindungen möglichst schnell aus dem Körper zu entfernen, werden Abführmittel und großporige Aktivkohle eingesetzt, die Zyanide zu binden vermag.
Aussicht & Prognose
Die Prognose bei einer Blausäurevergiftung ist im Allgemeinen schlecht. Die einzige Form der Zyanidvergiftung, die auch ohne Behandlung zu überstehen ist, ist die einer sehr schwachen Vergiftung, die sich in schwach ausgeprägten Symptomen äußert. Eine solche sehr leichte Vergiftung kann vom Betroffenen auch selbst überstanden werden, da der Körper dazu in der Lage ist, die Blausäure in kleinen Mengen abzubauen. In solchen Fällen wird das generelle Unwohlsein allerdings kaum als Vergiftung wahrgenommen.
Bei mittelschweren und schweren Vergiftungen tritt hingegen ohne Behandlung der Tod unweigerlich durch einen Atem- oder Herzstillstand ein. Eine mittelschwere Vergiftung kann bei Betroffenen durch sofortige Notfallmaßnahmen, die schon Minuten nach dem Aufkommen von Vergiftungssysmtomen eingeleitet werden müssen, bekämpft werden. Die Chancen, diese ohne Folgeschäden zu überstehen, sind bei sofortiger Hilfe und Entgiftung gut.
Die Grenze wird hier häufig mit 30 Minuten angegeben. Eine schwere Zyanidvergiftung, beispielsweise durch das direkte Inhalieren, wird hingegen auch im Falle von Hilfsmaßnahmen tödlich enden. Ist die letale Dosis dadurch erreicht oder überschritten, helfen auch Entgiftungsmaßnahmen nicht mehr. Schließlich führt die Vergiftung binnen weniger Minuten zum Tod.
Folgeschäden treten nur auf, wenn innere Organe infolge der Vergiftung beschädigt wurden. Dies ist nicht zwingend der Fall und hängt unter anderem davon ab, wie das Zyanid aufgenommen wurde.
Vorbeugung
Da eine sehr schnelle Behandlung bei aufgetretener Blausäurevergiftung erforderlich ist, müssen alle Zyanid verarbeitenden Unternehmen, Notarztwagen und Kliniken jederzeit mit ausreichenden Antidotmengen ausgestattet sein, um allerspätestens 30 Minuten nach einer Vergiftung die Gegenmittel verabreichen zu können.
Grundsätzlich ist vorsichtig mit blausäurehaltigen Lebensmitteln wie Bittermandeln umzugehen. Bei Schwel- oder Autobränden sind alle Personen möglichst rasch aus der Rauchzone zu entfernen.
Nachsorge
Eine absichtsvoll herbeigeführte Blausäurevergiftung enthebt die behandelnden Ärzte oft von einer Nachsorge. Sie verläuft meist tödlich. Oft erleben Menschen jedoch eine versehentliche Blausäurevergiftung. Leichte Vergiftungserscheinungen können durch das Essen bitterer Mandeln oder bitterer Aprikosenkerne erfolgen.
Blausäurevergiftungen können außerdem durch inhalierten Rauch von brennenden Kunststoffen oder durch eine Arbeit in der galvanoplastischen Industrie entstehen. Gefährlich wird es, weil viele Menschen den typischen Geruch der Blausäure nicht wahrnehmen können.
Bei entsprechenden Vergiftungssymptomen ist eine medizinische Behandlung notwendig. Da es sich um eine akute Vergiftung handelt, sind neurologische Folgeschäden möglich. Diese unterliegen einer medizinischen Nachsorge. Schwangere Frauen sollten im Rahmen einer umfassenden Vorsorge alles unterlassen, was eine Vergiftung des Ungeborenen mit geringen Mengen Blausäure aus cyanidhaltigen Nahrungsmitteln verhindert.
Krebspatienten, die Amygdalin als Nahrungsergänzung einnehmen, erleiden dadurch gelegentlich eine Blausäure-Vergiftung. Diese führt zu einem Klinik-Aufenthalt und onkologischen Nachsorgmaßnahmen. Im Rahmen einer Krebstherapie wird Amygdalin im Ausland oft als "Vitamin B17" angeboten. Dieses Präparat ist in Deutschland allerdings verboten.
Ähnliches gilt für das chemisch ähnlich strukturierte Laetril. Wer sich Amygdalin illegal zur Ergänzung der Krebstherapie besorgt, gerät in Gefahr. Durch den Umbau des Wirkstoffs im Darm entsteht eine Blausäurevergiftung. Die Nachsorge nach einer Blausäurevergiftung hängt vom Grad der Vergiftungserscheinungen und der dadurch erworbenen Folgeschäden ab.
Das können Sie selbst tun
Bei dem Verdacht auf eine Blausäurevergiftung müssen zunächst Maßnahmen zur Ersten Hilfe ergriffen werden. Der Betroffene muss umgehend aus dem Gefahrenbereich gebracht und mit frischer Luft versorgt werden. Bei einem Atemstillstand muss sofort die Reanimation per Herz-Lungen-Wiederbelebung erfolgen. Eine Mund-zu-Mund-Beatmung sollte aufgrund der akuten Vergiftungsgefahr unterlassen werden.
Bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes sollte der Betroffene in die stabile Seitenlage gebracht und nach Möglichkeit in eine warme Decke gewickelt werden. Beengende Kleidungsstücke müssen geöffnet oder gelockert werden. Der Notarzt muss anhand der W-Fragen über die Ursache der Vergiftung und den Zustand des Vergifteten informiert werden, um eine gezielte Behandlung zu ermöglichen. Zuletzt sollte die Ursache für die Vergiftung ermittelt und möglichst umgehend eliminiert werden, sofern dies ohne weitere Vergiftungsgefahr möglich ist.
Nachdem die Blausäurevergiftung auskuriert wurde, muss der Betroffene unter Umständen diätische Maßnahmen anwenden, um verlorene Nährstoffe und Flüssigkeit (durch die Magenspülung) wieder auszugleichen. Außerdem empfehlen sich Bettruhe und Schonung. Da es bereits durch den Kontakt mit dem Vergifteten zu einer Vergiftung kommen kann, sollte sich auch Ersthelfer notärztlich untersuchen lassen.
Quellen
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
- Koop, I.: Gastroenterologie compact. Thieme, Stuttgart 2013
- Ziegenfuß, T.: Notfallmedizin. Springer, Heidelberg 2011