Dyskalkulie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 13. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die Dyskalkulie ist nicht zu verwechseln mit einer allgemeinen Intelligenzminderung. Je nach Betroffenem basiert die Dyskalkulie auf verschiedenen, beeinflussbaren Ursachen. Im Gegensatz zur Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Schwäche) handelt es sich bei der Dyskalkulie um eine Rechenschwäche.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Dyskalkulie?

Die Betroffenen leiden bei dieser Erkrankung in erster Linie an Problemen beim Rechnen mit Zahlen. Dabei kommt es schon bei einfachen Rechenoperationen mit kleinen Zahlen zu starken Beschwerden und Schwierigkeiten.
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Als Dyskalkulie wird eine vorliegende Rechenschwäche bzw. Rechenstörung bezeichnet. Betroffene, die unter Dyskalkulie leiden, zeigen unter anderem langfristige Schwierigkeiten im Umgang mit Zahlen und auch im Erfassen von rechnerischen Sachverhalten.

Voraussetzung, dass bei vorliegenden Einschränkungen eine Dyskalkulie diagnostiziert wird, ist die, dass die Rechenschwäche nicht lediglich aufgrund fehlender Bildung oder einer Intelligenzminderung vorliegt. Vor allem die Grundrechenarten wie etwa Subtraktion, Addition, Division und Multiplikation bereiten Menschen, die unter Dyskalkulie leiden, Schwierigkeiten.

Weniger beeinträchtigt sind dagegen häufig abstrakte mathematische Prozesse, wie sie beispielsweise der Geometrie zugrunde liegen. Wird bei einem Menschen Dyskalkulie festgestellt (was bei Weitem nicht immer der Fall ist), so geschieht dies meist während der Grundschulzeit. Schätzungen zufolge liegt deutschlandweit bei ca. 10 bis 15% der Kinder eine Dyskalkulie vor.

Ursachen

Je nach Ausprägung können einer Dyskalkulie viele verschiedene Ursachen zugrunde liegen. In den meisten Fällen resultiert eine Rechenschwäche aus einem Zusammentreffen mehrerer Ursachen.

Da die Summe von Ursachen einer Dyskalkulie interindividuell sehr verschieden ist, ist es häufig nicht leicht, entsprechende Ursachen eindeutig zu identifizieren. In der pädagogischen Psychologie existieren verschiedene Erklärungsansätze einer Dyskalkulie; je nach Betroffenem können diese mehr oder weniger zutreffend sein: So ist es beispielsweise möglich, dass der Dyskalkulie eine Entwicklungsstörung in einem bestimmten Bereich zugrunde liegt.

Möglich ist es außerdem, dass ein Betroffener rechnerische Zusammenhänge noch nicht verstanden hat. Auch häufige Lehrerwechsel und Lehrmethoden sowie Klassengröße und -struktur können eine Dyskalkulie beeinflussen. In seltenen Fällen können sich hinter einer Dyskalkulie außerdem Konzentrationsstörungen und/oder Leistungsblockierungen verbergen, die durch Angst oder depressive Verstimmungen hervorgerufen werden.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

In der Regel leiden die Betroffenen bei einer Dyskalkulie an einer stark ausgeprägten Intelligenzminderung. Dabei sind verschiedene Schwächen vorhanden, die sich negativ auf den Alltag und auf die Lebensqualität des Betroffenen auswirken. Ebenfalls wird auch die kindliche Entwicklung durch die Dyskalkulie erheblich verzögert und eingeschränkt.

Die Betroffenen leiden bei dieser Erkrankung in erster Linie an Problemen beim Rechnen mit Zahlen. Dabei kommt es schon bei einfachen Rechenoperationen mit kleinen Zahlen zu starken Beschwerden und Schwierigkeiten, sodass die betroffenen Kinder auch in der Schule schon Probleme zeigen. Ebenso kann es zu Konzentrationsstörungen kommen, sodass die Kinder in der Schule nicht aufpassen oder als hyperaktiv wirken.

Viele Kinder sind weiterhin auch gereizt oder sogar leicht aggressiv. Sie können dabei ebenso an einer Apathie leiden, wodurch es zu starken sozialen Beschwerden kommen kann. Durch die Dyskalkulie leiden einige Betroffene vor allem im Kindesalter an Mobbing oder an Hänseleien und entwickeln dadurch psychische Beschwerden oder sogar Depressionen.

Sollte die Dyskalkulie nicht behandelt werden, so führt sie auch im Erwachsenenalter zu erheblichen Beschwerden im Alltag. Die Krankheit wirkt sich in der Regel nicht negativ auf die Lebenserwartung des Betroffenen aus.

Diagnose & Verlauf

Um eine Dyskalkulie zu diagnostizieren, können verschiedene Testverfahren durchgeführt werden. Entsprechende Tests sind beispielsweise bei zuständigen schulpsychologischen Stellen durchzuführen.

Sowohl die Testergebnisse als auch das Verhalten eines Betroffenen während des Tests können den Testleitern entsprechende Informationen liefern. Meist wird ein betroffenes Kind zunächst einem Intelligenztest unterzogen; hierbei kann etwa eine mögliche Über- oder Unterforderung festgestellt werden.

Um eine Dyskalkulie zu diagnostizieren, werden genannte Testverfahren etwa ergänzt durch Tests der Wahrnehmung und Motorik. Denn alle diese Faktoren können Hinweise auf eine vorliegende Dyskalkulie sein.

Der Verlauf einer Dyskalkulie hängt von verschiedenen Faktoren ab. Werden einem betroffenen Kind individuelle Fördermaßnahmen zuteil, so kann sich eine Rechenschwäche im Verlauf der Zeit bessern.

Komplikationen

Kinder mit Dyskalkulie leiden häufiger als ihre Altersgenossen unter Störungen oder Auffälligkeiten des Verhaltens. Diese Besonderheiten können sowohl parallel zur Dyskalkulie auftreten als auch indirekt auf die Rechenschwäche zurückgehen: Kinder mit Dyskalkulie fühlen sich zum Teil minderwertig und versuchen manchmal, dieses Gefühl durch auffälliges Verhalten zu kompensieren.

Allerdings reagieren die Kinder nicht immer mit unerwünschtem Verhalten wie Aggression, oppositionellem Verhalten oder Ängste: Einige Kinder sind besonders strebsam und versuchen, durch andere Leistungen das (empfundene) „Versagen“ wettzumachen. Eventuelle Ängste, die als Komplikation der Dyskalkulie auftreten können, nehmen sehr unterschiedliche Formen an. Bei einigen Kindern entwickelt sich eine isolierte Rechenangst, während andere zu Schulangst neigen.

Auch verschiedene andere Angststörungen sind als Folge der Dyskalkulie möglich: Soziale Ängste und generalisierte Angststörung können dabei auch Erwachsene betreffen. Generell kann die Dyskalkulie die psychische Entwicklung von Kindern indirekt beeinträchtigen. Diese haben damit ein erhöhtes Risiko, an einer anderen psychischen Störung zu erkranken. Mögliche Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) wie ADHS oder Legasthenie können weitere Komplikationen hervorrufen.

Psychischer Stress, wie er von Dyskalkulie und damit einhergehende Ängste ausgelöst werden kann, spiegelt sich in vielen Fällen auch körperlich wider. Herzklopfen, Schwitzen und Zittern sind mögliche Angstsymptome. Darüber hinaus können sich somatische Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Kopfschmerzen entwickeln.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Eine Dyskalkulie fällt bei vielen Betroffenen erstmals im Schulalter auf. Während in anderen Fächern normale bis gute Leistungen erbracht werden, scheint beim Umgang mit Zahlen jedes Verständnis zu fehlen. In manchen Fällen fallen betroffene Kinder bereits im Kindergarten bei Projekten mit Zahlen und Zählspielen auf. Teilen Erzieher und Grundschullehrer Eltern solche Beobachtungen mit, sollten diese unbedingt ernstgenommen und dem Kinderarzt mitgeteilt werden.

Dieser kann beraten, ob weiterführende Untersuchungen bei Fachärzten, beispielsweise in speziellen Frühförderzentren, anzuraten sind oder ob auch warten und eine gute Beobachtung der weiteren kindlichen Entwicklung Sinn machen. Bei einer Dyskalkulie handelt es sich nicht um eine Erkrankung, die körperliche Langzeitschäden mit sich bringt.

Solange es Betroffenen auch psychisch gut mit ihrer Einschränkung geht, also kein Leidensdruck vorhanden ist, muss der Verdacht auf Dyskalkulie auch nicht zwangsläufig ärztlich abgeklärt werden. Zu beachten ist dabei allerdings, dass eine frühzeitige Diagnose gerade bei Kindern auch die Chance bietet, die weitere mathematische Entwicklung gezielt zu fördern und somit schlechten Schulleistungen und seelischem Druck vorzubeugen.

Behandlung & Therapie

Soll der diagnostizierten Dyskalkulie eines Schulkindes entgegengewirkt werden, schlagen Experten meist Interventionen vor, deren Schwerpunkte sich an der individuellen Problematik des Kindes orientieren.

Angebotene Therapieverfahren gegen Dyskalkulie, die beispielsweise an Schulen Anwendung finden können, dauern in der Regel zwei Jahre. Eine entsprechende Therapie bezieht idealerweise nicht nur die betroffenen Kinder ein, sondern auch deren Eltern und Lehrer. Je nach Kind findet eine solche Therapie von Dyskalkulie in Kleingruppen oder mit einzelnen Kindern zweimal wöchentlich statt.

Ein erstes Therapieziel der Behandlung von Dyskalkulie liegt zunächst bei der Stabilisierung des Selbstwertes eines Kindes. Das geförderte Kind ist Mittelpunkt der Therapiestunde, die anfangs beispielsweise durch Malen oder Singen gestaltet wird; dies soll den Leistungsdruck abbauen. In einem zweiten Schritt der Therapie bei Dyskalkulie folgt dann meist das Training mathematischer Kompetenzen - so beispielsweise, indem zunächst mit dreidimensionalen, greifbaren Gegenständen gerechnet wird.

Diese Gegenstände können dann schrittweise durch Arbeitsblätter ersetzt werden. Bei gegebenem Zeitpunkt konzentriert sich die Therapie von Dyskalkulie schließlich auch auf das Kopfrechnen. Je nach Einzelfall kann es sinnvoll sein, ein beschriebenes Förderprogramm durch begleitende Methoden (wie beispielsweise die Ergotherapie) zu ergänzen.

Aussicht & Prognose

Die Dyskalkulie wird sich ohne Behandlung und Unterstützung nicht bessern. Je früher sie erkannt und Abhilfe geschaffen wird, desto besser sind die Aussichten des Betroffenen, den Umgang mit Zahlen zu erlernen - langsam, aber letztlich in einem vergleichbaren Maß wie andere Menschen.

Gute Aussichten auf Lernerfolg bestehen also dann, wenn eine Dyskalkulie bereits im Grundschulalter erkannt wird, denn dann kann mit gezielter Förderung des Kindes entgegen gewirkt werden. Oft muss das betroffene Kind gar nicht auf eine andere Schule versetzt werden, sondern braucht lediglich im mathematischen Bereich besondere Unterstützung.

Wird die Dyskalkulie dagegen erst im Erwachsenenalter entdeckt und behandelt, kann sich der Prozess erstens länger ziehen und zweitens ist nicht mehr gewährleistet, dass der Betroffene sämtliche damit verbundenen Schwierigkeiten bewältigen kann. Das Gehirn eines Erwachsenen entwickelt sich nicht mehr so schnell wie das eines Kindes und korrigierende Maßnahmen können demzufolge nicht in der gleichen Geschwindigkeit wie bei einem Kind mit Dyskalkulie Erfolge zeigen. Möglich ist es dennoch, wichtig ist lediglich kontinuierliche Übung.

Die Aussicht auf Besserung einer Dyskalkulie kann sich auch dadurch erschweren, dass Betroffene bereits selbst bemerkt haben, dass sie Schwierigkeiten mit Zahlen haben, weshalb sie Ängste vor Situationen entwickeln, in denen sie rechnen müssen. Möglicherweise muss erst oder gleichzeitig diese Angst gelöst werden, bevor die Dyskalkulie an sich behandelt werden kann.


Vorbeugung

Vorgebeugt werden kann einer Dyskalkulie unter anderem, indem erste Anzeichen für Rechenprobleme aufmerksam beobachtet werden. So kann eine frühzeitige Förderung entsprechender Kinder erfolgen. Eine wichtige Zeit für das Erkennen erster Probleme, die zu einer Dyskalkulie führen können, ist die Zeit der ersten Grundschuljahre.

Nachsorge

Bei einer Dyskalkulie stehen dem Patienten in den meisten Fällen nur sehr wenige Möglichkeiten oder Maßnahmen einer Nachsorge zur Verfügung. Der Betroffene ist dabei zuerst auf eine medizinische und ärztliche Behandlung der Erkrankung angewiesen, damit es nicht zu weiteren Beschwerden und auch nicht zu einer verzögerten oder eingeschränkten Entwicklung des Kindes kommt. Je früher die Dyskalkulie dabei behandelt oder erkannt wird, desto besser ist meistens auch der weitere Verlauf der Erkrankung.

In den meisten Fällen wird die Dyskalkulie durch verschiedene Übungen oder durch Therapien behandelt. Dabei kommt es meist nicht zu weiteren Komplikationen. Hierbei können Eltern mit ihren Kindern auch im eigenen Zuhause viele Übungen durchführen, um der Dyskalkulie entgegenzuwirken. Dabei ist allerdings viel Ruhe bei den Eltern gefragt, um die Kinder nicht zu überfordern.

Mit kleinen Aufgaben, die über den Tag verteilt werden, kann die Dyskalkulie relativ gut behandelt werden. In einigen Fällen ist bei dieser Erkrankung auch eine psychologische Behandlung notwendig, wobei sich auch Gespräche mit der Familie oder mit den Freunden positiv auf den Verlauf der Erkrankung auswirken können. Auch der Kontakt zu anderen betroffenen Eltern kann dabei sehr sinnvoll sein.

Das können Sie selbst tun

Bei einer diagnostizierten Dyskalkulie kommt den Eltern eine sehr wichtige Rolle zu. Sie können auf vielfältige Weise ihr Kind unterstützen. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit einer integrativen Einzelförderung in der Schulzeit. Diese muss von den Eltern beantragt werden.

Der Weg ist oft mühsam, lohnt sich jedoch. Eine Nachhilfe innerhalb des regulären Förderunterrichtes führt bei den betroffenen Kindern nur selten zum Erfolg. Die große Gruppenstärke ist hinderlich. Wichtig ist die Ermöglichung einer sogenannten 1-zu-1-Betreuung durch einen ausgebildeten Sozialpädagogen oder Heilpädagogen.

Bereits in den letzten beiden Kindergartenjahren werden den Kindern die ersten mathematischen Begriffe und Mengenverständnis vermittelt. Hier können Eltern aktiv das Gespräch mit den betreuenden Pädagogen suchen und so erste Unterstützungsmaßnahmen anbieten.

Nachweislich besteht bei einer Dyskalkulie ein Zusammenhang zwischen dem seelischen Zustand des Kindes und dessen Verständnisproblemen arithmetischer Grundmechanismen. Eltern sollten hinterfragen, ob ihr Kind unter Ängsten oder sogar Depressionen leidet. Eine psychotherapeutische Beratung sollte nicht ausgeschlossen werden. Ebenso gilt es bestehende Verhaltensauffälligkeiten auszuschließen. Denn auch diese können Lernschwierigkeiten bedingen.

Grundsätzlich müssen Eltern mit viel Geduld und Verständnis den Weg ihres Kindes durch die Schulzeit begleiten. Zudem gibt es physiotherapeutisch gestützte Programme welche die Konzentrationsfähigkeit des Kindes verbessern. Sie sorgen für körperliche wie seelische Entspannung nach dem Schultag und lassen sich leicht in den Alltag einbauen.

Quellen

  • Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
  • Köhler, T.: Medizin für Psychologen und Psychotherapeuten. Schattauer, Stuttgart 2014
  • Remschmidt, H.: Kinder- und Jugendpsychiatrie. Thieme, Stuttgart 2011

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