Gyrus praecentralis

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 7. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Der Gyrus praecentralis ist ein Teil des Gehirns und beheimatet die primär-motorische Rinde, die mit zentralen Motoneuronen und den Pyramidenbahnen vernetzt ist. Der Bereich des Gehirns gilt als Zentrale der Bewegungssteuerung. Bei Läsionen treten oft irreversible Bewegungsstörungen, Spastiken oder Lähmungen ein.

Inhaltsverzeichnis

Was ist der Gyrus praecentralis?

Die Hauptaufgabe des Gyrus praecentralis entspricht seiner Funktion als primär-motorische Rinde. Die primär-motorische Rinde ist von der supplementär-motorischen Rinde und der prämotorischen Rinde zu unterschieden.
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Der Gyrus praecentralis liegt auf dem Frontallappen im Großhirn und entspricht dem Großhirnabschnitt vor der Zentralfurche. Wörtlich übersetzt bedeutet Gyrus "Windung". Beim Menschen kommt dem Gyrus praecentralis eine zentrale Funktion in der Bewegungssteuerung zu. In der Windung liegt die primär-motorische Rinde, die für sämtliche Bewegungen unersetzlich ist.

Gemäß der Brodmann-Einteilung liegt der Gyrus praesentralis im Areal vier, das such als Area gigantopyramidalis bekannt ist. Dieses Areal ist der Ursprung der sogenannten Pyramidenbahnen. Die Pyramidenbahnen des Menschen sind das zentrale Schaltelement für sämtliche Willkür- und Reflexmotorik und sind mit den motorischen Hirnnervenkernen verbunden. Die primär-motorische Rinde enthält damit sogenannte Motoneuronen, die als gemeinsamer Ausgangspunkt des gesamten Motocortex gelten. Zu unterscheiden ist der Gyrus praecentralis vom Gyrus postcentralis auf dem Parietallappen. In diesem Gebiet ist der somatosensorische Cortex zur Verarbeitung von taktilen Wahrnehmungen angesiedelt.

Anatomie & Aufbau

In der primär-motorischen Rinde liegen die Motoneuronen, die als gemeinsamer Ausgangspunkt des Motorcortex dienen. Die Axone der dortigen Motoneuronen laufen das Rückenmark entlang und erreichen dort die motorischen Hirnnervenkerne.

Im Rückenmark werden ihre Impulse umgeschaltet und wandern auf das periphere Motoneuron im Vorderhorn, von wo aus motorische Befehle aus dem Gehirn die zugehörige Willkür-Muskulatur erreichen. Die primär-motorische Rinde ist nicht vollständig, aber zum überwiegenden Anteil auf der Wölbung unmittelbar vor der Zentralfurche angesiedelt. Der Gyrus praecentralis ist in diesem Teil mit Somatotopie aufgebaut. Anatomisch benachbarte Regionen werden also auch in der primär-motorischen Rinde nebeneinander repräsentiert. Damit liegt auf dem Gyrus praesentralis sozusagen eine verkleinerte und kopfstehende Darstellung des menschlichen Körpers.

Funktion & Aufgaben

Die Hauptaufgabe des Gyrus praecentralis entspricht seiner Funktion als primär-motorische Rinde. Die primär-motorische Rinde ist von der supplementär-motorischen Rinde und der prämotorischen Rinde zu unterschieden. Die letzten beiden Rinden dienen der Zusammenstellung von Bewegungsabfolgen aus einem Fundus erlernter Einzelbewegungen. Außerdem sind sie an der Vorbereitung aller willkürlich bewussten und unbewussten Bewegungen beteiligt. Korbinian Brodmann hat die sogenannten Brodmann-Areale zur Beschreibung von Gehirnabschnitten eingeführt.

Die primär-motorische Rinde macht Brodmann Areal 4 aus. Die supplementär-motorische und prämotorische Rinde liegen beide im Areal 6. Diese Repräsentation des menschlichen Körpers im Gyrus praecentralis wird auch als Homunculus bezeichnet und dient der genauen Weiterleitung von Bewegungsbefehlen aus dem Gehirn. Proportional ist der Homunculus verzerrt. Einzelne Bereiche des menschlichen Körpers besitzen nämlich eine äußerst fein abgestimmte Bewegungsfähigkeit, so insbesondere die Hand oder die Sprachmuskulatur. Diese Bereiche erfordern eine besonders feine Repräsentation. Andere Bereiche des Körpers besitzen dagegen eine weniger feine Motorik, so zum Beispiel der Rücken. Auch Bereiche mit einem höheren Anteil an automatischer Regulierung müssen weniger fein repräsentiert werden.

Ein Beispiel hierfür ist die Halte- und Stützmuskulatur. Die solchen Bereichen zugehörigen Rindenareale sind kleiner als die repräsentierenden Stellen für feine Motorik. Auf diese Weise entsteht die Verzerrung des Homunculus. Auch die Somatotopie ist in der Repräsentation weitaus gröber ausgeprägt als beispielsweise in der primär sensorischen Rinde, die einer punktgenauen Repräsentation von Körperoberflächen entspricht. Die efferent absteigenden Nervenbahnen der Hirnrinde ergeben gemeinsam mit dem Tractus corticospinalis und dem Tractus corticonuclearis zur Versorgung der motorischen Hirnnervenkerne die Pyramidenbahn des Menschen.


Krankheiten

Klinische Relevanz gewinnt der Gyrus praecentralis vor allem dann, wenn er von Läsionen betroffen ist. Die motorischen Areale stellen eine zentrale Schnittstelle zwischen dem Bewusstsein und der Materie her. Durch die Areale sind Menschen erst dazu fähig, mit bestimmten Absichten und in gerichteten Bewegungen auf ihre Umwelt zu reagieren, sich in der Umwelt fortzubewegen oder andere Individuen anzunähern.

Wenn der Motocortex seine Funktion vollständig verliert, sind keine willkürlichen Bewegungen mehr denkbar und die Kontrolle über den eigenen Körper geht gänzlich verloren. Patienten in dieser Lage werden mit dem Begriff des Locked-in-Syndroms beschrieben. Die Betroffenen sind zwar vollständig bei Bewusstsein und nehmen ihre Umwelt deutlich wahr, sie können allerdings nicht auf ihre Umwelt reagieren und sind dementsprechend in den eigenen Körper eingeschlossen. Das Locked-in-Syndrom ist meist eine Folge von Schädigungen der efferenten Bahnen am Motorcortex. Auch andere Läsionen der primär-motorischen Rinde können mit schweren Bewegungseinschränkungen einhergehen. Patienten mit ALS sind zum Beispiel von degenerativen Veränderungen der Motoneuronen betroffen.

Ihre motorischen Nervenzellen im zentralen Nervensystem bauen sich Stück für Stück ab. Je nachdem, ob das obere oder untere zentrale Motoneuron betroffen ist, treten durch die degenerativen Erscheinungen Spastiken, Muskelschwäche oder Lähmungen ein. Die Erkrankung ist bislang unheilbar und lässt sich lediglich symptomatisch behandeln. Um Läsionen der zentralen Motoneuronen und damit der primär-motorischen Rinde zu diagnostizieren, nutzt der Neurologe oft die Reflexuntersuchung. Wenn zum Beispiel mehrere pathologische Reflexe der sogenannten Babinski-Gruppe vorliegen, leidet der Patient vermutlich an Läsionen in diesem Bereich.

Auch Tumore, Blutungen, traumatische Verletzungen oder Entzündungen im Bereich des Gyrus praecentralis rufen oft Bewegungsstörungen hervor. Die Prognose für die Behandlung hängt von der Ursache im Einzelfall ab. Wenn Motoneuronen unwiderruflich zerstört worden sind, handelt es sich bei den Bewegungsstörungen meist um irreversible Symptome. Nur im Einzelfall lassen sich die Funktionen der betroffenen Gehirnbereiche durch Training auf intakte Gehirnbereiche übertragen.

Quellen

  • Benninghoff/Drenckhahn: Anatomie. Urban & Fischer, München 2008
  • Hacke, W.: Neurologie. Springer, Heidelberg 2010
  • Weniger, W.: Gehirn und Nervensystem. Facultas, Wien 2019

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