Hängetrauma

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 18. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Hängetrauma ist ein notfallmedizinischer Schockzustand, der auch als orthostatischer Schock beschrieben werden kann. Der Betroffene hängt dabei in aufrechter Position, sodass sein Blut in seine herabhängenden Beine versackt. Wenn er zu rasch in liegende Position gebracht wird, kann sich dadurch der Tod einstellen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist ein Hängetrauma?

Die Diagnose des Hängetraumas wird in der Regel von Bergungsteams und Rettungsdiensten gestellt und erfolgt auf Basis der Blickdiagnostik sowie der Vitalwerte. Die Diagnosestellung am Ort des Geschehens ist für einen günstigen Verlauf zwingend notwendig, da der Betroffene nicht zu rasant in die liegende Position gebracht werden darf.
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Das Hängetrauma ist ein Schock, der durch länger anhaltendes Hängen in einem Gurtsystem eintreten kann. In einem Gurt ist der Betroffene zu einer aufrechten Haltung gezwungen. Seine Extremitäten hängen in der Regel nach unten. Diese Haltung kann durch die Schwerkraft das Blut in den Extremitäten versacken lassen. Wenn der Betroffene aus seiner aufrechten Position befreit wird, dann kann diese Befreiung in einen sogenannten Rettungskollaps resultieren, da die Kreislaufregulation die schnelle Haltungsveränderung nicht bewältigen kann.

Das Phänomen des Hängetraumas ist seit den 70er Jahren bekannt und ist ein eher seltenes Ereignis. Trotzdem sind seit der Entdeckung mehrere Todesfälle dokumentiert worden, die vermutlich einzig und allein diesem Phänomen anzulasten sind. Der Mediziner Amphoux beschreibt das Hängetrauma erstmals in Zusammenhang mit verunglückten Höhlenforschern, die lediglich einen kleinen Absturz erlitten hatten und mysteriöserweise trotzdem an den Folgen des Sturzes verstorben waren.

Ursachen

Wenn der Mensch aus der liegenden Position in eine stehende Position wechselt, können dabei rund 600 Milliliter Blut in den Venen der Beine versacken. Der arterielle Blutdruck und das Herzminutenvolumen verringern sich bei dieser Erscheinung kurzzeitig. Der Körper reagiert auf diese Erscheinung mit einer Verengung der Blutgefäße. Die Herzfrequenz steigt an und Katecholamine werden ausgeschüttet.

Die Blutgefäße des Gehirns sind mit Selbstregulationsmechanismen ausgestattet und stellen so die Durchblutung sicher. Wenn aber nicht genug gegenreguliert wird, dann ist die Gehirndurchblutung extrem reduziert. In einer Folge dessen tritt Schwindel ein. Ein orthostatischer Schock tritt dadurch aber nicht auf, da der Betroffen sich beim ersten Schwindel oder einem Anflug von Ohnmacht hinsetzt oder in liegende Position begibt. So wird die orthostatische Veränderung wieder ausgeglichen.

In einem Gurtsystem kann kein Ausgleich stattfinden. Die Gegenregulationsmechanismen des Organismus werden überfordert und das Blut verteilt sich um. Es kommt zu einem Volumenmangel, der durch Einschnürungen durch die Gurte sogar noch verstärkt werden kann.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Symptome eines Hängetraumas sind bis zu einem gewissen Grad individuell. Vor allem der Zeitpunkt des Eintretens im zeitlichen Verlauf wird von der individuellen Konstitution der jeweiligen Person bestimmt. In der Regel treten die ersten Symptome nach minimal einer Minute maximal 20 Minuten auf. Die Betroffenen werden blass im Gesicht. Sie beginnen zu schwitzen und ihnen wird schwindlig. Die Beine werden nach einiger Zeit in der Regel taub.

Auch andere Fehlempfindungen stellen sich zuweilen ein. Oft leiden die Betroffenen an einer anschwellenden Übelkeit, die sich bis zum Erbrechen steigern kann. Kurzatmigkeit und Schwindel kommen hinzu. Es kann zu Störungen des Wahrnehmungssystems kommen. Sehstörungen treten dabei am häufigsten auf.

Manchmal liegt an den Ansatzstellen der Gurte zusätzlich ein unblutiger Aderlass vor. Sogar Nekrosen oder Krampfadern treten unter Umständen spontan an den Strangulierungsstellen auf. Das aufgestaute Blut in den Extremitäten kann eventuell giftige Substanzen enthalten, wie sie beim Postischämie-Syndrom vorkommen.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Die Diagnose des Hängetraumas wird in der Regel von Bergungsteams und Rettungsdiensten gestellt und erfolgt auf Basis der Blickdiagnostik sowie der Vitalwerte. Die Diagnosestellung am Ort des Geschehens ist für einen günstigen Verlauf zwingend notwendig, da der Betroffene nicht zu rasant in die liegende Position gebracht werden darf. Eine zu rasche Umlagerung kann wegen der Überforderung des Herzmuskels zu einem Herztod führen.

Komplikationen

Falls ein Hängetrauma nicht behandelt wird, kommt es in der Regel relativ schnell zum Tode des Patienten. Aus diesem Grund ist eine umgehende medizinische Behandlung des Traumas notwendig, um Folgeschäden und den Tod des Patienten zu vermeiden. Je länger der Patient am Gurtsystem hängt, desto mehr Beschwerden und Komplikationen treten in der Regel ein.

Es kommt zu Erbrechen und einer starken Übelkeit, weiterhin leidet der Betroffene an Schwindelgefühlen und an einer Schnappatmung. Es treten Fehlempfindungen und Lähmungen in verschiedenen Regionen des Körpers auf und die Lebensqualität nimmt stark ab. Weiterhin kommt es auch zu starken Sehstörungen, die sich allerdings bei einer Behandlung wieder normalisieren. Der allgemeine Zustand des Patienten verschlechtert sich und nach einigen Minuten verliert der Betroffene in der Regel das Bewusstsein und fällt in Ohnmacht.

Komplikationen können dann eintreten, wenn der Patient bei der Behandlung zu schnell in eine andere Position gebracht wird. In diesem Falle kann das Herz überlastet werden und es kommt zum Herztod. In vielen Fällen ist eine Wiederbelebung notwendig, wenn das Hängetrauma über einen längeren Zeitraum angedauert hat. Es kann nicht vorausgesagt werden, ob es durch das Hängetrauma zu bleibenden Schäden beim Patienten kommen wird.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Beim Verdacht auf ein Hängetrauma muss umgehend ein Notarzt alarmiert werden. Das Trauma stellt einen medizinischen Notfall dar, der sofort zu behandeln ist und anschließend einer umfassenden Untersuchung im Krankenhaus bedarf. Wenn einige Minuten nach einem Unfall Symptome wie Fehlempfindungen, Übelkeit und Erbrechen oder Kurzatmigkeit auftreten, oft verbunden mit äußeren Verletzungen, muss der Rettungsdienst gerufen werden. Auch Sehstörungen, Schwindel und Schmerzen können Warnzeichen sein, die einer raschen Abklärung bedürfen.

Äußerlich kann ein Hängetrauma an der blassen Gesichtsfarbe und an den meist auftretenden Schweißausbrüchen erkannt werden. Wenn zudem die Beine oder andere Glieder taub werden, ist ein Arzt zu alarmieren. Ersthelfer müssen erste Hilfe leisten, bis ein Arzt zur Verfügung steht. Nach einem Hängetrauma muss der Betroffene einige Tage bis Wochen in der Klinik verbringen, abhängig davon, wie schwer die Verletzungen sind. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus sind regelmäßige Untersuchungen durch den Arzt angezeigt, da auch nach Wochen noch Komplikationen auftreten können.

Behandlung & Therapie

Die Bergung des Patienten ist der erste Schritt bei der Behandlung des Hängetraumas. Der Betroffene sollte die nächsten 20 Minuten lang in aufrechter Position gelagert werden. Falls dieser Grundsatz ignoriert wird, kann die orthostatische Veränderung lebensbedrohliche Konsequenzen haben. Das gilt vor allem dann, wenn sich in den Extremitäten giftige Stoffe gesammelt haben. Die weitere Behandlung des Hängetraumas richtet sich nach den Symptomen.

Die Ersthelfer entfernen zum Beispiel beengende Kleidungsstücke. Die Atmung und der Kreislauf des Betroffenen werden ununterbrochen überwacht. Falls die normale Atmung aussetzt und der Patient das Bewusstsein verliert, wird eine konventionelle Herz-Lungen-Wiederbelebung durchgeführt. Wenn lediglich ein Verlust des Bewusstseins eintritt, aber die Atmung normal bleibt, wird der Betroffene in die stabile Seitenlage überführt.

Wenn Notfallmediziner den Unfallort erreichen, wird eine Sauerstoffgabe initiiert. Ein venöser Zugang wird gelegt. In Kombination dazu findet eine Blutzuckerbestimmung statt. Wenn eine Hypoglykämie vorliegt, geben die Notfallmediziner dem Patienten Glucose als kristalline Lösung. Zuweilen werden intravenös Sympathomimetika wie Adrenalin verabreicht. Falls sich der Kreislauf so nicht stabilisiert, ist eine ausreichende Volumengabe angezeigt.


Vorbeugung

Dem Hängetrauma kann bis zu einem gewissen Grad vorgebeugt werden, indem einzig und alleine geeignete Gurtsysteme und Seilschlaufen verwendet werden. In diese Schlaufen stellt der Betroffene im Fall eines Absturzes seine Beine, um die Muskelpumpe anzuregen. Sicher ausgeschlossen ist das Hängetrauma aber auch damit nicht.

Nachsorge

Wer als Höhenarbeiter ein Hängetrauma erlebt hat, kann jederzeit wieder an den typischen Beschwerden leiden. Denn ein Absturz kann durch einen Zufall wieder auftreten. In bestimmten Berufen und bei gewissen Freizeitaktivitäten besteht schlichtweg ein erhöhtes Risiko. Die Nachsorge bezieht sich hauptsächlich auf Präventionsmaßnahmen, die darauf abzielen, dass der Betroffene Positionierungssysteme mit Trittschlingen und Arbeitssitzen verwendet, die das Risiko eines Hängetraumas verringern.

Ärzte sowie die Versicherungsträger halten Informationen rund um geeignete Absturzsicherungen bereit. Den Einsatz solcher Systeme verantwortet allerdings der Patient selbst beziehungsweise sein Arbeitgeber. Über die Verhinderung eines Wiederauftritts hinaus visiert die Nachsorge die Bewältigung von Folgeschäden an. Diese treten vor allem dann auf, wenn der Patient sich zu lange im Auffanggurt befunden oder einen Schock erlitten hat.

Dann richtet sich die Nachsorge nach den bestehenden Beschwerden. Von einer lebensbegleitenden Dauerbehandlung bis hin zu kurzzeitigen Therapien sind viele Formen der Nachsorge denkbar. Ärzte stellen geeignete Hilfsmittel und Medikamente bereit. Untersuchungen beinhalten neben einer ausführlichen Anamnese gegebenenfalls auch bildgebende Verfahren. Manchmal tritt in der Folge eines Hängetraumas eine psychische Belastungsstörung auf. Eine Psychotherapie verschafft Abhilfe und zeigt den Weg in einen beschwerdefreien Alltag auf.

Das können Sie selbst tun

Menschen, die sich lange Zeit in einem Gurtsystem gefangen gesehen haben, sollten ihre Körperposition nur langsam verändern. Die Durchblutung kann beispielsweise durch die Bewegung von Fingern oder Zehen kontinuierlich angeregt werden. Schrittweise können weitere Bewegungen der Gliedmaßen, wie das Hand- oder Fußgelenk durch Kreisen oder Kippen angestoßen werden.

Die plötzliche Belastung der Gliedmaßen mit dem Körpergewicht ist bei einem Hängetrauma grundsätzlich zu vermeiden. Helfer, die Betroffene aus dem Gurtsystem befreien möchten, sind über die ungefähre Zeit der aktuellen Position und vorhandener Beschwerden zu informieren. Bei Taubheitsgefühlen in den Armen oder Beinen fehlt dem Organismus die Kraft, um das Eigengewicht tragen zu können. Die Muskulatur ist nicht ausreichend mit Sauerstoff und weiteren Nährstoffen durch die Gefäße versorgt worden, so dass sie meist mehrere Minuten Zeit benötigen, um wieder funktionsfähig sein zu können.

Nach einem Unfall sollte von Hilfeleistenden unverzüglich der Kontakt zu einem Sanitäter hergestellt werden. Dieser hat meist die ausreichende Erfahrung, um keine Überforderung auszulösen. Der Betroffene sollte eine Selbstüberschätzung seiner Verfassung nach einer längeren Zeit in einer starren Haltung im Gurtsystem vermeiden. Eine gute Reflektion seiner körperlichen Möglichkeiten sind für ihn gefahrenreduzierend und für den Genesungsprozess hilfreich. Der Drang nach Befreiung überwiegt oftmals und führt zu einer weiteren Unfallgefährdung.

Quellen

  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Müller, S.: Notfallmedizin. Thieme, Stuttgart 2011
  • Ziegenfuß, T.: Notfallmedizin. Springer, Heidelberg 2011

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