Joubert-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Das Joubert-Syndrom zeichnet sich durch eine angeborene Fehlbildung des Hirnstamms sowie eine Agenesie (Hemmungsfehlbildung, fehlende Anlage, zum Beispie Gehirnbalken, Wurmfortsatz) aus. Auch kann eine Hypoplasie (Unterentwicklung) des Kleinhirnwurms bestehen. Patienten, die an diesem autosomal-rezessiven Gendefekt leiden, weisen unter anderem ein abnormes Atmungsverhalten sowie Ataxie auf.
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Was ist das Joubert-Syndrom?
Menschen mit Joubert-Syndrom leiden unter Entwicklungsstörungen des zentralen Nervensystems und der daraus folgenden Funktionsstörungen. Die medizinische Forschung diskutiert kontrovers, ob diese genetische Störung als eigenständige Krankheit zu klassifizieren ist.
Die betroffenen Patienten weisen eine Vielzahl unterschiedlicher Symptome auf. Aus diesem Grund ist eine abschließende Diagnose schwierig. Das JB zeichnet sich durch eine weitreichende Genlocus-Heterogenität aus. Bisher konnten multiple Genmutationen festgestellt werden. Eine Mutationsanalyse ist sehr umfangreich.
Ursachen
Sie erhalten die Gewebehomöostase der grundlegenden Entwicklungsprozesse aufrecht. Eine große Anzahl der beteiligten Proteine bildet durch Interaktion ein kompliziertes Netzwerk. Sind neben den Hauptsymptomen weitere Organe betroffen, liegt das JSRD (Joubert Syndrom Related Disorder) vor. Diese Folgeerkrankung zeichnet sich durch weiterführende Organmanifestationen unter Beteiligung der Nieren, Leber und Augen aus.
Es handelt sich um ein genetisch heterogenes Syndrom. Mediziner konnten Fehlbildungen im NPHP6/CEP290-Gen (Kodierung für Nephrozystin-6) oder im NPHP8/RPGRIP1L-Gen (Kodierung für Nephrozystin-8) feststellen. Weitere Gen-Mutationen sind MKS3, ARL13B, AHI1, CC2DA2, TMEM216 und INPP5E. Nur wenige Patienten weisen Mutationen in NPHP4 und NPHP1 auf.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Das pathognomonische Merkmal ist das „Molar tooth sign“ (MTS), das sich mittels der “axialen T1-gewichteten Gehirn-Magnetresonanztomographie“ feststellen lässt. Dieses Merkmal zeichnet sich durch eine Agenesie oder Hypoplasie des Kleinhirnwurms oder des Kleinhirnoberwurms aus. Ferner ist die hintere Fossa interpendicularis (Grube zwischen den Großhirnschenkeln) stark eingezogen und die Kleinhirnstiele weisen aufgrund einer Fehlbildung des Mittelhirns eine prominente Superior-Form auf.
Neben MTS leiden die Patienten in vielen Fällen unter Atemstörungen, Ataxie, muskulärer Hypotonie sowie psychomotorischer Retardierung. 8 bis 19 Prozent der Betroffenen zeigen eine postaxiale Polydaktylie (Vielfingerigkeit) und sechs Prozent eine okzipitale (Meningo)-Enzephalozele, bei der das hintere Gehirnareal eine Aussackung aufweist.
Diese Deformität wurde das erste Mal im Jahr 1969 erfasst. Die Prävalenz beläuft sich auf ungefähr 1: 100.000, ein Verhältnis, das zeigt, wie selten die Krankheit in Erscheinung tritt. Seit dem Jahr der medizinischen Ersterfassung wurden lediglich einhundert Fälle dokumentiert. Da dieser Gendefekt in unterschiedlichen Ausprägungen und Varianten auftritt, gehen Mediziner von multiplen Veränderungen der Genetik aus.
Eine exakte Anomalität konnte bis zum heutigen Tage nicht abschließend verifiziert werden. Als sicher gilt jedoch eine Mutation des X-Chromosoms. Diese Erkrankung wird auf der Grundlage autosomaler-rezessiver Vererbung weitergegeben. Beteiligt sind eine fehlende Vermis cerebelli (Kleinhirn, Kleinhirnwurm), Schäden an der Retina sowie eine auffällige Iris.
Häufig auftretende Symptome und Beschwerden während der Neonatalzeit sind Nystagmus und ein unregelmäßiges Atmungsmuster als episodische Tachypnoe sowie Apnoe. Kleinkinder können eine Muskelhypotonie entwickeln. Mit fortschreitendem Alter entwickeln sich Gleichgewichtsstörungen und ein ungleichmäßiger Gang (Ataxie). Diese Hauptsymptome werden auch als motorische Meilensteine bezeichnet.
Die Patienten verfügen über unterschiedlich ausgeprägte kognitive Fähigkeiten und können schwer beeinträchtigt sein, aber auch eine normal ausgebildete Intelligenz zeigen. Auch eine okulo-motorische Apraxie (Bewegungsstörung) ist möglich.
Charakteristisch für diesen Gendefekt sind kraniofaziale Anomalien wie ein großer Kopf, gerundete und hohe Augenbrauen, eine prominente (hervorstehende) Stirn, ein deformierter Mund, eine rhythmisch bewegte und vorstehende Zunge sowie tiefsitzende Ohren. Gelegentliche Symptome sind Nephrophthise, Netzhautdystrophie und Polydaktylie.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Eine Diagnose erfolgt aufgrund der zuvor zitierten charakteristischen Meilensteine Ataxie, Hypotonie, okulomotorische Apraxie, offener Vermis cerebelli nach der 18. Schwangerschaftswoche und Entwicklungsverzögerung. Zudem wird ein kennzeichnender neuroradiologischer Befund im MRI, dem MTS (Molar tooth sign), vorgenommen.
Dieses als Backenzahnzeichen bezeichnete Merkmal geht auf Fehlbildungen des Rauten- und Mittelhirns sowie die Hypoplasie des KIeinhirnwurms zurück. Differentialdiagnosen erfolgen aufgrund der mit JS nah verwandten Erkrankungen wie dem JSRD (Joubert syndrome related Disorder), der Dandy-Walker-Malformation (fehlgebildeter Kleinhirnwurm ohne MTS), Typ 1 und 2 der okulomotorischen Apraxie, ponto-zerebralläre Hypoplasien und Atrophien, 3-c-Syndrom, Oro-fazio-digitale Syndrome II und III sowie des Meckel-Gruber-Syndroms.
Stufe I beinhaltet die „Next-Generation-Sequencing-basierte Panel-Analyse“ der Gene JBTS5 (53 kodierende Exons), JBTS3 (26 kodierende Exons), JBTS6 (28 kodierende Exons) und JBTS9 (36 kodierende Exons). Das JBTS4-Gen wird auf homozygote Deletion durch Multiplex-PCR getestet. In Stufe II erfolgt die Analyse der weiteren JB-Gene durch PCR (Verfahren, das enzymabhängig Gen-Sequenzen in der DNA-Kette vervielfältigt) und anschließende Sanger-Sequenzierung abhängig von phänotypischen Merkmalen entsprechend abnehmender Mutationsfrequenzen.
Um chromosomale Imbalancen auszuschließen, erfolgt die differentialdiagnostische SNP-Array-Analytik. Liegt eine Blutsverwandtschaft vor oder sind in innerhalb der Familie mehrere erkrankte Personen bekannt, führen die Mediziner das Homozygotie-Screening mittels Kopplungsanalytik im Gen-flankierenden Mikrosatellitenmarker und anschließender Genanalytik mittels Sanger-Sequenzierung durch. Kindern wird als Diagnose-Material zwei bis zehn Milliliter EDTA-Blut entnommen, bei Erwachsenen beträgt die Menge fünf bis zehn Milliliter.
Zudem eignet sich DNA- oder Gewebematerial. Stufe I: Genomisches DNA-Material wird mittels einer quantitativen Analyse des NPHP1-Gens auf die Existenz von Duplikationen oder Deletionen mittels MLPA untersucht. Dabei werden sehr geringe DNA-Mengen im Genom auf Deletionen und Duplikationen einzelner Exons (Genabschnitte) untersucht. Stufe II: Die codierten Exons der bisher festgestellten Gene werden durch Next-Generation-Frequencing evaluiert. Die Spleißstellen werden durch Sondenhybridisierung angereichert.
Komplikationen
Nicht selten leiden auch die Eltern des Betroffenen an starken Depressionen oder an anderen psychischen Verstimmungen. Die Patienten zeigen auch Gleichgewichtsstörungen und leiden nicht selten an Bewegungseinschränkungen. Nicht selten kommt es auch zu Beschwerden an den Augen und den Ohren, sodass es zu einem Hörverlust oder zu Sehbeschwerden kommen. Die Lebensqualität des Patienten wird durch das Joubert-Syndrom deutlich verringert.
Mit Hilfe verschiedener Therapien kann das Joubert-Syndrom eingeschränkt und behandelt werden. Eine kausale Behandlung kann dabei leider nicht durchgeführt werden. Ebenso kann in Notfällen eine Notbeatmung durchgeführt werden, falls es zu einer Atemnot kommen sollte. Bei der Behandlung selbst treten keine besonderen Komplikationen auf. Ob die Lebenserwartung des Patienten durch das Joubert-Syndrom verringert ist, kann im Allgemeinen nicht vorausgesagt werden.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Eine werdende Mutter sollte an allen angebotenen Kontrolluntersuchungen während der Schwangerschaft teilnehmen. In den Untersuchungen wird der Gesundheitszustand der Schwangeren wie auch der des ungeborenen Kindes untersucht. Da das Joubert-Syndrom bereits ab der 18. Schwangerschaftswoche diagnostiziert werden kann, empfiehlt es sich, die von den Krankenkassen vorgesehenen und empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch zu nehmen. Zudem ist bei einem vorhandenen genetischen Defekt in der Historie der elterlichen Ahnen grundsätzlich eine genetische Beratung sowie Untersuchung anzuraten.
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es im Mutterleib zu keiner Feststellung einer Unregelmäßigkeit gekommen ist, finden unmittelbar nach der Entbindung automatische Kontrolluntersuchungen der Geburtshelfer sowie Kinderärzte statt. Bei diesen Untersuchungen können Störungen der Atmung festgestellt werden. Bemerken im weiteren Verlauf die Eltern des Kindes ungewöhnliche Unstimmigkeiten, die zuvor unentdeckt geblieben sind, sollten die Beobachtungen mit einem Arzt besprochen werden. Kommt es zu körperlichen Besonderheiten, einem Minderwuchs oder Deformierungen, ist ein Arzt zu konsultieren.
Werden im direkten Vergleich zu gleichaltrigen Kindern sprachliche Probleme oder eine geistige Unterentwicklung bemerkt, sollte ein Arzt aufgesucht werden. Zur Abklärung der Ursache sind Untersuchungen notwendig. Je eher eine Diagnosestellung erfolgt, desto frühzeitiger können gezielte Therapien zur Förderung des Kindes eingeleitet werden. Die Konsultation eines Arztes sollte daher bei den ersten Anzeichen einer Abnormität erfolgen.
Behandlung & Therapie
Die Eltern haben ein Anrecht auf eine genetische Beratung. So vielfältig wie die Ursachen für diese Erkrankung sind, so breit gefächert sind auch die Behandlungsmöglichkeiten. Im Fall motorischer Entwicklungsstörungen und Hypotonie greifen pädagogische Förderprogramme, Sprach-, Beschäftigungs- und Ergotherapie, die den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen können.
Betroffene mit auffälligem Atmungsmuster können zudem einer Sauerstoffsubstitution oder einer Beatmung zugeführt werden. Patienten mit leichten Beschwerden haben eine positive Prognose. Schwer betroffene Patienten müssen einem fachkundigen Referenzzentrum betreut werden.
Aussicht & Prognose
Die Prognose des Joubert-Syndroms ist ungünstig. Bei diesem Syndrom handelt es sich um eine genetische Erkrankung. Diese ist mit den derzeitigen medizinischen, wissenschaftlichen sowie rechtlichen Voraussetzungen nicht heilbar. Gesetzlich ist es Forschern und Ärzten nicht gestattet, die genetischen Voraussetzungen eines Menschen durch Eingriffe zu verändern. Aus diesem Grund richtet sich die Behandlung auf die Nutzung von Therapien, die zu einer Verbesserung der vorhandenen Lebensqualität führen sollen. Ohne die Inanspruchnahme einer ärztlichen Betreuung ist das herabgesetzte Wohlbefinden des Patienten um ein weiteres vermindert.
Je frühzeitiger das Syndrom diagnostiziert und behandelt werden kann, desto bessere Ergebnisse werden erzielt. In Notfallsituationen ist eine Notbeatmung des Betroffenen angezeigt, da es sonst zum frühzeitigen Ableben kommen kann. Wenngleich zahlreiche Therapien in einem individuellen Behandlungsplan zusammengestellt und angewendet werden, kann es aufgrund der vorliegenden Erkrankung zu Folgestörungen kommen. Diese verschlechtern die Gesamtprognose.
Durch vorhandene Funktionsstörungen oder andere Bewegungseinschränkungen können sich psychische Erkrankungen entwickeln. Bei vielen Patienten werden vorübergehende oder anhaltende Depressionen, Stimmungsschwankungen oder Wandlungen der Persönlichkeit dokumentiert. Dies stellt eine zusätzliche Belastung für den Betroffenen und das Umfeld dar. Der Alltag eines Patienten mit einem Joubert-Syndrom ist oftmals nur mit ausreichender Hilfe und Unterstützung der Angehörigen zu bewältigen. Mit zunehmendem Alter werden Gleichgewichtsstörungen sowie die Ataxie stärker.
Vorbeugung
Da bisher eine exakte genetische Verursachung noch nicht abschließend festgestellt werden konnte, gibt es keine Vorbeugemaßnahmen im klinischen Sinne. Die einzige Möglichkeit, Fehlbildungen des menschlichen Organismus entgegenzuwirken, ist eine gesunde Lebensführung.
Nachsorge
In den meisten Fällen stehen dem Patienten beim Joubert-Syndrom keine direkten oder besonderen Möglichkeiten einer Nachsorge zur Verfügung, sodass der Betroffene in erster Linie auf eine schnelle und vor allem auf eine frühzeitige Diagnose der Krankheit angewiesen ist. Je früher die Krankheit erkannt wird, desto besser ist in der Regel auch der weitere Verlauf. Daher empfiehlt es sich, schon bei den ersten Symptomen und Anzeichen einen Arzt zu kontaktieren.
Der Betroffene ist bei dieser Krankheit in der Regel auf eine intensive Pflege und Therapie angewiesen, die die Beschwerden lindern kann. Dabei ist auch die Hilfe und die Unterstützung der Eltern und der engen Verwandten sehr gefragt, um dem Betroffenen ein möglichst normales Leben zu ermöglichen. Häufig können dabei die Übungen aus der Krankengymnastik oder aus der Physiotherapie auch im eigenen Zuhause durchgeführt werden, wodurch die Beschwerden gelindert werden können.
Nicht immer können die Beschwerden vollständig gelindert werden. Auch der Kontakt zu anderen Betroffenen des Joubert-Syndroms kann sehr sinnvoll sein, da es dabei nicht selten zu einem Austausch an Informationen kommt. In der Regel wird die Lebenserwartung des Betroffenen durch diese Krankheit nicht verringert.
Das können Sie selbst tun
Das Joubert-Syndrom ist nicht heilbar und auch die Alltagshilfe gestaltet sich schwierig. Die Symptome der angeborenen Erkrankung sind in den meisten Fällen nicht vermeidbar. Dennoch ist es möglich, dass einige von ihnen gelindert werden.
Da vor allem die Atmung bei den Betroffen gestört ist, bietet sich hier ein Ansatzpunkt. Ein optimiertes Raumklima kann hilfreich wirken. Trockene Heizungsluft kann Atemprobleme verschärfen. Zu kalte Luft hat denselben Effekt. Idealerweise liegt die Raumtemperatur bei etwa 20°C, die Luftfeuchtigkeit bei etwa 50 Prozent. Vor allem Zimmerpflanzen können zu einem optimalen Raumklima beitragen. Alternativ können aber auch feuchte Handtücher im Zimmer platziert werden, um die Luftfeuchtigkeit auf dem gewünschten Niveau zu halten. Über ein Hygrometer kann das Raumklima verfolgt werden. Ein anderer Ansatzpunkt, der auch auf die Atmung zielt, sind Atemübungen. Die regelmäßige Anwendung verbessert die Wahrnehmung des sonst automatischen Prozesses. Auf diese Weise kann einer zu schnellen Atmung und Atemaussetzern vorgebeugt werden.
Zudem ist es sinnvoll, wenn Betroffene nicht alleine in einem Raum schlafen. Angehörige können Atemaussetzer im Schlaf bemerken und die Patienten wecken oder zur Atmung stimulieren. Das ist aber nur eine Vorsichtsmaßnahme.
Quellen
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
- Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
- Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013