Klüver-Bucy-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Klüver-Bucy-Syndrom beschreibt eine Veränderung des emotionalen Ausdrucksverhaltens. Dieses wird wesentlich im limbischen System verarbeitet. Beschädigungen führen zu starken Verhaltensänderungen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Klüver-Bucy-Syndrom?

Zu den Ursachen beim Klüver-Bucy-Syndrom gehören Läsionen im Gehirn. Insbesondere betrifft es die Bereiche, die in unmittelbarer Nähe zu Zentren des emotionalen Erlebens zählen.
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Das Klüver-Bucy-Syndrom wurde nach seinen Autoren Heinrich Klüver und Paul Bucy benannt. Heinrich Klüver war ein deutsch-amerikanischer Neurowissenschaftler und Paul Bucy ein US-amerikanischer Neuropathologe. Gemeinsam erforschten sie Verhaltensänderungen bei Primaten durch Läsionen des Gehirns.

Im Jahr 1936 gelang es ihnen, in einem Experiment im Tierversuch eine Beeinflussung des emotionalen Ausdrucksverhaltens nachzuweisen. Ihre Läsionsexperimente führten sie bei Affen durch. Sie entfernten ihnen operativ beide Temporallappen. Als Ergebnis zeigten die Primaten ein hyperorales sowie hypersexuelles Verhalten.

Die Versuchstiere verloren das Gespür für ihre eigene Bedürfnisrelevanz. Alle Gegenstände steckten sie in den Mund, ohne differenzieren zu können, welche Folgen das haben könnte. Ihr Sexualverhalten änderte immens. Das Paarungsverhalten stieg exzessiv an. Die Tiere waren ruhelos und zeigten eine Hyperaktivität. Beim Menschen zeigen sich vergleichbare Symptome beim Klüver-Bucy-Syndom.

Es führt zu Ausfällen bei der Verarbeitung von Emotionen jeder Art. Dies hat entsprechende Auswirkungen auf das emotionale Ausdrucksverhalten. Die Symptome können ebenfalls auftreten, wenn mit den Temporallappen verwandte Hirnareale betroffen sind. Insbesondere Läsionen der Amygdala ändern das emotionale Erleben immens.

Ursachen

Zu den Ursachen beim Klüver-Bucy-Syndrom gehören Läsionen im Gehirn. Insbesondere betrifft es die Bereiche, die in unmittelbarer Nähe zu Zentren des emotionalen Erlebens zählen. Vorrangig beschäftigt sich das limbische System mit dem Zustandekommen des emotionalen Geschehens.

Bei dem Klüver-Bucy-Syndrom gibt es einen direkten Zusammenhang mit der Entfernung der Temporallappen. Diese befinden sich in unmittelbarer Nähe des limbischen Systems. Die Forschung stellte jedoch fest, dass auch Läsionen von benachbarten Hirnregionen vergleichbare Ergebnisse brachten. So führen Beschädigungen der Amygdala ebenfalls zu Änderungen der emotionalen Verarbeitung.

Insbesondere Furcht- und Angstreize werden hier verarbeitet und ein entsprechendes Verhalten vorbereitet. Sie dienen dem Schutz bei Gefahrensituationen. Läsionen im Bereich der Temporallappen und des limbischen Systems können durch andere verschiedene Grunderkrankungen erfolgen. Hier sind die Herpes-simplex-Enzephalitis sowie Durchblutungsstörungen im Gehirn zu nennen.

Eine Hirnatrophie, also ein altersbedingter Gewebeschwund gilt ebenfalls als Ursache des Syndroms. Darüber hinaus kann das Klüver-Bucy-Syndrom durch Schädel-Hirn-Traumas nach Unfällen oder Operationen entstehen. Tumorerkrankungen im Bereich des limbischen Systems, Hippocampus oder den Temporallappen verursachen das Syndrom ebenfalls.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Zu den Symptomen des Klüver-Bucy-Syndrom zählt in besonderem Maß eine Veränderung des Sozialverhaltens. Exzessives Verhalten kann beobachtet werden. Diese reicht von exzessivem Essen und Trinken bis hin zur Aggressivität bei Nahrungs- und Flüssigkeitsrestriktion. Ein hypersexuelles Verhalten konnte ebenfalls beobachtet werden.

Die Veränderungen des emotionalen Erlebens zeigen klinisch das Fehlen der emotionalen Empathie. Der Ausdruck von Emotionen ist stark verändert oder fehlt. Es kann zu einer Beeinträchtigung oder dem Verlust von Empfindungen wie Angst oder Furcht führen. Erkrankte des Klüver-Bucy-Syndroms zeigen eine Tendenz, die eine orale Hyperaktivität bewirkt.

Dabei werden Gegenstände der Umgebung mit dem Mund untersucht. Das orale Explorationsverhalten findet sehr exzessiv statt. Vorhandene Emotionen können schnell von Angst in Aggression umschlagen. Eine Regulierung der Emotionen ist dem Betroffenen nicht mehr ausreichend möglich. Betroffene zeigen eine Hypermetamorphose.

Dabei werden deutlich mehr Reize beachtet als unter normalen Umständen. In einigen Fällen kommt es zu einer optischen Agnosie. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Seelenblindheit, bei der visuell Wahrgenommenes nicht mehr identifiziert werden kann.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Die Diagnose wird nach einer umfangreichen medizinischen Untersuchung gestellt. Dabei kommt es zu Beobachtungen des Verhaltens. Darüber hinaus werden über die Magnetresonanztomographie die einzelnen Hirnregionen auf ihre Funktionalität untersucht.

Komplikationen

Durch das Klüver-Bucy-Syndrom kommt es zu erheblichen Veränderungen des Verhaltens. Diese Veränderungen wirken sich in der Regel sehr negativ auf das Leben des Betroffenen und seine sozialen Kontakte aus. Dabei kann es zu einer Ausgrenzung oder zu Mobbing und Hänseleien kommen. Die Lebensqualität wird durch das Klüver-Bucy-Syndrom deutlich eingeschränkt und verringert.

In den meisten Fällen kommt es dabei zu einem sehr aggressiven Verhalten. Dieses tritt vor allem dann auf, wenn dem Betroffenen Flüssigkeit oder Nahrung verweigert werden. Weiterhin leiden die Patienten nicht selten an einer Hyperaktivität und können dabei in der Schule oft nicht mehr Folgen und leiden an Störungen der Konzentration. Dies kann zu erheblichen Einschränkungen und Beschwerden bei der Entwicklung führen.

Nicht selten leiden die Betroffenen auch an Angstzuständen oder an Schweißausbrüchen. Die Umgebung wird oft mit der Zunge untersucht, was zu verschiedenen Infektionen und Entzündungen führen kann. In vielen Fällen ist keine Behandlung des Klüver-Bucy-Syndroms möglich.

Die Beschwerden können eventuell mit Hilfe verschiedener Therapien eingeschränkt und verringert werden. Eine vollständige Heilung ist in den meisten Fällen allerdings nicht möglich. In vielen Fällen leiden auch die Eltern und die Angehörigen an psychischen Beschwerden und benötigen daher eine psychologische Behandlung.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Menschen, die eine starke Verhaltensauffälligkeit im direkten Vergleich zur Norm zeigen, benötigen eine ärztliche Betreuung. Ein exzessives Auftreten, Überreaktionen im Umgang mit Menschen aus dem sozialen Umfeld oder ein stark sexuelles Verhalten sind Warnhinweise, die auf eine psychische Störung hindeuten. Ein Arztbesuch ist notwendig, sobald der Betroffene eine Hypersexualität zeigt und mehrmals täglich oder wöchentlich andere Geschlechtspartner hat. Bei einer intensiven Nahrungsaufnahme und einem gleichzeitig aggressiven Verhalten wird ein Arzt benötigt.

In vielen Fällen zeigen Erkrankte, abhängig von ihrer aktuellen Verfassung, das Fehlen einer Krankheitseinsicht. Daher sind Angehörige oder andere Vertrauenspersonen oftmals in der Pflicht, den Betroffenen behutsam auf Unstimmigkeiten hinzuweisen. Ratsam ist zuvor ein Beratungsgespräch bei einem Arzt, damit die richtigen Schritte für eine erfolgreiche Behandlung eingeleitet werden können. Eine Oralfixierung oder eine orale Hyperaktivität weisen auf eine vorliegende Unstimmigkeit hin.

Untersuchen erwachsene Menschen umherliegende Gegenstände detailliert mit der Zunge oder nehmen sie vermehrt verschiedene Artikel der Umgebung in den Mund, ist ein Arztbesuch erforderlich. Erkrankte nehmen mehr Reize wahr als gesunde Menschen. Dennoch ist es ihnen nicht möglich, die aufgenommenen Sinnesreize ausreichend zu verarbeiten. Daher ist ein Arzt zu konsultieren, wenn der Betroffene alltägliche Objekte nicht als solche identifizieren kann.

Behandlung & Therapie

Die Behandlung des Klüver-Bucy-Syndroms ist sehr komplex. Eine vollständige Heilung konnte bis heute nicht erfolgen. Die Läsionen in den einzelnen Hirnarealen sind in der Regel irreparabel. Bis heute konnte die medizinische Forschung keine Möglichkeit finden, um im Hirn beschädigtes Gewebe wieder nachwachsen zu lassen oder reparieren zu können.

Ein Austausch mittels Transplantation ist ebenfalls derzeit nicht möglich. Aus diesem Grund erfolgt eine individuelle Therapie mit dem Fokus der Linderung vorhandener Symptome. Diese ist abhängig von der Art und dem Ausmaß der Gewebsschädigung. Im Alltag erfolgt eine Kontrolle der Ernährungsgewohnheiten.

Medikamentös wird auf Symptome wie der Hypersexualität eingewirkt. Kommt es zu Krampfanfällen, werden auch diese mittels Medikamenten behandelt. Bei weiteren psychotischen Symptomen werden ebenfalls Medikamente genutzt. Meist werden an dem Klüver-Bucy-Syndrom erkrankte Menschen vollständig stationär versorgt.

Ein fehlendes Angst- oder Schamgefühl ist im Alltag ebenso wenig zu händeln wie eine plötzliche Reizbarkeit oder Aggression. Dies kann zu einer Gefahr für sich selbst und Mitmenschen führen. Das hyperorale Verhalten kann nicht kontrolliert werden. Es kann lediglich durch die Gabe verschiedener Medikamente eine Minimierung der oralen Tendenz erwirkt werden.


Aussicht & Prognose

Die Prognose des Klüver-Bucy-Syndroms ist ungünstig. Wissenschaftlern und Forschern ist es bis zum heutigen Tage nicht gelungen, einen Weg der Heilung oder Beschwerdefreiheit zu ermöglichen. Die Läsionen im Gehirn sind irreparable und lassen keine Genesung des Patienten zu. Zudem tritt das Syndrom häufig in Kombination mit weiteren Störungen auf, die zu einer Verschlechterung der allgemeinen Gesundheit beitragen.

Die Behandlung eines Erkrankten ist ebenso wie dessen Beschwerden umfangreich und äußerst komplex. Durch verschiedene Therapieansätze werden in einzelnen Bereichen Erfolge erzielt und Verbesserungen hergestellt. Eine Genesung ist jedoch nicht möglich. Die Verhaltensweisen sollen in einer Therapie optimiert werden, damit ein zwischenmenschlicher Umgang zu Angehörigen ermöglicht wird. Bei einer Behandlung findet eine Langzeittherapie Anwendung. Ein Absetzen der verschriebenen Arzneien führen zu einem sofortigen Rückfall und können lebensgefährdende Komplikationen auslösen. Die Einnahme der Medikamente kann zusätzliche Nebenwirkungen auslösen, die bei der Stellung einer Gesamtprognose berücksichtigt werden muss.

Wird das Klüver-Bucy-Syndrom diagnostiziert, ist ein stationärer Aufenthalt des Betroffenen erforderlich. Ohne eine spezielle Therapie besteht das Risiko einer Selbstschädigung sowie der Zunahme vorhandener Beschwerden. Darüber hinaus stellt der Patient aufgrund seiner Besonderheiten im Verhaltensbereich eine Gefahr für andere Menschen dar und muss daher unter einer entsprechenden Aufsicht stehen.

Vorbeugung

Vorbeugende Maßnahmen können beim Klüver-Bucy-Syndrom nicht getroffen werden. Dieses Syndrom entsteht in Folge durch andere Grunderkrankungen. Da es sich um eine Folgeerscheinung handelt, ist es nicht möglich, bereits im Vorfeld Maßnahmen zu ergreifen oder wie bei anderen Erkrankungen entsprechende Vorsorgeuntersuchungen durchzuführen.

Besteht eine der Grunderkrankungen bereits, kann durch das Beobachten des eigenen Emotionserlebens nach Veränderungen und Hinweisen geschaut werden. Dabei sollte auf Anzeichen wie Intensität der Emotionen und dem Ausdrucksverhalten geachtet werden. Bei dem Klüver-Bucy-Syndrom kommt es zu einer Emotionslosigkeit bei gleichzeitiger Hyperaktivität.

Nachsorge

In der Regel sind die Maßnahmen einer Nachsorge beim Klüver-Bucy-Syndrom stark eingeschränkt oder stehen dem Betroffenen gar nicht zur Verfügung. Bei dieser Krankheit ist in erster Linie eine umfassende Diagnose und Behandlung notwendig, damit keine weitere Verschlechterung der Beschwerden mehr auftreten kann. Aus diesem Grund sollte schon bei den ersten Symptomen und Anzeichen der Krankheit ein Arzt kontaktiert werden.

Die Schäden am Gehirn sind bei dieser Krankheit in der Regel irreparabel, sodass eine vollständige Heilung dieser Krankheit nicht mehr eintreten kann. Die Betroffenen sind in ihrem Leben und im Alltag daher auf die dauerhafte Hilfe und die Unterstützung durch die eigene Familie und durch Freunde und Bekannte angewiesen. Dabei sind häufig auch intensive und liebevolle Gespräche notwendig, um mögliche psychische Verstimmungen oder Depressionen zu verhindern.

Krämpfe können dabei mit Hilfe von Medikamenten gelindert werden. Dabei sollte der Betroffene immer eine richtige Dosierung und auch eine regelmäßige Einnahme der Medikamente beachten. Bei Unklarheiten oder bei Fragen sollte zuerst ein Arzt konsultiert werden. In der Regel ist die Lebenserwartung der Betroffenen durch das Klüver-Bucy-Syndrom deutlich verkürzt, sodass diese schon relativ frühzeitig versterben.

Das können Sie selbst tun

Die Möglichkeiten zur Selbsthilfe sind bei Patienten mit dem Klüver-Bucy-Syndrom sehr begrenzt. Die Schädigung der Temporallappen gilt als unheilbar und kann auch mit Selbsthilfemaßnahmen nicht verändert werden.

Das Verhalten des Patienten ist ab der Norm und nicht kontrollierbar. Das Angstempfinden ist nahezu nicht existent und das Triebverhalten nicht aus eigener Kraft steuerbar. Im Alltag kann nur ein gutes Vertrauensverhältnis zu Angehörigen und Medizinern dem selbstschädigenden Verhalten des Patienten Einhalt geboten werden. In vielen Fällen benötigen jedoch die Familienmitglieder eine umfassende psychische Betreuung, um den Umgang mit dem Patienten besser bewältigen zu können.

Die emotionale Belastung für die Menschen aus dem sozialen Umfeld eines an am Klüver-Bucy-Syndrom Erkrankten ist enorm. Der Alltag muss nach den Beschwerden der Krankheit ausgerichtet werden. Empfehlenswert ist für die Angehörigen das Angebot von stressabbauenden Methoden zu nutzen. Dem Erkrankten mangelt es durch die Gewebeschädigungen im Gehirn an einer Kranheitseinsicht und Möglichkeiten zur Veränderung seines Verhaltens. Das fehlenden Verständnis sowie die Tendenz alles mit dem Mund zu untersuchen, lösen zwischenmenschliche Probleme aus und erhöhen das Krankheitsrisiko. Eine stetige Kontrolle und Betreuung des Patienten ist notwendig, damit dieser in keine lebensbedrohliche Situation gerät. Die gesamte Umgebung sollte zur Verbesserung der Lebensqualität des Patienten an dessen Bedürfnisse ausgerichtet werden.

Quellen

  • Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
  • Gleixner, C., Müller, M., Wirth, S.: Neurologie und Psychiatrie. Für Studium und Praxis 2015/16. Medizinische Verlags- und Informationsdienste, Breisach 2015
  • Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013

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