Seelenblindheit

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Als Seelenblindheit, auch visuelle Agnosie oder optische Agnosie, wird die Unfähigkeit bezeichnet, Sinnesreize trotz funktionstüchtiger Wahrnehmung zu verarbeiten. Die Sinnesorgane sind nicht beeinträchtigt und es liegt auch keine geistige Erkrankung wie eine Demenz vor.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Seelenblindheit?

Diese neurologische Störung kommt durch eine Schädigung im Sehzentrum, speziell im Occipitallappen (Hinterhauptlappen, hinterste Teil des Großhirns), zustande.
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Der Unterschied zur herkömmlichen Blindheit besteht darin, dass Agnosie-Patienten in ihrer Sehfähigkeit nicht beeinträchtigt sind.

Sie sind unfähig, optische Wahrnehmungen mit visuellen Erinnerungen zu verknüpfen.

An Seelenblindheit erkrankte Menschen können andere Personen oder Objekte zwar sehen, diese jedoch nicht erkennen. Die akustische und tastende Wahrnehmung ist jedoch möglich.

Ursachen

Diese neurologische Störung kommt durch eine Schädigung im Sehzentrum, speziell im Occipitallappen (Hinterhauptlappen, hinterste Teil des Großhirns), zustande. Ursachen können Hirnschädigungen nach einem Unfall (Schädel-Hirntrauma) oder ein Schlaganfall sein. Die Apperzeptive Seelenblindheit verhindert die Zusammensetzung der verschiedenen wahrgenommenen Elemente zu einem kohärenten Ganzen.

Sie tritt durch eine Schädigung der frühen visuellen Gehirnareale auf. Die assoziative Seelenblindheit tritt immer dann in Erscheinung, wenn die eigene Vorstellung nicht mit Informationen anderer Wahrnehmungsmodalitäten zusammengebracht werden kann. Die Unterformen werden als Vorstellungs-, Objekt-, Symbol- und Simultan-Agnosie beschrieben. Die Frage, warum die Betroffenen Gesichter und Objekte nicht richtig wahrnehmen können, obwohl ihr Gehirn und ihre Augen völlig intakt sind, konnte bisher noch nicht abschließend beantwortet werden.

Das Gehirn ist nicht in der Lage, die über die Augen vermittelten Sinneseindrücke richtig zu interpretieren. Der Sehsinn, auch als Gesichtssinn bezeichnet, ist das wichtigste menschliche Sinnesorgan. Das Areal im Gehirn, das sich mit der Verarbeitung der über den Sehsinn eingelieferten Eindrücke beschäftigt, ist entsprechend groß. Sieht der Mensch etwas in seiner Umgebung, trifft diese visuelle Information auf das Auge, das sie an das Gehirn weiterleitet. Auf dem Weg dorthin passieren diese visuellen Informationen ungefähr vierzig hochspezialisierte Gehirnareale.

Im Hinterkopf befindet sich das primäre Sehzentrum. Von dieser Stelle aus verlaufen zwei Bahnen durch das Gehirn, wobei die eine bis zur Schläfe und die andere bis zum Scheitel reicht. Auf diesen Pfaden reihen sich die Areale aneinander, die für die Verarbeitung der eingehenden visuellen Informationen zuständig sind. Diese Bereiche sind mit einer großen Zahl verschiedener Nervenzellen ausgestattet, die auf unterschiedliche visuelle Reize reagieren. Die an diesem Prozess beteiligten Neuronen bevorzugen komplexe visuelle Reize.

Am Ende des hierarchischen Verlaufes sprechen die Neuronengruppen gezielt auf bekannte Personen oder Objekte an. Eine visuelle Verknüpfung besteht nicht nur innerhalb der visuellen Areale, sondern auch mit weiter entfernten Bereichen des Gehirns. Alle beteiligten Areale befinden sich in einem regen Austausch. Beim Lesen arbeiten zum Beispiel die visuellen Areale mit dem Sprachzentrum zusammen.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Neuropsychologie befasst sich mit dem Phänomen dieser fehlenden Gesichtserkennung. Sie ist bemüht, den Ort in der Großhirnrinde auszumachen, der für die Erkennung geometrischer Formen zuständig ist. Kernspintomografische Untersuchungen zeigen, dass die Hirnregionen zwischen dem Hinterhaupts- und Seitenlappen für die Gesichtswahrnehmung zuständig ist.

Gesichtsblindheit tritt isoliert von anderen Arten der Agnosie auf. Patienten, die Schwierigkeiten haben, Gesichter zu erkennen, sind trotzdem in der Lage, den Rest ihrer Umgebung wie Gegenstände, Bäume, Häuser oder ähnliches wahrzunehmen. Die Gesichtsagnosie ist somit nicht an die Objekt-Agnosie gekoppelt. Aus diesem Grund gehen Forscher davon aus, dass die Gesichtswahrnehmung ein gesonderter Verarbeitungsprozess im Gehirn darstellt. Die Gehirnforschung steht vor vielen unbeantworteten Fragen, da die Prozesse im Gehirn noch längst nicht abschließend durchschaut sind.

Gehirnforscher gehen davon aus, dass „Gyrus fusiformis“ (Gehirnwindung), die Gehirnregion, die sich auf der rechten Schläfenseite befindet, die Wahrnehmung von Gesichtern steuert. Aus diesem Grund bezeichnet die Wissenschaft dieses Gehirnareal auch als „fusiform face area“ (FFA). Das ungewöhnliche Phänomen dabei ist, dass eine Computertomografie keine Auffälligkeiten zeigt, obwohl bei Gesichtsblinden die entsprechenden Module, die diese Art der Wahrnehmung steuern nicht funktionieren.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Das hervorstechende Symptom ist die Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen. Die Betroffenen sind nicht in der Lage, Gesichter bekannter Personen zu erkennen und identifizieren diese durch ihnen bekannte Merkmale wie Stimme, Kleidung, Größe oder Haarfarbe (Prosopagnosie). Sie sind jedoch durchaus in der Lage, Gegenstände, Hindernisse und andere Objekte zu erkennen. Liegt eine Objektblindheit vor, werden Gegenstände in der Umgebung nicht richtig wahrgenommen und die Betroffenen können zum Beispiel keine Bilder abzeichnen.

Da ihr Vorstellungsvermögen nicht in der Lage ist, die eingehenden visuellen Reize zu einem ganzen Bild zusammenzufügen, können sie die präsenten Gesichter oder Objekte nicht benennen. Typischerweise können sich Agnosie-Patienten nicht an Gesichter oder Objekte erinnern, haben jedoch keine Schwierigkeiten damit, diese Dinge aus der Erinnerung heraus zu beschreiben. Die meisten Patienten können schreiben, haben jedoch Schwierigkeiten beim Lesen, was daran liegt, dass die Fähigkeit zum Schreiben aus der Erinnerung heraus passiert, das Lesen jedoch das Wahrnehmen von Objekten (Buchstaben) verlangt.

Das visuelle Schätzvermögen (Abschätzung von Distanzen) und die Fähigkeit, Farben zu benennen, sind eingeschränkt. Alles, was die Betroffenen ertasten und hören wird richtig benannt (taktille Agnosie). Die Mediziner führen verschiedene Tests mit den Patienten durch. Der Patient muss zum Beispiel Gegenstände identifizieren und ihren Gebrauch beschreiben. Um eine Gesichtsfeldstörung zu diagnostizieren, bekommt der Patient Fotos von ihm bekannten Personen vorgelegt, die er mit Namen benennen muss. Ferner wird die generelle Funktion der Sehfähigkeit überprüft, um eine reguläre Sehstörung oder eine Objekt-Agnosie auszuschließen.

Komplikationen

Die Seelenblindheit wirkt sich sehr negativ auf den Alltag des Patienten aus. In vielen Fällen sind auch die Angehörigen oder die Eltern und Freunde des Patienten von der Erkrankung betroffen und leiden dabei an starken psychischen Beschwerden oder an Depressionen. Die Patienten können aufgrund der Erkrankung Menschen oder Gegenstände nicht mehr richtig wahrnehmen oder zuordnen.

Dadurch kommt es zu erheblichen Einschränkungen im Alltag der Betroffenen, sodass diese in vielen Fällen auch auf die Hilfe anderer Menschen in ihrem Leben angewiesen sind. Auch die kindliche Entwicklung wird durch die Erkrankung eventuell eingeschränkt und deutlich verzögert. Der weitere Verlauf dieser Krankheit hängt sehr stark von ihrer genauen Ursache ab, sodass leider keine allgemeine Voraussage darüber gegeben werden kann.

In der Regel kann auch keine direkte Behandlung dieser Krankheit stattfinden. Die meisten Patienten sind dabei auf verschiedene Trainings und Therapien angewiesen, die das Gedächtnis fördern sollen. Ob es dabei allerdings zu einem positiven Krankheitsverlauf kommt, kann allerdings nicht vorausgesagt werden. Eventuell müssen die Betroffenen ihr gesamtes Leben lang mit dieser Erkrankung leben. Auch über die Lebenserwartung kann aufgrund der Seelenblindheit keine Aussage gegeben werden. Diese wird allerdings nur selten durch die Erkrankung eingeschränkt.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Bei einer Seelenblindheit muss in den meisten Fällen ein Arzt aufgesucht werden. Es kann bei dieser Krankheit nicht zu einer Selbstheilung kommen, sodass die Betroffenen in der Regel immer auf eine medizinische Behandlung angewiesen sind. Dabei wirkt sich eine frühe Diagnose der Seelenblindheit positiv auf den weiteren Verlauf der Erkrankung aus. Ein Arzt ist dann aufzusuchen, wenn der Betroffene Änderungen seiner Verhaltensweisen zeigt. Dabei erkennen die Patienten bekannte Gesichter, Stimmen oder Gerüche nicht mehr oder können diese nicht mehr richtig zuordnen.

Es kommt auch zu starken Depressionen oder zu anderen psychischen Verstimmungen. Treten diese Symptome dauerhaft auf und verschwinden nicht wieder von selbst, so muss dabei auf jeden Fall ein Arzt aufgesucht werden. In den meisten Fällen wird die Seelenblindheit durch einen Psychologen behandelt. Dabei kann in schwerwiegenden Fällen auch eine Behandlung in einer geschlossenen Klinik notwendig sein. Da es sich bei der Seelenblindheit um eine weitgehend unerforschte Krankheit handelt, kann ein universeller Verlauf nicht prognostiziert werden.

Behandlung & Therapie

Je nach Symptomen, Beschwerden und Befunden kümmern sich Neurologen, Logopäden und Ergotherapeuten um die Patienten. Neben Therapien, die gezielt die Sprach- und Gedächtnisleistung fördern, führen einfache Maßnahmen wie ein motiviertes Eigentraining des Patienten teilweise zum Erfolg, um den Alltag zu erleichtern und peinliche Situationen bei Nichterkennen einer bekannten Person zu reduzieren. Die betroffene Person kann sich die Wahrnehmung bestimmter Personenmerkmale antrainieren.

Sie kann üben, die Personen in ihrem Umfeld durch äußerliche und ihr bekannte Merkmale wie Stimme, Größe, Frisur, Haarfarbe, Kleidungsstil, Figur und weitere individuelle Eigenschaften zu identifizieren. Druck wird von den Patienten entfernt, wenn sie offen mit ihrer Krankheit umgehen und ihr soziales Umfeld über diese neurologische Störung informieren.


Vorbeugung

Da sich selbst Neurologen und Gehirnforscher noch nicht abschließend darüber im Klaren sind, wie diese neurologische Wahrnehmungsstörung entsteht, gibt es keine Vorbeugung im klinischen Sinne, die eine Erkrankung ausschließt.

Nachsorge

Die Erkrankung hat erhebliche Auswirkungen auf das Umfeld von Betroffenen. Bekannte Menschen und Gegenstände können oftmals nicht mehr erkannt werden. Ebenso können Betroffene nicht mehr Lesen. Einfache alltägliche Aufgaben können von Betroffenen nicht mehr eigenständig ausgeführt werden. Aus diesem Grund muss die Hilfe von Angehörigen und Freunden in Anspruch genommen werden.

Die Erkrankung kann für Betroffene sehr belastend sein. Daher wird empfohlen, neben dem Neurologen auch einen Psychologen aufzusuchen. Dieser kann den Betroffenen mit dem Umgang der Krankheit und den dadurch ausgelösten Gefühlen helfen. Betroffene sollten allen Aktivitäten nachgehen, die sie glücklich machen.

Es sollte bestmöglich versucht werden, Depressionen zu verhindern. Es sollte beispielsweise Sport im Freien getrieben werden. Dies wirkt sich positiv auf das Wohlbefinden von Erkrankten aus. Außerdem wird durch den Sport das Immunsystem unterstützt. Ebenso sollte die Lebensweise der Krankheit angepasst werden.

Eine gesunde Ernährung und der Verzicht auf Alkohol und Nikotin wirkt sich positiv auf die Krankheit aus. Die Ernährung sollte vor allem viel Obst und Gemüse enthalten und es sollte möglichst auf Fett und Zucker verzichtet werden. Damit Betroffene die Hilfe von Familienangehörigen in Anspruch nehmen können, sollten diese ausreichend über die Krankheit informiert werden. Dies kann überflüssigen Stress vermeiden.

Das können Sie selbst tun

Diese seltene Form der Wahrnehmungsstörung kann jeden treffen. Ihre Auswirkung auf das soziale Umfeld ist allerdings fatal, da selbst bekannte Menschen oder tägliche Gebrauchsgegenstände nicht mehr erkannt werden. Auch andere Fähigkeiten, wie beispielsweise das Lesen, können beeinträchtigt sein. Meist brauchen die betroffenen Patienten Hilfe, ihren Alltag zu bewältigen.

Dies kann sowohl die Betroffenen selbst wie auch ihre Angehörige sehr belasten. Daher empfiehlt es sich, zur ärztlichen Betreuung neben einem Neurologen auch einen Psychologen aufzusuchen. Zudem empfehlen sich alle Maßnahmen, von denen bekannt ist, dass sie eine Depression verhindern. Dazu gehört allem voran Sport, insbesondere, wenn er im Freien durchgeführt wird. Frische Luft und Bewegung unterstützen nicht nur das Immunsystem, sondern bringt auch Ausgeglichenheit und gute Laune. Gleichzeitig hat der Patient Erfolgserlebnisse, welche die Defizite der Seelenblindheit ausgleichen können.

Neueste Forschungen zeigen, dass auch eine gesunde Ernährung einen positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit hat. Seelenblinde Patienten tun gut daran, nicht zu rauchen, keinen Alkohol zu trinken und zu viel Fett und Zucker zu vermeiden. Stattdessen sollten sie zu Obst, Gemüse, Vollkornprodukten, magerem Eiweiß und Omega-3-haltigen Ölen greifen.

Hilfreich für die Patienten ist es auch, wenn sie offensiv mit ihrer Erkrankung umgehen und ihr Umfeld über sämtliche bestehenden Defizite zu informieren. Das beugt Missverständnissen vor und kann unnötigen Stress vermeiden.

Quellen

  • Gleixner, C., Müller, M., Wirth, S.: Neurologie und Psychiatrie. Für Studium und Praxis 2015/16. Medizinische Verlags- und Informationsdienste, Breisach 2015
  • Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015
  • Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013

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