Mowat-Wilson-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 9. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Das Mowat-Wilson-Syndrom ist eine seltene, genetisch bedingte Entwicklungsstörung mit vielfältigen Symptomen. Im Rahmen des Gendefekts stellen sich neben Gesichts-, Darm- und Genitalanomalien Herzfehler und Gehirnentwicklungsstörungen ein. Die bislang unheilbare Erkrankung ist lediglich symptomatisch behandelbar.
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Was ist das Mowat-Wilson-Syndrom?
Das Mowat-Wilson-Syndrom ist ein eher junges Krankheitsbild. Das klinisch vielfältige Phänomen wurde 1998 erstmals durch Mowat und Wilson beschrieben. Neben Entwicklungsstörungen prägen Mikrozephalien und der Symptomkomplex des Morbus Hirschsprung das Krankheitsbild. Ein Gendefekt gilt als Ursache für die Erkrankung.
Insgesamt sind die Symptome äußerst vielfältig. Die seltene Krankheit ist bislang nur wenig erforscht. Daher stehen bislang wenige Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Eine definitive Prävalenz gibt es nicht, da die Störung bis ins 21. Jahrhundert hinein selten oder überhaupt nicht diagnostiziert werden konnte. Gegenwärtig sind insgesamt um die 200 Patienten mit dem Syndrom dokumentiert.
Ursachen
Die Embryogenese der Betroffenen ist daher gestört. Die krankheitsauslösenden Anomalien des Gens können sowohl einer vollständigen Löschung, als auch einer Umpositionierung oder einer sequenziellen Anomalie entsprechen. Weitergegeben wird der genetische Defekt im autosomal-dominanten Erbgang. Ein defektes Allel auf den beiden homologen Chromosomen reicht also schon zur Weitergabe der Erbkrankheit aus.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Die Symptome des Mowat-Wilson-Syndroms entsprechen einer komplexen Entwicklungsstörung und sind klinisch vielfältig. Zu den Leitsymptomen zählen zerebral ausgelöste Krampfanfälle und eine Mikrozephalie. Eine solche Mikrozephalie stellt sich in Folge einer frühzeitigen Verhärtung aller Schädelnähte ein und beengt das Gehirn während der Wachstumsphase. Aus diesem Grund sind die Patienten von geistiger Retardierung betroffen. Zusätzlich liegen häufig Anomalien des Gesichts vor, die dem Patienten oft ein adlerartiges Profil verleihen.
Diese Anomalien können zum Beispiel großen, tief sitzenden Augen, horizontal gerichteten Augenbrauen, Ohrmuschelanomalien, angewachsenen Ohrläppchen und einem prominent hervorstehenden Kinn entsprechen. In 90 Prozent der Fällen leiden die Betroffenen an Epilepsie. Die mentale Entwicklung ist stark verzögert und eine sprachliche Entwicklung bleibt oft vollkommen aus. Auch motorisch ist die Entwicklung der Patienten verlangsamt.
Bei normalen Geburtsmaßen tritt außerdem oft ein sekundärer Kleinwuchs ein. Fehlbildungen der Harnröhre können vorliegen. Auch angeborene Herzfehler oder Fehlbildungen der Genitalien sind vorstellbar. Zusätzlich treten neuronale Anomalien des Darmwandplexus auf, wie sie für den Morbus Hirschsprung charakteristisch sind.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Die Diagnose des Mowat-Wilson-Syndroms lässt sich nicht anhand bloßer Untersuchungen stellen, sondern erfordert die Analyse des genetischen Materials. Aus der genomischen DNA des Patienten amplifiziert das Labor die Exons zwei bis zehn des ZFHX1B-Gens. Diese Amplifizierung findet mithilfe von PCR statt. An diesem Material und den Intron-Exon-Spleißstellen findet über DNA-Sequenzierung eine Analyse statt.
Über Multiplex Ligation-dependent Probe Amplification wird jedes Exon des ZFHX1B-Gens auf Deletion und Duplikation untersucht. Dieses aufwändige Verfahren dauert rund drei Wochen und kann anders als die bloße Untersuchung des Patienten eine zweifellose Diagnosestellung ermöglichen. In den meisten Fällen wird neben der DNA des Betroffenen auch die seiner Eltern sequenziert und analysiert.
Der Krankheitsverlauf hängt stark von der Form der genetischen Anomalie und dem Umfang der Deletion oder Neupositionierung von Chromosomenteilen ab. Definitive Prognosen lassen sich schon wegen der bislang wenig dokumentierten Krankheitsfälle kaum stellen. Eine frühe Diagnose und die daran anschließende Therapie beeinflussen die Prognose vermutlich aber günstig.
Komplikationen
Weiterhin kommt es zu einer geistigen Retardierung, bei welcher nicht selten auch Angehörige und Eltern an psychischen Beschwerden oder an Depressionen erkranken. In den meisten Fällen leiden die Betroffenen auch an Krämpfen und an einer verringerten Belastbarkeit. Weiterhin treten auch verschiedene Deformationen im Gesicht auf und es kommt zu einer Epilepsie.
Auch die sprachliche Entwicklung ist deutlich verzögert, sodass es im Erwachsenenalter zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Kommunikation des Patienten kommt. Ebenfalls tritt ein Herzfehler und Kleinwuchs auf. Durch den Herzfehler kann es zu einem spontanen Herztod kommen, sodass die Lebenserwartung des Betroffenen durch das Mowat-Wilson-Syndrom eingeschränkt ist.
Es ist nicht möglich, das Mowat-Wilson-Syndrom zu heilen. Allerdings können die verschiedenen Beschwerden eingeschränkt und therapiert werden, sodass der Betroffenen einen erträglichen Alltag hat. Dabei treten zwar keine Komplikationen auf, allerdings ist nicht in jedem Fall eine positive Behandlung möglich.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Obgleich das Mowat-Wilson-Syndrom mit den derzeitigen rechtlichen und medizinischen Möglichkeiten nicht geheilt werden kann, wird über eine Behandlung der auftretenden Symptome eine deutliche Linderung der Beschwerden erreicht. Je früher eine Diagnosestellung möglich ist, desto besser sind im Normalfall die Therapiemöglichkeiten des Patienten. Die Konsultation eines Arztes ist notwendig, wenn es zu einer Entwicklungsstörung des heranwachsenden Kindes kommt.
Stellen sich individuelle Auffälligkeiten im unmittelbaren Vergleich zu Gleichaltrigen ein, wird ein Arzt benötigt. Die Beobachtungen sollten mit ihm besprochen werden, damit eine Einschätzung des Gesundheitszustandes ermöglicht wird. Eine Lernschwäche, Störungen der Gedächtnistätigkeit, eine Sprachverzögerung oder Besonderheiten der Bewegungsabläufe sind einem Arzt vorzustellen. Kommt es zu Krämpfen, Schmerzen oder einer Auffälligkeit der Körperhaltung, sollte ein Arzt aufgesucht werden. Fehlbildungen oder Anomalien des Gesichts weisen auf eine Erkrankung hin, bei der Behandlungsbedarf besteht.
Ein optischer Makel oder Auffälligkeiten der Gesichtszüge sind von einem Arzt abklären zu lassen. Verlangsamte Denkprozesse oder Bewegungen sind Anzeichen einer Störung und sollten untersucht werden. Treten Störungen des Herzrhythmus auf, kommt es zu Problemen bei den Ausscheidungen oder liegen Unregelmäßigkeiten des Reaktions- oder Wahrnehmungsvermögens vor, sollte ein Arztbesuch erfolgen. Verhaltensauffälligkeiten, vegetative Störungen oder Besonderheiten des Hautbildes sind von einem Arzt untersuchen zu lassen.
Behandlung & Therapie
Das Mowat-Wilson-Syndrom ist bislang unheilbar. Auch die symptomatischen Therapiemöglichkeiten sind begrenzt. Gegen die Krampfanfälle finden meist medikamentöse Therapien Verwendung. Antiepileptika zeigen im Rahmen dessen die größte Wirksamkeit. Einige der symptomatischen Fehlbildungen lassen sich operativ korrigieren. Besonders die Erscheinungen des Morbus Hirschsprung sollten möglichst früh korrigiert werden, da sich ansonsten eine Sepsis oder eine Durchwanderungsperitonitis einstellen könnte.
Die symptomatische Therapie des Mowat-Wilson-Syndroms soll vor allem die Lebensqualität der Betroffenen verbessern. Mit diesem Ziel kann auch der geistigen und motorischen Retardierung entgegengewirkt werden. Logopädische Therapien können unter Umständen bei der Sprachentwicklung helfen, die beim Mowat-Wilson-Syndrom ohne supportiv therapeutische Maßnahmen oft gänzlich ausbleibt. Physiotherapeutische und ergotherapeutische Behandlungen können unterdes der verzögerten Entwicklung von motorischen Fähigkeiten entgegen wirken.
Das Mowat-Wilson-Syndrom ist für die Eltern eines Betroffenen oft eine kaum vorstellbare, psychische Belastung. Aus diesem Grund werden die Eltern der Patienten häufig von Psychotherapeuten unterstützt. Aktuell ist die medizinische Forschung mit gentherapeutischen Ansätzen befasst, die in Zukunft Gendefekte heilen sollen. So kann das defekte ZFHX1B-Gen der Betroffenen bald eventuell ausgetauscht werden, was die Erkrankung unter Umständen heilbar machen wird.
Aussicht & Prognose
Das Mowat-Wilson-Syndrom kann heutzutage gut behandelt werden. Lebenserwartung und Lebensqualität orientieren sich an der Art und Ausprägung der angeborenen Fehlbildungen. Bei leichten Anomalien, die nicht das Herz betreffen, können die Betroffenen bis ins Erwachsenenalter leben.
Schwer erkrankte Patienten versterben meist während der Kindheit oder Jugend an den Folgen der Erkrankung. Typische Todesursachen sind Herzinfarkt oder die charakteristischen HSCR-Krankheiten. Durch die zerebralen Krampfanfälle kommt es oftmals bereits während der ersten Lebensjahre des Kindes zum Tod. Das seltene Syndrom kann symptomatisch behandelt werden, wodurch die Patienten zumindest zeitweilig ein beschwerdefreies Leben führen können.
Langfristig bietet das Mowat-Wilson-Syndrom jedoch keine positive Prognose, da die verschiedenen Fehlbildungen und Anomalien eine progressive Verschlechterung des Gesundheitszustandes zur Folge haben und schließlich zum Tod führen. Die Prognose über die Lebenserwartung und den Krankheitsverlauf stellt in der Regel der zuständige Facharzt. Meist handelt es sich dabei um einen Neurologen oder um einen Facharzt für genetisch bedingte Erkrankungen. Je nach Symptombild gestaltet sich bereits die Diagnose der Erkrankung als schwierig, weshalb das Mowat-Wilson-Syndrom oftmals nicht festgestellt wird, bevor das Leiden schon weit fortgeschritten ist.
Vorbeugung
Da es sich beim Mowat-Wilson-Syndrom um eine komplexe Entwicklungsstörung mit genetischer Ursache handelt, lässt sich der Erscheinung kaum vorbeugen. Paare in der Familienplanung können unter Umständen aber ihre DNA sequenzieren lassen, um ihr persönliches Risiko für die Weitergabe von Gendefekten einschätzen zu lassen.
Nachsorge
Betroffenen stehen beim Mowat-Wilson-Syndrom in den meisten Fällen keine oder nur wenige Maßnahmen einer Nachsorge zur Verfügung, da es sich hierbei um eine genetisch bedingte Krankheit handelt. Daher sollten Betroffene idealerweise schon früh einen Arzt aufsuchen, damit es nicht zu weiteren Beschwerden oder Komplikationen kommt, die sich negativ auf die Lebenserwartung und die Lebensqualität des Betroffenen auswirken können.
Eine Selbstheilung kann in der Regel nicht eintreten, sodass schon bei den ersten Anzeichen und Symptomen der Krankheit ein Arzt aufgesucht werden sollte. Im Falle eines Kinderwunsches kann eine genetische Untersuchung und Beratung sinnvoll sein, um das erneute Auftreten des Syndroms bei den Nachfahren zu verhindern. In der Regel sind die Betroffenen beim Mowat-Wilson-Syndrom auf die Einnahme von verschiedenen Medikamenten angewiesen.
Dabei sollten diese immer rechtzeitig und auch in der richtigen Dosierung eingenommen werden, um die Beschwerden zu lindern. Bei Kindern sollten vor allem die Eltern die Einnahme kontrollieren. Ebenso sind Maßnahmen einer Physiotherapie in vielen Fällen notwendig, wobei einige der Übungen auch im eigenen Zuhause durchgeführt werden können. Ob es aufgrund des Mowat-Wilson-Syndroms zu einer verringerten Lebenserwartung des Betroffenen kommt, kann dabei nicht universell vorhergesagt werden.
Das können Sie selbst tun
Da es bislang leider noch keine Heilmöglichkeiten für das Mowat-Wilson-Syndrom gibt, gilt es aktuell in erster Linie die Lebensqualität des Kindes zu erhöhen.
In vielen Fällen kann eine frühzeitig begonnene logopädische Therapie der verzögerten sprachlichen Entwicklung entgegenwirken und für einen maßgeblichen Erfolg in der Sprachentwicklung sorgen. Darüber hinaus sorgen intensive physiotherapeutische und ergotherapeutische Maßnahmen für eine bessere motorische und geistige Entwicklung. Über die vom Arzt verschriebenen Maßnahmen hinaus empfiehlt es sich durchaus, sich selbst mit der Thematik zu befassen und die Therapie im häuslichen Umfeld fortzufahren.
Die Pflege eines behinderten Kindes stellt insbesondere für die Eltern aber auch eventuell vorhandene Geschwister eine enorme Belastung dar, worunter das Familienleben und am Ende auch die Pflegequalität leiden können. Es ist daher enorm wichtig, dass sich die Eltern in solchen Fällen rechtzeitig um eine Psychotherapie bemühen, die ihnen langfristig wieder mehr Kraft gibt, indem sie Methoden zur Entspannung und Konfliktbewältigung erlernen.
Ebenso gilt es zu bedenken, dass Betroffenen jährlich eine Verhinderungspflege von bis zu sechs Wochen Dauer zusteht, für welche die Pflegekasse die Kosten übernimmt. Es gibt bereits Einrichtungen, bei denen tagsüber intensiv gepflegt wird, während die Angehörigen bei Ausflügen entspannen können. Insbesondere bei Geschwisterkindern kann dies eine große Hilfe sein.
Quellen
- Gortner, L., Meyer, S., Sitzmann, F.C.: Duale Reihe Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2012
- Michaelis, R., Niemann, G.W.: Entwicklungsneurologie und Neuropädiatrie. Thieme, Stuttgart 2010
- Muntau, A.C.: Intensivkurs Pädiatrie. Urban & Fischer, München 2011