Mikrozephalie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

Sie sind hier: Startseite Krankheiten Mikrozephalie

Die Mikrozephalie gehört zu den selteneren Fehlbildungen beim Menschen. Sie ist entweder genetisch bedingt oder erworben und zeigt sich primär in einem zu geringen Schädelumfang. Kinder, die mit einer Mikrozephalie geboren wurden, haben oft auch ein kleineres Gehirn und zeigen noch weitere körperliche und geistige Entwicklungsstörungen. Es gibt allerdings auch Fälle von Mikrozephalie, bei denen sich die jungen Patienten trotz ihres geringeren Gehirnumfangs kognitiv normal entwickeln.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Mikrozephalie?

Deutlichstes Anzeichen für eine Mikrozephalie ist der im Verhältnis zu gleichaltrigen Kindern zu geringe Kopfumfang. Brücke und Kleinhirn sind in ihrer Entwicklung zurückgeblieben.
© 7activestudio – stock.adobe.com

Unter Mikrozephalie (MCPH) versteht man eine Fehlbildung des menschlichen Schädels: Er ist im Verhältnis zu dem anderer Menschen desselben Geschlechts und Alters zu klein. Bei der Geburt ist die Mikrozephalie meist noch nicht so auffällig. Deutlich sichtbar wird die Entwicklungsstörung später, wenn der Kopfumfang nicht „mitwächst“. Er kann dann mehr als 30 Prozent geringer sein als bei anderen Menschen des betreffenden Alters.

Mikrozephalie ist meist verbunden mit einer kognitiven Behinderung und anderen Einschränkungen. In der Regel haben die Kinder zugleich auch ein für ihr Alter zu kleines Gehirn. Das intellektuelle Defizit ist gering bis moderat. Mikrozephalie tritt im Verhältnis 1,6:1000 auf. Die primäre Mikrozephalie wird meist autosomal-rezessiv vererbt. Die sekundäre Form entsteht beispielsweise durch Infektionen und Hirnverletzungen, denen der Embryo im Mutterleib ausgesetzt ist.

Ursachen

Mikrozephalie kann viele Ursachen haben. Hauptursache ist eine Dyszephalie: Das Gehirn des Kindes wächst im Mutterleib durch zu geringen Druck zu langsam. Daher kann sich der Schädel nicht im normalen Umfang ausdehnen. Wie australische Wissenschaftler 2012 herausfanden, ist ein Gen mit der Bezeichnung TUBB5 verantwortlich für das gestörte Gehirn-Wachstum. TUBB5 produziert ein Protein namens Tubulin, das wichtig für den Zell-Aufbau ist.

Mutiert TUBB5, setzt das Gehirn des Embryos sein Wachstum wesentlich langsamer fort. Liegt eine Kraniostenose vor, schließen sich die Schädelnähte vorzeitig, sodass das Gehirn nicht mehr weiter wachsen kann. Sie können - falls die Kraniostenose denn rechtzeitig erkannt wird - operativ getrennt werden. Weitere Ursachen sind Gen-Mutationen: Zum MICPCH-Syndrom (einer Form der Mikrozephalie) kommt es, wenn das auf den X-Chromosomen angesiedelte CASK-Gen mutiert. Infektionen der werdenden Mutter mit Röteln, dem Zytomegalievirus, Windpocken oder Toxoplasmose können ebenfalls zu einer Mikrozephalie führen.

Außerdem kann sich ein Alkohol oder Drogenmissbrauch der Schwangeren derart ungünstig auf das Kind auswirken. Dasselbe gilt, wenn sie einer Strahlenbelastung ausgesetzt ist (Krebsbehandlung). Auch eine nicht behandelte Phenylketonurie (PKU) und eine zerebrale Anoxie (das Gehirn erhält zu wenig Sauerstoff) können beim Ungeborenen die Entwicklungsstörung hervorrufen.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Deutlichstes Anzeichen für eine Mikrozephalie ist der im Verhältnis zu gleichaltrigen Kindern zu geringe Kopfumfang. Brücke und Kleinhirn sind in ihrer Entwicklung zurückgeblieben. Außerdem lassen sich eine kognitive und motorische Retardierung beobachten. Die Sprachentwicklung ist verzögert. Infolge von Schluckstörungen haben sie Schwierigkeiten, Nahrung zu sich zu nehmen und sind daher oft bis zu 30 Prozent untergewichtig und außerdem zu klein.

Manche von ihnen haben Gleichgewichtsstörungen. Viele Mikrozephalie-Kinder sind hyperaktiv und zeigen unwillkürliche Bewegungen (Hyperkinesien). Etwa zehn Prozent von ihnen leiden an epileptischen Anfällen. Wegen ihrer geringeren Abwehrkräfte haben sie eine erhöhte Neigung zu Infektionskrankheiten, was sich auf ihre Lebenserwartung negativ auswirken kann. Charakteristisch für Mikrozephalie-Patienten mit Hypotonie (zu geringe Muskelspannung) ist ihr gekrümmter Rücken. Außerdem haben sie eine Vierfingerfurche auf ihrer Handinnenfläche, eine Sandalen-Lücke und Zwillingszähne.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Ob ein Fötus eine Mikrozephalie hat, lässt sich mithilfe des pränatalen Ultraschalls erst ab der 32. Schwangerschaftswoche feststellen. Meist wird die Entwicklungsstörung jedoch erst wesentlich später erkannt. Der Facharzt misst seinen Kopfumfang und vergleicht ihn anhand von Kopf-Umfangs-Tabellen. Außerdem besteht die Möglichkeit, Röntgen, CT Scan und MRT durchzuführen.

Der CT Scan ist wegen seiner größeren Genauigkeit dem Röntgenbild vorzuziehen. Auf einem MRT Bild lassen sich die Merkmale gut erkennen, die die Mutation des CASK Gens verursacht: Ein etwas kleineres Gehirn, das im Wesentlichen normal aussieht und sich lediglich in Bezug auf ein etwas vereinfachtes Gehirn-Windungs-Muster unterscheidet. Endgültige Gewissheit haben die Eltern jedoch erst nach einem Blut- und Urin-Test.

Komplikationen

Die Mikrozephalie führt bei Betroffenen in erster Linie zu einer Einschränkung der geistigen und der motorischen Entwicklung. Vor allem für Kinder kommt es zu starken Beschwerden, sodass diese im späteren Alter in der Regel auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sind. Weiterhin treten auch Sprachfehler und Schluckbeschwerden auf, sodass die Betroffenen nicht allein Nahrung aufnehmen können.

Es kommt auch zu Gleichgewichtsstörungen oder zu epileptischen Anfällen. Nicht selten leiden die Betroffenen auch an einer verringerten Muskelspannung und an verschiedenen Fehlbildungen am Körper. Auch die Eltern oder die Angehörigen können aufgrund der Erkrankung psychisch in Mitleidenschaft geraten oder von Depressionen betroffen sein. Die betroffenen Kinder sind nicht selten hyperaktiv und können damit dem Unterricht nicht folgen.

In der Regel benötigen sie daher einen speziellen Unterricht. Mit Hilfe verschiedener Therapien können die Beschwerden der Mikrozephalie eingeschränkt werden. Eine vollständige Heilung dieser Erkrankung ist allerdings nicht möglich, sodass die Patienten in der Regel ihr gesamtes Leben lang auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sind. Krämpfe können dabei mit Hilfe von Medikamenten eingeschränkt werden. Besondere Komplikationen treten bei der Behandlung dieser Krankheit nicht auf.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Eine Mikrozephalie wird in der Regel nicht sofort erkannt. Die betroffenen Kinder machen zunächst einen gesunden Eindruck. Innerhalb der ersten Lebensmonate zeigt sich jedoch sehr deutlich, dass der Kopfumfang geringer als der von Gleichaltrigen ist. Sofern der behandelnde Kinderarzt die Diagnose nicht von selbst im Rahmen von Routineuntersuchungen stellt, sollten Eltern bei bestehendem Verdacht auf Mikrozephalie unbedingt einen Arzt aufsuchen. Die Erkrankung sollte möglichst früh behandelt werden.

Je eher das betroffene Kind eine geeignete Therapie erhält, desto bessere Chancen hat es auf eine höhere Lebenserwartung. Dabei ist es wichtig, mit Physio-, Ergo- und Sprachtherapie so früh wie möglich zu beginnen, da das Kind durch intensive Förderung eine gewisse Selbständigkeit erlangen kann und die Eltern somit entlastet werden können. Insbesondere bei wiederholten Krampfanfällen sollte der Kinderarzt oder ein Facharzt konsultiert werden. In solchen Fällen ist eine rasche medikamentöse Behandlung vonnöten.

Behandlung & Therapie

Eine vollständige Heilung gibt es für Menschen mit einer Mikrozephalie nicht. Allerdings können die Eltern mithilfe geeigneter Therapien die Lebenserwartung ihres Kindes erhöhen und ihm mehr Lebensfreude schenken. Je früher das Kind die passende Behandlung erhält, desto größer sind seine Chancen später. Der Kopfumfang lässt sich zwar nicht mehr korrigieren, aber die Eltern können dafür sorgen, dass ihr Kind regelmäßig an einer Physiotherapie sowie an Ergo- und Sprach-Therapien teilnimmt.

Außerdem gilt es, die Eigenständigkeit des behinderten Kindes zu fördern und sein Selbstbewusstsein zu stärken. Regelmäßige Kontrollen von Kopfumfang und generellem Wachstum helfen, bei Schwierigkeiten schneller einzugreifen zu können. Symptome wie Hyperaktivität und Krampfanfälle lassen sich leicht mit Medikamenten behandeln.


Aussicht & Prognose

Grundsätzliche Angaben zum Ausgang einer Mikrozephalie sind schwierig. Betroffene müssen sich in jedem Fall auf lebenslange Einschränkungen einstellen. Wie stark diese ausfallen, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. In der Praxis erweist es sich oft als schwierig, dass die Krankheit bisher zu wenig erforscht wurde. Damit fehlt wichtiges Wissen, das für eine Therapie entscheidend ist. Da statistisch gesehen nur 1,6 von 1.000 Kindern an der Mikrozephalie erkranken und sich diese vor allem in Afrika befinden, ist nur mit einer langsamen Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten zu rechnen.

Die Schädelfehlbildung wird bei Kleinkindern diagnostiziert. Inwieweit die körperliche Entwicklung zu einer Besserung beitragen kann, lässt sich nicht vorhersagen. Ärzte können den verminderten Kopfumfang jedenfalls nicht korrigieren. Trotzdem sollten Eltern nicht auf angebotene Hilfen verzichten. Eine Nichtbehandlung stellt die schlechteste Option dar. Denn wenigstens Folgen und Begleiterscheinungen lassen sich behandeln. Zur Verbesserung der Situation können Physiotherapie und Sprachtherapien beitragen. Viele Erkrankte tragen eine geistige oder körperliche Behinderung davon. Dadurch sind sie ein Leben lang auf Hilfsmittel angewiesen. Die Lebenserwartung insgesamt muss auf Grund einer Mikrozephalie nicht eingeschränkt sein.

Vorbeugung

Eltern, die ein Mikrozephalie Kind haben und noch weitere Kinder wünschen, sollten unbedingt versuchen herauszufinden, welche Ursachen die Mikrozephalie hat. Ist sie genetisch bedingt, hilft nur noch der Gang zu einem Spezialisten, der ihnen sagen kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit der weitere Nachwuchs die Entwicklungsstörung ebenfalls bekommt. Bei einer autosomal-rezessiven Vererbung hat das Kind mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent auch einen verkleinerten Schädel.

Nachsorge

Da Mikrozephalie generell nicht vollständig geheilt werden kann, konzentriert sich die Nachsorge auf einen guten Umgang mit der Erkrankung. Betroffenen sollten versuchen, trotz der Widrigkeiten eine positive Lebenseinstellung aufzubauen. Dabei können Entspannungsübungen und Meditation helfen.

Die Betroffenen können dabei nur sehr verzögert sprechen, sodass es auch zu Störungen und zu einer deutlichen Verzögerung bei der kindlichen Entwicklung des Betroffenen kommt. Dabei leiden die Betroffenen in der Regel auch an einer deutlichen Retardierung und auch an Störungen des Gleichgewichtes, sodass es im Alltag zu Einschränkungen und zu Störungen kommt. Ebenso können verschiedene Fehlbildungen oder Missbildungen am Körper des Betroffenen auftreten und damit auch die Ästhetik deutlich verringern.Neben den therapeutischen Maßnahmen ist es hilfreich, das soziale Umfeld für die Krankheit zu sensibilisieren, um Missverständnissen vorzubeugen.

Da die Beschwerden der Mikrozephalie mitunter stark ausfallen, kann dies auch bei den Eltern oder Angehörigen zu Depressionen oder zu anderen starken psychischen Verstimmungen führen. Es ist ratsam, dies mit einem erfahrenen Psychologen abzuklären und abzuwägen, inwieweit eine Therapie angebracht ist. Auch der Kontakt zu gleichermaßen Erkrankten kann zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen.

Das können Sie selbst tun

Mikrozephalie zeigt sich bereits im Kindesalter und geht häufig, wenn auch nicht immer, mit einer Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten einher. Eltern, die vermuten, dass ihr Kind an einer Mikrozephalie leidet, sollten sofort einen Experten hinzuziehen. Bestätigt sich der Verdacht ist neben der Diagnose auch eine gründliche Abklärung der Ursachen dringend geboten. Letzteres ist insbesondere in Hinblick auf die Familienplanung von Bedeutung. Eine Mikrozephalie kann genetisch bedingt sein. Sofern dies der Fall ist, sollten sich Betroffene, deren Familienplanung noch nicht abgeschlossen ist, genetisch Beraten lassen.

Welche Hilfsmaßnahmen bei den Patienten selbst angezeigt sind, hängt vom Grad der Behinderung ab. Eine Lernbehinderung kann durch eine frühzeitig begonnene pädagogische und psychotherapeutische Betreuung meist nicht vollständig kompensiert, aber fast immer abgemildert werden. Ergotherapeutische und physiotherapeutische Maßnahmen können dazu beitragen, den Folgen einer verzögerten oder gestörten motorischen Entwicklung entgegenzuwirken. Bei Sprachstörungen sollte frühzeitig ein Logopäde zugezogen werden.

Für die Eltern kann dies sehr belastend sein. Sie sollten sich deshalb bei der Pflege ihres Kindes professionell unterstützen lassen. Wichtig ist dabei die frühzeitige Beantragung einer Pflegestufe. Da Kinder, die an Mikrozephalie leiden, häufig keine normale Grundschule besuchen können und Plätze an Förderschulen knapp sind, sollten Eltern sich auch deutlich früher als bei einem gesunden Kind um die Einschulung kümmern.

Quellen

  • Breusch, S., Clarius, M., Mau, H., Sabo, D. (Hrsg.): Klinikleitfaden Orthopädie, Unfallchirurgie. Urban & Fischer, München 2013
  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Niethardt, F.U.: Kinderorthopädie. Thieme, Stuttgart 2009

Das könnte Sie auch interessieren