Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. April 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) stellt eine seltene und schwere Erkrankung blutbildender Zellen dar, die zwar genetisch bedingt ist, aber erst im späteren Leben erworben wird. Da es sich um eine somatische Mutation handelt, sind die Keimzellen nicht betroffen. Unbehandelt kann die Erkrankung hauptsächlich durch die Ausbildung mehrerer Thrombosen tödlich enden.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie?

Das Hauptsymptom der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie stellt die chronische Hämolyse dar. Aufgrund der somatischen Mutation liegen sogenannte Mosaike vor.
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Die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie ist eine oft schwer verlaufende Erkrankung der blutbildenden Zellen. Sie ist durch Hämolyse, Thrombenbildung und eine reduzierte Bildung von Blutzellen gekennzeichnet. Dabei können einzelne oder alle Blutlinienzellen betroffen sein.

Während alle Patienten mit PNH die Symptome einer Hämolyse zeigen, treten die anderen Beschwerden sehr variabel auf. In circa 35 Prozent der Fälle kann es zu einem tödlichen Verlauf kommen, der hauptsächlich durch die Vielzahl der auftretenden Thrombosen verursacht wird. Durch die ständige Hämolyse besteht eine chronische Anämie, die mit schweren Erschöpfungszuständen einhergeht.

Die Erkrankung ist zwar nicht heilbar, kann aber therapeutisch gut beherrscht werden. Bei lebenslanger konsequenter Behandlung wird eine gute Lebensqualität bei normaler Lebenserwartung erreicht. PNH besitzt eine geschätzte Prävalenz von circa 16 pro 1 Million Einwohner und gehört damit zu den sehr seltenen Erkrankungen.

Ursachen

Die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie wird durch eine somatische Mutation des PIG-A-Gens ausgelöst. Dieses Gen befindet sich auf dem X-Chromosom und ist für die Codierung des Enzyms N-Acetylglukosaminyltransferase verantwortlich. N-Acetylglukosaminyltransferase katalysiert die Bildung des sogenannten Glukosylphosphatidylinositol-Ankers (GPI-Anker), der für die Verankerung von schützenden Proteinen auf der Zelloberfläche der Blutzellen sorgt.

Dabei handelt es sich unter anderem um die Proteine CD55 und CD59. Mit ihrer Verankerung auf der Zellmembran der blutbildenden Zellen dienen sie zu deren Schutz vor dem Angriff des als Komplementsystem bezeichneten Teils des Immunsystems. Bei Nichtvorhandensein dieser Ankerproteine werden blutbildende Stammzellen und Blutzellen zerstört

Neben einer verstärkten Hämolyse bilden sich außerdem auch weniger Blutzellen nach. Es kommt zu einer ausgeprägten chronischen Anämie. Gleichzeitig entstehen auch an vielen Stellen des Körpers Thrombosen, die gefährlich werden können. PNH ist eine erworbene Erkrankung, welche besonders im Alter von 25 bis 45 Jahren erstmalig auftritt.

Die zugrunde liegende Genmutation ist nicht bereits seit der Geburt vorhanden. Sie entsteht im Rahmen einer somatischen Mutation des PIG-A-Gens innerhalb der multipotenten hämatopoetischen Stammzellen. In der Familie und Verwandtschaft werden ansonsten keine Fälle von PNH gefunden. Da die Keimzellen nicht betroffen sind, ist eine Weitervererbung dieser Erkrankung an die Nachkommen ausgeschlossen.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das Hauptsymptom der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie stellt die chronische Hämolyse dar. Aufgrund der somatischen Mutation liegen sogenannte Mosaike vor. Es gibt sowohl gesunde als auch defekte Blutzellen. Alle mutierten Blutzellen haben durch den fehlenden Anker den Schutz vor dem Komplementsystem verloren und werden zerstört.

Besonders sind aber die erkrankten Erythrozyten betroffen. Das gefährlichste Symptom ist jedoch die Neigung zur Thrombosebildung sowohl im venösen als auch im arteriellen System. Bei circa 50 Prozent der Patienten mit PNH ist das der Fall. Die Thrombosen sind auch für die meisten Todesfälle verantwortlich, von der ein Drittel der Erkrankten betroffen sind.

Weitere Symptome sind schwere Erschöpfungszustände (Fatigue), Bauchkrämpfe, Kopfschmerzen, Schluckstörungen, Übelkeit, Brustschmerzen, Rückenschmerzen oder Potenzstörungen. Die Schmerzen werden durch kleine Thromben ausgelöst. Sie können mild aber auch so stark sein, dass als Schmerzmittel sogar Opiate verabreicht werden müssen.

Erklärt werden die Schmerzen auch durch den Mangel an Stickstoffoxid (NO), welches an freigesetztes Hämoglobin bindet. Da NO für die Entspannung der glatten Muskulatur verantwortlich ist, führt der Mangel an NO dort zu erhöhten Spannungszuständen. Die Schwere der Erkrankung ist auch davon abhängig, wie viel Blutlinien von der Mutation betroffen sind. Wenn gleichzeitig die Immunzellen des Blutes mutiert sind, ist auch das Immunsystem stark geschwächt.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Bei der Diagnostik werden die Blutzellen mithilfe der Durchflusszytometrie auf das Vorhandensein der Schutzproteine untersucht. Mit dieser Methode können die Zellen identifiziert werden, denen der Schutz vor dem Komplementsystem fehlt. Eine eindeutige Diagnose liegt vor, wenn mindestens zwei Zelllinien wie Erythrozyten oder Granulozyten keinen Schutzfaktor besitzen.

Komplikationen

Im schlimmsten Falle kann es aufgrund dieser Krankheit zum Tod des Betroffenen kommen. In der Regel tritt dies allerdings erst dann ein, wenn der Betroffene an mehreren Thrombosen leidet, die nicht verhindert wurden. Das Risiko der Ausbildung von Thrombosen ist bei den Patienten deutlich erhöht. Diese sind in den meisten Fällen auch für den Todesfall des Patienten verantwortlich.

Die Betroffenen leiden an Schmerzen, die an unterschiedlichen Stellen auftreten. Es kommt dabei zu Schmerzen im Kopf oder auch im Bauch. In vielen Fällen tritt auch ein Brustschmerz auf, der sich in den Rücken ausbreiten kann. Männer können durch die Krankheit auch an Potenzstörungen leiden. Weiterhin kommt es zu einer dauerhaften Übelkeit oder zu Schluckbeschwerden. In vielen Fällen reichen dabei gewöhnliche Schmerzmittel nicht mehr aus, um die Schmerzen zu lindern.

Die Lebensqualität des Betroffenen wird von der Krankheit erheblich verringert. Die Behandlung findet ohne Komplikationen statt. Mit Hilfe von Bluttransfusionen oder einer Stammzellentransplantation können die Beschwerden verringert werden. Allerdings wird die Lebenserwartung des Patienten in der Regel krankheitsbedingt verringert.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Diese Erkrankung muss in jedem Falle durch einen Arzt untersucht und behandelt werden. Ohne Behandlung kommt es in der Regel zum Tod, da die Krankheit zur Ausbildung von Thrombose führt. Die Betroffenen leiden unter verschiedenen Beschwerden, die nicht immer direkt auf die Erkrankung hinweisen. Dabei können Schmerzen im Kopf oder im Bauch auftreten, die von einer Übelkeit oder von Rückenschmerzen begleitet werden. Häufig kann auch eine Potenzstörung auf diese Erkrankung hindeuten. Sollten die Beschwerden dauerhaft eintreten und nicht wieder von alleine verschwinden, so ist auf jeden Fall der Besuch bei einem Arzt notwendig.

Die Schmerzen können auch so extrem sein, dass der Betroffene das Bewusstsein verliert. Auch ein geschwächtes Immunsystem kann auf diese Krankheit hindeuten. Bei häufigen Erkältungen oder anderen Infekten ist ebenfalls ein Arzt zu konsultieren. Die erste Diagnose der Krankheit kann durch den Allgemeinarzt erfolgen. Für die weiteren Behandlungen ist jedoch ein Facharzt erforderlich. Ob es durch die Erkrankung zu einer verringerten Lebenserwartung kommt, kann nicht im Allgemeinen vorhergesagt werden.

Behandlung & Therapie

PNH ist nicht heilbar. Es gibt jedoch einige unterstützende Behandlungen, welche die Lebensqualität steigern können. Zunächst sind aufgrund der chronischen Anämie regelmäßige Bluttransfusionen oder Transfusionen von Erythrozytenkonzentraten notwendig. Zur Förderung der Blutbildung werden Folsäure oder Vitamin B12 empfohlen.

Infekte müssen frühzeitig erkannt und durch Antibiotikagaben behandelt werden, weil sie hämolytische Krisen auslösen können. Eine kurzfristige Gabe von Steroiden kann eine hämolytische Krise abmildern. Allerdings dürfen Steroide nicht dauerhaft verabreicht werden. Schwere Schmerzen bedürfen einer Behandlung mit Schmerzmitteln.

Wenn eine Thrombose aufgetreten ist, werden dauerhaft Kumarine als Gerinnungshemmer verabreicht. Die einzige reale Möglichkeit, eine paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie doch noch auszuheilen, stellt eine Stammzelltransplantation dar. Allerdings ist sie mit erheblichen Risiken verbunden, sodass diese Therapie nur in sehr schweren Fällen in Betracht kommt.

Gute Erfahrungen wurden mit dem Medikament Eculizumab gemacht. Dabei handelt es sich um genetisch hergestellte monoklonale Antikörper, die den Komplementfaktor C5 des Komplementsystems inaktivieren. Damit wird der Angriff auf die ungeschützten Blutzellen verhindert.


Aussicht & Prognose

Bei der Paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie ist eine Prognose schwierig. Das klinische Bild dieser erworbenen hämatologischen Erkrankung kann sehr unterschiedlich ausfallen. Bei leichteren Verlaufsformen ist die Prognose positiver. Bei schweren Stammzellschädigungen ist oft eine Stammzelltransplantation die einzige Möglichkeit, das Leben zu verlängern. Da die Erkrankung auf einer genetischen Mutation im Knochenmark beruht, ist sie nicht heilbar.

Die Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie kann lediglich symptomatisch behandelt werden. Unterschieden wird die Behandlung für symptomatische und asymptomatische Verläufe. Patienten mit einer asymptomatischen Paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie erhalten prophylaktisch blutgerinnungshemmende Medikamente. Bei symptomatischen Patienten kann eine Therapie mit einem Antikörper namens Eculizmab in Verbindung mit weiteren unterstützenden Maßnahmen die Symptome zurückdrängen.

Die Knochenmarkstransplantation stellt eine weitere Behandlungsmöglichkeit dar. Sie ist aber mit hohen Risiken behaftet, weil das Immunsystem vor der Transplantation ausgeschaltet werden muss. Letzten Endes entscheidet der Schweregrad der Stammzellveränderungen darüber, wie gut oder schlecht die Prognose ausfällt. Die Hälfte der Betroffenen überlebt die Diagnose nur um 15 Jahre.

In der Vergangenheit war die Prognose für die Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie schlechter als heute. Durch moderne Behandlungsmethoden konnte sich die Prognose für den symptomatischen Erkrankungstyp deutlich verbessern. Gut kann sie trotzdem nicht genannt werden. Die Überlebensdauer und die Lebensqualität der Betroffenen sind heute aber besser als früher.

Vorbeugung

Eine Vorbeugung vor der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie ist nicht möglich. Bereits erkrankte Personen sollten sich jedoch vor Infektionen schützen, um keine hämolytische Krise auszulösen. Eine dauerhafte Therapie mit Eculizumab verhindert die Symptome von PNH und ermöglicht eine normale Lebenserwartung.

Nachsorge

Da die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie eine genetisch bedingte Erkrankung ist, existieren aktuell keine kausalen Therapieoptionen. Sollten die betroffenen Patienten asymptomatisch sein, ist zunächst abzuwarten beziehungsweise von einer Therapie abzusehen. Prophylaktisch kann lediglich eine orale Antikoagulation in Betracht gezogen werden.

Hierbei ist auf ständige Kontrolle der Gerinnungsparameter zu achten. Die Nachsorge bezieht sich daher auf die Kontrolle und Überwachung der supportiven Therapien gegen die multiplen Symptome der Erkrankung. Die langfristige Kontrolle der Blutwerte für VitB12 und Folsäure sind indiziert um Veränderungen der Blutbestandteile und daraus resultierender Symptome zu verhindern. Diese Mängel an VitB12 oder Folsäure können dann medikamentös substituiert werden.

Regelmäßige Blutbildkontrollen sind notwendig, um auftretende Infektionen frühzeitig zu erkennen. Sollten Glukokortikoide verabreicht werden, sind multiple Maßnahmen zur Behandlungsüberwachung zu treffen. Da die längerfristige Einnahme von Kortison zu Entkalkung der Knochen führen kann, fördert dies das Entstehen von Osteoporose. Prophylaktisch sollte Calcium und VitD verabreicht werden.

Da es im Verlauf der Therapie auch zu Blutzuckerentgleisungen und Blutdrucksteigerungen kommen kann, werden auch diese Parameter regelmäßig kontrolliert. Bei Behandlung mit oraler Antikoagulation werden regelmäßige Gerinnungsparameterkontrollen stattfinden. Bei Cumarineinnahmen muss unbedingt auf pharmakokinetische Interaktionen mit anderen Medikamenten geachtet werden. Auch bei der Therapie mit monoklonalen Antikörpern ist stets auf das Auftreten von Nebenwirkungen zu achten um gegebenenfalls medikamentös einzugreifen.

Das können Sie selbst tun

Da die Erkrankung auf einem Gendefekt beruht, sollten Angehörige eines Patienten, eigenverantwortlich und selbstinitiiert eine Kontrolle ihrer genetischen Veranlagungen einleiten.

Da die Auftretenswahrscheinlichkeit einer Thrombose erhöht ist, wenn sich Menschen zu lange in einer starren Körperhaltung befinden, ist die Überprüfung des Bewegungsapparates notwendig. Eine längere Zeit im Stehen, in der Hocke oder im Sitzen ist zu vermeiden. Zusätzlich sollte im Alltag durch verschiedene Auflockerungsübungen eine Unterstützung des Kreislaufsystems stattfinden. So lassen sich Blutstauungen vermeiden und Gefäße im Organismus werden nicht eingeklemmt.

Die Aufnahme von Schadstoffen wie Nikotin oder Medikamenten, die Nebenwirkungen auf das Blutsystem haben, ist zu unterlassen. Bei einer bestehenden Erkrankung, sollten die eingenommenen Präparate auf ihre Risiken geprüft werden und die Rücksprache mit dem behandelnden Arzt stattfinden. In einigen Fällen ist eine Veränderung des Behandlungsplanes notwendig. Treten Erschöpfungszustände, Müdigkeit oder ein vermehrter Schlafbedarf auf, sollte der Betroffene auf die Signale seines Körpers ausreichend reagieren. Der Organismus sollte nicht übermäßig belastet werden, da Folgeerscheinungen oder Komplikationen drohen.

Veränderungen des gesundheitlichen Empfindens oder eine Zunahme von Beschwerden sind unverzüglich mit einem Arzt zu besprechen. Die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie kann unbehandelt zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen. Greifen daher die Maßnahmen der Selbsthilfe nicht ausreichend, ist die Rücksprache mit einem Mediziner unerlässlich.

Quellen

  • Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013

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