Gerinnungshemmer

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer. nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2025
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Gerinnungshemmer, Blutverdünner, in der Medizin auch als Antikoagulation bekannt, wirken der Blutgerinnung entgegen. Die Medikamente werden in der Vorbeugung gegen Gefäßverschlüsse eingesetzt. Auch zur Auflösung von Blutgerinnseln eignen sich ebenso diverse Gerinnungshemmer.

Inhaltsverzeichnis

Was sind Gerinnungshemmer?

Gerinnungshemmer sind eine Gruppe von Medikamenten, die eine Verklumpung des Blutes verhindern, indem sie dessen „Gerinnungs-Prozess“ herabsetzen.

Gerinnungshemmer sind eine Gruppe von Medikamenten, die eine Verklumpung des Blutes verhindern, indem sie diesen „Gerinnungs-Prozess“ herabsetzen. Anhand der zwei verschiedenen Wirkmechanismen sind entsprechend zwei Fachbegriffe für Gerinnungshemmer gebräuchlich:

1) Antikoagulantien: Die Wirkung erfolgt an Proteinen im flüssigen Blutanteil (Blutplasma)

2) Thrombozytenaggregationshemmer: Die Wirkung erfolgt an der Oberfläche der Blutplättchen (Thrombozyten)

Die begriffliche Trennung der beiden Klassen lehnen manche Wissenschaftler ab und fassen die Thrombozytenaggregationshemmer nur als Untergruppe der Antikoagulantien auf. Sinnvoll ist dies deswegen, weil die resultierende Wirkung gleichgerichtet ist: Beide verhindern im Endeffekt die Bildung von Blutgerinseln („Thromben“) in den Gefäßen.

Volkstümlich ist daher auch von Blutverdünnern die Rede. Diese Bezeichnung ist zwar nicht ganz richtig, meint aber stets dasselbe wie der Begriff der Gerinnungshemmer.

Geschichte & Entwicklung

Die Geschichte der Gerinnungshemmer (Antikoagulanzien) begann mit der Erforschung der Blutgerinnung im 19. Jahrhundert. 1916 entdeckte der Mediziner Jay McLean bei Experimenten an Hunden eine Substanz mit blutverdünnender Wirkung – später als Heparin bekannt. Heparin wurde in den 1930er-Jahren weiterentwickelt und 1937 erstmals klinisch eingesetzt.

Ein weiterer Meilenstein war die Entdeckung der Cumarine in den 1920er-Jahren. Landwirte in den USA bemerkten, dass Rinder nach dem Verzehr von verdorbenem Süßklee innere Blutungen entwickelten. 1941 isolierte der Biochemiker Karl Paul Link den Wirkstoff Warfarin, der als Rattengift genutzt wurde. In den 1950er-Jahren erkannte man das medizinische Potenzial und Warfarin wurde als Medikament zur Schlaganfall- und Thromboseprävention zugelassen.

In den folgenden Jahrzehnten wurden niedermolekulare Heparine entwickelt, die eine gezieltere Wirkung und weniger Nebenwirkungen hatten. Der größte Fortschritt kam in den 2000er-Jahren mit der Einführung der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAKs), wie Dabigatran, Rivaroxaban und Apixaban. Diese Medikamente bieten eine konstantere Wirkung, weniger Wechselwirkungen und benötigen keine regelmäßigen Gerinnungskontrollen wie Warfarin.

Heute sind Gerinnungshemmer essenziell für die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Thrombosen und Vorhofflimmern und haben die Behandlung von Gerinnungsstörungen revolutioniert.

Anwendung, Wirkung & Gebrauch

Gerinnungshemmer kommen größtenteils in der Vorbeugung verschiedener Kreislauferkrankungen zum Einsatz. Die Medikation soll bei Risiko-Patienten die Bildung von Thromben und Embolien (Gefäßverschlüsse) vermeiden. Im Fokus stehen dabei Herzinfarkt und Schlaganfall sowie Lungenembolien.

Zur gefährdeten Gruppe gehören Menschen mit Arteriosklerose, weil die Gefäßablagerungen eine Blutgerinnung auslösen können. Eine zweite Indikation sind Herzrhythmusstörungen, besonders das Vorhofflimmern. Die Gerinnungsneigung resultiert bei diesem Krankheitsbild auf einem „Blutsee“ in den Vorkammern. Es kommt ohne die Einnahme von Antikoagulantien verstärkt zu Schlaganfällen.

Ferner ist Angina pectoris ein Anwendungsgebiet der Gerinnungshemmer, die auch im Anschluss an einem überstanden Myokardinfarkt gegeben werden müssen. Menschen mit einer genetisch bedingt erhöhten Gerinnungsneigung sollen ebenfalls Gerinnungshemmer einnehmen. Auch nach Operationen gehören Antikoagulantien zur Pflichtmedikation, wenn die Patienten längerer Zeit bettlägerig sind.

Heparine sind Antikoagulantien, die sogar zur Auflösung eines akuten Thrombus geeignet sind. Diese Medikamente sind eine wichtige Notfall-Intervention bei Herzinfarkt und anderen Embolien sowie Gefäßverengungen. Heparine können ausschließlich als Infusion verabreicht werden.

Die Blutgerinnung muss auch in Blutkonserven oder in Blutproben verhindert werden. Ferner erfordert die apparative Behandlung des Blutes Gegenmaßnahmen zur Thromben-Bildung. Dies betrifft die Blutwäsche (Dialyse) und den „extrakorporalen Kreislauf“ (Herz-Lungen-Maschine). Unverzichtbar ist auch hier der Einsatz der Gerinnungshemmer.

Pflanzliche, natürliche & pharmazeutische Gerinnungshemmer

Gerinnungshemmer setzen an verschiedenen Punkten des Gerinnungs-Prozesses an. Die Koagulation (Blutgerinnung) ist eine komplexe biochemische Kettenreaktion, an der mehrere Proteine sowie Vitamin K und Calcium beteiligt sind. Cumarine sind pflanzliche Wirkstoffe, die den Effekt des Vitamin K blockieren. Zu dieser Gruppe der Gerinnungshemmer zählt das bekannte Marcumar, dessen Vorbild ein Inhaltsstoff des Waldmeisters ist und in veränderter Form synthetisch produziert wird.

Andere Gerinnungshemmer binden Calcium und unterbrechen so die Kettenreaktion der Blutgerinnung. Dazu zählt beispielsweise Citrat (Salz der Zitronensäure), das in der Dialyse eingesetzt wird.

Einige Gerinnungshemmer sind Wirkstoffe aus dem tierischen Stoffwechsel. Hirudin wurde früher aus Blutegeln („Hirudo“) gewonnen, wird heute aber gentechnisch produziert. Das Protein applizieren Ärzte parenteral (Infusion), die Wirkung besteht in einer Blockade des Gerinnungsfaktors Thrombin. Auch Heparine kann der Darm nicht resorbieren, daher bleibt auch hier nur die Gabe durch eine Injektion oder Infusion.

Die zuckerähnlichen Substanzen gewinnen Pharmahersteller auch heute noch aus Schweinedärmen. Heparine blockieren verschiedene Gerinnungsfaktoren aus der Gruppe der Antithrombine. Weitere vollsynthetische Antikoagulantien beeinflussen andere Plasmafaktoren, die an der Blutgerinnung beteiligt sind.

Zu den Thrombozytenaggregationshemmern gehört Aspirin. Das Medikament verhindert die Verklebung der Thrombozyten und basiert aus einem Vorbild im Pflanzenreich. Salicin ist eine Substanz, die in der Weidenrinde vorkommt (Salix: lateinisch: „Weide“). Die synthetisch hergestellten Präparate enthalten Acetylsalicylsäure und sind ebenfalls Gerinnungshemmer.


Risiken & Nebenwirkungen

Gerinnungshemmer unterdrücken auch den physiologisch wichtigen Wundverschluss. Schon kleinste Verletzungen bergen daher das Risiko einer schwer stillbaren Blutung, besonders kritisch ist diese Wirkung bei Unfällen.

Wegen der Gefahr von Blutungen müssen Antikoagulantien vor Operationen abgesetzt werden. Hingegen können Überdosierungen zu inneren Blutungen führen. Cumarine haben eine schwach leberschädigende Wirkung, während Heparine die Bildung der Thrombozyten herabsetzen können.

Aspirin ist bei übermäßiger Anwendung für Magengeschwüre und sogar Magendurchbrüche verantwortlich. Auch Nieren- und Leberschäden sind eine mögliche Folge der Medikation. Seltene Nebenwirkungen sind im gesamten Spektrum der Antikoagulantien zahlreich vertreten und finden ihren Niederschlag in den Beipackzetteln der Gerinnungshemmer.

Anwendung & Sicherheit

Gerinnungshemmer (Antikoagulanzien) werden zur Vorbeugung und Behandlung von Blutgerinnseln (Thrombosen, Embolien, Schlaganfällen) eingesetzt. Die genaue Anwendung hängt vom Wirkstoff ab. Heparin wird meist als Spritze verabreicht, während Cumarine (z. B. Warfarin) und neue orale Antikoagulanzien (NOAKs) als Tabletten eingenommen werden. Die Dosierung wird individuell festgelegt, abhängig von Faktoren wie Alter, Gewicht, Begleiterkrankungen und Blutwerten.

Die Sicherheit spielt eine zentrale Rolle, da eine falsche Dosierung zu Blutungen oder Gerinnseln führen kann. Cumarine erfordern regelmäßige INR-Blutkontrollen, um die richtige Gerinnungshemmung zu gewährleisten. Die neuen Antikoagulanzien (NOAKs) haben eine stabilere Wirkung und benötigen meist keine regelmäßige Laborkontrolle, bergen aber dennoch ein Blutungsrisiko.

Die Herstellung unterliegt strengen Qualitätskontrollen. Pharmaunternehmen müssen sicherstellen, dass Wirkstoffgehalt, Reinheit und Bioverfügbarkeit konstant sind. Internationale GMP-Richtlinien (Good Manufacturing Practice) regeln die Produktion, um Verunreinigungen oder Wirkstoffschwankungen zu vermeiden. Chargenkontrollen und klinische Studien gewährleisten, dass Gerinnungshemmer sicher und effektiv bleiben.

Patienten sollten die Einnahme streng nach ärztlicher Anweisung durchführen und potenzielle Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten beachten, um Komplikationen zu vermeiden.

Alternativen

Neben klassischen Gerinnungshemmern (Antikoagulanzien) gibt es alternative Medikamente und Therapieformen zur Verhinderung von Blutgerinnseln. Die Wahl hängt von der individuellen Situation des Patienten ab, etwa der Art der Erkrankung oder dem Blutungsrisiko.

1. Thrombozytenaggregationshemmer als Alternative

Acetylsalicylsäure (ASS) und Clopidogrel verhindern, dass Blutplättchen (Thrombozyten) verklumpen. Diese Mittel werden häufig nach Herzinfarkten oder Schlaganfällen eingesetzt, sind jedoch weniger wirksam bei tiefer Venenthrombose oder Vorhofflimmern. Sie haben ein geringeres Blutungsrisiko als klassische Antikoagulanzien.

2. Mechanische Alternativen zur Gerinnungshemmung

Ein Vorhofohr-Verschluss kann bei Patienten mit Vorhofflimmern und hohem Blutungsrisiko eine Alternative sein. Dabei wird ein Implantat eingesetzt, um Gerinnselbildung im Herzen zu verhindern, wodurch blutverdünnende Medikamente oft nicht mehr notwendig sind.

3. Natürliche Mittel mit blutverdünnender Wirkung

Einige natürliche Substanzen wie Omega-3-Fettsäuren (Fischöl), Knoblauch oder Ingwer haben eine milde blutverdünnende Wirkung. Sie ersetzen jedoch keine medizinischen Gerinnungshemmer, können aber ergänzend wirken.

Vergleich mit Antikoagulanzien

Während Thrombozytenaggregationshemmer vor allem bei arteriellen Gefäßproblemen eingesetzt werden, sind Antikoagulanzien effektiver bei venösen Thrombosen und Vorhofflimmern. Mechanische Alternativen wie Implantate bieten eine Option für Patienten mit hohem Blutungsrisiko. Die Wahl der Therapie hängt von individuellen Risiken und Nutzen ab.

Forschung & Zukunft

Die Forschung zu Gerinnungshemmern konzentriert sich auf sichere, wirksamere und individualisierte Therapieansätze. Ein wichtiger Trend ist die Entwicklung neuer Wirkstoffe, die gezielt einzelne Gerinnungsfaktoren blockieren, um das Blutungsrisiko zu senken.

1. Faktor-XI-Inhibitoren – Gerinnungshemmung ohne erhöhtes Blutungsrisiko

Neue Medikamente wie Milvexian und Asundexian hemmen den Faktor XI, einen Gerinnungsfaktor, der für Thrombosen wichtig ist, aber nicht direkt für die Blutstillung benötigt wird. Erste Studien zeigen, dass diese Hemmung Thrombosen verhindern kann, ohne das Risiko für schwere Blutungen stark zu erhöhen.

2. Individualisierte Antikoagulation durch personalisierte Medizin

Mit neuen biomarkerbasierten Tests wird daran geforscht, individuelle Gerinnungsrisiken genauer zu bestimmen. Dies könnte helfen, die Dosierung von Gerinnungshemmern präziser auf den Patienten abzustimmen, um Nebenwirkungen zu minimieren.

3. Reversible Antikoagulanzien mit schneller Kontrolle

Es werden neue reversierbare Gerinnungshemmer entwickelt, die bei Notfällen oder Operationen schnell neutralisiert werden können. Bereits verfügbar ist Idarucizumab, das die Wirkung von Dabigatran sofort aufhebt. Weitere Antidote für andere NOAKs sind in Entwicklung.

Diese neuen Ansätze könnten die Behandlung von Thrombosen und anderen Gerinnungsstörungen sicherer und effektiver machen.

Quellen

  • "Goodman & Gilman's The Pharmacological Basis of Therapeutics" von Laurence Brunton, Randa Hilal-Dandan, und Bjorn Knollmann
  • "Rang & Dale's Pharmacology" von Humphrey P. Rang, Maureen M. Dale, James M. Ritter, und Rod J. Flower
  • "Basic and Clinical Pharmacology" von Bertram Katzung, Anthony Trevor

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