Potocki-Shaffer-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. November 2021Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Das Potocki-Shaffer-Syndrom ist ein skelettales Fehlbildungssyndrom, das sich durch Exostosen, oft Intelligenzminderung und kraniofasziale Auffälligkeiten auszeichnet. Die Ursache ist eine Deletion von Genen im Locus 11p11.2 auf Chromosom 11. Die Behandlung erfolgt rein symptomatisch supportiv und beschränkt sich auf Maßnahmen wie Frühförderung.
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Was ist das Potocki-Shaffer-Syndrom?
Monosomien sind Varianten der Genommutation, bei denen ein einziges Chromosom des diploiden Chromosomensatzes fehlt. Während fast alle Monosomien fetal letal sind, kann die Deletion von Autosomen ein lebensfähiges Individuum hervorbringen. Deletionen von Autosomen sind demnach von der Monosomie abzugrenzen, obgleich beide Fehler im Erbgut eng miteinander verwandt sind.
Das Potocki-Shaffer-Syndrom ist ein genetisches Syndrom, dem eine Chromosomenmutation mit einer Deletion mehrerer Nachbar-Gene zugrunde liegt. Das Syndrom hat verschiedene Veränderungen des Skelettsystems zur Folge und kommt eher selten vor. Die Häufigkeit wird auf weniger als einen Fall in 1.000.000 geschätzt. 23 Patienten wurden bis zum Jahr 2006 aus 14 verschiedenen Familien beschrieben.
Insgesamt wurden seit der Erstbeschreibung höchstens 100 Fälle dokumentiert. Die skelettale Störung wurde 1996 erstmals beschrieben. Als Erstbeschreiber gelten Potocki und Shaffer. Aufgrund der geringen Fallzahl hält sich die Forschungslage in Grenzen. Allerdings konnte die ursächliche Mutation trotz der geringen Fallzahl bereits nachgewiesen werden.
Ursachen
Das Syndrom wird durch die Deletion von benachbarten Genen des Gen-Abschnitts 11p11.2 auf Chromosom 11 hervorgerufen. In den meisten Fällen kommt es während der Bildung elterlicher Gameten oder Keimzellen zur Deletion. Seltener ereignet sich der Gen-Verlust in der frühen Fetalentwicklung des Embryos.
Die Deletion kann das Gen EXT2 betreffen, dessen Verlust Exostosen verursacht. EXT2 kodiert für das Protein exostosin-2, das innerhalb des Golgiapparats an das Protein exostosin-1 bindet und die Bildung von Heparansulfat beeinflusst. Auch eine Deletion von ALX4 kann das Syndrom hervorrufen. Dieses Gen kodiert für Transkriptionsfaktoren zur Entwicklung des Schädels, wobei der Verlust in eine vergrößerte Fontanelle mündet.
Außerdem kann eine PHF21A-Deletion vorliegen. PHF21A kodiert für BHC80, das am Corepressor-komplex BHC beteiligt ist und so die Genregulation für Nervenzellen vermittelt. Eine Beteiligung von weiteren Genen desselben Abschnitts ist nicht ausgeschlossen.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Das Potocki-Shaffer-Syndrom ist von unterschiedlichen Symptomen geprägt, deren Auftreten jeweils vom gelöschten Gen abhängen. In den meisten Fällen leiden die Patienten des Syndroms an zahlreichen Exostosen und einer Parietalforamina, also einer zusätzlichen Öffnung im Bereich des Scheitelbeins. Viele Betroffene besitzen vergrößerte Fontanellen.
Die vordere Fontanelle ist in den meisten Fällen betroffen. Im Einzelfall kann eine Intelligenzminderung vorliegen, die häufig mit einer Entwicklungsverzögerung einhergeht. Im kraniofazialen Bereich treten gelegentlich Anomalien auf, die Fehlbildungen des Gesichtsschädels entsprechen.
Zu diesen Fehlbildungen zählt zum Beispiel die Kurzköpfigkeit im Sinne einer Brachycephalie. Ebenso gut kann sich das Syndrom in einer ausgeprägten Stirn, einem schmalen Nasenrücken oder einem verkürzten Abstand zwischen Mund und Nase manifestieren. Letzteres Phänomen ist auch als schmales Philtrum bekannt. Im Einzelfall sind die beschriebenen Symptome mit herabhängenden Mundwinkeln vergesellschaftet. Sehstörung oder Nieren- und Harnorganfehlbildungen sind dokumentiert worden, kommen aber eher selten vor.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Die Diagnose des Potocki-Shaffer-Syndrom wird auf Basis von Anamnese und klinischem Bild anhand der Symptome gestellt. Der endgültige Nachweis einer genetischen Störung kann zytogenetisch durch Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung oder FISH-Test erfolgen. Auch molekulargenetische Nachweismöglichkeiten der ursächlichen Deletion stehen zur Verfügung.
In einigen Fällen wird den Eltern von betroffenen Kindern eine Untersuchung auf balancierte Translokationen empfohlen, die sie das Risiko für die Erkrankung von späteren Kindern abschätzen lassen soll. Die Prognose von Patienten mit Potocki-Shaffer-Syndrom hängt von den Symptomen und deren Umfang im Einzelfall ab.
Prognosebestimmend ist außerdem das Risiko für die maligne Entartung der Exostosen. Die Gefahr für eine bösartige Krebserkrankung gilt für die Patienten als erhöht. Nichtsdestotrotz kommt maligne Entartung im Kontext des Syndroms eher selten vor.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Das Potocki-Shaffer-Syndrom wird meist unmittelbar nach der Geburt diagnostiziert. Weitergehende Untersuchungen zeigen den Schweregrad des Gendefekts auf. Während der Behandlung sind regelmäßige Arztbesuche angezeigt. Das Kind muss unter anderem bei einem Fachart für genetische Erkrankungen vorstellig werden. Daneben müssen Ohrenärzte, Augenärzte und Orthopäden hinzugezogen werden, um die einzelnen Symptome der Ohren, der Augen und der Skelettmuskulatur zu behandeln. Sind in der Familie bereits Fälle des Potocki-Shaffer-Syndroms vorgekommen, sollte bei einer erneuten Schwangerschaft eine genetische Untersuchung stattfinden. Begleitend dazu empfiehlt sich eine genetische Beratung.
Die Eltern eines betroffenen Kindes sollten sich außerdem auf balancierte Translokationen untersuchen lassen, damit das Risiko einer Wiederholung bei späterem Nachwuchs abgeschätzt werden kann. Nachdem die größten Beschwerden behandelt wurden, können die Kinder ein relativ beschwerdefreies Leben führen. Dennoch sollte man regelmäßig zum Kinderarzt gehen, damit der Krankheitsverlauf überwacht werden kann. Sollten die Symptome stärker werden, empfiehlt sich ein Arztbesuch. In Einzelfällen kann es auch zu ernsten Komplikationen kommen, zum Beispiel bei Müdigkeitsattacken in Gefahrensituationen. Die Eltern sollten stets ein Mobiltelefon mitführen, damit bei einem Unfall umgehend der Notarzt gerufen werden kann.
Behandlung & Therapie
Eine ursächliche Therapie steht Patienten mit Potocki-Shaffer-Syndrom bislang nicht zur Verfügung. Das Syndrom ist die Folge einer genetischen Deletion. Aus diesem Grund könnten in Zukunft unter Umständen gentherapeutische Ansätze kausale Behandlungsmöglichkeiten bieten. Bislang befinden sich gentherapeutische Ansätze allerdings nicht in der klinischen Phase.
Da keine kausale Therapie für die Patienten des Syndroms zur Verfügung steht, konzentriert sich die Behandlung auf supportive Maßnahmen. Die systematische und regelmäßige Suche nach etwaigen Sehstörungen, so zum Beispiel Schielen oder Nystagmus, gilt als empfohlen. Außerdem wird den Patienten zu einer regelmäßigen Suche nach Hörstörungen geraten.
Darüber hinaus ist eine regelmäßige Kontrolle der Exostosen indiziert, um maligne Entartungen rechtzeitig zu erkennen und behandeln zu können. Falls ein Herzfehler oder anderweitige Organfehlbildungen vorliegen, kommen in der Regel invasive Verfahren zur Korrektur zum Einsatz, die im Einzelfall mit medikamentöser Nachbehandlung kombiniert werden können. Bei Intelligenzminderung oder Entwicklungsverzögerung wird den Patienten zu einer Frühförderung geraten.
Vorbeugung
Dem Potocki-Shaffer-Syndrom lässt sich bislang nicht vollständig vorbeugen. Genetische Beratung in der Phase der Familienplanung kann im weitesten Sinne als vorbeugender Schritt verstanden werden. Andere Prophylaxen stehen nicht zur Verfügung.
Nachsorge
Nach der Erstbehandlung des seltenen Potocki-Shaffer-Syndroms gibt es nur eine symptomatische Form der Nachsorge. Zudem sollten die Eltern von erkrankten Kindern hinsichtlich der Familienplanung eine genetische Beratung in Anspruch nehmen. Um den weiteren Fortschritt genau zu beobachten, sind ständige Kontrollen der Hör- und Sehleistung empfehlenswert. Des Weiteren raten Ärzte dazu, die Knochen regelmäßig untersuchen zu lassen.
Die Eltern sollten alle Kontroll-Termine einhalten, um rechtzeitig weitere Beschwerden zu erkennen. Typischerweise kommt es im Zusammenhang mit dieser Erkrankung zu psychischen Belastungen in der Familie. Daher sollten sich betroffene Familie an einen Psychotherapeuten wenden. In Deutschland gibt es keine Selbsthilfegruppen für dieses Syndrom, doch eine einfühlsame psychotherapeutische Behandlung ist eine wertvolle Unterstützung.
Im Rahmen der Nachbehandlung lohnt es sich außerdem, über eine Frühförderung der erkrankten Kinder nachzudenken. Diese hilft den Kindern und Eltern, den Alltag zu bewältigen. Abhängig vom Verkauf der Erkrankung können Organfunktionen beeinträchtigt werden. Genau darum ist es so wichtig, ständige ärztliche Kontrolltermine wahrzunehmen, um im Bedarfsfall frühzeitig reagieren zu können. Der liebevolle Umgang mit den erkrankten Kindern und der Zusammenhalt von Angehörigen und Freunden kann die Probleme lindern und wirkt sich positiv auf die Stimmung innerhalb der Familie aus.
Das können Sie selbst tun
Eine Heilung dieser extrem seltenen Erkrankung ist nicht möglich. Je nachdem, wie sich das Syndrom zeigt, werden ärztlicherseits jedoch symptomatische Behandlungen eingeleitet. Falls ein Herz- oder sonstiger Organfehler vorliegen sollte, werden die Ärzte zu den entsprechenden Operationen raten. Eltern von betroffenen Kindern können zudem für eine möglichst intensive Frühförderung sorgen.
Da die Erkrankung weiter fortschreiten kann, sind regelmäßige Kontrollen des Gehörs und der Sehleistung angeraten. Auch die Knochen der Betroffenen sollten immer wieder untersucht werden, um damit eventuelle Entartungen frühzeitig erkennen zu können. Falls die Eltern eines Kindes mit dem Potocki-Shaffer-Syndrom einen weiteren Kinderwunsch haben, ist eine gentechnische Untersuchung empfehlenswert, damit das Risiko abgeschätzt werden kann, ob auch das nächste Kind mit dem Syndrom zur Welt kommen wird.
Das Potocki-Shaffer-Syndrom kann sowohl für die Eltern als auch für die Betroffenen zu einer großen Belastung werden. In diesem Fall empfiehlt sich eine psychotherapeutische Behandlung. Auch eine Selbsthilfegruppe wäre empfehlenswert, doch weil die Erkrankung so selten ist, gibt es in Deutschland keine. Lediglich im Orpha Net, dem Portal für seltene Erkrankungen, gibt es ständig aktualisierte weitere Informationen (www.orpha.net), mit denen sich Betroffene und Interessierte stets auf dem neuesten Stand halten können.
Quellen
- Gortner, L., Meyer, S., Sitzmann, F.C.: Duale Reihe Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2012
- Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
- Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003