Seelentaubheit

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 24. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Seelentaubheit, auch Rindentaubheit genannt, ist die umgangssprachliche Bezeichnung für auditive Agnosie oder akustische Agnosie. Charakteristisch für diese Krankheit ist, dass die Betroffenen Geräusche oder gesprochene Worte zwar hören, aber nicht zuordnen beziehungsweise deren Sinn nicht erfassen können.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Seelentaubheit?

Der Umgang mit Menschen, die unter Seelentaubheit leiden, erfordert viel Geduld und Fingerspitzengefühl. Dazu gehören langsames, deutliches Sprechen, Blickkontakt und eventuell mehrmaliges Wiederholen des Gesagten.
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Unter Agnosie versteht man eine Störung des Erkennens. Die Verarbeitung von Wahrnehmungen ist gestört, obwohl die Sinnesorgane selbst vollkommen intakt sind. Die Schädigung betrifft das jeweilige Hirnareal, im Falle einer auditiven Agnosie das Hörzentrum. Je nach Ausprägung werden verschiedene Arten der Seelentaubheit unterschieden:

  • Wer unter verbaler auditiver Agnosie (Worttaubheit) leidet, kann gesprochene Worte nicht oder nur sehr schwer verstehen. Die Betroffenen nehmen Sprache nur als Geräusch wahr. Ihnen fehlt somit die Fähigkeit, den Sinn der Worte zu erfassen. Das eigene Sprachvermögen ist dabei nicht eingeschränkt.
  • Menschen mit Geräuschsagnosie können Alltags- oder Umweltgeräusche nicht zuordnen, wohingegen ihr Sprachverständnis unbeeinträchtigt ist. Sie können beispielsweise Motorgeräusche oder das Klirren eines Schlüsselbundes nicht mehr erkennen. Das gilt auch für die Richtung und die Entfernung, aus der die Geräusche kommen.
  • Die affektive auditive Agnosie betrifft die Wahrnehmung des Alters, Geschlechts oder der Befindlichkeit des Gesprächspartners. Lediglich der sachliche Inhalt einer Botschaft wird erfasst. Patienten, die von einer allgemeinen Seelentaubheit beziehungsweise generalisierten akustischen Agnosie betroffen sind, fehlt die Fähigkeit, Geräusche und gesprochene Worte zuzuordnen und zu verstehen, völlig.

Ursachen

Seelentaubheit kann entweder angeboren oder die Folge einer Schädelverletzung oder -erkrankung sein. Im Falle der angeborenen Seelentaubheit besteht die Gefahr einer Fehleinschätzung: Ein Kind, das von Geburt an unter akustischer Agnosie leidet, lernt nicht oder nur unzureichend sprechen, lesen und schreiben. Auch ist es oft nicht in der Lage, Anweisungen zu befolgen, weil es deren Sinn gar nicht versteht. Diese Einschränkungen führen möglicherweise dazu, dass das Kind als schwerhörig, taub oder gar geistig behindert eingestuft wird.

Bei älteren Kindern oder erwachsenen Personen kann es infolge eines Unfalls zu Einblutungen ins Gehirn kommen. Auch Bluthochdruck und Arteriosklerose können zu einem rupturierten Hirnaneurysma, das heißt zu einer geplatzten Gefäßerweiterung im Gehirn, führen. Weitere mögliche Ursachen sind eine Hirnhautentzündung, ein Schlaganfall, ein Hirntumor oder eine schwere psychische Erkrankung.

Die Schädigung des in den beiden hinteren Schläfenlappen liegenden, gerade mal daumennagelgroßen Hörcortex (= Hörzentrum) führt dazu, dass das Gehirn die dort ankommenden akustischen Reize nicht oder nur noch unzureichend interpretieren kann.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Sprachstörungen bei Kindern wie Stammeln, Poltern oder Stottern, aber auch Hyperaktivität, Kontaktarmut oder ein Aufmerksamkeitsdefizit können Anzeichen einer angeborenen auditiven Agnosie sein. Wenn ein Erwachsener, dessen Gehör und Reaktionsvermögen zuvor völlig normal war, plötzlich auf Ansprache oder Geräusche nicht mehr oder nicht mehr angemessen reagiert, deutet das auf eine Seelentaubheit hin.

Nahestehende Personen bemerken eventuell nach einem Unfall oder einer schweren Erkrankung des Gehirns eine Verhaltensänderung. Der Betroffene singt nicht mehr mit, wenn sein Lieblingslied im Radio zu hören ist. Er stellt möglicherweise selbst fest, dass er Musik plötzlich nicht mehr wahrnehmen kann. Er ist nicht mehr in der Lage, bekannte Personen anhand ihrer Stimme zu erkennen. Oder ihm ist die Fähigkeit, vom Klang der Stimme auf das Befinden seines Gegenübers zu schließen, abhanden gekommen.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Seelentaubheit lässt sich mit Hilfe eines Reintonaudiogramms beziehungsweise eines Sprachaudiogramms diagnostizieren. Beim Tonaudiogramm wird die Leitung des Schalls über das Außen- und Mittelohr zum Innenohr (= Luftleitung) sowie die Übertragung der Schallwellen über den Schädelknochen (= Knochenleitung) untersucht. Beim Sprachaudiogramm geht es darum, Wörter und Zahlen zu verstehen und das Gehörte wiederzugeben.

Komplikationen

Die Seelentaubheit kann verschiedene Komplikationen nach sich ziehen. Als Komplikationsauslöser gelten Läsionen im Gehirn, die irreparable Funktionsschädigungen auf mehreren Ebenen nach sich ziehen. Entscheidend für die Frage nach möglichen Komplikationen sind der Schweregrad und die Ursache der Schädigungen.

Häufig ist eine Störung der Motorik, ebenso eine Störung der Verarbeitung von Sinneseindrücken im Gehirn. Ein gestörter Gleichgewichtssinn kann schwere Stürze mit entsprechenden Verletzungen nach sich ziehen. Die Sehfähigkeit kann geschwächt oder nicht mehr vorhanden sein. Das lässt die anderen Symptome noch schwerwiegender erscheinen. Die Agnostiker können ohne Hilfe in der Gesellschaft nicht mehr zurechtkommen. Ihre intellektuellen Fähigkeiten sind aufgrund der Agnosie stark gemindert.

Eine weitere Komplikation liegt in möglichen Folgeschädigungen, die aufgund der Agnosie ausgelöst werden. Eine Autotopagnosie hindert viele Betroffene daran, körperliche Schmerzen oder Verletzungen zu lokalisieren, die sie sich zugezogen haben. Bereits bestehende Krankheitsbilder wie ein diabetischer Fuß können sich dadurch verschlimmern.

Ein zweiter Komplikationsfaktor der Seelentaubheit ist die emotionale Verfassung der Agnosie-Betroffenen. Ein von einer Agnosie betroffener Mensch erleidet schwere Behinderungen auf der geistigen oder körperlichen Ebene. Das kann zu Depressionen und selischen Stressbelastungen führen. Die meisten der genannten Komplikationen stellen bleibende Schäden dar, die bestenfalls in ihrer Auswirkung gemildert werden können.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Bei einer Seelentaubheit sollte in der Regel immer eine medizinische Behandlung durchgeführt werden, um weitere Komplikationen und Beschwerden zu verhindern. Dabei ist in erster Linie eine frühzeitige Diagnose mit einer frühen Behandlung notwendig, um weitere psychische Verstimmungen zu vermeiden. Daher sollte schon bei den ersten Beschwerden der Seelentaubheit ein Arzt aufgesucht werden.

Ein Arzt ist bei der Seelentaubheit dann aufzusuchen, wenn der Betroffene unter starken Schlafbeschwerden leidet oder wenn es zu Störungen der Aufmerksamkeit oder zu einem starken Stottern kommt. Dabei können auch Hörbeschwerden oder eine verlangsamte Reaktionsfähigkeit auf die Seelentaubheit hindeuten und sollten durch einen Arzt untersucht werden. Ebenfalls ist ein Arzt dann aufzusuchen, wenn der Betroffene bekannte Personen oder Stimmen nicht mehr richtig erkennen oder zuordnen kann.

Bei der Seelentaubheit kann der Hausarzt aufgesucht werden. Die Behandlung der Krankheit selbst wird in der Regel durch einen Psychologen durchgeführt. Dabei kann ein Verlauf der Krankheit nicht universell vorausgesagt werden.

Behandlung & Therapie

Der Umgang mit Menschen, die unter Seelentaubheit leiden, erfordert viel Geduld und Fingerspitzengefühl. Dazu gehören langsames, deutliches Sprechen, Blickkontakt und eventuell mehrmaliges Wiederholen des Gesagten. Bei angeborener auditiver Agnosie sollte das betroffene Kind möglichst frühzeitig Hör- und Sprachtraining erhalten. Empfohlen wird das Erlernen bestimmter Methoden des Gehörlosenunterrichts in einer Sprachheilschule, insbesondere das Lippenlablesen.

Hilfreich ist auch die Verknüpfung akustischer und visueller oder taktiler Reize, gleichzeitiges Hören und Sehen oder Ertasten also. Eine Verbindung mehrerer Sinnesreize ist einprägsamer als ein Reiz allein. Mit Musiktherapie, rhythmischen Übungen, Spiel- und Sporttherapie lassen sich ebenfalls beträchtliche Erfolge erzielen. Für Erwachsene, die zum Beispiel nach einem Schlaganfall unter einer akustischen Agnosie leiden, empfiehlt sich das Bespielen eines oder einer CD mit bekannten Geräuschen und der jeweiligen Bezeichnung. Diese soll sich der Betroffene häufig, aber immer nur für kurze Zeit anhören.

Zur Schulung des dichotischen Hörens hat die Firma AUDIVA den so genannten DichoTrainer entwickelt. Dabei handelt es sich um ein tragbares Gerät, das über einen Kopfhörer gleichzeitig oder zeitlich versetzt unterschiedliche Silben oder Lautfolgen abspielt. Der DichoTrainer ist für Patienten aller Altersstufen geeignet. Die Übungen lassen sich individuell auf die Hörbeeinträchtigung des Patienten abstimmen und ermöglichen eine schrittweise Steigerung der Anforderungen. Eine Übungseinheit dauert in der Regel vier Minuten. Die beste Methode zur Behandlung der Seelentaubheit ist eine Kombination aus eigenständigem Training und Logopädie.


Vorbeugung

Die akustische Agnosie ist, sofern nicht angeboren, eine Folgeerscheinung einer Verletzung oder Erkrankung des Gehirns. Wichtig ist es also, die Risikofaktoren durch eine gesunde Ernährung, ausreichende Bewegung, die rechtzeitige Behandlung eines erhöhten Blutdrucks und den Verzicht auf Nikotin und Alkohol zu minimieren.

Nachsorge

In der Regel sind die Möglichkeiten und die Maßnahmen der direkten Nachsorge bei der Seelentaubheit deutlich eingeschränkt und stehen dem Betroffenen oftmals gar nicht zur Verfügung. Dabei sollte schon sehr früh eine Untersuchung und auch eine Behandlung eingeleitet werden, damit das Auftreten von anderen Beschwerden und Komplikationen verhindert werden kann.

Eine Selbstheilung kann sich bei der Seelentaubheit in der Regel nicht einstellen, sodass der Betroffene bei dieser Erkrankung immer auf eine medizinische Behandlung angewiesen ist. Eine direkte Therapie der Seelentaubheit ist dabei auch nicht immer möglich, sodass viele der Betroffenen in ihrem Alltag auf die Hilfe und auf die Unterstützung der eigenen Familie angewiesen sind, um die Beschwerden einzuschränken.

Dabei ist häufig auch eine psychologische Unterstützung sehr sinnvoll. Weiterhin können verschiedene Übungen die Beweglichkeit der Betroffenen erhöhen und damit auch die Lebensqualität fördern. Nicht selten ist bei der Seelentaubheit auch der Kontakt zu anderen Erkrankten sehr wichtig, da es dabei zu einem Austausch an Informationen kommen kann, welcher den Alltag des Patienten erleichtern kann. Der weitere Verlauf kann allerdings nicht im Allgemeinen vorhergesagt werden, wobei die Krankheit die Lebenserwartung des Patienten in der Regel nicht verringert.

Das können Sie selbst tun

Diese Form der Wahrnehmungsstörung muss sehr ernst genommen werden, da sie zu schwerwiegenden Folgeschädigungen und -erkrankungen führen kann. Daher liegt das Hauptaugenmerk bei der Selbsthilfe darin, eine Depression zu verhindern und Ressourcen zu mobilisieren, damit der betroffene Patient lernen kann, mit seiner Seelentaubheit umzugehen. Eine psychotherapeutische Therapie, die eventuell auch die Angehörigen einschließt, ist daher dringend anzuraten.

Zudem empfehlen sich weitere Maßnahmen, die eine Depression verhindern können, wie beispielsweise Sport oder auch eine individuelle Sporttherapie. Auch Bewegung in der frischen Luft fördert den mentalen Ausgleich. Zudem verschaffen Sport und Bewegung stimulierende Sinneseindrücke. Auch ein gesunder Lebensstil kann eine krankheitsbedingte Depression verhindern und stabilisiert Gemüt und Körper. Dazu gehört ein geregelter Schlaf-/Wachrhythmus und der Verzicht auf Nikotin, Alkohol und andere Gifte. Eine gesunde Ernährung mit frisch zubereiteten Lebensmitteln aus Obst, Gemüse und vollwertigen Produkten unterstützt den Heilungsprozess. Fast Food, ungesunde Fette und Zuckerwaren sollten durch selbst gekochte Mahlzeiten mit naturbelassenen Lebensmitteln ersetzt werden.

An Seelentaubheit erkrankte Patienten, insbesondere Kinder, werden im Allgemeinen auch von einem Logopäden behandelt, der mit ihnen Hör- und Sprechtrainings durchführt. Die dort durchgeführten Übungen sollten zu Hause häufig, aber jeweils nur kurz wiederholt werden, damit sich ein langfristiger Therapieerfolg einstellen kann.

Quellen

  • Gleixner, C., Müller, M., Wirth, S.: Neurologie und Psychiatrie. Für Studium und Praxis 2015/16. Medizinische Verlags- und Informationsdienste, Breisach 2015
  • Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013

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