Tuberositas-tibiae-Avulsion

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 13. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Bei einer Tuberositas-tibiae-Avulsion, die vor allem Kinder und Jugendliche betrifft, handelt es sich um einen teilweisen oder kompletten Abriss der Schienbeinbeule. Ist auch die Gelenkfläche betroffen, handelt es sich um eine Mitbeteiligung der Gelenkfläche. Dann ist von einer Abrissfraktur die Rede.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Tuberositas-tibiae-Avulsion ?

Beim Menschen sind spontane oder dauerhafte sportliche Aktivitäten die häufigste Ursache. Das Gelenk ist der Belastung nicht oder nicht mehr gewachsen, es kommt zu einer Überlastung und schließlich zu einem Gelenkschaden.
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Bei dieser Diagnose handelt es sich, bezogen auf Kinder und Jugendliche um einen totalen oder teilweisen Abriss der Schienbeinbeule, lat. Tuberositas tibiae, im Zusammenhang mit einem aktuellen sportlichen oder Gelenk belastenden Erlebnis. Ist die Gelenkfläche mit beteiligt, ist die Rede von einer Abrissfraktur.

Die Begriffsendung „Avulsion“ steht für einen gewaltsamen Abriss. Bei jungen Haushunden wird der Begriff gleichbedeutend mit “Apophysennekrose der Tiberositas tibiae“ in Bezug auf eine aseptische Erkrankung des betroffenen Knochens verwendet. Die Bildung einer Nekrose und folgend eine Ablösung der Schienbeinbeule ist zu beobachten, die als Tuberositas-tibiae-Avulsion bezeichnet wird.

Es besteht eine Ähnlichkeit zu Morbus Osgood-Schlatter beim Menschen. Auch wenn die Bezeichnung identisch ist, sollte sie wegen einiger Unterschiede auf den Hund bezogen vermieden werden.

Ursachen

Beim Menschen sind spontane oder dauerhafte sportliche Aktivitäten die häufigste Ursache. Das Gelenk ist der Belastung nicht oder nicht mehr gewachsen, es kommt zu einer Überlastung und schließlich zu einem Gelenkschaden. Auch eine bestehende Gelenkarthrose kann als auslösendes Symptom verantwortlich sein.

Das Gleiche gilt für bestehende Stoffwechselerkrankungen wie Gicht und Arthrose. Auch Diabetes mellitus und chronische Entzündungen wie eine Polyarthritis sind als Auslöser bekannt. Bestimmte Sportarten wie Volley- und Basketball aber auch Tennis und Badminton belasten den gesamten Gelenk- und Muskelmechanismus.

Dies gilt auch für Gewichtheben, Fußball, Rennradfahren, Gewichtheben und Bodybuilding. Als extrinsich (von außen) auftretender Faktor ist allen voran eine hohe Sprungfrequenz verantwortlich. Es folgen heftige und ungewohnte Belastungen. Ein zu harter Trainingsboden fördert die Verletzungsgefahr.

Zu den intrinsischen (von innen) Verletzungsfaktoren gehört das Alter. So nehmen statistisch gesehen die Symptome ab dem 15. Lebensjahr zu. Besteht eine Beinlängendifferenz, ist das kürzere Bein weniger betroffen als das längere.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Schmerzen sind belastungsabhängig aber treten nicht nur beim Laufen (Lauftraining) auf. Eigentlich kann jede Bewegung, die eine starke bis sehr starke Spannung auf die Oberschenkelmuskulatur ausübt, für weitere Schmerzen von leicht bis sehr stark verantwortlich sein.

Im Anfangsstadium treten die Schmerzen am Anfang und am Ende einer Belastung auf. Schreitet die Verletzung weiter fort, besteht der Schmerz konstant. Und zwar nicht nur bei sportlicher Belastung, sondern auch bei alltäglichen Abläufen wie Treppensteigen, Autofahren oder dem Aufrichten nach längerem Sitzen.

Maßgeblich für die Intensität des Schmerzes ist auch, in welchem Winkel das Gelenk sich befindet. Nicht selten wird eine chronische Entwicklung beobachtet. Belastungsspitzen mit stärkeren bis starken Schmerzen wechseln sich dann häufig mit beschwerdefreien Zeiten ab. Schmerzhaft ist auch eine aktive Extension gegen Widerstand. Nur in 20 bis 30 Prozent tritt eine beidseitige Verletzung dieser Art auf.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Eine Sonografie (Ultraschall), ein MRT (Magnetresonanztomographie) oder eine Projektionsradiographie geben Aufschluss über den Ist-Zustand des betroffenen Gelenks. Durchaus typisch ist, dass keine komplette Ablösung des Schienbeinbeutels auftritt.

Knöcherne Fragmente treten im Gegensatz zum Morbus Osgood-Schlatter nicht im Ansatz des Kniescheibenbandes auf. Drei Typen lassen sich lt. Pfeil et al klassifizieren:

  • Der Typ I zeigt eine Verlagerung der Schienbeinbeule von weniger als 2 mm. Hinzu kommt eine minimalisierte Apophysenfläche.
  • Bei Typ II zeigt die Apophysenfraktur eine Verlagerung von mehr als 2 mm.
  • Besteht Typ III ist die Apophyse bereits weit verlagert und es besteht ein Hochstand der Kniescheibe. Hinzu kommt eine Stufenbildung im Kniegelenk.

Die Klassifizierungen für die drei Typen lt. Watson-Jones lauten: Typ I stellt einen Ausriss der Apophysis dar, jedoch ohne Schädigung der Tibiaepiphyse. Bei Typ II ist die Epiphyse cephalad angehoben und unvollständig. Bei Typ III zeigt sich, dass die proximale Basis der Epiphyse mit der Bruchlinie in das Gelenk verschoben ist.

Komplikationen

Die Tuberositas-tibiae-Avulsion führt beim Betroffenen in erster Linie zu sehr starken Schmerzen. Diese Schmerzen treten dabei vor allem beim Laufen oder beim Gehen auf, können sich allerdings auch in Form von Ruheschmerzen zeigen. Dabei kommt es auch zu Schlafbeschwerden und möglicherweise zu einer Gereiztheit beim Betroffenen.

Häufig breiten sich die Schmerzen durch die Tuberositas-tibiae-Avulsion auch in die benachbarten Regionen aus. Körperliche Tätigkeiten oder sportliche Betätigungen sind für den Patienten damit nicht mehr ohne Weiteres möglich. Auch werden die Gelenke des Patienten durch die Beschwerde nachhaltig geschädigt, sodass es zu Einschränkungen in der Bewegung kommen kann. Sollte die Tuberositas-tibiae-Avulsion schon bei einem Kind auftreten, so führt die Erkrankung zu einer deutlich verzögerten Entwicklung und damit auch zu Störungen und Beschwerden im Erwachsenenalter des Patienten.

Die Behandlung der Tuberositas-tibiae-Avulsion ist nicht mit Komplikationen verbunden und kann in der Regel mit Hilfe von Medikamenten stattfinden. Die Beschwerden erwerben dadurch gelindert, allerdings sind die Betroffenen auf eine langfristige Einnahme dieser Medikamente angewiesen. Auch verschiedene Übungen können sich dabei positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken. Die Tuberositas-tibiae-Avulsion wirkt sich in der Regel nicht negativ auf die Lebenserwartung des Patienten aus und verringert diese nicht.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Da es bei der Tuberositas-tibiae-Avulsion nicht zu einer Selbstheilung kommen kann, muss der Betroffene einen Arzt aufsuchen, damit es nicht zu einer weiteren Verschlechterung und auch nicht zu weiteren Komplikationen kommt. Je früher ein Arzt aufgesucht wird, desto besser ist meistens auch der weitere Verlauf der Erkrankung. Ein Arzt ist bei der Tuberositas-tibiae-Avulsion dann aufzusuchen, wenn der Betroffene an den Oberschenkeln an leichten Schmerzen leidet.

Diese Schmerzen treten dabei einen erkennbaren Grund auf und verschwinden in der Regel auch nicht alleine wieder. Sie können auch in Form von Ruheschmerzen auftreten und sich daher auch negativ auf den Schlaf des Patienten auswirken. Die Schmerzen können bei einer höheren Belastung auch stärker werden. Die Krankheit kann durch einen Allgemeinarzt erkannt werden. Die weitere Behandlung erfolgt dann meist durch einen Facharzt. In der Regel kommt es dadurch nicht zu einer Verringerung der Lebenserwartung, wobei der weitere Verlauf der Krankheit selbst stark von der genauen Ausprägung der Tuberositas-tibiae-Avulsion abhängt.

Behandlung & Therapie

Typ I ermöglicht zunächst eine konservative Behandlung in Form von Ruhigstellung und Kühlung mit Eis, Eisspray sowie entzündungshemmende Salben und Medikamenten. Auch stabilisierende Kniebandagen und Injektionsbehandlungen ohne Cortison (das würde eine Rissgefahr der Sehne herbeiführen) können sich anschließen. Ein Kinesiotape führt häufig zu einer effektiven Entlastung. Ist die Sehne komplett abgerissen, wird eine Operation unumgänglich.

Ist die Krankheit bereits weiter fortgeschritten und hat Typ II oder sogar Typ III erreicht, ist eine osteosynthetische Versorgung erforderlich Krankengymnastische Übungen für eine Optimierung der Dehnfähigkeit der hüftbeugenden und eine Kräftigung der hüftstreckenden Muskulatur sind wichtig.

Bewegung in Form von zügigem Gehen oder in gemäßigtem Laufschritt ist für einen langfristigen Besserungsverlauf anzuraten. Lange Distanzen, steile Anstiege und abschüssige Strecken sollten nur mit äußerster Vorsicht bewältigt werden, weil diese das erkrankte Gelenk zu sehr belasten. Bewegung im Wasser hingegen ist besonders geeignet.


Vorbeugung

Zu vermeiden sind eine Überpronation und eine negative Hüftstreckung. Schuhe mit einem Pronationsschutz sind zu empfehlen. Anfänger sollten unter sporttherapeutischer Anleitung das „richtige Laufen“ langsam erlernen und step by step optimieren.

Auch sollten Gelenke genau wie die gesamte Muskulatur nicht ohne Aufwärmphase trainiert werden. Beim Training im Freien an kalten Tagen können wärmende Salben und eine schützende Kleidung vor Verletzungen schützen, weil sie vor Unterkühlung schützen.

Nachsorge

Nach der erfolgreichen Behandlung einer Tuberositas-tibiae-Avulsion ist eine gute und umfassende Nachsorgebehandlung wichtig, damit keine Langzeitfolgen entstehen. Ziel dabei sollte es sein, einerseits die erneute Entstehung einer Tuberositas-tibiae-Avulsion zu verhindern und andererseits die vollständige Beweglichkeit von Kniegelenk und Bein dauerhaft wieder herzustellen. Um letzteres zu erreichen, muss an die Therapie der Tuberositas-tibiae-Avulsion eine intensive Krankengymnastik anschließen, bei der Kniegelenk und Bein langsam wieder gestärkt und zu normaler Belastbarkeit und Beweglichkeit zurückgeführt werden.

Bis diese krankengymnastische Behandlung abgeschlossen ist, sollte weitgehend auf Sport verzichtet werden, um das betroffene Bein beziehungsweise die betroffenen Beine nicht übermäßig zu belasten. Zur Verhinderung der erneuten Entstehung einer Tuberositas-tibiae-Avulsion sollten zusätzlich regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Orthopäden erfolgen. Hierzu kommen neben einer äußerlichen Untersuchung auch bildgebende Verfahren (Röntgen) zum Einsatz. Gegebenenfalls kann der Orthopäde, insbesondere für das (noch) nicht betroffene Bein, zusätzlich Kniebandagen für den Sport verschreiben, die das Kniegelenk stabilisieren und entlasten und so die erneute Entstehung der Symptome einer Tuberositas-tibiae-Avulsion verhindern.

Das können Sie selbst tun

Typ I der Tuberositas-tibiae-Avulsion kann durch eine konservative Therapie mit Kühlung und Ruhigstellung behandelt werden. Die Patienten müssen außerdem entzündungshemmende Medikamente einnehmen. Geeignete Selbsthilfe-Maßnahmen sind Kühlung, Schonung und gegebenenfalls der Einsatz natürlicher Schmerzmittel und Entzündungshemmer.

Aufgrund der Bewegungseinschränkungen wird eine Gehhilfe benötigt. In schweren Fällen muss ein Rollstuhl verwendet werden. Der Patient sollte zudem im Alltag unterstützt werden. Körperliche Aktivitäten, insbesondere solche, die die unteren Gliedmaßen involvieren, müssen vermieden werden. Der Arzt wird zudem eine umfassende Krankengymnastik empfehlen. Der Heilungsprozess kann durch sanfte Massagen, warme Bäder und unter Umständen auch durch alternative Praktiken aus der Chinesischen Medizin unterstützt werden. Auch hier muss der Arzt sein Einverständnis geben, da unter Umständen Komplikationen auftreten können.

Bei schweren Krankheitsbildern ist eine osteosynthetische Versorgung vonnöten. Patienten sollten sich frühzeitig mit einem Facharzt in Verbindung setzen, insbesondere wenn starke Schmerzen oder Bewegungseinschränkungen auftreten. Mit der sportlichen Aktivität darf nach Abschluss der Behandlung wieder begonnen werden. Die genauen Schritte gilt es mit dem Facharzt und einem Physiotherapeuten zu besprechen. Weitere Selbsthilfe-Maßnahmen sind bei der Tuberositas-tibiae-Avulsion in der Regel nicht anzuwenden.

Quellen

  • Engelhardt, M. (Hrsg.): Sportverletzungen – Diagnose, Management und Begleitmaßnahmen. Urban & Fischer, München 2009
  • Koletzko, B.: Kinder- und Jugendmedizin. Springer Medizin Verlag, Berlin 2007
  • Niethardt, F.U.: Kinderorthopädie. Thieme, Stuttgart 2009

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