Ziehen-Oppenheim-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. November 2021Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Beim Ziehen-Oppenheim-Syndrom handelt es sich um eine Dystonie, die generalisiert in Erscheinung tritt. Somit geht die Erkrankung mit Störungen der Bewegungsfähigkeit einher. Betroffen ist dabei in erster Linie die hyperkinetische Bewegung. Das Ziehen-Oppenheim-Syndrom kommt mit sehr geringer Häufigkeit vor. Die Krankheit wird mit den synonymen Begriffen Schwalbe-Ziehen-Oppenheim-Syndrom oder Dystonia musculorum deformans bezeichnet.
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Was ist das Ziehen-Oppenheim-Syndrom?
Prinzipiell stellt das Ziehen-Oppenheim-Syndrom eine selten auftretende Erkrankung dar. Im Rahmen der Krankheit entwickelt sich eine sogenannte Torsionsdystonie. Das Ziehen-Oppenheim-Syndrom beginnt in der Regel in der Phase der Kindheit oder während der Pubertät.
Dabei handelt es sich grundsätzlich um eine idiopathische und primäre Erkrankung. Das bedeutet, dass keine Grunderkrankungen vorliegen oder bekannt sind. Die Krankheit wurde zum ersten Mal im Jahr 1911 von Oppenheim beschrieben. Von ihm leitet sich der gängige Name der Erkrankung ab.
Die Häufigkeit des Ziehen-Oppenheim-Syndroms bewegt sich im europäischen Raum zwischen 1:100000 sowie 1:300000. Bedingt durch eine sogenannte Founder-Mutation vor mehreren hundert Jahren kommt das Ziehen-Oppenheim-Syndrom bei bestimmten ethnischen Gruppen häufiger vor als bei anderen, zum Beispiel bei den Aschkenasim-Juden.
Ursachen
Dabei beträgt die Penetranz zwischen 30 und 40 Prozent. Das betroffene Gen ist für die Kodierung eines speziellen Proteins zuständig. Bei diesem Eiweiß handelt es sich um Torsin A, das sich in sämtlichen Neuronen des zentralen Nervensystems findet. Dabei fungiert Torsin A in erster Linie als sogenanntes Chaperon.
Hierbei handelt es sich um besondere Eiweiße, die für die Zuweisung neu gebildeter Proteine verantwortlich sind. Darüber hinaus steht Torsin A in Verbindung mit dem Transport des neurologischen Botenstoffes Dopamin.
Im Rahmen von Dystonien, also auch dem Ziehen-Oppenheim-Syndrom, liegen Störungen der unwillkürlichen und zu einem gewissen Teil auch willkürlichen Motorik vor. Dabei sind vor allem die Basalganglien von den Schäden betroffen. Auch die im Zusammenhang mit Dopamin stehenden Prozesse sind gestört. Die Störungen der Bewegung sind in erster Linie hyperkinetischer Art.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Wenn eine Person am Ziehen-Oppenheim-Syndrom leidet, treten unterschiedliche Symptome in Erscheinung. Typisch sind Störungen der Motorik beziehungsweise Hyperkinese. Dabei kontrahieren die Muskeln unwillkürlich und oftmals immer wieder auf die gleiche Weise. Von diesen Kontraktionen sind verschiedene Abschnitte des Körpers betroffen.
Außerdem sind Kontrakturen der Muskulatur in unterschiedlichen Gegenden des Körpers zur gleichen Zeit möglich. Die Kontraktionen wiederholen sich in der Regel. In der Folge bewegen sich die betroffenen Personen auffällig. Mitunter kommt es zu Verdrehungen des Körpers oder ungewöhnlichen Haltungen. In zahlreichen Fällen nimmt das Ziehen-Oppenheim-Syndrom bereits im Kindesalter seinen Anfang.
Die ersten Beschwerden zeigen sich oft in den Gliedmaßen. Im Verlauf von circa fünf Jahren generalisieren sich die Symptome des Ziehen-Oppenheim-Syndroms bei den meisten Patienten. Die Motorik wird grundsätzlich aktiver (medizinischer Fachbegriff "Aktionsdystonie"). Dies zeigt sich insbesondere in angespannten Situationen, in denen die betroffenen Personen physischem oder psychischem Druck ausgesetzt sind.
Im Rahmen des Ziehen-Oppenheim-Syndroms sind zum Beispiel eine Flexion der Hand, Verdrehungen der Wirbelsäule und ein Dromedar-Gang möglich. Am Ziehen-Oppenheim-Syndrom erkrankte Patienten sind hinsichtlich ihrer kognitiven Fähigkeiten nicht beeinträchtigt.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Bei typischen Anzeichen des Ziehen-Oppenheim-Syndroms ist umgehend ein geeigneter Facharzt aufzusuchen, der dem Patienten bei der Stellung der Diagnose behilflich ist. Das erste Element auf dem Weg bildet in der Regel die Anamnese. Dabei schildert die betroffene Person dem Arzt all ihre Beschwerden sowie kennzeichnende Merkmale ihrer Lebensweise.
Im Hinblick auf die Tatsache, dass es sich beim Ziehen-Oppenheim-Syndrom um eine Erbkrankheit handelt, kommt der Familienanamnese eine wichtige Bedeutung zu. Nach der Durchführung der Anamnese kommen klinische Untersuchungen zum Einsatz. Der Arzt beobachtet die Bewegungsabläufe und eventuelle Kontraktionen der Muskulatur.
Darüber hinaus werden oftmals eine Kernspintomographie und eine Positronen-Emissions-Tomographie durchgeführt. Dabei zeigen sich typische Abweichungen der Verwendung von Glukose. Wichtig zur Diagnose des Ziehen-Oppenheim-Syndroms ist zudem eine EEG-Untersuchung.
Standardmäßig kommen Blutanalysen und Urinproben zum Einsatz. Auch eine gründliche Differentialdiagnose ist durchzuführen. Dabei sind insbesondere diverse Erkrankungen des Stoffwechsels zu beachten, zum Beispiel Morbus Wilson sowie weitere Arten der Dystonie.
Komplikationen
In den meisten Fällen wirkt sich das Ziehen-Oppenheim-Syndrom negativ auf die Motorik des Betroffenen aus. Die meisten Patienten leiden dabei an motorischen und an kognitiven Störungen und damit an deutlichen Einschränkungen im Alltag. Auch die Lebensqualität des Patienten wird durch das Syndrom deutlich eingeschränkt und verringert, sodass es immer wieder zu unwillkürlichen Kontaktionen an verschiedenen Regionen des Körpers kommt.
In der Regel wiederholen sich die Kontraktionen dabei, sodass der Betroffene auch seinem Alltag und seiner Arbeit nicht mehr wie gewohnt nachgehen kann. In vielen Fällen sind die Patienten damit auf die Hilfe anderer Menschen in ihrem Alltag angewiesen und können den Alltag nicht mehr ohne Weiteres alleine meistern. Eine Selbstheilung tritt bei dieser Erkrankung nicht auf.
Auch verschiedene psychische Beschwerden können aufgrund des Ziehen-Oppenheim-Syndroms eintreten, wobei auch die Eltern oder die Angehörigen des Patienten an Depressionen leiden können. Die Behandlung des Ziehen-Oppenheim-Syndroms erfolgt in der Regel mit Hilfe von Medikamenten. Diese können mit verschiedenen Nebenwirkungen verbunden sein.
Auch verschiedene Therapien sind bei diesem Syndrom notwendig, damit die Erkrankung vollständig eingeschränkt werden kann. In der Regel wird die Lebenserwartung des Patienten durch die Krankheit nicht negativ verringert oder eingeschränkt.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Das selten auftretende Ziehen-Oppenheim-Syndrom ist eine generalisierte Erkrankung. Diese ist auch als Dystonia musculorum deformans bekannt. Problematisch ist, dass die Krankheitsursache bisher nicht bekannt ist. Die Erkrankung ist jedoch erblich.
Die ersten Symptome der Dystonia musculorum deformans treten bereits im Kindesalter oder bei Jugendlichen auf. Bei unklaren motorischen Störungen oder auffallenden hyperkinetischen Bewegungsmustern mit immer gleichen Muskelkontraktionen ist ein Arzt zu konsultieren. Es könnte sich um das Ziehen-Oppenheim-Syndrom handeln.
Etwa fünf Jahre nach den ersten Symptomen treten verstärkte Muskelkontraktionen auf. Insbesondere unter Belastungen oder Stress verstärken sich diese. Die kognitiven Fähigkeiten werden vom Ziehen-Oppenheim-Syndrom jedoch oftmals nicht beeinträchtigt. Leider können heutzutage lediglich die Symptome des Ziehen-Oppenheim-Syndroms etwas gelindert werden.
Mittels EEG- und diverser anderer Untersuchungen wird die Ursache der unkontrolliert auftretenden Bewegungsmuster verifiziert. Interessant ist bei der Anamnese auch die familiengeschichtliche Erörterung. Wichtig ist es, andere Erkrankungen als Ursache der unwillkürlichen Muskelkontraktionen auszuschließen.
Da die Lebensqualität durch die Erkrankung erheblich eingeschränkt sein kann, können Depressionen oder die Unmöglichkeit eines uneingeschränkten Arbeitslebens als Folge nicht ausgeschlossen werden. Auch deshalb ist es wichtig, den Betroffenen Klarheit über ihre Erkrankung zu geben.
Mit einer fachübergreifenden Kombination verschiedener medizinischer Anwendungen kann die Lebensqualität der Betroffenen verbessert werden. Physiotherapie und Psychotherapie können ergänzend hinzugenommen werden.
Behandlung & Therapie
Das Ziehen-Oppenheim-Syndrom lässt sich nicht ursächlich therapieren, da die Krankheit genetisch bedingt ist. Stattdessen steht die Behandlung der Symptome im Vordergrund. Dabei kommen vor allem verschiedene Arzneimittel zur Anwendung, um die Beschwerden zu lindern und die Lebensqualität zu erhöhen. Möglich sind zum Beispiel Injektionen von Botulinum-Toxin, um die Muskulatur lokal zu lähmen.
Generell werden auch Benzodiazepine oder Anticholinergika eingesetzt. Mitunter wird eine sogenannte Tiefenhirnstimulation angewendet. Darüber hinaus spielt die Physiotherapie eine wichtige Rolle. Unter Umständen sind auch eine Psychotherapie und logopädische Behandlung angezeigt. Prinzipiell ermöglichen es moderne Therapieverfahren, mit dem Ziehen-Oppenheim-Syndrom eine relativ hohe Lebensqualität aufrechtzuerhalten.
Vorbeugung
Dem Ziehen-Oppenheim-Syndrom ist nicht vorzubeugen, da es sich um eine Erbkrankheit handelt. Umso wichtiger sind individuell abgestimmte Therapieverfahren.
Nachsorge
Dem Betroffenen stehen beim Ziehen-Oppenheim-Syndrom in den meisten Fällen nur eingeschränkte und auch nur wenige Maßnahmen einer direkten Nachsorge zur Verfügung, sodass Betroffene idealerweise schon bei den ersten Anzeichen und Symptomen dieser Krankheit einen Arzt aufsuchen sollten.
Dabei sollte auch bei einem Kinderwunsch zuerst eine genetische Untersuchung und Beratung erfolgen, um ein erneutes Auftreten des Ziehen-Oppenheim-Syndroms abwenden zu können. Eine vollständige Heilung der Krankheit kann dabei nicht erreicht werden, da es sich dabei um eine genetisch bedingte Erkrankung handelt. Bei der Behandlung des Ziehen-Oppenheim-Syndroms sind die meisten Betroffenen auf die Maßnahmen einer Krankengymnastik und einer Physiotherapie angewiesen, um die Beschwerden zu lindern.
Dabei können die Übungen teilweise im eigenen Zuhause wiederholt werden, wodurch die Heilung beschleunigt wird. Weiterhin ist nicht selten auch die Einnahme von verschiedenen Medikamenten notwendig. Dabei sollte der Betroffene immer auf eine richtige Dosierung und auch auf eine regelmäßige Einnahme achten. In den meisten Fällen verringert das Syndrom nicht die Lebenserwartung des Betroffenen, wobei eine allgemeine Voraussage nicht getätigt werden kann.
Das können Sie selbst tun
In den meisten Fällen sind die Betroffenen des Ziehen-Oppenheim-Syndroms in ihrem Alltag mit teilweise erheblichen Einschränkungen konfrontiert. Ihre Lebensqualität ist durch die Erkrankung deutlich vermindert. Es kommt häufig zu unwillkürlichen Kontraktionen verschiedener Körperregionen. Neben den motorischen Störungen treten bei vielen Betroffenen zudem kognitive Einschränkungen auf, die das alltägliche Leben ebenfalls erschweren können.
Einige Patienten können dennoch einem geregelten Berufsleben oder einem schulischen Alltag nachgehen. Sie sind allerdings immer auf Hilfe angewiesen. In vielen Fällen ist es notwendig, dass Eltern oder Angehörige den Erkrankten unterstützen. Durch die medikamentöse Behandlung des Ziehen-Oppenheim-Syndroms kann es zu verschiedenen Nebenwirkungen kommen. Grundsätzlich kann jedoch ein gesunder Lebensstil bei der Bewältigung derartiger Beschwerden helfen. Die Basis dabei bildet eine ausgewogene Ernährung. Leichte Bewegung wirkt sich ebenfalls positiv auf das Wohlbefinden der Erkrankten aus. Die Betroffenen sollten keinen Alkohol trinken und auf das Rauchen verzichten.
Oftmals entwickeln Menschen mit Ziehen-Oppenheim-Syndrom psychische Probleme. Die Erkrankung stellt häufig eine große Belastung für die gesamte Familie dar. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, eine Selbsthilfegruppe für Betroffene mit Ziehen-Oppenheim-Syndrom aufzusuchen. Zudem gibt es verschiedene Internetforen zum Austausch unter den Betroffenen.
Quellen
- Gortner, L., Meyer, S., Sitzmann, F.C.: Duale Reihe Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2012
- Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
- Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003