Zingulotomie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 23. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Als Zingulotomie wird eine operative Behandlung des Gehirns bezeichnet. Die Behandlung wurde als Alternative zur Lobotomie bzw. Leukotomie in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt und wird nur noch bei sehr schweren Fällen geistiger Erkrankung angewandt.
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Was ist die Zingulotomie?
Die Zingulotomie ist eine Form der Psychochirurgie. Es handelt sich um einen chirurgischen Eingriff, der angewandt wird, um den anterioren cingulären Cortex zu durchtrennen.
Die Zingulotomie wurde in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts als Alternative zur Lobotomie entwickelt. Mit der Zingulotomie erhoffte man sich einen psychochirurgischen Eingriff mit kalkulierbaren Nebenwirkungen und Folgeschäden. Da die bisher angewandte Lobotomie bei Patienten zu starken körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen führte, die sie teilweise lebenslang zu Pflegefällen machte, wurde nach einem alternativen psychochirurgischen Eingriff gesucht.
Dieser wurde in Form der Zingulotomie vom amerikanischen Physiologen John Farquhar Fulton vorgestellt. Fulton stellte die Zingulotomie 1947 in der Gesellschaft der britischen Neurochirurgen mit dem Ausspruch "wenn sie machbar wäre, dann hätte die Zingulotomie einen angemessen Platz in Form einer begrenzten Leukotomie" vor.
Fulton bezog sich weiterhin auf den Neuroanatomen James Papez, der dem Gyrus cinguli eine wichtige Rolle für die Emotionen des Menschen beimaß.
Funktion, Wirkung & Ziele
Die Zingulotomie zielt auf den anterioren cingulären Cortex ab. Dieser übernimmt eine wesentliche Rolle in der Regulation von autonomen Funktionen des Körpers wie Herzschlag oder Blutdruck. Weiterhin spielt der Hirnbereich auch in rationalen und emotionalen Prozessen eine wichtige Rolle. Prozesse wie die Entscheidungsfindung als auch die Impulskontrolle werden vom anterioren cingulären Cortex wesentlich beeinflusst. Schnittstellen zwischen der emotionalen und rationalen Ebene, wie das Belohnungs- und Erwartungssystem werden hier ebenfalls wesentlich bedingt. Die verschiedenen Funktionen lassen sich nach aktuellen neurologischen Untersuchungen in weiteren Unterebenen des anterioren cingulären Cortex festmachen.
Der chirurgische Eingriff fand bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts wie folgt statt: Zunächst wird vom Hirn des Patienten eine Reihe von computertomographischen Aufnahmen gemacht, die eine exakte Lokalisierung des anterioren cingulären Cortex gewährleisten. Nun werden in den Schädel des Patienten einige Löcher gebohrt und anschließend spezielle Elektroden in das Hirn des Patienten eingefügt. Die Unversehrtheit der überlebenswichtigen Arterien und Blutgefäße ist während der Operation von größter Bedeutung. Deshalb wird über die eingefügten Elektroden eine Reihe weiterer Bildaufnahmen gemacht, bevor die eigentliche Zingulotomie beginnt.
Anschließend werden die Elektroden nach einer genauen Route, die von den gemachten Cts und weiteren bildgebenden Verfahren vorgegeben wird, in Richtung des anterioren cingulären Cortex bewegt. Nachdem man durch dieses Verfahren mit der Elektrode an den anterioren cingulären Cortex gelangt ist, wird diese auf circa 75-90 °C erhitzt. Die hieraus entstandene Verletzung dient nun als zentraler Punkt, um den herum weitere Läsionen in das Areal eingefügt werden.
Durch die Anwendung der Magnetresonanztomografie wurde die Präzision der Zingulotomie verbessert. Da das MRT nicht nur wesentlich genauere Informationen über die Lokation des Hirnareals gibt, sondern auch eine Differenzierung der Zellkomposition ermöglicht, wird die zu operierende graue Substanz besser identifiziert. Unnötige Läsionen werden hierdurch größtenteils vermieden. Ein weiterer Fortschritt für die Zingulotomie stellt das Gamma- Messer bzw. Gamma- Knife dar. Bei dieser Methode wird das Hirngewebe durch gezielte radiologische Strahlung durchtrennt und viele Komplikationen der herkömmlichen Zingulotomie ausgeschlossen.
Durch eine Durchtrennung des anterioren cingulären Cortex konnten zahlreiche psychische Erkrankungen, insbesondere Zwangsstörungen und Depressionen ausgeschaltet werden. Die Ergebnisse gestalten sich jedoch sehr radikal, da es neben der kontrollierten Entfernung der psychischen Störung auch zu zahlreichen unkontrollierbaren Nebenwirkungen und Folgeschäden kommt. Starke Persönlichkeitsveränderungen und eine permanente Ruhigstellung sind nur die häufigsten Folgebeschwerden der Patienten.
Durch die Entwicklung effektiver Psychopharmaka nehmen die psychochirurgischen Eingriffe bis heute stark ab. Weiterhin rücken die Gefahren und Nebenwirkungen seit den fünfziger Jahren immer mehr ins Blickfeld der Gesellschaft, was eine Abnahme der Eingriffe zusätzlich fördert.
Risiken, Nebenwirkungen & Gefahren
Als milde Nebenwirkungen werden in den ersten Tagen nach der Operation Übelkeit, Inkontinenz, Erbrechen und Kopfschmerzen beschrieben. Neben den milden Nebenwirkungen treten jedoch auch irreversible Folgeschäden auf, die im Vorfeld nicht abschätzbar sind. Patienten wirken häufig retardiert und kindlich oder fallen anderweitig auf. Bei zwei Prozent der beobachteten Patienten trat ein Hydrocephalus(Wasserkopf) auf. Ein andauerndes Desinteresse an der Welt und dem Leben an sich stellt sich ein und viele Patienten verkümmern in heimischen Wohnzimmern.
Es tritt eine permanente Ruhigstellung der Patienten in Kraft, die ansonsten nur durch starke Psychopharmaka zu bewirken wäre. Auch wenn sich einige Patienten über den Zustand der permanenten Ruhigstellung positiv äußern, ist es fraglich, ob der hergestellte Zustand wirklich als Verbesserung betrachtet werden kann. Zusätzlich bedingen die starken Persönlichkeitsveränderungen der Betroffenen auch das Leben in Familie und Gesellschaft häufig zum Negativen.
Quellen
- Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
- Diener, H.-C., et al.: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
- Klingelhöfer, J., Berthele, A.: Klinikleitfaden Neurologie. Urban & Fischer, München 2009