Zirkadiane Rhythmik

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 13. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die zirkadiane Rhythmik ist die Fähigkeit, sich in relativer Unabhängigkeit von äußeren Einflussfaktoren zur Zeit zu orientieren. Diese Fähigkeit ist für Körperfunktionen wie die Hormonsekretion oder den Blutdruck entscheidend. Durch abrupten Zeitzonenwechsel gerät die Uhr aus dem Gleichgewicht und äußert sich in einem Jet-lag.

Inhaltsverzeichnis

Was ist die zirkadiane Rhythmik?

Die zirkadiane Rhythmik ist die Fähigkeit, sich in relativer Unabhängigkeit von äußeren Einflussfaktoren zur Zeit zu orientieren.

So wie die meisten anderen Organismen besitzt auch der Mensch eine innere Uhr, die ihm ohne den Blick auf eine tatsächliche Uhr die Orientierung in der Zeit ermöglicht. Die zirkadiane Rhythmik wird auch als zirkadiane Uhr bezeichnet und entspricht dieser inneren Uhr. Sie gibt dem Menschen die Fähigkeit, sich unabhängig von äußeren Faktoren ein Bild von der Zeit zu machen.

Die zirkadiane Uhr steuert vor allem periodisch wiederkehrenden Tätigkeiten, wie Schlafen, Fortpflanzung oder Nahrungsaufnahme in einer gewissen Regelmäßigkeit. Diese lebens- und arterhaltenden Aktionen finden also relativ unabhängig von äußeren Faktoren und dem tatsächlichen Zeitbewusstsein in einem vergleichsweise konstanten Rhythmus statt.

An die wechselnden Tageslängen nach einem Wechsel der Jahreszeiten passt sich die innere Uhr durch Resynchronisation an. Da die innere Uhr bei Reisen in andere Zeitzonen zu rasch resynchronisiert werden muss, fehlt es Anfangs an Übereinstimmung. Diese fehlende Übereinstimmung der inneren und tatsächlichen Uhrzeit ist im Zusammenhang mit Fernreisen auch als Jet-lag bekannt.

Funktion & Aufgabe

Viele lebenswichtigen Körperfunktionen erfordern eine periodische Koordinierung. Die menschliche Körpertemperatur muss zum Beispiel auf diese Weise koordiniert werden. Dasselbe gilt für den Blutdruck, die Herzfrequenz und die Produktion von Urin.

Abhängig von der zeitlichen Koordination ist außerdem die Hormonsekretion. Nicht nur Sexualhormone müssen periodisch koordiniert werden. Auch viele absolut lebenswichtige Körperfunktionen werden hormonell gesteuert und da der Hormonhaushalt ein eng zusammenspielendes System ist, bringt eine Fehlkoordinierung eines einzigen Hormons den gesamten Körper durcheinander und kann sogar lebensbedrohliche Konsequenzen haben.

Da die genannten Körperfunktionen keiner bewussten Steuerung unterliegen, müssen sie vom tatsächlich bewussten Wissen der Uhrzeit unabhängig sein. Für ihre Steuerung ist daher die zirkadiane Rhythmik zuständig. Die innere Uhr des Menschen erhält ihre Informationen von spezialisierten Photorezeptoren in der Körnerschicht der Netzhaut.

Die zuständigen Sinneszellen werden auch als photosensitive Ganglienzellen bezeichnet und sind mit dem Photopigment Melanopsin ausgestattet. Sie befinden sich zwischen der Ganglienschicht und der amakrinen Zellschicht der Retina (Netzhaut) und sind dort mit dem Tractus retinohypothalamicus verbunden, der die gesammelten Informationen der Zellen bis in den Nucleus suprachiasmaticus im Hypothalamus projiziert. Der Nucleus suprachiasmaticus gilt also als Schaltzentrale für die innere Uhr. Hier werden die periodisch wechselnden Köperfunktionen zeitlich koordiniert.

Auf der molekularen Ebene sind an der zirkadianen Rhythmik gleich mehrere Gene beteiligt, die genetisch sozusagen für die innere Uhr codieren. Neben Cryptochromen gilt das CLOCK-Gen in diesem Zusammenhang als eines der wichtigsten Gene. Auch das Gen BMAL 1, die Gene PER 1 bis 3 und Vasopressin oder Prepropressophysin sind mittlerweile als wichtige Molekularbestandteile der inneren Uhr bekannt.

In komplexer Zusammenwirkung steuern sie sowohl die Transkription, als auch die Translation von selbstregulierenden Schleifen im Feedback, die sich in einem Zeitraum von relativ exakten 24 Stunden abspielen. Die Gene PER 2 und BMAL 1 sind licht- und temperaturabhängig und werden zum Beispiel mit dem Beginn des Tages transkribiert. Danach binden sie sich als Dimer an die regulierende Sequenz der DNA und setzen so die Transkription der anderen Gene in Gang.


Krankheiten & Beschwerden

Einige Schlafstörungen hängen mit funktionalen Beschwerden der zirkadianen Uhr zusammen. Bei der Gruppe dieser Schlafstörungen ist häufig auch von zirkadianen Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen die Rede. Der zirkadiane Rhythmus soll dem Menschen in Dunkelphasen ein ideales Maß an Schlaf und damit Erholung gewähren. In den Lichtphasen wird so eine hohe Leistungsfähigkeit erreicht.

Durch äußere Reize wird die zirkadiane Uhr an den 24-Stundenzyklus angepasst. Plötzliche Abweichungen vom gewohnten Hell-Dunkel-Wechsel verwirren den Organismus, weil sie in einer unerwarteten Zeitspanne stattfinden. Weil gerade Langstreckenflüge und Zeitzonenwechsel mit unerwarteten Hell-Dunkel-Wechseln für den Organismus einher gehen, handelt es sich bei den Betroffenen zirkadianer Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen oft um regelmäßig Langstrecken-Reisende.

Auch Blinde leiden oft an den Störungen, da ihnen die äußeren Faktoren zur Synchronisierung fehlen. Dasselbe gilt für Schichtarbeiter, bei denen sich die Schlafstörung vor allem als Schlaf oder Müdigkeit zur "falschen Zeit" äußert. Der Rhythmus der Umgebung entspricht bei Schichtarbeitern nicht dem Rhythmus der Hell-Dunkel-Wechsel, was bei der Synchronisierung der inneren Uhr zu Problemen führt.

Aus chronischen zirkadianen Schlafstörungen entwickelt sich häufig Depressionen oder andere psychische Erkrankungen. Eine gestörte innere Uhr kann ursächlich aber auch mit einer Mutation der zirkadianen Gene in Zusammenhang stehen. Bei solchen Mutationen ergeben sich für das Individuum längere oder kürzere Aktivitätsperioden, die von der gewöhnlichen 24-Stunden-Rhythmik mehr oder weniger stark abweichen können.

Krankheiten in Zusammenhang mit der zirkadianen Uhr sind bislang nicht hinreichend erforscht, da selbst die zugehörigen Gene eine eher neuere Entdeckung sind. Auch der Zusammenhang der zirkadianen Rhythmik mit den genannten Schlafstörungen bedarf noch weiterer Forschung. Untersuchungen, die die zirkadiane Problematik vordergründig behandeln, gibt es bislang kaum.

Quellen

  • Classen, M., Diehl, V., Kochsiek, K. (Hrsg.): Innere Medizin. Urban & Fischer, München 2009
  • Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013
  • Renz-Polster, H., Krautzig, S. (Hrsg.): Basislehrbuch Innere Medizin. Urban & Fischer, München 2012

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