Anterograde Amnesie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 7. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Eine anterograde Amnesie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Speicherfähigkeit beziehungsweise Merkfähigkeit für neue Ereignisse ab dem Zeitpunkt der Erkrankung oder der Hirnverletzung vollkommen aussetzt oder zumindest sehr stark vermindert ist. Eine anterograde Amnesie wird entweder durch Läsionen an bestimmten Hirnregionen verursacht oder durch degenerative Prozesse der Neuronen in bestimmten Hirnregionen.
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Was ist anterograde Amnesie?
Bei der anterograden Amnesie handelt es sich im engeren Wortsinn um eine Gedächtnisstörung für neue speicherwürdige Ereignisse ab dem Zeitpunkt der verursachenden Erkrankung oder Verletzung. Das bedeutet, dass Ereignisse, die zeitlich nach dem Eintritt der anterograden Amnesie auch nicht mehr retrograd, also in der Vergangenheit liegend, memoriert werden können.
Die bekanntesten Krankheiten, die allmählich oder progressiv zur anterograden Amnesie führen, sind alle Formen von Demenzerkrankungen wie beispielsweise Morbus Alzheimer. In der Regel können neue speicherwürdige Ereignisse nur noch für wenige Sekunden bis wenige Minuten abrufbar gespeichert werden.
Die Amnesie betrifft in erster Linie das episodische Gedächtnis, in dem alle verfügbaren Sinneseindrücke eines Ereignisses zusammen abgespeichert werden. Das motorische Gedächtnis, in dem die Fähigkeiten zu komplexen Bewegungen wie aufrechtes Gehen gespeichert und unbewusst abgerufen werden können, sind häufig von der Amnesie zunächst nicht betroffen.
Ursachen
Drei verschiedene Ursachenkomplexe können eine anterograde oder retrograde Amnesie auslösen. Der erste Ursachenkomplex betrifft neurodegenerative Krankheitsprozesse, in deren Verlauf es durch Abbauprozesse zu Schädigungen bestimmter Nervenareale im Gehirn kommt, die immer mit Funktionseinschränkungen oder sogar totalem Funktionsverlust verbunden sind.
Die Funktionseinschränkungen äußern sich nicht nur durch eine anterograde Amnesie, sondern auch immer durch Demenzerscheinungen. Eine der bekanntesten neurodegenerativen Krankheiten ist Morbus Alzheimer. Auch Hirnhautentzündungen (Meningitis) und Entzündungen der Nervenzellen im Gehirn (Enzephalitis) können die Ursache für eine Amnesie sein.
Der zweite Ursachenkomplex betrifft Läsionen, die bei Kopfverletzungen oder Schlaganfällen bestimmte Hirnregionen betreffen und zu einem irreversiblen Totalausfall des episodischen Gedächtnisses führen können. Eine anterograde Amnesie ist meist mit einer Läsion der beiden Hippocampi verbunden. Es handelt sich um Hirnstrukturen, die sich in den beiden Schläfenlappen befinden. Allerdings sind auch einige Kerne im Zwischenhirn (Diencephalon) für das Speichern und Abrufen von Erinnerungen wichtig.
Wenn sie beispielsweise durch einen Schlaganfall funktionsbeeinträchtigt sind, kann sich eine anterograde Amnesie einstellen obwohl der Speicherort für Gedächtnisinhalte nicht betroffen ist. Ein dritter Ursachenkomplex für Amnesien sind starke psychische Erlebnisse, die zu einer zeitweisen oder anhaltenden Amnesie führen können.
Eine Sonderrolle nehmen Nervengifte (Neurotoxine) ein, die je nach Art und Dosis ein weites Spektrum von reversiblen oder irreversiblen Schäden der Hirnnerven verursachen können. Teilweise werden Nervengifte sogar medizinisch genutzt.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Diese Krankheit ist mit schwerwiegenden Beschwerden verbunden. Die Betroffenen können sich in der Regel keine neuen Ereignisse mehr merken und leiden dabei an einer deutlich verringerten Merkfähigkeit und Speicherfähigkeit neuer Informationen. Durch die Schäden im Gehirn kann die Erkrankung häufig nicht mehr behandelt werden, sodass der Patient in seinem Leben auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen ist und es zu deutlichen Einschränkungen in der Lebensqualität des Patienten kommt.
Schon einfache Informationen und können dabei nicht gespeichert werden, was den Alltag erschweren kann. Die Krankheit ist häufig auch mit einer Epilepsie verbunden, wobei sie allerdings auch durch einen Tumor oder durch eine Einblutung entstehen kann. Häufig leidet der Betroffene auch an psychischen Beschwerden oder an Depressionen, wobei von diesen nicht selten auch die Eltern, Angehörigen oder die Kinder betroffen sein können.
Häufig wird durch die Krankheit auch das Sprechvermögen des Patienten stark reduziert. Die Betroffenen können damit nicht mehr ohne Weiteres an Konversationen teilnehmen und sich auch nicht mehr an einfache Wörter erinnern. Auch die Informationen zur eigenen Familie können nicht mehr vollständig abgerufen werden. Weiterhin können sich die Patienten durch den Informationsverlust auch in Gefahrensituationen bringen.
Diagnose & Verlauf
Ein Verdacht auf Vorliegen einer anterograden Amnesie äußert sich meist dadurch, dass neu eingetretene Ereignisse oder bestimmte, häufig genutzte Wörter und Begriffe nicht mehr erinnert werden. Wichtig für eine erste Beurteilung ist ein ausführliches Gespräch mit dem Arzt (Anamnese), an dem bei Bedarf auch ein Angehöriger teilnehmen sollte. Es stehen einfache standardisierte Gedächtnistests zur Quantifizierung der eventuell vorliegenden anterograden Amnesie zur Verfügung.
Im positiven Fall sollte während der Anamnese nach Möglichkeit abgeklärt werden, ob sich der anterograde Gedächtnisverlust plötzlich nach einem bestimmten Ereignis eingestellt hat oder ob es sich um einen allmählichen Verlauf handelt. Eine fundierte Anamnese führt zu ersten Verdachtsmomenten auf eine mögliche Verursachung der Amnesie. Es können sich dann Blutuntersuchungen anschließen, die auf mögliche Erreger einer Enzephalitis oder Meningitis hindeuten oder auf mögliche Intoxikationen.
Zur Abklärung der Durchblutungssituation im Gehirn kann die Single-Photon-Emissions-Computertomografie (SPECT) Erkenntnisse liefern. Zusammen mit der Messung der Hirnströme (EEG) können sich Hinweise auf Epilepsie oder Morbus Alzheimer ergeben. Weitere bildgebende Verfahren wie die Computertomografie (CT) oder Kernspintomografie (MRT) erlauben Rückschlüsse auf das Vorliegen von Einblutungen, Tumoren oder anderen Verletzungen.
Komplikationen
Die anterograde Amnesie kann den Alltag eines Patienten stark einschränken und dabei die Lebensqualität verringern. In der Regel kann sich der Betroffene sehr schlecht oder gar nicht an Ereignisse erinnern, die nach einem bestimmten Unfall vorgefallen sind. Dadurch wird das Leben stark eingeschränkt. Der Betroffene ist auf die Hilfe von anderen Menschen angewiesen.
Auch ist das Sprechvermögen eingeschränkt, da sich der Patient an verschiedene Wörter nicht mehr erinnern kann. Dazu gehören auch Namen oder andere Daten von Bekannten oder der Familie. Oft ist es für den Patienten auch nicht möglich, sich an die eigene Adresse zu erinnern, weswegen diese auf fremde Hilfe angewiesen sind.
Sollte die Amnesie durch eine Tumorerkrankung hervorgerufen werden, so können daraus einige Komplikationen entstehen. Eine vollständige Heilung ist dabei nicht in jedem Fall möglich. Bei einer Meningitis werden die Erreger durch Medikamente bekämpft, sodass die Amnesie stark zurückgeht und es in der Regel zu keinen weiteren Komplikationen kommt.
Sollte diese schon fortgeschritten sein, kann ihr Verlauf zumindest gestoppt werden. Meistens werden auch Behandlungen zur Stressreduzierung und Entspannung vorgenommen, um die geschädigten Areale im Gehirn zu aktivieren und der Funktion zu fördern.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
In den meisten Fällen wird diese Krankheit schon direkt durch einen Arzt diagnostiziert, wenn es zur Verletzung am Gehirn gekommen ist. Die Betroffene Person kann dabei nicht mehr richtig sprechen und leidet an Wortfindungsstörungen. Auch Beschwerden mit dem Gedächtnis oder Schwierigkeiten bei einfachen Denkaufgaben können auf die Krankheit hindeuten, wobei auf jeden Fall ein Besuch beim Arzt notwendig ist. Vor allem bei einem vollständigen Gedächtnisverlust sollte der Patient einen Arzt aufsuchen, damit es nicht zu weiteren Folgeschäden kommt.
Dies ist auch dann der Fall, wenn der Betroffene an einer Epilepsie leidet oder einen epileptischen Anfall hatte. Auch Störungen der Konzentration oder der Koordination können auf eine schwerwiegende Verletzung im Gehirn hindeuten, die durch einen Arzt behandelt werden muss. In den meisten Fällen können die Beschwerden nicht eingeschränkt werden, sodass der Betroffene auf die Hilfe anderer Menschen in seinem Alltag angewiesen ist.
Ob es dabei zu einem positiven Krankheitsverlauf kommt, kann ebenfalls nicht vorausgesagt werden. Durch verschiedene Therapien können einige Symptome allerdings eingeschränkt werden. Je früher die Behandlung dieser Krankheit beginnt, desto höher sind die Chancen auf eine Heilung.
Behandlung & Therapie
Die Behandlung einer anterograden Amnesie zielt in erster Linie auf die Heilung oder Besserung der verursachenden Grunderkrankung ab. Beispielsweise müssen im Falle einer Meningitis oder Enzephalitis die Erreger, meist Viren, bekämpft werden. Im positiven Fall kann sich dann eine anterograde Amnesie wieder verbessern oder der progressive Verlauf zumindest gestoppt werden.
Bei Vorliegen von Gehirneinblutungen oder bei erkennbaren Tumoren besteht das erste Therapieziel in der Verringerung des mechanischen Drucks auf das umliegende Nervengewebe durch Beseitigung der Einblutung und durch Beseitigung des Tumors. Durch physische Entlastung des Nervengewebes kann auch hier eine anterograde Amnesie in ihrem progressiven Verlauf gestoppt und möglicherweise sogar wieder verbessert werden.
Im Falle neurodegenerativer Erkrankungen wie Morbus Alzheimer kommen meist medikamentöse Therapien zum Einsatz, die den progressiven Verlauf der Krankheit verlangsamen. Bei Vorliegen von Läsionen im Gehirn durch Unfall oder bei Ausfall bestimmter Nervenareale wegen eines Schlaganfalls, ist eine Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit in der Regel nicht gegeben. Da es sich in diesen Fällen um singuläre Ereignisse handelt, zeigt die eingetretene Funktionsminderung meist einen statischen Verlauf.
Etwaige Therapien zielen darauf ab, die Funktionsminderung möglichst durch Aktivierung und Training anderer Hirnareale zu kompensieren, so dass insgesamt eine Besserung erfolgt. In vielen Fällen wirken sich auch Entspannungstraining, Stressreduzierung, autogenes Training und Übungen zur Muskelentspannung positiv auf anterograde Amnesien aus.
Aussicht & Prognose
Die anterograde Amnesie kann bei einigen Patienten mit gezielten Trainings des Kurzzeitgedächtnisses überwunden werden. Hilfreich ist dabei die Reaktivierung bestimmter Erinnerungen. Die Vorgehensweise ist abhängig von der vorliegenden Grunderkrankung und der Mitarbeit des Betroffenen.
Bei traumatischen Erlebnissen oder leichten Einblutungen besteht nach einiger Zeit der Therapie die Möglichkeit, dass die gewohnten Fertigkeiten wiederkehren und neue Erinnerungen erworben werden. Die Heilungschancen einer anterograden Amnesie, die auf starken Läsionen im Gehirn beruhen, sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt weniger optimistisch.
Der medizinische Fortschritt lässt häufig eine Linderung der Beschwerden zu. Die Schäden des Gehirns gelten als irreparable und können nicht geheilt werden. Trotz verschiedener Testverfahren und unterschiedlicher Therapiemethoden ist es bis zum heutigen Tag nicht gelungen, beschädigtes Hirngewebe zu reparieren oder erfolgreich sowie funktional auszutauschen.
Je nach der Ursache der Hirnschädigung kann es zu einer Zunahme der Beschwerden kommen. Die Funktionsfähigkeit weiterer kortikaler Areale kann sich einschränken. Im schlimmsten Fall kommt es zum Erliegen der gesamten Erinnerungen, der Tätigkeit des Kurzzeitgedächtnisses sowie des Arbeitsgedächtnisses. Bei einigen Patienten einer anterograden Amnesie konnte nachgewiesen werden, dass trotz der Erkrankung neue Erinnerungen für einen längeren Zeitraum als wenige Minuten aufgebaut wurden. Die Bewusstseinsinhalte sind jedoch minimal und können dennoch in einigen Tagen wieder vergessen werden.
Vorbeugung
Die wichtigsten vorbeugenden Maßnahmen zur Vermeidung einer anterograden Amnesie bestehen in einer gesunden Lebensführung, in der sich Stressphasen mit Entspannungsphasen abwechseln können, so dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Aktivierungsgrad des sympathischen und des parasympathischen Nervensystems besteht.
Nachsorge
Bei dieser Krankheit stehen dem Betroffenen in der Regel keine oder nur sehr wenige Maßnahmen oder Möglichkeiten einer Nachsorge zur Verfügung. In erster Linie muss die Krankheit dabei durch einen Arzt richtig erkannt und behandelt werden, damit es nicht zu weiteren Komplikationen oder Beschwerden kommt. Je früher die Diagnose dabei stattfindet, desto besser ist in der Regel auch der weitere Verlauf der Erkrankung.
Da dabei jedoch eine vollständige Heilung nicht möglich ist, kann nur eine rein symptomatische Behandlung stattfinden. Um die Beschwerden dieser Erkrankung nicht unnötig zu verstärken, sollte der Betroffene auf den Konsum von Alkohol und Tabak verzichten. Die Behandlung selbst kann dabei durch die Einnahme von Medikamenten erfolgen.
Die Betroffenen sind dabei auf eine richtige Dosierung und auch auf eine regelmäßige Einnahme angewiesen, damit die Beschwerden dauerhaft gelindert werden. Allerdings sind viele Schäden am Gehirn irreparable, sodass es dabei nicht immer zu einer Besserung kommen kann. In schwerwiegenden Fällen sind die Betroffenen auf die Hilfe und die Unterstützung durch die eigene Familie oder durch Freunde angewiesen. Meistens ist durch diese Krankheit auch die Lebenserwartung des Betroffenen verringert.
Das können Sie selbst tun
Sofern die anterograde Amnesie auf eine Infektionskrankheit wie Meningitis oder Enzephalitis zurückzuführen ist, kann der Patient dazu beitragen, die Grunderkrankung zu therapieren. Hilfreich ist in diesen Fällen insbesondere die Stärkung der körpereigenen Abwehrkräfte. Dazu trägt in erster Linie eine gesunde Lebensführung bei.
Wichtig sind ausreichend Schlaf, eine vitaminreiche, vorwiegend pflanzliche Ernährung sowie regelmäßige Bewegung an der frischen Luft. In der Naturheilkunde werden außerdem die Wirkstoffe des roten Sonnenhuts (Echinacea purpurea) eingesetzt. Empfohlen wird auch die Einnahme von Ascorbinsäure (Vitamin C).
Ist die anterograde Amnesie auf andere Ursachen zurückzuführen, kann der Patient in der Regel nicht selbst zur Behandlung der Grunderkrankung beitragen. Bei neurodegenerativen Störungen kann versucht werden, die Funktionsminderung des Gehirns durch Aktivierung und Training anderer, nicht betroffener, Hirnareale auszugleichen. Auch Entspannungsübungen, insbesondere autogenes Training, können die anterograde Amnesien positiv beeinflussen.
Um mit dem Gedächtnisverlust im Alltag besser zurechtzukommen, sollten Betroffene sich angewöhnen, alles was von Bedeutung ist, zeitnah aufzuzeichnen. Einfacher und praktischer als Notizblöcke sind Tonbandaufnahmen, wobei fast alle modernen Mobiltelefone über eine Diktierfunktion verfügen. Darüber hinaus gibt es preisgünstige und qualitativ ausreichende Diktiergeräte in der Größe von Memory-Sticks, die überall hin mitgenommen werden können. Gespräche mit Dritten sollten aber aus rechtlichen Gründen nicht ohne deren Wissen aufgenommen werden.
Quellen
- Beyreuther, K., Einhäupl, K.M., Förstl, H. und Kurz, A.: Demenzen. Grundlagen und Klinik. Thieme, Stuttgart 2002
- Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013
- Mattle, H., Mumenthaler, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013