Asymmetrisch tonischer Nackenreflex

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 13. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Als asymmetrisch tonischer Nackenreflex (ATNR) wird die typische Bewegung eines Neugeborenen bezeichnet, das seinen Kopf auf die Seite dreht, an der gleichzeitig auch Arm und Bein gestreckt werden. Auf der kopfabgewandten Seite beugen sich im Gegensatz jedoch die Gliedmaßen. Außerdem wird die Faust auf der Gesichtsseite eher geöffnet, während sie gegenüber meist geschlossen bleibt. Dieser frühkindliche Reflex wird auch Fechterhaltung genannt.

Inhaltsverzeichnis

Was ist der asymmetrisch tonische Nackenreflex?

Der asymmetrisch tonische Nackenreflex beginnt sich bereits ab der achtzehnten Schwangerschaftswoche bemerkbar zu machen. Bis zur Geburt nimmt diese Bewegung des Fötus an Intensität zu. Damit werden die motorische Entwicklung des Kindes und der Aufbau von Muskelkraft begünstigt. Schließlich unterstützt der ATNR im Zusammenspiel mit anderen erworbenen Reflexen des Babys sehr wirksam den Geburtsvorgang.

Der asymmetrisch tonische Nackenreflex verbessert erheblich die Beweglichkeit der Schultern und Hüften des Fötus, wenn dieser sich den Weg durch das enge mütterliche Becken bahnt. Im Geburtskanal muss sich das Baby wie an einer Spirale mehrfach drehen und dabei ist ihm der ATNR sehr hilfreich.

Der Reflex wird durch Druck auf den Nacken stimuliert. Nach der Geburt schwächt sich die Wirkung des ATNR schrittweise ab. Die ersten Auffälligkeiten gehen schon nach vier bis acht Lebenswochen vorüber. Kommt es jedoch zu Schwierigkeiten bei der Geburt, etwa infolge eines Kaiserschnitts oder einer Zangengeburt, kann sich die Hemmung des asymmetrisch tonischen Nackenreflexes verzögern. Mitunter wird er in solchen Fällen niemals ganz unterdrückt.

Funktion & Aufgabe

Das Neugeborene kann seine Hände erst dann ohne Mühe zur Körpermitte und darüber hinaus führen, wenn der asymmetrisch tonische Nackenreflex mit Erfolg gehemmt worden ist. Beispielsweise kann es vorher einen beliebigen Gegenstand nicht mit den Händen zum Mund führen, um ihn zu untersuchen.

Ist der ATNR erst weitgehend unterbunden, können auch die Augen unabhängiger von den Kopfbewegungen werden. Nur so kann das Baby später dann einen äußeren Gegenstand visuell festhalten, auch wenn es gerade selbst in Bewegung ist.

Wenn jedoch der asymmetrisch tonische Nackenreflex nach dem vierten bis sechsten Lebensmonat immer noch die Bewegungsabläufe des Babys bestimmt, wird er mehr und mehr zu einem Hindernis für die weitere grob- und feinmotorische Entwicklung des Kleinkindes.

Eine Kopfdrehung auf die Seite kann dann weiterhin unwillkürliches Strecken der Gliedmaßen auf der Gesichtsseite nach sich ziehen. Unter Umständen ist die weiterbestehende Fechterhaltung sodann dafür verantwortlich, dass sich ein Kind nicht oder nur sehr mühevoll vom Rücken auf den Bauch drehen beziehungsweise später das Kriechen nicht richtig lernen kann.

In solchen Fällen werden das Beugen und Strecken von Armen und Beinen weiterhin stark von der Haltung und Bewegung des Kopfes bestimmt, so dass zum Beispiel überkreuzende Bewegungen für das Kind nur schwer durchführbar sind. Es scheitert daran wegen seiner eigenen, zu lange dominanten ATN-Reflexe.


Krankheiten & Beschwerden

Wie sehr sich dieser Mangel in der weiteren Entwicklung festsetzen kann, zeigt sich in einzelnen Fällen sogar noch in der beginnenden Schulzeit. Ein solches Kind vermag, auch wenn es noch so fleißig übt, beim Schreiben die vorgegebenen Linien oder den linken Seitenrand nicht einzuhalten. Ebenso können Probleme beim Führen des Schreibgerätes, viel zu starkes Aufdrücken und Schwierigkeiten bei einfachen Abschreibübungen auf den frühkindlich erlittenen ATNR zurückgehen.

Das Lesen ist für Kinder mit einem nicht abgelegten asymmetrischen tonischen Nackenreflex ebenfalls oft kompliziert, da ihre Augen nur mehr oder weniger mühselig in der jeweiligen Textzeile bleiben können. So werden leicht einzelne Buchstaben, Satzzeichen oder sogar ganze Wörter überlesen beziehungsweise landet der Blick plötzlich in einer falschen Zeile. Geschehen das Schreiben und eine Kopfbewegung wie etwa der Blick zur Tafel gleichzeitig, rutscht betroffenen Kindern in aller Regel das Schreibgerät nach unten oder oben weg. Außerdem wird sich unter Umständen ein Arm des Kindes automatisch strecken, sobald es seinen Kopf dreht, um beispielsweise zur Tafel zu schauen.

Zu diesem Reflex wird es auch gehören, dass sich ungewollt die Finger öffnen, was das Schreiben mit der Hand noch weiter erschwert. Auch Schwierigkeiten beim Hören und Sprechen sind in diesen Fällen nicht auszuschließen. Mitunter treten Wahrnehmungsprobleme im Alltag, speziell bei der Planung ungewohnter Handlungen auf.

Die frühkindlichen (primitiven) Reflexe werden zunächst nicht durch das Großhirn gesteuert und sind auch nur in den ersten Lebensmonaten des Babys deutlich zu verfolgen. Später werden sie mit der Entwicklung des Großhirns und speziell der Frontallappen schrittweise unterdrückt. Kehren typische frühkindliche Reflexe im Alter wieder, weisen sie zum Beispiel bei einer Demenz auf Störungen der Hirnstruktur hin.

Die Reflexe treten jeweils ab einem bestimmten Reifealter des Kindes auf und verschwinden wie nach einem Zeitplan auch wieder. Demnach zeigt ein Frühgeborenes andere Reflexe als ein Terminkind. Das Verschwinden der Reflexe ist die Voraussetzung dafür, dass ein Kind die elementaren Bewegungen verinnerlichen und erlernen kann. Zum Beispiel muss sich erst der sogenannte Fußgreifreflex eines Babys zurückbilden, ehe es später die Fähigkeiten des Stehens und Laufens erwerben kann.

Bleiben die Reflexe prägend für ein Kind, kann ärztlicherseits mit relativ einfachen therapeutischen Mitteln helfend eingegriffen werden. Das Trainieren der Kopfbewegungen des Kindes reicht hierfür oft schon aus.

Quellen

  • Gortner, L., Meyer, S., Sitzmann, F.C.: Duale Reihe Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Koletzko, B.: Kinder- und Jugendmedizin. Springer Medizin Verlag, Berlin 2007
  • Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch. 266. Auflage. De Gruyter, Berlin 2015

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