Inselbegabung
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 7. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Inselbegabung ist der moderne Fachausdruck für ein bestimmtes Intelligenzprofil, das früher unter dem diskriminierenden Namen „Idiot savant“ oder der irreführenden Bezeichnung Savant bekannt war. Inselbegabung tritt bei einem ungleichmäßigen Begabungsspektrum auf. Inselbegabte Personen haben also keine ausgeglichene, gleichmäßig verteilte Intelligenz, sondern sie haben Inselbegabungen; oft sind sie Autisten.
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Was ist eine Inselbegabung?
Inselbegabung, also eine hohe Leistungsstärke nur in einem kleinen Teilbereich der kognitiven Leistungen, ist ein Phänomen, das meistens mit geistiger Behinderung und Folgen von psychologischen Entwicklungsstörungen zusammenhängt. Sind diese geistigen Defizite sehr stark ausgeprägt, so sind es oft Fälle von Autismus. Etwa rund die Hälfte der Inselbegabten sind Autisten.
Inselbegabung bedeutet nicht automatisch geniale Fähigkeit. Wenn ein Individuum nur unterdurchschnittlich intelligent ist, aber in einem bestimmten Teilbereich eine immerhin durchschnittliche Leistung erzielt, so handelt es sich um eine Inselbegabung. Daneben gibt es die wirklich spektakulären Inselbegabten, die in einem kleinen Bereich geniale oder außerordentliche Leistungen vollbringen.
Zu diesen Bereichen gehören das musikalische Talent, schnelles Erlernen von Sprachen, mathematisches Talent, außergewöhnliches Langzeitgedächtnis, fotografisches Gedächtnis und perfektes Gehör. Wenig ist über die Entstehung von Inselbegabungen bekannt, doch scheint dieses Phänomen mit männlichen Hormonen im Zusammenhang zu stehen, da die Mehrheit der Inselbegabten männlich sind. Autisten unter den Inselbegabten zeigen oft eine spezifische Form von Autismus, das Asperger-Syndrom.
Ursachen
Bestimmte Filterfunktionen im Gehirn filtern unwichtige Informationen aus dem Gedächtnis weg und helfen so im Alltag. Bei bestimmten Inselbegabungen bewirkt aber gerade das Fehlen solcher Filter überdurchschnittlich hohe Leistungen in einem kleinen Bereich. Bei Autisten mit dem Asperger-Syndrom liegt eine starke Beeinträchtigung auf dem Gebiet des sozialen Miteinanders vor.
Offenbar gibt es im Gehirn Prozesse, die diese negativen Auswirkungen im sozialen Bereich haben, aber im Gegenzug bestimmte Inselbegabungen verstärken. Die biologischen Ursachen sind nicht geklärt. Manche haben Inselbegabung als Entwicklungsstörung seit der Kindheit. Sehr wenige Patienten haben Inselbegabung als Folge einer unfallbedingten Hirnverletzung. In diesen seltenen Ausnahmefällen führen bestimmte Verletzungen zu bestimmten Inselbegabungen.
Neurologische Besonderheiten, die im Einzelfall meistens nicht zufriedenstellend beschrieben sind, verursachen also Inselbegabungen. Die seltsame Rolle von Autismus und männlichen Hormonen ist noch ein Rätsel. Genau dieser Zusammenhang ist aber wahrscheinlich der wichtigste und häufigste.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Inselbegabungen können bei Autisten oder als Folge geistiger Behinderung beziehungsweise psychologischer Fehlentwicklungen auftreten. Erkennbar sind die Anzeichen an einer starken psychischen und geistigen Einschränkung. Gegen diese nimmt sich die Inselbegabung tatsächlich wie eine Insel der Normalität aus.
In einem Gebiet erbringen die Betroffenen vergleichweise überragende oder für ihr sonstiges Leistungsniveau überraschende Leistungen. Auch die an sich positiv zu bewertenden, einseitigen Leistungspitzen müssen als Symptom gewertet werden. Dennoch dürften die Negativ-Symptome der Inselbegabung überwiegen.
Die von einer Inselbegabung betroffenen Menschen können unterdurchschittlich begabt und seelisch oder geistig zurückgeblieben sein. Viele Betroffene leiden am Asperger-Syndrom. Sie sind autistisch veranlagt. Die Symptome sind der jeweiligen Grunderkrankung zuzuordnen.
Zu den auffallenden positiven Symptomen einer Inselbegabung können eine überraschend hohe Sprachbegabung oder eine mathematische Begabung zählen. Manche Betroffenen haben ein präzises Langzeitgedächtnis. Andere fallen durch ein fotografisches Gedächtnis oder ein perfektes Gehör auf. Neben diesen überraschenden Fähigkeiten sind die Fähigkeiten auf allen anderen Gebieten aber deziniert und weit unter Durchschnitt.
Auffallend ist, dass vorwiegend Männer von der Inselbegabung betroffen sind. Ob die vorliegenden Symptome auf einer angeborenen Entwicklungsstörung, einem Unfall oder Verletzungen des Gehirns beruhen, ist nicht hinreichend geklärt. Zu den typischen Anzeichen einer Inselbegabung können soziales Fehlverhalten, kognitive Probleme, eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit oder Aggressionen gehören.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Die Diagnose von Inselbegabungen ist sehr schwierig, da das Krankheitsbild uneinheitlich ist. Ein klassisches Bild ist das des zerstreuten Professors. Dahinter steckt die populäre, jedoch falsche Vorstellung, dass extrem intelligente und gebildete Menschen Defizite im sozialen Umgang manifestieren würden. Tatsächlich sind wirklich hochbegabte Menschen gleichmäßig hochbegabt und sozial unauffällig.
Hochbegabte Kinder fallen daher im Schulunterricht und in der sozialen Dynamik der Klassengemeinschaft nicht auf. Kinder, die hingegen soziale Probleme und Lernprobleme haben, sind oft unterdurchschnittlich intelligent. Dann suchen Eltern und Psychologen nach Inselbegabungen, in denen die Förderung dieser Kinder dann besonders lohnenswert ist. Erfahrene Psychiater diagnostizieren Inselbegabung, sie diagnostizieren auch Autismus und wissen, wie diese verwandten Phänomene zu trennen sind. Unabhängige Diagnosen von verschiedenen Psychiatern sind sinnvoll.
Komplikationen
So sind Autisten aufgrund ihrer stark eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit sowie ihres Mangels an Möglichkeiten, ihren Alltag selbstständig zu meistern, lebenslang auf Unterstützung angewiesen. Dadurch, dass Missverständnisse im Umgang mit anderen häufig sind, können Autisten durch ihre eigenen sozialen Fehltritte oder Fehltritte anderer gekränkt werden. Dies resultiert häufig in Aggressionen und Wutausbrüchen, die teils mangels Artikulationsfähigkeit eskalieren.
Inselbegabte mit Asperger-Syndrom haben erschwerend das Problem, dass ihr Zustand für Außenstehende nicht ersichtlich ist. Sie weisen zwar Verhaltensstörungen und auch motorische Störungen im weitesten Sinne auf. Diese sind aber nicht so gravierend. Entsprechend stehen sie im Alltag häufig einer Situation gegenüber, die von ihnen ein sozial adäquates Verhalten verlangt, welches sie nur beschränkt beherrschen.
Ausweichreaktionen und seltsam anmutendes Verhalten wirken auf andere Menschen befremdlich und können den Betroffenen isolieren, insofern er sich nicht schon selbst isoliert. Da viele Inselbegabte vermindert intelligent sind und ihre kognitiven Ressourcen vor allem im Bereich ihrer Begabung nutzen, werden andere Fertigkeiten sowie soziale Verhaltensweisen kaum erlernt. Auch hier ist meist lebenslang Unterstützung von außen notwendig.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Grundsätzlich stellt eine Inselbegabung kein Grund für einen Arztbesuch dar. Die Begabung kann ohne weitere medizinische Erkenntnisse gefördert und unterstützt werden. Menschen, die mehr über die Qualität der Begabung wissen möchten, sollten einen Arzt aufsuchen, damit über gezielte Tests genaue Angaben der Inselbegabung erfolgen können. In vielen Fällen zeigt der Betroffene jedoch mehr als nur eine hohe Begabung für einen Bereich. Oftmals liegt zusätzlich eine autistische Störung vor, die untersucht und behandelt werden muss. Daher sollte ein Arzt aufgesucht werden, sobald ein auffälliges Verhalten wahrgenommen wird. Kommt es zu Störungen oder Unregelmäßigen der Emotionen, gilt dies als ungewöhnlich.
Werden soziale Kontakte oder körperliche Nähe abgelehnt, sollten die Beobachtungen mit einem Arzt besprochen werden. Können Umgangsformen nicht erlernt werden oder kommt es wiederholt zu sozialen Konflikten, ist es ratsam, einen Arzt zu konsultieren. Häufig werden von den Betroffenen soziale Normen missachtet oder nicht verstanden. Zeigen die Betroffenen neben der Inselbegabung gleichzeitig ein unterentwickeltes Verhalten in anderen alltäglichen Lebensbereichen, ist ein Arztbesuch zu empfehlen. Werden Störungen der Sprachgebung bemerkt oder kommt es zu Unregelmäßigkeiten der kognitiven Verarbeitung bei der Erwerbung anderer Fertigkeiten, sollte ein Arzt aufgesucht werden. Können die alltäglichen Anforderungen nicht ohne Hilfe bewältigt werden, ist ein Arzt zu konsultieren.
Behandlung & Therapie
Die Behandlung erfolgt meistens verhaltenstherapeutisch. Die Inselbegabung eines Menschen kann unterdrückt, ignoriert oder gefördert werden. Früher bestand die Behandlung oft in einer Unterdrückung der Inselbegabung. Die Idee dabei war, dass ein Mensch in der Entwicklung normaler und gleichmäßiger werde, wenn er auf besondere Spleens verzichte.
Das hat in den meisten Fällen nicht funktioniert. Die moderne Behandlung basiert deshalb auf einer gezielten Förderung der Inselbegabungen. Die Patienten werden gezielt in ihrem Begabungsbereich gefördert. Zusätzlich zur Förderung der meistens stark individualistisch praktizierten Sonderbegabungen ist jedoch auch ein gesundes soziales Miteinander therapeutisch.
Dazu gehört eine verständnisvolle und liebende Familie, die idealerweise sogar spezielle Trainingsprogramme zum Umgang mit den Inselbegabten abgeschlossen hat. Ebenso wichtig sind die sozialen Interaktionen in der Schule und bei der Arbeit. Für Inselbegabte ist ein Arbeitsplatz notwendig, an dem sie einerseits ihre besonderen Begabungen zeigen und andererseits auch gleichmäßig und umfassend in anderen Bereichen unterstützt werden.
Zur erfolgreichen Therapie tragen ebenso verschiedene Formen der Tiertherapie bei. Vögel in der Wildnis zu beobachten und deren Arten nach Klang und Federkleid zu erkennen, ist eine Form von Therapie. Die Pflege eines Pferds oder Hundes ist eine andere Möglichkeit. Im Bereich der Tiertherapie hängt viel von den individuellen Besonderheiten der Patienten ab. Eine ausgewogene Ernährung mit möglichst vielfältigen Nahrungsquellen tierischen und pflanzlichen Ursprungs stellt sicher, dass die Patienten optimal versorgt sind.
Aussicht & Prognose
Die Inselbegabung ist nicht heilbar und nicht therapierbar, weshalb von einer Heilungsaussicht nicht gesprochen werden kann. Zudem ist dies medizinisch betrachtet nicht nötig. In vielen Fällen ist es - schon aufgrund der teilweise herausragenden Fähigkeiten - auch gar nicht wünschenswert, das Savant-Syndrom heilen zu wollen.
Die Prognose bei den betroffenen Menschen richtet sich eher nach den Begleitumständen. So sind viele Savants Autisten. Auch dies ist nicht heilbar und die Prognose lässt lediglich die Aussage zu, dass die Betroffenen ihr Leben lang auf Hilfe angewiesen sein werden. Besserungen im Sozialverhalten, bezüglich der Impulskomntrolle oder auch des Intellekts, sind sehr schwierig herbeizuführen und können autistische Störungen niemals vollständig kompensieren.
Inselbegabte Menschen ziehen aufgrund ihrer Fähigkeiten oftmals das öffentliche Interesse auf sich. Je nach Person und Umfeld, kann dies als sehr positiv oder sehr negativ wahrgenommen werden. Einige Savants leben von ihrer Inselbegabung, wobei das nur bei jenen der Fall ist, die eine wirklich herausragende Begabung haben. Bei den Inselbegabten, bei denen das Talent relativ definiert ist (niedriger IQ, aber durchschnittliche Leistung in einem Bereich), ist diese Möglichkeit nicht gegeben.
Bei kognitiv und sozial nicht eingeschränkten Inselbegabten, erübrigt sich die Prognose ebenfalls. Sie haben keine Einschränkungen im Leben zu befürchten, die medizinisch relevant wären.
Vorbeugung
In den modernen Gesellschaften mit hoher Lebenserwartung nimmt der Anteil an Demenzkrankheiten im Alter stetig zu. Aus verschiedenen Studien geht hervor, dass ein gut trainiertes Gehirn zwar letztendlich nicht die eigene Demenz überwindet, aber doch genügend Widerstand bietet, um den Ausbruch einer biologisch bedingten Demenzkrankheit um einige Jahre zu verzögern.
Mentale Fitness ist Gesundheit. Für das Gehirn ist Training so wichtig wie für die Muskeln und den Bewegungsapparat. Aus diesen Gründen werden Inselbegabte nicht vernachlässigt, sondern auch geistig ganz gezielt in ihren Begabungsbereichen gefördert.
Nachsorge
Unter einer Inselbegabung, die auch unter dem Namen "Savant-Syndrom" bekannt ist, versteht man das Phänomen, dass einzelne Menschen trotz einer Entwicklungsstörung beziehunsgweise geistigen oder kognitiven Einschränkung auf speziellen Gebieten außergewöhnliche Leistungen aufweisen können. Weltweit sind etwa rund 100 sogenannte Savants bekannt, von denen mehr als die Hälfte Autisten sind. Daraus kann man ableiten, dass es einen Zusammenhang zwischen einer Inselbegabung und Autismus geben muss.
Eine Nachsorge im medizinischen Sinne ist nicht möglich, da es sich um eine angeborene Neurodiversität handelt, die folglich nicht heilbar ist. Da in Therapien aber der Umgang mit der Behinderung erlernbar ist, sind unterstützende Leistungen, die nach Ende der Therapie den Status quo aufrechterhalten sollen, in den meisten Fällen anzuraten. Welche Unterstützungsleistung die richtige ist, hängt dabei stark vom einzelnen Klienten ab.
Das können Sie selbst tun
Weiterhin haben sich das Kultivieren von weiteren Hobbys sowie die Interaktion mit Tieren als förderlich erwiesen. Durch den Kontakt mit auch nicht menschlichen Lebewesen, können soziale Defizite aufgrund einer geistigen Behinderung teils kultiviert werden. Insofern ist ein Umfeld, das diese Dinge ermöglicht, eine gute Hilfe für Betroffene.
Inselbegabte, die außer ihrer Begabung kaum noch intellektuelle und damit soziale Fähigkeiten haben, sind zur Selbsthilfe oftmals nicht befähigt. So können sie mitunter ohne fremde Hilfe hilflos sein. Entsprechend benötigen sie eine umfassende Betreuung im Alltag, die sich auch über die Grundversorgung (anziehen, Essen zubereiten, gegebenenfalls füttern) erstreckt.
Quellen
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
- Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015
- Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013