Cherubismus

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 19. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Der Cherubismus ist eine angeborene Erkrankung des Kiefers. Die Betroffenen leiden im Bereich der Kiefer an multizystisch gutartigen Knochentumoren, die sich in Form von Schwellungen manifestieren. Die Tumore können durch einen chirurgischen Eingriff oder eine Ausschabung entfernt werden.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Cherubismus?

In einer Folge der Schwellungen besitzen die Patienten scheinbar himmelwärts gerichtete Augen. Die Schwellungen entstehen durch multizystisch gutartige Knochentumore, wobei das Zahnen der Betroffenen in den jeweils betroffenen Bereichen Störungen unterliegt.
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Angeborene Knochenerkrankungen gibt es in vielerlei Form. Viele davon gehen mit Auftreibungen der betroffenen Knochen einher. Eine solche Erkrankung ist der Cherubismus, der auch als Cherubinismus bekannt ist und den Kiefer betrifft. Die Erstbeschreibung der Krankheit erfolgt im Jahr 1933. Als Erstbeschreiber gilt der US-Amerikaner W. A. Jones.

Durch die Anomalien des Kiefers wirkt auch das Gesicht der Patienten verformt. Da sie nach oben gerichtete Augen besitzen, erinnern die Gesichter der Betroffenen an Engelsgesichter. Hierbei ist sprachlich unscharf auch von einem Cherubin-Gesicht die Rede, das der Krankheit schließlich den Namen gegeben hat.

Der Cherubismus zählt zu den gutartig fibro-ossären Erkrankungen und wird mit einer Prävalenz von weniger als einem Fall in 10.000 Menschen angegeben. Wie alle fibro-ossären Erkrankungen geht auch der Cherubinismus mit der Bildung von multizystischen Knochentumoren einher. Die angeborene Erkrankung wird gemäß der bisherigen Fallberichte autosomal-dominant vererbt, wobei unvollständige Penetranz und eine variable Expressivität vermutet werden.

Ursachen

Die Ursache des Cherubismus liegt in der Genetik. Vermutlich handelt es sich um eine Mutation, die im autosomal-dominanten Erbgang weitergegeben wird. Die Mutation betrifft aktuellen Hypothesen zufolge mit aller Wahrscheinlichkeit das sogenannte SH3BP2-Gen in der Chromosomenregion 4p16.3, das für ein Adapter-Protein codiert.

Dieses Protein reguliert die intrazellulären Signalprozesse, indem es mit verschiedenen anderen Proteinen Komplexe bildet. Bei einer Mutation des codierenden Gens kann das Protein so verändert werden, dass es seine ursprünglichen Funktionen nicht mehr oder nur noch unzureichend erfüllen kann. Der Cherubismus und die ihm zugrunde liegende Mutation sind zuweilen nur das Symptom einer übergeordneten Erkrankung.

So leiden zum Beispiel auch Patienten des Noonan-Syndroms an der Erkrankung. Dasselbe gilt für Patienten des Noonan-'like'-Syndroms, des Ramon-Syndroms mit Gingiva-Fibromatose und der Neurofibromatose Typ I.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Obwohl es sich um eine angeborene Erkrankung handelt, zeigen Patienten mit Cherubismus nicht unmittelbar nach der Geburt Symptome. Die meisten Betroffenen entwickeln erst im Kleinkindesalter eine Symptomatik, die sich zunächst als symmetrische Schwellung des Unterkiefers manifestiert und später in eine gleichzeitige Schwellung des Oberkiefers mündet.

In einer Folge der Schwellungen besitzen die Patienten scheinbar himmelwärts gerichtete Augen. Die Schwellungen entstehen durch multizystisch gutartige Knochentumore, wobei das Zahnen der Betroffenen in den jeweils betroffenen Bereichen Störungen unterliegt. So sind einige Zähne der Patienten unter Umständen nicht angelegt. Andere Zähne brechen eventuell nicht oder nur verzögert durch oder sind von Verlagerungen betroffen.

Manchmal werden die Wurzeln der Zähne resorbiert, wobei auch Malokklusionen eine häufige Erscheinung sind. Infolge des Überwuchses stellen sich neben den Störungen der Zahnstellungen auch eine Einengung der Nasenatmung und eine Störung der Zungenfunktion ein. Unbehandelt bilden sich die Anomalien mit der Pubertät wieder zurück. Meist findet in dieser Zeit eine Atrophie der Alveolarfortsätze statt. Nur in seltenen Fällen tritt auch mit der Pubertät keine Rückbildung der zystischen Veränderungen ein.

Diagnose & Verlauf

Die Diagnose des Cherubismus wird vom Arzt meist aufgrund von Veränderungen bei der Zahnentwicklung gestellt. Zur Einschätzung der Veränderungen veranlasst er eine Bildgebung. Im Röntgenbild erkennt er multizystische Aufhellungen oder auch Auftreibungen der Kieferabschnitte. Zu einer genaueren Darstellung veranlasst er Schnittbildgebungen wie die Computertomographie.

Schon durch die Bildgebungen lässt sich die Erkrankung meist differentialdiagnostisch von ähnlichen Krankheiten wie der fibrösen Dysplasie abgrenzen. Typischerweise wird zur näheren Einschätzung der Gewebeveränderungen eine Biopsie durchgeführt, sodass die Diagnose histologisch abgesichert werden kann.

Die Gewebeproben zeigen in der Histologie unregelmäßig verteilte Vielkernriesenzellen. Die Gefäßräume liegen in einem fibrös-bindegewebigen Stroma. Osteoklasten-spezifische Marker werden von den Riesenzellen abgegeben. Nach der Sicherung der Diagnose wird der Cherubismus des Patienten weiterführend auf seinen Zusammenhang mit anderen Erbkrankheiten eingeschätzt.

Komplikationen

Beim Cherubismus leidet der Patient an einer Verformung des Kiefers. Diese Verformung wirkt sich auch auf die umliegenden Knochen aus und kann dabei das komplette Gesicht verformen und entstellen. Vor allem bei Kindern kann es aufgrund des Cherubismus zu Hänseleien und Mobbing kommen. Dies führt oft zu psychischen Problemen, Depressionen und einem verminderten Selbstwertgefühl des Menschen.

In den meisten Fällen ist der Cherubismus zwar angeboren, entwickelt sich allerdings erst im Laufe des Lebens des Patienten. Zuerst tritt eine Schwellung am Unterkiefer auf. Der Patient hat ebenso Probleme mit den Zähnen. Diese sind falsch angeordnet, liegen übereinander oder können sogar abbrechen.

Dabei kommt es zu relativ starken Schmerzen. Durch die heutige Zahnmedizin kann dieses Symptom allerdings relativ gut behandelt werden. Durch die Verschiebung der Zähne ist auch eine Störung der Atmung und der Zunge möglich. Dabei können Betroffene in einigen Fällen nicht richtig sprechen.

Oft bildet sich der Cherubismus beim Patienten auch zurück, sodass es im Erwachsenenalter nicht zu weiteren Beschwerden oder Komplikationen kommt. Die Eingriffe an den Zähnen sind chirurgischer Natur und führen bei den meisten Patienten zu einem positiven Krankheitsverlauf. Hier kommt es zu keinen weiteren Komplikationen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Beim Cherubismus ist auf jeden Fall der Besuch bei einem Arzt notwendig. Obwohl die Tumoren gutartig sind, sollten sie trotzdem entfernt werden, um weitere Komplikationen zu verhindern. Eine Selbstheilung tritt nicht auf. Der Betroffene sollte dann einen Arzt aufsuchen, wenn es im Bereich des Kiefers zu einer deutlichen Schwellung kommt.

Diese Schwellung ist mit dem Auge sichtbar, sodass auch andere Menschen den Patienten auf die Erkrankung hinweisen können. In der Regel treten keine Schmerzen auf. Allerdings können auch Fehlstellungen der Zähne durch den Cherubismus auftreten, sodass dieses Symptom ebenfalls auf die Krankheit hindeuten kann.

Einen Arzt sollte der Betroffene auch dann aufsuchen, wenn es zu Beschwerden beim Schlucken oder beim Schließen des Mundes kommt. Auch beim Fehlen einiger Zähne ist eine Untersuchung durch einen Arzt ratsam. In der Regel bilden sich die Beschwerden nach der Pubertät zurück. In einigen Fällen sind allerdings trotzdem operative Eingriffe notwendig, die von einem Chirurgen durchgeführt werden können.

Behandlung & Therapie

Obwohl sich der Cherubismus theoretisch nach der Pubertät zurückbildet, wird in einigen Fällen eine chirurgische Intervention empfohlen. In der Regel wird eine solche Intervention erst nach Ende der Pubertät empfohlen und verbessert bei Gelingen vor allem die Beweglichkeit des Kiefers sowie die psychische Situation des Betroffenen. Wenn die Läsionen besonders schnelle wachsen, findet häufig eine Kürettage statt, das heißt, eine Ausschabung des betroffenen Gebiets.

Alternativ dazu kann eine operative Konturierung erfolgen. Die Eingriffe erzielen zum einen ein sofortiges Ergebnis und beugen zum anderen dem aktiven Wachstum der verbliebenen Läsionen vor. Mit dem direkten Eingriff kann unter Umständen sogar die Regeneration des Knochengewebes angeregt werden. Falls die Läsionen ausgedehnt sind und sich aus diesem Grund das Risiko einer Fraktur einstellt, findet in der Regel eine segmentale Resektion statt.

Diese betrifft die Anteile der Mandibula und wird mit einer anschließenden Rekonstruktion der betroffenen Kieferbereiche kombiniert. Mittlerweile sind auch medikamentöse Therapeutika in Erprobung. Als medikamentöse Behandlungsformen sind Calcitonin und Interferon-alpha ein aktueller Forschungsschwerpunkt.

Aussicht & Prognose

Der Cherubismus hat eine gute Prognose. Trotz des schnell fortschreitenden Krankheitsverlaufs nach Ausbruch der Erkrankung und der vorhandenen Beschwerden, kann bei einer umfassenden medizinischen Versorgung ein gutes Endergebnis erzielt werden. Dank der chirurgischen Möglichkeiten werden heutzutage die körperlichen Merkmale und Deformierungen soweit korrigiert, dass es im weiteren Verlauf des Lebens kaum zu Beeinträchtigungen kommt.

In nur sehr seltenen Fällen bleiben dauerhafte Mutationen erhalten. Diese führen dennoch nicht zu einer Verkürzung der Lebenserwartung oder einer Verschlechterung der körperlichen Gesundheit. Die gutartigen Tumore können in einem operativen Eingriff entfernt werden, da sie sich in einem gut zugänglichen Bereich im Körper befinden. Die Schwellungen an den Kiefern bilden sich anschließend zurück.

Die Nachsorge besteht in einer Kiefer- sowie Zahnkorrektur. Insgesamt umfasst der Heilungsweg bei den meisten Patienten mehrere Jahre, da die Korrekturen an Kiefer und Zähnen langwierig sind. Anschließend gilt der Betroffene als dauerhaft geheilt. Es kann dennoch beim Cherubismus durch optische Veränderungen zu Folgeerscheinungen kommen.

So sind Sprachstörungen oder Atembeschwerden mögliche Komplikationen, denen sich der Patient stellen muss. Entsteht eine psychische Störung, verschlechtert sich der allgemeine Gesundheitszustand erneut. Eine Auswirkung auf die Genesung des Cherubismus oder einen Rückfall können die Störungen jedoch nicht bewirken.


Vorbeugung

Beim Cherubismus handelt es sich um eine erbliche Erkrankung mit genetischer Basis. Daher kann seinem Auftreten nur durch genetische Beratung in der Phase der Familienplanung vorgebeugt werden. Beim Risiko der Weitergabe kann sich ein Paar so zum Beispiel gegen ein eigenes Kind entscheiden.

Nachsorge

Die Cherubismus-Nachsorge umfasst zum einen regelmäßige ärztliche Verlaufskontrollen. Zum anderen muss der Patient Sprechübungen durchführen, um die eingeschränkte Sprechfähigkeit zu verbessern. Im Rahmen der Verlaufskontrollen, die zu Anfang monatlich und danach, abhängig vom Verlauf, dreimonatlich, halbjährlich oder jährlich stattfinden können, untersucht der Arzt die Kieferregion.

Neben einer Röntgenuntersuchung der betroffenen Region wird außerdem eine Blutprobe und gegebenenfalls auch eine Gewebeprobie genommen. Im Labor kann festgestellt werden, ob sich Krebszellen im Körper befinden. Anhand der Ergebnisse wird der Arzt dann die weiteren Schritte mit dem Patienten besprechen.

Der Patient sollte sich gegebenenfalls mit einem Therapeuten in Verbindung setzen, damit die Sprachtherapie optimal gestaltet werden kann. Zudem führt das Leiden bei einigen Patienten zu seelischen Beschwerden, die ess aufzuarbeiten gilt. In welchem Rahmen dies notwendig ist hängt immer von der Schwere der Erkrankung ab und muss im Detail mit dem zuständigen Arzt besprochen werden.

Außerdem empfiehlt es sich, an Programmen zur medizinischen Nachsorge teilzunehmen. Die Krankenkassen empfehlen eine Nachsorge von fünf Jahren. Ein weit fortgeschrittener Cherubismus ist für den Patienten zumeist mit einer kontinuierlichen Behandlung verbunden. Die Nachsorge wird vom Hausarzt oder dem zuständigen Facharzt koordiniert.

Das können Sie selbst tun

Die Patienten mit Cherubismus sind nur teilweise in der Lage, den Zustand ihrer Erkrankung durch Maßnahmen der Selbsthilfe zu beeinflussen. Die sich ergebenden Schwellungen im Bereich des Ober- und Unterkiefers entstellen das Gesicht und führen insbesondere bei Kindern häufig zu Problemen wie Mobbing und Ausgrenzung.

Obwohl die geistige Entwicklung der Patienten normalerweise nicht von der Krankheit betroffen ist, empfiehlt sich in einigen Fällen der Besuch einer Sonderschule. Dort erfahren die erkrankten Kinder wesentlich mehr Unterstützung und soziale Integration, sodass sie ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln.

Cherubismus ist oft mit einer fehlerhaften Entwicklung der Zähne verbunden, wobei bestimmte Zähne fehlen oder mangelhaft ausgebildet sind. Hier ist meist eine kieferorthopädische Behandlung vonnöten, die wesentlich vom Engagement des Patienten abhängt. Denn für gute Therapieerfolge ist es unerlässlich, dass der Betroffene die angefertigten Zahnspangen diszipliniert trägt. Mitunter sind auch Operationen und das Ziehen von Zähnen notwendig, wobei der Patient anschließend auf eine adäquate Ernährung achtet.

Falls der Patient zu stark unter Mobbing oder Minderwertigkeitskomplexen leidet, ist der Besuch eines Psychotherapeuten angebracht, um die seelische Belastung zu verarbeiten. Unter Umständen profitieren auch die Eltern des vom Cherubismus Betroffenen von einer solchen Behandlung.

Quellen

  • Kruse Gujer, A., Jacobsen, C., Grätz, K.W.: Facharztwissen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Springer, Heidelberg 2013
  • Schwenzer, N., Ehrenfeld, M., et al.: Zahnärztliche Chirurgie. Thieme, Stuttgart 2009
  • Sauer, R.: Strahlentherapie und Onkologie. Urban & Fischer, München 2009

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