Kieferorthopädie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 22. Oktober 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die Kieferorthopädie ist ein Spezialgebiet der Zahnmedizin, das sich der Erforschung und Behandlung von Zahnfehlstellungen widmet. Eine kieferorthopädische Behandlung kann helfen, die Zähne behandlungsbedürftiger Patienten zu fixieren und sie möglichst nachhaltig in die richtige Stellung zu bringen.
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Was ist die Kieferorthopädie?
Der deutsche Begriff Kieferorthopädie ist eine Ableitung der Fachbezeichnung des griechischen Orthodontia (von orthos "gerade oder richtig“ und odous "Zahn").
Sie beschäftigt sich mit der Prävention und Behandlung von Problemen des Gebisses, die eine Folge von unregelmäßigem Zahnwuchs, Erkrankungen oder Fehlstellungen der Kiefer sein können. Eine Behandlung im Rahmen der Kieferorthopädie kann sich sowohl auf punktuelle, rein zahnmedizinische Verfahren konzentrieren oder mit der Kontrolle und Anpassung des Schädelwachstums einhergehen.
Auch zahntechnische Eingriffe aus ästhetischen Gründen im Hinblick auf die Verbesserung der allgemeinen äußeren Erscheinung eines Patienten fallen in das Gebiet der Kieferorthopädie. Diesbezüglich haben sich einige Kieferorthopäden auf die Rekonstruktion des gesamten Kieferbereiches spezialisiert.
Geschichte & Entwicklung
Die Ursprünge der Kieferorthopädie reichen bis in die Antike zurück. Bereits im alten Ägypten, um 1000 v. Chr., fanden Forscher primitive Zahnspangen aus Metallbändern an Mumien, die vermutlich zur Zahnkorrektur verwendet wurden. Der griechische Arzt Hippokrates und der römische Schriftsteller Celsus schrieben über unregelmäßige Zähne und Methoden zu ihrer Behandlung.
Im 18. Jahrhundert wurde das Thema wissenschaftlich aufgegriffen. Pierre Fauchard, ein französischer Zahnarzt, gilt als "Vater der modernen Zahnheilkunde" und beschrieb in seinem Werk Le Chirurgien Dentiste (1728) erstmals eine Methode zur Zahnregulierung mittels eines Eisenbogen-Geräts.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Kieferorthopädie weiter. Der Amerikaner Edward H. Angle wird oft als Begründer der modernen Kieferorthopädie angesehen. In den späten 1800er Jahren klassifizierte er Zahnfehlstellungen und entwickelte verschiedene Apparaturen, um diese zu korrigieren. Sein "Angle-Klassifikationssystem" für Malokklusionen wird bis heute verwendet.
Mit der Weiterentwicklung von Materialien und Techniken im 20. Jahrhundert, wie der Einführung von Edelstahlbögen und später von unsichtbaren Alignern, wurde die Kieferorthopädie zu einer immer präziseren und schonenderen Disziplin. Die zunehmende Anwendung digitaler Technologien hat die Planung und Durchführung kieferorthopädischer Behandlungen im 21. Jahrhundert revolutioniert.
Einsatz & Indikation
Eine kieferorthopädische Behandlung wird durchgeführt, um Fehlstellungen der Zähne und des Kiefers zu korrigieren. Diese Fehlstellungen können funktionelle Probleme verursachen, wie Schwierigkeiten beim Kauen, Sprechen oder bei der Mundhygiene. Auch ästhetische Aspekte spielen eine Rolle, da Fehlstellungen das Erscheinungsbild beeinträchtigen können.
Die Notwendigkeit einer kieferorthopädischen Behandlung entsteht oft bereits im Kindesalter, wenn das Kieferwachstum und die Zahnentwicklung ungleichmäßig verlaufen. Häufige Gründe sind genetische Faktoren, Daumenlutschen, frühzeitiger Verlust von Milchzähnen oder Platzmangel im Kiefer. Kieferorthopäden empfehlen, Kinder im Alter von 6 bis 8 Jahren untersuchen zu lassen, um potenzielle Probleme frühzeitig zu erkennen.
Auch im Erwachsenenalter kann eine Behandlung notwendig sein, insbesondere wenn sich durch Zahnverschiebungen oder Kieferprobleme funktionelle Einschränkungen oder Schmerzen entwickeln. Typische Indikationen sind Überbiss, Unterbiss, Kreuzbiss, Engstände oder Zahnlücken. Fehlstellungen können außerdem die Zahngesundheit beeinträchtigen, da sie die Reinigung erschweren und das Risiko für Karies und Zahnfleischerkrankungen erhöhen.
Die Behandlung erfolgt je nach Schwere der Fehlstellung durch Zahnspangen, Aligner oder andere kieferorthopädische Apparaturen, um die Zähne in die richtige Position zu bringen und die Kieferfunktionen zu verbessern.
Vorteile & Nutzen
Die Kieferorthopädie bietet gegenüber anderen zahnmedizinischen Behandlungs- und Untersuchungsmethoden spezifische Vorteile, da sie sich gezielt auf die Korrektur von Zahn- und Kieferfehlstellungen konzentriert. Einer der größten Vorteile ist die präventive Wirkung: Durch eine frühzeitige kieferorthopädische Behandlung können Fehlstellungen behoben werden, bevor sie zu schwerwiegenderen Problemen wie Kiefergelenkschmerzen, Zahnschäden oder übermäßigem Zahnverschleiß führen.
Ein weiterer Vorteil ist die Verbesserung der Zahn- und Mundhygiene. Gerade Zähne lassen sich leichter reinigen, was das Risiko für Karies und Zahnfleischerkrankungen verringert. Dies kann langfristig zu einer besseren Zahngesundheit und weniger zahnärztlichen Behandlungen führen. Zudem bietet die Kieferorthopädie ästhetische Verbesserungen, die das Selbstbewusstsein und die Lebensqualität steigern können.
Im Vergleich zu rein restaurativen Behandlungen, die nur bestehende Schäden beheben, adressiert die Kieferorthopädie oft die Ursache von Fehlstellungen und sorgt so für nachhaltige Ergebnisse. Moderne kieferorthopädische Techniken, wie unsichtbare Aligner, bieten außerdem diskrete und komfortable Lösungen, die speziell im Erwachsenenalter geschätzt werden.
Durch präzise Diagnosetechniken wie digitale 3D-Bilder und computergestützte Behandlungsplanung ist die Kieferorthopädie zudem eine besonders fortschrittliche Methode, um individuelle Behandlungspläne zu entwickeln und optimale Ergebnisse zu erzielen.
Behandlungen & Therapien
Die Kieferorthopädie ist das Teilgebiet der Zahnmedizin, das auf Patienten mit einer falschen Positionierung der Zähne (Anomalien) spezialisiert ist.
Die Behandlung und Manipulation verschiedener Aspekte des Gesichtswachstums (dentofaziale Kieferorthopädie) sowie der Form und Entwicklung des Kiefers gehören ebenfalls zur Kieferorthopädie. Ein Kieferorthopäde nutzt eine Reihe zahnmedizinischer Hilfsmittel, einschließlich Bögen, Platten oder Klammern, um folgende Fehlstellungen zu beeinflussen:
- breite Lücken zwischen den Zähnen
- unterschiedliche Ausrichtung der Zahnspitzen
- schiefe Zähne
- vorstehende Frontzähne
Damit sollen Oralfunktionen wie Sprache oder Ernährung optimiert, die langfristige Gesundheit von Zahnfleisch und Zähne verbessert oder langfristig eine übermäßige Abnutzung der Zähne verhindert werden.
Eine Behandlung von Gebissanomalien in der Kieferorthopädie bezieht sich auf eine Störung der Interaktion zwischen dem unteren und dem oberen Zahnbogen infolge von Verletzungen, häufigem Daumenlutschen oder angeborenen Anomalien. Daumen- oder Fingerlutschen kann zu einer örtlichen Verformung der Zähne und Stützknochen führen, die im Rahmen der Kieferorthopädie eingedämmt werden.
Ist der Kiefer eines Patienten zu schmal, kann nicht genug Platz für alle Zähne vorhanden sein. Durch die Entfernung eines oder mehrerer Zähne kann Platz für die andere geschaffen werden. Behandlungen der Kieferorthopädie umfassen ebenfalls:
- einen offenen Biss
- Überbiss
- Unterbiss
- Kreuzbiss
Generell haben die mit der Kieferorthopädie zu behandelnden Zahnfehlstellungen keinen Einfluss auf die körperliche Gesundheit und gelten nicht als Krankheit. Wirken sich die Fehlstellungen jedoch massiv auf die Form des Gesichtes und das Aussehen aus, können Peinlichkeiten und individuelle Schamgefühle zu einem Mangel an Selbstvertrauen und sogar zu Depressionen führen.
Diagnose & Untersuchungsmethoden
Im Rahmen von Diagnose und Behandlungsplanung der Kieferorthopädie muss der behandelnde Kieferorthopäde die verschiedenen Eigenschaften einer Anomalie oder dentofazialen Missbildung erkennen und die Art des Problems definieren.
Um die Vorgehensweise optimal planen zu können, gehört ebenso eine gründliche Erfassung möglicher Gründe für die Fehlbildungen zur Diagnose der Kieferorthopädie (Ätiologie). Ziel ist der Entwurf eines Behandlungskonzeptes, das die individuellen Bedürfnisse und Wünsche des Patienten einschließt. Dies erfordert vom Arzt nicht zuletzt eine ausführliche Erläuterung der Behandlungsstrategie in einer Weise, die es dem Patienten ermöglicht, die Tragweite notwendiger Eingriffe der Kieferorthopädie zu erfassen.
Um den Zustand der Zähne des Patienten zu beurteilen und eine Prognose über eine wahrscheinliche Entwicklung des Gebisses ohne Behandlung zu erstellen, werden die folgenden Diagnoseverfahren angewandt:
- Erfassung des vollständigen bisherigen medizinischen und zahnmedizinischen Gesundheitsverlaufes
- klinische Prüfung
- Röntgenuntersuchungen der Zähne und des Kiefers (Orthopantomogramm)
- Herstellung von Gipsabdrücken der Zähne
- Erfassung der Lage des Unterkiefers zum Oberkiefer (Kieferrelation)
Zur Diagnose gehören dentoalveolären Befunde, die die Zahnbewegungen in den Vertiefungen der Kieferknochen beschreiben sowie eine Beschreibung des Sachstandes des Zahndurchbruchs (Dentitionsstadium). In der Kieferorthopädie wird ebenfalls ein Befund über die Mund- und Gesichtsmuskulatur erstellt, der Erkenntnisse über Mundschluss, Atmung und Zungenruhelage darlegt.
Für einen effektiven Einsatz der Kieferorthopädie ist eine frühzeitige Diagnose maßgeblich, da Behandlungsdauer und Behandlungsumfang eng von einem rechtzeitigen Beginn notwendiger Eingriffe abhängig sind. Dies ist in der Kieferorthopädie in der Regel das Kindesalter.
Durchführung & Ablauf
Eine kieferorthopädische Behandlung beginnt in der Regel mit einer ausführlichen Untersuchung und Diagnosestellung. Zunächst führt der Kieferorthopäde eine klinische Untersuchung durch und erstellt Abdrücke der Zähne, Röntgenbilder und oft auch 3D-Aufnahmen. Diese Daten werden verwendet, um den genauen Zustand der Zahn- und Kieferstellung zu analysieren und einen individuellen Behandlungsplan zu entwickeln.
Je nach Art der Fehlstellung kommen verschiedene Apparaturen zum Einsatz. Klassische feste Zahnspangen bestehen aus Metall- oder Keramikbrackets, die auf die Zähne geklebt und mit einem Draht verbunden werden. Der Draht übt kontinuierlich Druck auf die Zähne aus, um sie schrittweise in die richtige Position zu bewegen. Alternativ können unsichtbare Aligner-Schienen aus durchsichtigem Kunststoff eingesetzt werden, die regelmäßig gewechselt werden, um die Zähne zu bewegen.
Während der Behandlung sind regelmäßige Kontrolltermine notwendig, um den Fortschritt zu überwachen und Anpassungen an der Apparatur vorzunehmen. Diese Kontrollen finden in der Regel alle 4 bis 6 Wochen statt. Die Behandlungsdauer variiert je nach Schwere der Fehlstellung und kann zwischen mehreren Monaten bis hin zu mehreren Jahren liegen.
Nach Abschluss der aktiven Behandlung wird in den meisten Fällen ein Retentionsgerät, wie ein fester oder herausnehmbarer Retainer, eingesetzt, um die Zähne in ihrer neuen Position zu stabilisieren und das Ergebnis langfristig zu sichern.
Alternativen
Es gibt einige alternative Verfahren zur Kieferorthopädie, die in Betracht gezogen werden können, wenn eine klassische kieferorthopädische Behandlung nicht möglich oder gewünscht ist. Diese Alternativen richten sich oft auf spezielle Fälle oder wenn eine schnellere oder weniger invasive Lösung gewünscht wird.
Eine Möglichkeit ist die kieferchirurgische Korrektur, auch orthognathe Chirurgie genannt. Diese Methode kommt bei schweren Kieferfehlstellungen zum Einsatz, die nicht allein durch Zahnspangen korrigiert werden können. Hierbei wird der Kiefer operativ angepasst, um funktionelle und ästhetische Probleme zu beheben. Diese Methode wird oft mit kieferorthopädischen Behandlungen kombiniert.
Zahnprothetik kann ebenfalls eine Alternative sein, insbesondere bei Erwachsenen. Durch Veneers, Kronen oder Brücken können unregelmäßige Zähne kosmetisch korrigiert werden, ohne die Zahnstellung direkt zu verändern. Diese Verfahren zielen eher auf eine ästhetische Verbesserung ab und sind schneller durchführbar als klassische kieferorthopädische Behandlungen.
In einigen Fällen können auch sogenannte funktionelle Geräte, wie spezielle Schienen oder Mundschutz-ähnliche Apparaturen, verwendet werden, um den Biss oder die Kieferstellung zu verbessern. Diese Geräte kommen oft bei temporären Kieferproblemen oder leichten Fehlstellungen zum Einsatz.
Schließlich können für bestimmte Patienten auch Physiotherapie oder spezielle Übungen zur Kiefermuskulatur in Betracht gezogen werden, insbesondere wenn Probleme wie Kiefergelenksbeschwerden oder Funktionsstörungen vorliegen, die durch Muskelverspannungen verursacht werden.
Quellen
- Gängler, P., et al.: Konservierende Zahnheilkunde und Parodontologie. Thieme, Stuttgart 2010
- Hausamen, J.-E., et al.: Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Springer, Heidelberg 2012
- Kruse Gujer, A., Jacobsen, C., Grätz, K.W.: Facharztwissen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Springer, Heidelberg 2013