Cholinerge Krise

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die cholinerge Krise wird durch eine Überdosierung von Cholinesterasehemmern ausgelöst. Sie ist durch eine akute Muskelschwäche und durch nikotinartige Nebenwirkungen gekennzeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine cholinerge Krise?

Bei einer Überdosierung verbleibt zu viel Acetylcholin im synaptischen Spalt. Dadurch kommt es zu einer allgemeinen Muskelschwäche. Die Patienten leiden durch eine Schwäche der Atemmuskulatur unter Atemnot.
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Eine cholinerge Krise entsteht bei einem Überangebot an Acetylcholin. Acetylcholin ist biogenes Amin, das im Körper als Neurotransmitter fungiert. Der Neurotransmitter findet sich sowohl im Zentralnervensystem als auch im peripheren Nervensystem. Er wirkt unter anderem an der neuromuskulären Endplatte und ermöglicht dort die willkürlichen Bewegungen der Skelettmuskulatur.

Acetylcholin kommt aber auch als Signalstoff in den präganglionären Neuronen des parasympathischen und des sympathischen Nervensystems vor. Bei einem eintreffenden Aktionspotenzial wird Acetylcholin in den synaptischen Spalt ausgeschüttet. Dort bindet es sich an die sogenannten Cholinozeptoren. Dabei handelt es sich um Rezeptoren auf der postsynaptischen Membran. Durch die Bindung an den Rezeptor ändert sich die Ionenpermeabilität. Diese Änderung kann eine Hemmung oder eine Erregung zur Folge haben.

Anschließend wird Acetylcholin im synaptischen Spalt durch das Enzym Acetylcholinesterase in Essigsäure und Cholin gespalten. Hergestellt wird der Neurotransmitter in den Endköpfchen von bestimmten Axonen. Acetylcholin wird durch das Enzym Cholin-Acetyl-Transferase aus Cholin und Acetyl-CoA produziert und in kleinen Bläschen in den Nervenzellen gespeichert.

Ursachen

Durch körpereigene Syntheseprozesse kann im Normalfall keine cholinerge Krise ausgelöst werden. Hauptursache ist die Überdosierung von Acetylcholinesterasehemmstoffen. Durch die Hemmung des Enzyms Acetylcholinesterase wird weniger Acetylcholin abgebaut, sodass es zu einem Überangebot kommt. Dafür sind jedoch Dosierungen von mindesten 600 Milligramm Pyridostigmin pro Tag nötig.

Rein cholinerge Krisen finden sich in der Regel eher selten. Häufiger finden sich bei schlecht eingestellten Patienten Zeichen der Überdosierung gemischt mit Symptomen, die auf einen Acetylcholinmangel hinweisen. Acetylcholinesterasehemmer (AChE-Hemmer) kommen zur Behandlung des Morbus Alzheimer zum Einsatz.

Der Morbus Alzheimer bezeichnet eine fortschreitende Atrophie der Großhirnrinde. Damit geht der Abbau von kognitiven, sozialen und emotionalen Fähigkeiten einher. Die betroffenen Patienten leiden unter Vergesslichkeit, Gedächtnisverlust, einem fehlenden Sprachverständnis, Sprechstörungen und mangelnder Anteilnahme. Durch die Einnahme von Acetylcholinesterase-Blockern soll die neuronale Erregbarkeit gesteigert werden. Die Erkrankung lässt sich dadurch zwar nicht heilen, aber die Symptome werden gelindert.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Bei einer Überdosierung verbleibt zu viel Acetylcholin im synaptischen Spalt. Dadurch kommt es zu einer allgemeinen Muskelschwäche. Die Patienten leiden durch eine Schwäche der Atemmuskulatur unter Atemnot. Die Atemnot wird durch eine starke Bronchialsekretion verschlimmert. Durch die verstärkte Sekretion kann sich im Ernstfall ein Lungenödem entwickeln.

Das Lungenödem ist gekennzeichnet durch Atemnot, starken Husten und schaumigen Auswurf. Den Patienten ist übel und sie erbrechen. Auch starkes Schwitzen ist ein typisches Symptom der cholinergen Krise. Des Weiteren kann es zu Magen-Darm-Krämpfen und zu Durchfällen kommen. Der Herzschlag ist verlangsamt und der Blutdruck zu niedrig (Hypotonie).

Ein verlangsamter Herzschlag wird in der medizinischen Fachsprache auch als Bradykardie bezeichnet. Typisch für die cholinerge Krise sind die sogenannten Faszikulationen. Es handelt sich dabei um unwillkürliche Kontraktionen von sehr kleinen Muskelgruppen. Diese sind direkt unter der Haut sichtbar, führen aber in der Regel zu keinen Bewegungen. In vielen Fällen können diese kleinen Muskelzuckungen durch Kneifen des Muskels provoziert werden.

Neben diesen kleinen Muskelbewegungen können aber auch große und schmerzhafte Muskelkrämpfe auftreten. Die Patienten haben Angst und zeigen eventuell zerebrale Symptome. Weitere Symptome, die im Rahmen einer cholinergen Krise auftreten können, sind vermehrter Speichelfluss und eng gestellte Pupillen. Zu den nikotinartigen Nebenwirkungen gehören auch Blasenentleerungsstörungen.

Diagnose & Verlauf

Die Diagnose wird meist anhand des klinischen Bildes gestellt. Eine kurze Medikamentenanamnese kann den Verdacht schnell bestätigen. Im Röntgen- oder CT-Bild kann sich je nach Schweregrad der cholinergen Krise ein Lungenödem zeigen. In der körperlichen Untersuchung fallen der erniedrigte Blutdruck und der erniedrigte Puls auf.

Die cholinerge Krise muss differenzialdiagnostisch von der myasthenen Krise abgegrenzt werden. Die myasthene Krise ist eine Komplikation der Erkrankung Myasthenia gravis. Die myasthene Krise geht fast mit denselben Symptomen einher. Es fehlen allerdings die muskarinartigen und nikotinartigen Nebenwirkungen. So kommt es bei der myasthenen Krise im Gegensatz zur cholinergen Krise nicht zu Durchfällen oder anderen Magen-Darm-Beschwerden.

Komplikationen

In den meisten Fällen kommt es bei der cholinergen Krise zu einer sehr starken Muskelschwäche. Der Patient ist dabei in der Regel nicht mehr in der Lage, gewöhnliche Tätigkeiten im Alltag durchzuführen und ist dadurch stark eingeschränkt. Es kann dabei auch zu einer Atemnot kommen. Viele Patienten reagieren auf Atemnot mit einer Panikattacke, wodurch sich der Zustand noch weiter verschlechtert.

Die Atemnot selbst ist oft auch mit einem Husten verbunden. Die Betroffenen leiden nicht selten an Durchfall und an Magenbeschwerden, die einer Magen-Darm-Grippe ähneln. Die Lebensqualität des Patienten wird durch die cholinerge Krise extrem verringert und es kommt zu ehrlichen Einschränkungen. Auch die Entleerung der Blase kann oft nicht mehr kontrolliert werden und es kommt zu einem erhöhten Speichelfluss.

Die Behandlung zielt in erster Linie auf die Bekämpfung der Atembeschwerden ab. Dadurch wird auch der Kreislauf stabilisiert und ein akutes Nierenversagen wird verhindert. Der Patient muss Antibiotika einnehmen. In schwerwiegenden Fällen kann auch ein Gegengift verabreicht werden. Falls die Beschwerden frühzeitig erkannt und behandelt werden, treten meistens keine weiteren Komplikationen ein.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Wenn es nach der Einnahme von Cholinesterasehemmern zu Muskelschwäche und anderen Anzeichen einer cholinergen Krise kommt, muss sofort ein Arzt konsultiert werden. Falls Atemnot und starker Husten hinzukommen, besteht die Gefahr eines Lungenödems – deshalb umgehend den Rettungsdienst alarmieren. Allgemeinsymptome wie Magen-Darm-Beschwerden und Herz-Kreislauf-Beschwerden sollten ebenfalls rasch abgeklärt werden. Da die cholinerge Krise in jedem Fall ein medizinischer Notfall ist, darf mit der ärztlichen Diagnose nicht gewartet werden.

Insbesondere Menschen, die regelmäßig Cholinesterasehemmer einnehmen, sind gefährdet. Die Einnahme entsprechender Medikamente erfolgt am besten unter ärztlicher Aufsicht. Ist dies nicht möglich, sollte die Medikation langsam an das gewünschte Niveau angepasst werden, damit es erst gar nicht zu einer cholinergen Krise kommt. Falls das Medikament doch einmal überdosiert wird: Nicht erst auf die genannten Symptome warten, sondern sofort das nächste Krankenhaus aufsuchen. Dort wird unter Umständen direkt eine neurologische und intensivmedizinische Überwachung eingeleitet. Sollten dann Beschwerden auftreten, können sofort die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden.

Behandlung & Therapie

Die cholinerge Krise ist ein Notfall, der eine sofortige neurologische und intensivmedizinische Überwachung erfordert. Im Vordergrund steht die Stabilisierung der Atmung und des Kreislaufs. Häufig ist eine Aufrechterhaltung der Atmung nur durch Intubation möglich. Möglicherweise muss eine künstliche Beatmung erfolgen. Auch auf die Nierenfunktion muss geachtet werden, da es im Rahmen der cholinergen Krise auch zu Nierenversagen kommen kann.

Bei einem Infektionsverdacht muss frühzeitig eine antibiotische Therapie eingeleitet werden. Die muskarinartigen Nebenwirkungen wie Durchfall, erhöhter Speichelfluss und vermehrtes Schwitzen lassen sich gut mit Atropin als Antidot behandeln. Ein Antidot wird auch Gegengift genannt. Atropin ist ein Alkaloid, das in Nachtschattengewächsen wie Engelstrompete, Tollkirsche, Stechapfel oder Bilsenkraut vorkommt.

Es wirkt parasympatholytisch, vermindert also die Wirkung des Parasympathikus. Zudem verdrängt es das überschüssige Acetylcholin von den Muskarinrezeptoren. Wenn die cholinerge Krise durch eine Überdosierung von Acetylcholinesterasehemmern ausgelöst wurde, müssen die Patienten unverzüglich medikamentös neu eingestellt werden.

Aussicht & Prognose

Ohne eine unverzügliche notärztliche Behandlung kommt es bei der cholinergen Krise zum Ableben des Patienten. Überlebende leiden in den meisten Fällen an lebenslangen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Neben Muskelbeschwerden sowie motorischen Einschränkungen entstehen durch die erlebte Atemnot Ängste. Dies kann zu psychischen Problemen führen, was den Heilungsweg erheblich verändert.

Der allgemeine körperliche Zustand des Patienten bleibt oftmals stark geschwächt und die Leistungsfähigkeit dadurch herabgesetzt. Bei einer sofortigen medizinischen Versorgung erleben einige Patienten nach wenigen Monaten des Notfalls eine vollständige Genesung. Die Folgen der Intubation sind abgeklungen und die Beatmung erfolgt auf einem natürlichen Weg. Daher ist die Prognose einer cholinergen Krise nicht für alle Patienten gleich. Eine vollständige Genesung liegt jedoch eher selten vor.

Meist leidet der Betroffene unter einer weiteren Grunderkrankung, die nicht geheilt werden kann. Obgleich bei diesen Patienten die cholinerge Krise überwunden ist, führt die Grunderkrankung dazu, dass es aufgrund des bereits geschwächten Gesundheitszustandes zu bleibenden Schäden kommt. Da es sich bei der Ursache der cholinergen Krise meist um ein Überangebot an Acetylcholin oder anderen Stoffen handelt, kommt es nur in seltenen Ausnahmefällen zu einer erneuten cholinergen Krise. Durch eine medizinische Behandlung erfolgt eine Stabilisierung des Patienten, so dass es zu keinem Rückfall kommt.


Vorbeugung

Die cholinerge Krise lässt sich nur durch eine gut eingestellte Medikation verhindern. Deshalb sollte bei den kleinsten Anzeichen einer Überdosierung der Arzt aufgesucht werden. Zu den Warnzeichen gehören Muskelzuckungen, Kopfschmerzen und ein vermehrter Speichelfluss. Auch Durchfall kann auf eine Überdosierung des Acetylcholinesterase-Blockers hinweisen.

Nachsorge

Bei der Nachsorge der cholinergen Krise ist es wichtig, dass die Medikamente vom Arzt richtig angepasst werden. Das bedeutet, dass die Patienten regelmäßige Kontrolltermine benötigen. So ist eine genaue Einstellung möglich, die spätere cholinerge Krisen vermeiden kann oder zumindest das Risiko verringert. Im Zusammenhang mit der Therapie sollte die Dosis genau eingehalten werden.

Bei einer Überdosierung müssen die Patienten sofort einen Arzt aufsuchen oder ins Krankenhaus gehen. Hier erfolgt abhängig von den Umständen eine intensivmedizinische und neurologische Überwachung. Da die cholinerge Krise häufig mit anderen Erkrankungen einhergeht, sind die entsprechenden Therapiemaßnahmen ebenfalls durchzuführen.

Ansonsten kann es durch die Grunderkrankung zu einer Verschlimmerung oder sogar zu bleibenden gesundheitlichen Schäden kommen. Aus diesem Grund ist die medizinische Behandlung und Betreuung unverzichtbar. Auch Rückfälle lassen sich durch die Stabilisierung der Gesundheit vermeiden. Die genaue Beobachtung der erkrankungsbedingten Anzeichen gehört ebenfalls zur Nachsorge dazu.

Wenn akute Muskelschwächen zu einem ungünstigen Zeitpunkt befürchtet werden, ist es außerdem sinnvoll, bestimmte Maßnahmen zur Unfallverhütung zu treffen. Die Betroffenen sollten vorsichtig mit der eigenen Gesundheit umgehen. Weniger Stress und Belastung helfen dabei, die Gefahren im alltäglichen Leben einzudämmen.

Das können Sie selbst tun

Bei einer cholinergen Krise handelt es sich um einen Notfall, der in der Regel sofortige intensivmedizinische Überwachung erfordert. Ohne eine unverzügliche notärztliche Intervention kann sogar Lebensgefahr bestehen.

Nach einer überstandenen cholinergen Krise ist die weitere Prognose für alle Patienten nicht gleich, auch eine vollständige Genesung kann in der Mehrzahl der Krankheitsfälle leider nicht angenommen werden. Deshalb ist die vollständige Aufklärung des Patienten über das Krankheitsbild und dessen Leitsymptome von entscheidender prognostische Bedeutung.

Ziel einer intensivmedizinischen Behandlung ist zunächst die Stabilisierung, aber auch die Rückfallgefahr so gering wie möglich zu halten. Hier ist die Mitarbeit des Betroffenen im Sinne der Prophylaxe einer erneuten Krise unbedingt erforderlich.

Zunächst muss eine geeignete individuelle Medikation zusammengestellt werden, die auch auf andere Grunderkrankungen abgestimmt wird. Die Einstellung mit den Medikamenten kann nur dann erfolgreich sein, wenn ein Patient sich auch langfristig strikt an den Verordnungsplan hält. Ein eigenmächtiges Absetzen oder Umstellen der Medikation könnte schnell zu einer erneuten cholinergen Krise führen.

Auch ein Überdosieren muss unbedingt vermieden werden. Der gegen das Krankheitsbild häufig eingesetzte Acetylcholinesteraseblocker verursacht bei Überdosierung typische Warnzeichen, die der Patient unbedingt erkennen muss, um eine erneute cholinerge Krise frühzeitig zu erkennen. Dazu gehören insbesondere Durchfall, vermehrter Speichelfluss, unkontrollierte Muskelzuckungen und Kopfschmerzen. Schon das Auftreten nur eines dieser Symptome sollte also im Rahmen der Selbsthilfe Grund genug sein, den Arzt zu konsultieren.

Quellen

  • Classen, M., Diehl, V., Kochsiek, K. (Hrsg.): Innere Medizin. Urban & Fischer, München 2009
  • Kayser et al.: Medizinische Mikrobiologie. Thieme, Stuttgart 2005
  • Schänzler, N., Bieger, W.P.: Laborwerte. Gräfe und Unzer, München 2009

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