Chromosomenaberrationen

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Chromosomenaberrationen zeichnen sich durch numerische oder strukturelle Veränderungen von Chromosomen aus. Es handelt sich um genetische Defekte, die durch Chromosomenuntersuchungen sichtbar gemacht werden können und mehrere Gene betreffen. Aufgrund der erheblichen genetischen Veränderungen sind sehr viele Chromosomenaberrationen nicht mit dem Leben vereinbar.

Inhaltsverzeichnis

Was sind Chromosomenaberrationen?

Numerische Chromosomenveränderungen entstehen durch Fehler während der Zellteilung. So kann es passieren, dass bei der Meiose die zwei Chromosomen eines Chromosomensatzes zusammenbleiben.
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Bei den Chromosomenaberrationen handelt es sich um genetische Veränderungen, die einen großen Bereich des genetischen Materials betreffen. So gibt es zum einen numerische und zum anderen strukturelle Veränderungen an den Chromosomen. Die numerischen Chromosomenaberrationen sind entweder durch den Verlust oder der Überzahl von Chromosomen gekennzeichnet.

Das menschliche Erbgut besteht aus 23 Chromosomenpaaren, wobei 22 Chromosomenpaare Autosomen (nicht das Geschlecht bestimmende Chromosomen) enthalten. Das 23. Chromosomenpaar enthält die Geschlechtschromosomen X und Y. Dabei repräsentiert das X-Chromosom die weiblichen und das Y-Chromosom die männlichen Geschlechtschromosomen. Bei den numerischen Chromosomenaberrationen der Autosomen sind nur einige Trisomien (3 statt 2 Chromosomen) mit dem Leben vereinbar.

Monosomien (ein Chromosom statt zwei Chromosomen) bei den Autosomen können keinen lebensfähigen Organismus ausbilden. Bei den Geschlechtschromosomen ist neben den Trisomien auch die Monosomie mit dem X-Chromosom lebensfähig. Neben den numerischen Chromosomenaberrationen gibt es noch strukturelle Chromosomenveränderungen. Dabei kommt es beispielsweise zu Deletionen, Inversionen oder Translokationen.

Deletionen stellen Verkürzungen von Chromosomenabschnitten mit Verlust von Erbinformationen dar. Bei Inversionen werden zerbrochene Chromosomenteile umgekehrt zusammengesetzt. Translokationen zeichnen sich durch Verlagerung von Chromosomenabschnitten an andere Orte der Erbsubstanz aus. Das kann auch Chromosomen übergreifend geschehen.

Ursachen

Die Ursachen für Chromosomenaberrationen sind vielfältig. Numerische Chromosomenveränderungen entstehen durch Fehler während der Zellteilung. So kann es passieren, dass bei der Meiose die zwei Chromosomen eines Chromosomensatzes zusammenbleiben. Da bei der Meiose Keimzellen durch Halbierung des Chromosomensatzes entstehen, besitzt bei der fehlerhaften Teilung eine Keimzelle (Gamet) ein komplettes Chromosomenpaar und die andere gar keine Chromosomen der betreffenden Chromosomenart.

Verschmilzt bei der Befruchtung gerade einer dieser Gameten (Eizelle oder Spermium) mit einem normalen Gameten, kommt es entweder zu einer Trisomie oder einer Monosomie. Mit Ausnahme der X-Monosomie sind alle Monosomien nicht mit dem Leben vereinbar. Allerdings sind einige Trisomien lebensfähig. Bei den numerischen Chromosomenaberrationen kann es theoretisch auch zu mehr als drei Chromosomen in einem Chromosomensatz kommen.

Strukturelle Chromosomenaberrationen entstehen meist durch Brüche von Chromosomen, die durch Einwirkung chemischer Substanzen, Strahlung und anderen Einflüssen verursacht werden. Die zerbrochenen Einzelstücke werden dann falsch zusammengesetzt, wenn zusätzlich das Reparatursystem fehlerhaft arbeitet. So gehen Bruchstücke verloren, wobei sich das entsprechende Chromosom verkürzt (Deletion). Oder die Bruchstücke werden verkehrt zusammengesetzt (Inversion).

Bruchstücke oder gar ganze Chromosomen können aber auch an andere Chromosomen angehängt werden. Wenn hierbei alle Erbinformationen erhalten geblieben sind, handelt es sich um eine balancierte Translokation. Der Betroffene ist völlig gesund. Allerdings können seine Nachkommen dann an einer sogenannten Translokationstrisomie leiden. Sie besitzen den normalen Chromosomensatz und zusätzlich noch ein umgelagertes Chromosom. Bei der Translokationstrisomie werden ähnliche Symptome erzeugt wie bei einer normalen Trisomie.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Symptome bei einer Chromosomenaberration richten sich nach der Art der Störung. Die bekannteste Trisomie stellt das sogenannte Down-Syndrom dar. Beim Down-Syndrom ist das Chromosom 21 dreimal vorhanden. Dabei ist es unerheblich, ob eine normale Trisomie oder eine Translokationstrisomie vorliegt.

Das Downsyndrom zeichnet sich durch die charakteristische mongoloide Lidachsenstellung, Herzfehler oder Muskelhypotonie aus. Die geistige Retardierung ist oft durch eine intensive Förderung gut beeinflussbar. Die Lebenserwartung liegt bei 50 bis 60 Jahren. Bekannt sind auch Trisomie 13 (Pätau-Syndrom) und Trisomie 18 (Edwardssyndrom). Beide Syndrome führen im frühen Kindesalter bereits zum Tod.

Die numerischen gonosomalen Chromosomenaberrationen (Geschlechtschromosomen) werden mit Ausnahme der X-Monosomie (Ullrich-Turner-Syndrom) oft zufällig entdeckt, weil die Symptome mild sind. Beim Klinefeltersyndrom mit der Konstellation XXY fällt eunuchoider Hochwuchs, verzögerte Pubertät, Infertilität und weiblicher Habitus auf. Der IQ ist meist normal.

XXX-Frauen und XYY-Männer sind meist unauffällig, sodass diese Trisomien fast immer ein Zufallsbefund darstellen. Unter den strukturellen Chromosomenaberrationen sind das Cri-du-Cat-Syndrom (Deletion im kurzen Arm von Chromosom 5) und das Wolf-Hirschhorn-Syndrom (Deletion im kurzen Arm von Chromosom 4) am bekanntesten. Beide Syndrome stehen mit schweren körperlichen und geistigen Behinderungen im Zusammenhang.

Diagnose

Die Diagnostik von Chromosomenaberrationen erfolgt durch die Darstellung und Auswertung von Karyogrammen. Für die Herstellung eines Karyogramms werden die Zellen zur Teilung angeregt und gleichzeitig mit dem Zellgift Colchicin behandelt, um die geteilten Chromosomen beisammenzuhalten.

Danach werden die so festgelegten Chromosomen unter dem Mikroskop betrachtet und fotografiert. Es stellt sich ein typisches Bandenmuster dar, durch welches Chromosomenveränderungen ganz klar erkannt werden können.

Komplikationen

Durch die Chromosomenaberrationen kann es zu unterschiedlichen Gendefekten und Fehlbildungen beim Patienten kommen. In den meisten Fällen leiden die Betroffenen am sogenannten Down-Syndrom. Die meisten Syndrome belasten den Patienten mit starken Fehlbildungen. Dabei kommt in erster Linie zu einem Herzfehler und auch zu einer geistigen Retardierung.

Die Intelligenz des Patienten ist stark verringert, wobei diese allerdings durch Therapien und andere Lernmethoden beeinflussbar ist. Aufgrund des Herzfehlers sinkt die Lebenserwartung dabei auf ungefähr 60 Jahre. Oft leiden die Patienten auch an Minderwuchs und anderen Fehlbildungen, die das Gesicht oder die Extremitäten betreffen können.

Nicht selten kommt es aufgrund der Fehlbildungen auch zu psychischen Beschwerden oder zu Depressionen. Auch die sexuelle Entwicklung der Betroffenen ist durch die Chromosomenaberrationen verzögert oder findet nur sehr eingeschränkt statt. Es ist nicht möglich, eine Chromosomenaberrationen kausal zu behandeln. Der Patient muss sein gesamtes Leben mit den Symptomen des jeweiligen Syndroms leben.

Allerdings können viele davon eingeschränkt und therapiert werden, sodass der Alltag für den Patienten erträglich wird. Welche Maßnahmen für die Behandlung notwendig sind und ob es dabei gegebenenfalls zu Komplikationen kommt, hängt stark vom Gendefekt und der jeweiligen Maßnahme ab.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Bei den Chromosomenaberrationen hängen die Besuche beim Arzt sehr stark von der Ausprägung und der Art der Beschwerden ab. Leider können die Patienten in vielen Fällen mit Chromosomenaberrationen nicht überleben und versterben schon kurz nach der Geburt. In diesem Fall sollte auch ein Psychologe aufgesucht werden, falls die Eltern und die Angehörigen an psychischen Beschwerden leiden. In der Regel sind die Patienten bei dieser Krankheit auf regelmäßige Untersuchungen aller Organe und Körperfunktionen angewiesen.

Vor allem das Herz muss regelmäßig untersucht werden. Ein Besuch beim Arzt ist auch dann notwendig, wenn der Betroffene aufgrund der Chromosomenaberrationen an einer geistigen Retardierung leidet. Dabei ist der Patient auf eine spezielle Förderung angewiesen.

In der Regel kann die Diagnose bei einem Allgemeinarzt oder einem Kinderarzt erfolgen. Die weitere Behandlung richtet sich nach dem Ausmaß der Beschwerden und findet meistens bei den jeweiligen Fachärzten statt. Sollte das Kind auch an psychischen Beschwerden leiden, so sollte auch eine Behandlung bei einem Psychologen stattfinden.

Behandlung & Therapie

Die Therapie von Erkrankungen und Syndromen, welche durch Chromosomenaberrationen hervorgerufen werden, erfolgt immer symptomatisch. Eine ursächliche Behandlung ist ausgeschlossen. Einige Syndrome sind mit einer begleitenden Förderung gut beherrschbar. Dazu zählt das Down-Syndrom.

Sowohl die geistige Entwicklung als auch die Behandlung der körperlichen Beeinträchtigungen hängen häufig von den eingeleiteten Fördermaßnahmen und dem Gesamtkonzept der Behandlung ab.

Aussicht & Prognose

Die Chromosomenaberrationen haben eine schlechte Prognose, da eine Heilung nicht möglich ist. Wesentlich sind sie jedoch abhängig von den vorliegenden Störungen, die sich bei jedem Patienten individuell zeigen. Bei den meisten Patienten sind die Chromosomenaberrationen mit einer deutlichen Verringerung der durchschnittlichen Lebenserwartung verbunden.

Da ein Eingriff in die menschliche Genetik rechtlich nicht gestattet ist, kann keine kausale Therapie und damit eine Änderung der genetischen Mutationen erfolgen. Die Behandlung ist auf die Linderung der vorhandenen Symptome des Patienten ausgerichtet. Zudem versuchen Mediziner mit gezielten Therapien den Krankheitsfortschritt möglichst lange zu verzögern.

Die Chromosomenaberrationen sind verbunden mit zahlreichen Fehlbildungen oder kognitiven Einbußen. Zusätzlich kommt es zu Einschränkungen der Entwicklung sowie sexuellen Funktionen. Neben den körperlichen Auffälligkeiten können durch die Chromosomenaberrationen zahlreiche psychische Erkrankungen entstehen. Dies vermindert die Lebensqualität des Patienten um ein weiteres und verschlechtert insgesamt die Gesundheit des Patienten. Bei einer Zeugung von Nachkommen können die Chromosomenaberrationen an die nächste Generation weitergegeben werden. Dort besteht die Möglichkeit, dass es zu verringerten oder verstärkten Beschwerden kommt.

Bei Syndromen, die gut erforscht sind, besteht die Möglichkeit einer deutlichen Verbesserung der Lebensumstände. Fördermaßnahmen sowie ein individuelles Behandlungskonzept werden eingesetzt, die für den Patienten bessere Entwicklungsmöglichkeiten darstellen.


Vorbeugung

Zur Prophylaxe vor Erkrankungen durch Chromosomenaberrationen bei den Nachkommen sollte eine intensive humangenetische Beratung durchgeführt werden, wenn innerhalb der Familie oder Verwandtschaft bereits Erkrankungsfälle aufgetreten sind. Meist entstehen diese Syndrome zwar spontan. Allerdings besteht bei einer Translokationstrisomie eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Vererbung. Dabei ist ein gehäuftes familiäres Auftreten möglich, welches humangenetisch abgeklärt werden sollte.

Nachsorge

Dem Betroffenen stehen bei Chromosomenaberrationen in den meisten Fällen gar keine oder nur sehr wenige Maßnahmen einer Nachsorge zur Verfügung. Da es sich um eine genetisch bedingte Krankheit handelt, kann diese auch nicht vollständig behandelt werden. Daher sollte bei einem Kinderwunsch immer eine genetische Untersuchung und Beratung erfolgen, damit die Chromosomenaberrationen nicht bei den Kindern auftreten.

Die weitere Behandlung hängt sehr stark von der genauen Ausprägung der Krankheit ab, sodass dabei keine allgemeine Voraussage erfolgen kann. Eventuell ist auch die Lebenserwartung des Betroffenen verringert. Die Behandlung selbst erfolgt dabei in den meisten Fällen durch operative Eingriffe, welche die Fehlbildungen und Missbildungen lindern sollen. Nach einem solchen Eingriff sollte sich der Betroffene ausruhen und seinen Körper schonen.

Hierbei ist von Anstrengungen und von stressigen oder körperlichen Tätigkeiten auf jeden Fall abzusehen. Ebenso sind die meisten Betroffenen durch die Chromosomenaberrationen auch auf die Hilfe und die Unterstützung der eigenen Familie angewiesen, um den Alltag zu meistern. Dabei sind häufig auch intensive und liebevolle Gespräche notwendig, damit es nicht zu psychischen Verstimmungen oder zu Depressionen kommt.

Das können Sie selbst tun

Die Möglichkeiten der Selbsthilfe sind bei Chromosomenaberrationen relativ stark eingeschränkt. Der Betroffene ist dabei auf eine rein symptomatische Therapie angewiesen, da die Erkrankung nicht kausal behandelt werden kann. Häufig führen Chromosomenaberrationen auch zum vorzeitigen Tode des Betroffenen.

Menschen, die an Chromosomenaberrationen leiden benötigen eine intensive Pflege und können den Alltag häufig nicht alleine meistern. Hierbei erweist sich vor allem die Pflege durch die eigene Familie oder durch Freunde als sehr sinnvoll und wirkt sich positiv auf den Verlauf der Erkrankung aus. Ebenfalls benötigen die Kinder eine spezielle Schulbildung, da sie an einer verringerten Intelligenz leiden. Die genaue Behandlung hängt jedoch sehr stark von der genauen Erkrankung ab, sodass hierbei keine allgemeine Voraussage getroffen werden kann.

Häufig kann sich auch der Kontakt zu anderen Menschen als sehr hilfreich zeigen, da es dabei zu einem Austausch an Informationen kommen kann. Im Falle von psychischen Beschwerden oder Depressionen helfen Gespräche mit Freunden und mit der Familie. Sie ersetzen jedoch keinen Psychologen, sodass bei ernsthaften Beschwerden ein Arzt aufgesucht werden muss. Auch die Eltern und Angehörigen des Patienten leiden durch die Chromosomenaberrationen häufig an psychischen Beschwerden und sind auf einen Besuch bei einem Psychologen angewiesen.

Quellen

  • Buselmaier, W. et al.: Humangenetik für Biologen. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2005
  • Hennig, W.: Genetik. Springer, Berlin 1995
  • Rath, W., Gembruch, U., Schmidt, S. (Hrsg.): Geburtshilfe und Perinatologie: Pränataldiagnostik - Erkrankungen - Entbindung. Thieme, Stuttgart 2010

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