Dezerebrationssyndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

Sie sind hier: Startseite Krankheiten Dezerebrationssyndrom

Das Dezerebrationssyndrom entspricht einer Unterbrechung von Hirnstamm und Neocortex, die unterschiedlicher Schwere sein kann. Neben Störungen des Wachbewusstseins stellen sich sensorische und motorische Störungen ein. Die Behandlung hängt von der primären Ursache ab und entspricht bei Entzündungen zum Beispiel einer entzündungshemmenden Medikamentengabe mit daran anschließender Rehabilitation.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Dezerebrationssyndrom?

Patienten mit Dezerbrationssyndrom zeigen abhängig vom Ort und der Schwere der Unterbrechung unterschiedliche Symptome. Neben Bewusstseinsverlust und Lähmungen können Störungen der Augenbewegung und vegetative Funktionsstörungen charakteristisch sein.
© designua – stock.adobe.com

Der Hirnstamm liegt genau unter dem sogenannten Neocortex. Dabei handelt es sich um einen motorischen und multisensorischen Anteil der Großhirnrinde, der allen Säugetieren gemein ist. Zwischen Hirnstamm und Neocortex liegt ein Marklager, das von Medizinern als weiße Substanz bezeichnet wird.

Es besteht aus Gliazellen und myelinisierten Nervenfasern. Beim Myelin handelt es sich um die Isolierungssubstanz des Nervengewebes. Ohne isolierende Myelinscheide würden die einzelnen Erregungsbahnen Erregungspotenzial in die Umgebung verlieren. Aktionspotenziale könnten so im Gehirn nicht ohne Verluste an ihr Ziel gelangen. Der Neocortex und das darunterliegendes Marklager bilden gemeinsam das sogenannte Neopallium.

Von Dezerebrationssyndromen ist bei Entmarkungserkrankungen die Rede, die die Verbindung zwischen Neocortex und Hirnstamm aufheben. Die funktionale Entkopplung von Hirnstamm und Neocortex hat meist eine Vielzahl von motorischen, sensorischen und Bewusstseinsstörungen zur Folge. Abhängig von der Schwere der Schädigungen kann ein Koma eintreten. Das Dezerebrationssyndrom wird häufig auch als Enthirnungssyndrom bezeichnet.

Ursachen

Ursachen für Dezerebrationssyndrome gibt es viele. Die häufigste Ursache der Entkopplung sind Entzündungen des Gehirns, die zum Beispiel von autoimmunologischen Erkrankungen wie Multiple Sklerose hervorgerufen werden können. Auch bakterielle Infektionen können allerdings Entzündungen hervorrufen, die in ein Dezerebrationssyndrom münden.

Neben entzündlichen Vorgängen können auch Vergiftungen einen Niedergang des Myelins zur Folge haben und damit die Verbindung zwischen Neocortex und Hirnstamm aufheben. Von Dezerebrationssyndromen wurde außerdem nach mechanisch schweren Hirnschädigungen berichtet. Eine zusätzliche Ursache kann Sauerstoffunterversorgung sein.

Abhängig von der genauen Lokalisation der Unterbrechung unterscheiden Neurologen das Dezerebrationssyndrom in unterschiedliche Varianten. Eine Dezerebrationsstarre liegt zum Beispiel vor, wenn Neocortex und Hirnstamm zwischen Nucleus ruber und Deiters-Kern unterbrochen sind. In seltenen Fällen rufen Hirntumore Unterbrechungen zwischen Neocortex und Hirnstamm hervor.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Patienten mit Dezerbrationssyndrom zeigen abhängig vom Ort und der Schwere der Unterbrechung unterschiedliche Symptome. Neben Bewusstseinsverlust und Lähmungen können Störungen der Augenbewegung und vegetative Funktionsstörungen charakteristisch sein. Störungen des Wachbewusstseins treten in Abhängigkeit vom Schädigungsort und dem Verlaufsstadium in unterschiedlicher Ausprägung ein.

Eventuell besteht Sopor mit reduzierter Reaktivität auf Reize. Der Verlust des Wachbewusstseins kann bis hin zu einem tiefen Koma reichen, aus dem der Betroffene nicht mehr zu erwecken ist. Bei besonders schweren Fällen des Dezerebrationssyndroms ist von einem apallischen Syndrom die Rede.

Der bewusstlose Patient hat bei diesem Krankheitsbild zwar die Augen geöffnet und regiert auf Reize, kann aber auf keinerlei Großhirnfunktionen mehr zugreifen. Aus diesem Grund richten die Betroffenen den Blick in die Leere, statt Personen oder Objekte zu fixieren. Reflexe wie der Husten- und Würgereflex bleiben erhalten, da sie der Steuerung durch den Hirnstamm unterliegen. Auch der Schlaf-Wach-Rhythmus der Betroffenen bleibt von dem Krankheitsbild unberührt.

Diagnose & Verlauf

Die Diagnose eines Dezerebrationssyndroms stellen Neurologen über die klinische Symptomatik und Bildgebungen des Gehirns. In der Schichtaufnahme zeigen sich zwischen Neocortex und Hirnstamm deutlich erkennbare Läsionen, die sich klinisch als Entkopplung der beiden Strukturen manifestieren. Die Feindiagnose beinhaltet die Bestimmung des Schweregrads und die Abgrenzung von oder Zuordnung zu spezifischen Unterformen wie dem apallischen Syndrom, dem Locked-In-Syndrom oder der Dezerebrationsstarre.

Die Prognose hängt für Patienten mit Deterebrationssyndrom von der primären Ursache und dem Umfang der Läsionen ab. In einigen Fällen sind die Symptome gänzlich reversibel. Tritt der Zustand des Komas ein, gilt eine ungünstigere Prognose. Nichtsdestotrotz ist das Dezerebrationssyndrom nicht mit dem Hirntod gleichzusetzen.

Komplikationen

Die Komplikationen durch das Dezerebrationssyndrom hängen von der Ursache des Syndroms ab. Sie können im schlimmsten Falle zu starken Behinderungen und motorischen Störungen führen, die das Leben und den Alltag des Patienten einschränken. Es treten ebenfalls Störungen des Bewusstseins auf, der Patient kann dabei im schlimmsten Falle auch in ein Koma fallen.

Bei einer Störung des Wachbewusstseins kann der Betroffene seine Augen nicht mehr bewegen und auch nicht mehr mit anderen Menschen kommunizieren. Die Lähmungen können sich ebenfalls auf andere Regionen des Körpers übertragen und dort auch zu Schmerzen führen. Obwohl die Bewegung und Fixierung der Augen gestört ist, kann der Patient immer noch mit geschlossenen Augen schlafen.

Das Dezerebrationssyndrom wirkt sich auch in Form von psychischen Beschwerden und Depressionen auch auf die Angehörigen aus und kann deren Leben stark belasten. Die Behandlung des Dezerebrationssyndroms erfolgt kausal und richtet sich nach der Grunderkrankung. In den meisten Fällen findet diese mit Hilfe von Antibiotika statt. Tumore können dabei operativ entfernt werden.

Die weiteren Komplikationen hängen allerdings von der Ausbreitung der Krebserkrankung ab. In vielen Fällen wird die Lebenserwartung durch das Dezerebrationssyndrom verringert.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Da das Dezerebrationssyndrom zu irreversiblen Folgeschäden beim Patienten führen kann, ist eine Behandlung auf jeden Fall notwendig. Der Betroffene muss sofort einen Arzt aufsuchen, wenn es zu Lähmungen an verschiedenen Körperregionen kommt, die ohne einen besonderen Grund auftreten und auch nicht wieder von alleine verschwinden. Auch nach einem Unfall kann es zu diesen Störungen der Sensibilität kommen, die auf jeden Fall untersucht werden müssen. Weiterhin kann auch ein Bewusstseinsverlust auf diese Krankheit hindeuten.

Sollte es zu einem Bewusstseinsverlust kommen, sollte ein Notarzt gerufen werden. In der Regel befinden sich die Patienten beim Dezerebrationssyndrom allerdings in einem Koma, sodass diese auf einen stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus angewiesen sind. Auch bei Schlafbeschwerden, die mit einer negativen Beeinflussung der Reflexe zusammenhängen sollte ein Arzt konsultiert werden. In der Regel sind für die Diagnose des Dezerebrationssyndroms verschiedene Untersuchungen notwendig. Ein Allgemeinarzt kann diese anordnen oder erste Hinweise auf die Krankheit identifizieren. Ob dabei eine Behandlung möglich, kann nicht universell vorhergesagt werden.

Behandlung & Therapie

Die Behandlung von Patienten mit Dezerbrationssyndrom hängt von der primären Schädigungsursache ab. Akute Entzündungen werden zunächst medikamentös behandelt, um den Schaden einzugrenzen. Bei der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose wird zur Eindämmung eines akuten Schubs Cortison gegeben. Bei Unverträglichkeiten kann die autoimmunologische Entzündung mittels Plasmapherese eingedämmt werden, indem Autoantikörper aus dem Blut entfernt werden.

Auch bakterielle Entzündungen müssen zwingend eingedämmt werden, um keine lebensgefährlichen Ausmaße anzunehmen. Die medikamentöse Behandlung hängt in diesem Fall vom Erreger ab, beinhaltet aber oft die Gabe von Penicillin. Antibiotikabehandlungen kombinieren Neurologen seit der jüngsten Vergangenheit oft mit Hochcortisonbehandlungen, da Cortison als einzig entzündungshemmendes Medikament die Blut-Hirn-Schranke passieren kann.

Hängt das Dezerebrationssyndrom nicht mit Entzündungen, sondern einem Tumor zusammen, besteht die ursächliche Behandlung in einer Exzision. Falls der Tumor nicht operabel ist, kommen nicht-invasive Maßnahmen zum Einsatz, um das Geschwulst zu verkleinern. Mechanische Schädigungen und sauerstoffmangelbedingte Hirnschäden lassen sich ursächlich nicht behandeln.

Die einzige Behandlungsmöglichkeit besteht in diesem Fall in der Rehabilitation, die auch an die Akutphase von Entzündungen und Tumoren anschließt. Abhängig vom Schweregrad des Enthirnungssyndroms kann eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich sein. In einem solchen Fall wird ein Luftröhrenschnitt durchgeführt, über den der Patient mit einer Beatmungsmaschine verbunden werden kann. Außerdem kann eine Ernährungssonde erforderlich werden.

Aussicht & Prognose

Die Heilung des Deterebrationssyndroms ist individuell zu bewerten. Es besteht bei einigen Patienten die Möglichkeit einer vollständigen Genesung. Andere erleiden lebenslange Beeinträchtigungen. Die primäre Ursache und vorliegende Grunderkrankung sind maßgeblich für die Prognose der Erkrankung verantwortlich. Der Umfang der vorhandenen Läsionen und dessen Behandelbarkeit muss eingeschätzt werden, um eine Linderung des Deterebrationssyndroms beurteilen zu können.

Einige Patienten erhalten eine günstige Prognose. Bei ihnen kommt es zu einer vollständigen Rückbildung der Symptome. Die Läsionen sind nur leicht und lösen keine dauerhaften Gewebeschäden im Gehirn aus. Sobald sie sich minimieren, tritt eine Linderung der Beschwerden ein. Fällt der Patient in einen komatösen Zustand, verschlechtert sich die Prognose erheblich. Es ist damit zu rechnen, dass keine Heilung des Deterebrationssyndroms eintreten wird. Zusätzlich kann es jedoch zu weiteren Beeinträchtigungen oder Folgeerkrankungen kommen. Erlittene Hirnschädigungen lassen sich häufig gar nicht oder nur schwer therapieren.

Besonders ungünstig sind Hirnschäden, die aufgrund eines Sauerstoffmangels entstanden sind. Sie sind oftmals irreparabel. Es kommt zu kognitiven Einbußen oder Funktionsstörungen einzelner Systeme. Bei einer ungünstigen Prognose benötigt der Patient lebenslange Pflege und ist nicht in der Lage, seinen Alltag selbständig zu bestreiten. Zusätzlich kann kann es zu einer künstlich Beatmung oder Ernährung kommen.


Vorbeugung

Dem Enthirnungssyndrom lässt sich nur insoweit vorbeugen, wie seinen Ursachen vorzubeugen ist. Da unterschiedlichste Prozesse eine funktionale Unterbrechung von Hirnstamm und Neocortex hervorrufen können, existieren keine erfolgsversprechenden Präventionsmaßnahmen. Allenfalls lässt sich traumatisch schweren Hirnschädigungen im Rahmen eines Unfalls in Maßen vorbeugen.

Nachsorge

Bei einem Dezerebrationssyndrom steht in der Regel die frühzeitige Erkennung und Behandlung dieser Krankheit im Vordergrund, damit weitere Komplikationen oder im schlimmsten Fall der Tod des Betroffenen verhindert werden können. Maßnahmen der Nachsorge sind bei dieser Erkrankung sehr stark eingeschränkt, sodass der Betroffene in erster Linie auf die Behandlung durch einen Arzt angewiesen ist.

Je früher die Behandlung des Dezerebrationssyndroms dabei eingeleitet wird, desto besser ist meistens auch der weitere Verlauf dieser Beschwerde. Eine Selbstheilung kann bei diesem Syndrom nicht eintreten, sodass eine Behandlung auf jeden Fall notwendig ist. Die Behandlung selbst erfolgt dabei in der Regel mit Hilfe von Medikamenten, die die Beschwerden lindern können.

Dabei sollte sich der Betroffene an die Anweisungen des Arztes halten. In vielen Fällen ist dabei auch die Einnahme von Antibiotika notwendig, wobei während der Einnahme auf Alkohol vollständig zu verzichten ist. In vielen Fällen müssen die Antibiotika auch nach dem Verschwinden der Beschwerden einige Tage lang eingenommen werden. Weiterhin sollten regelmäßige Untersuchungen des Körpers erfolgen, um Tumore eventuell schon frühzeitig zu erkennen. Eventuell verringert das Dezerebrationssyndrom dabei die Lebenserwartung des Betroffenen.

Das können Sie selbst tun

Neben einem schweren Unfall können auch entzündliche und bakterielle krankheitsbedingte Vorgänge sowie Autoimmun-Erkrankungen, Multiple Sklerose, Krebs und Vergiftungen, wie nach einem toxischen Suizidversuch, das Dezerebrationssyndrom jederzeit auslösen. Daher müssen Betroffene sich über die Ursache im Klaren sein, um im Alltag so gut als möglich zur Selbsthilfe greifen zu können.

Ein sauberes hygienisches Umfeld sowie eine vernünftige Ernährungsweise und die Einnahme vorgeschriebener Medikamente sind wichtige Komponenten, sein Lebensniveau vorerst zu erhalten. Sofern der Betroffene medikamentös behandelt werden kann, sollte er eine Rehabilitationsmaßnahme anstreben und seine Lebensgewohnheiten anpassen.

Der sofortige Verzicht auf Zigaretten, Alkohol und Drogen ist unumgänglich und dient der Selbsthilfe. Ebenfalls sollte bei Übergewicht die Ernährungsweise überdacht und geändert werden. Solange es dem Patienten möglich ist, kann er ein ruhiges Training wie Tai-Chi, Yoga oder leichte Gymnastik ausüben.

Eher schwieriger zu bewältigen ist bei Fortschreiten des Syndroms die permanente Gefahr ins Wachkoma zu fallen, insbesondere für allein lebende Patienten. Ratsam ist es ein betreutes Wohnen anzustreben, zumal aufgrund des Krankheitsverlaufes es zu erheblichen Behinderungen im kognitiven und motorischen Bereich kommt. Aufgrund des Bewegungsverlustes und zunehmender Schmerzen entstehen schwere Depressionsschübe. Betroffene sollten daher rechtzeitig auch für die unmittelbar Angehörigen therapeutische Maßnahmen und eine unterstützende Hilfe im Alltag einholen.

Quellen

  • Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
  • Diener, H.-C., et al.: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012

Das könnte Sie auch interessieren