Locked-In-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 4. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Gefangener seines eigenen Körpers sein - eine schreckliche Vorstellung, die beim Locked-In-Syndrom (zu deutsch: Gefangensein-Syndrom oder Eingeschlossensein-Syndrom) beklemmende Wahrheit wird. Das bekannteste, medienpräsente Beispiel der heutigen Zeit ist wohl Stephen Hawking.
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Was ist das Locked-In-Syndrom?
Beim Locked-In-Syndrom handelt es sich um eine komplette Lähmung der vier Gliedmaßen und des Körpers, sowie des Sprachapparates, welches zu einem beinahe vollkommenen Verlust der Kommunikationsfähigkeit des Menschen mit seiner Umwelt führt.
Die Betroffenen können sich meist nur noch via Augenbewegungen (Zwinkern, Blinzeln u.ä.) verständigen, jedoch sind selbst auf diesem Wege nur sehr eingeschränkte Äußerungen durch Ja/Nein-Fragen (bzw. Und/Oder-Fragen) möglich.
Entfält auch diese Möglichkeit der Verständigung, kann nur noch durch technische Mittel Hilfe geleistet werden, um einen aktiven Kontakt zur Außenwelt weiterhin aufrecht zu erhalten.
Jedoch sollte umbedingt bemerkt werden, dass es sich bei dieser Erkrankung keineswegs um einen wachkomatösen Zustand handelt, da der Patient über sein gesamtes Bewusstsein verfügt, also sowohl hören, sehen, als auch seine Umwelt verstehen kann.
Ursachen
Andere häufige Ursachen sind Meningitis (Hirnhautentzündung), spezielle Nervenerkrankungen (z.B. amyotrophe Lateralsklerose), Schlaganfälle sowie schwere Traumata und Unfälle. Seltner kann das Locked-In-Syndrom bei Patienten mit Multiple Sklerose, Arterien-/Nervenentzündungen oder nach Missbrauch giftiger Substanzen/Drogen (Heroin) beobachtet werden.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Das Locked-In-Syndrom geht mit einem intakten Bewusstseinszustand bei fast völliger Handlungsunfähigkeit einher. Betroffene nehmen Reize wahr. Sie können also hören, riechen, schmecken, sehen und auch (eingeschränkt) fühlen. Das Sprachverständnis ist in der Regel nicht eingeschränkt.
Die Lähmungen, die bei einem Locked-In-Syndrom auftreten, umfassen die vier Extremitäten und die horizontalen Blickbewegungen. In den meisten Fällen geht die Fähigkeit zum Sprechen, Schlucken und zur Mimik verloren. Es bleiben zur Kommunikation also nur vertikale Blickbewegungen. Fallen diese aus, sind zumindest die Mechanismen zum Weiten der Pupillen noch intakt. Insgesamt ist die körperlichen Situation ab dem Halse abwärts mit der Situation vollständig Querschnittsgelähmter zu vergleichen.
Die Betroffenen sind ihrer Wachheit nicht eingeschränkt. Sie durchleben im weitesten Sinne also einen gewöhnlichen Biorhythmus. Es kommt kaum zu empfundenen Schmerzen oder zu einem unwohlen Körpergefühl. Das Bewusstsein um die eigenen Lähmungen ist vorhanden. Die kognitiven Möglichkeiten sind meist nur insofern eingeschränkt, insofern der Auslöser des Locked-In-Syndroms zu kognitiven Einschränkungen führen kann.
Aufgrund dessen, dass die Patienten meist völlig bei Bewusstsein sind, ist das Locked-In-Syndrom zwingend vom Wachkoma abzugrenzen. Bei diesem ist infrage zu stellen, ob und inwiefern die Betroffenen ihre Umgebung wahrnehmen.
Diagnose & Verlauf
Die Diagnose eines LiS kann durch reines "In Augenschein nehmen" nicht gestellt werden, da das Krankheitsbild rein äußerlich viel Ähnlichkeit zum Wachkoma oder akinetischen Mutismus (eine Erkrankung die sich v.a. durch eine schwere Antriebsstörung auszeichnet) aufweist.
Geeignete Diagnosemethoden bilden v.a. elektrische und magnetische Messungen der Gehirn- und Muskelaktivitäten. Mittels CT und MRT können somit Veränderungen in Durchblutung und Stoffwechsel des Hirns festgestellt werden. Meist werden diese technischen Diagnosemethoden mit Labortechniken kombiniert, um zum Beispiel einen Entzündungszustand bei Meningitis besser beurteilen zu können.
Der Verlauf dieser Erkrankung ist sehr individuell und hängt sowohl von seiner medizinischen Betreuung, als auch von der Ursache des Ausbruchs ab. So kann davon ausgegangen werden das eine Sterblichkeit von 59-70% dann vorliegt, wenn das LiS durch eine Blutung oder Verstopfung in Gehirngefäßen ausgelöst wurde. Bei Traumata, Tumoren u.ä. sinkt diese Rate auf ca. 30%. Durch Toxine (Gifte/Drogen) ausgelöste Erkrankungen führen sogut wie nie zum Tode.
Komplikationen
Oft kommt es damit zu Bewegungseinschränkungen, sodass die Patienten auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Aufgrund der Sprachstörungen entfällt in der Regel die Kommunikation mit der Außenwelt. Die Betroffenes selbst befinden sich dabei in einem Wachkoma und leiden an starken Depressionen und an anderen psychischen Verstimmungen.
Die Lebenserwartung des Patienten wird durch das Locked-In-Syndrom in den meisten Fällen nicht eingeschränkt. Allerdings hängt der weitere Verlauf stark von der Ursache des Locked-In-Syndroms ab, sodass ein allgemeiner Verlauf der Krankheit nicht vorausgesagt werden kann. Eine kausale Behandlung des Locked-In-Syndroms ist in der Regel nicht möglich.
Die Betroffenen sind dabei auf verschiedene Therapien und Hilfen im Alltag angewiesen. In der Regel kann das Syndrom auch nicht vollständig geheilt werden. Vor allem die Angehörigen des Patienten leiden durch das Syndrom an erheblichen Depressionen und anderen psychischen Einschränkungen.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Das Locked-In-Syndrom verhindert per Definition, dass der Betroffene selbst zum Arzt geht. Allerdings führt die besorgniserregende Symptomatik in jedem Fall dazu, dass der Erkrankte in ein Krankenhaus gelangt. Da ein Schlaganfall der häufigste Auslöser des Locked-In-Syndroms ist, ergibt sich die ärztliche Überwachung nach dem Vorfall in der Regel.
Betroffene eines Locked-In-Syndroms haben im Allgemeinen auch nicht die Möglichkeit, auf ärztliche Aufmerksamkeit zu verzichten. Das liegt daran, dass der Zustand dringend von anderen Zuständen der Bewegungsunfähigkeit abgegrenzt werden muss und eine entsprechende Versorgung und Betreuung erfolgen muss. Da der Betroffene nicht zielführend kommunizieren kann und die Symptomatik des Leidens so leicht verwechselt werden kann, obliegt es auch manchmal den Angehörigen, auf die Möglichkeit eines Locked-In-Syndroms hinzuweisen.
Da die Krankheit einer großen ärztlichen Aufmerksamkeit bedarf, sind im weiteren Verlauf Neurologen besonders wichtig, die die Funktionalität des Körpers überprüfen. Für den Verlauf einer möglichen Genesung ist es wichtig, dass die physiotherapeutische, logopädische, ergotherapeutische und gegebenenfalls psychotherapeutische Behandlung durch Fachärzte optimal abgedeckt wird.
Behandlung & Therapie
Eine Behandlung der Betroffenen erfordert in erste Linie eines: Eine intensive und individuelle Kombination aus Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie. Hauptziel ist es dabei, den Patienten zu mobilisieren und ihn somit aus seiner Bewegungsunfähigkeit herauszulösen. Je eher eine solche Rehabilitation angesetzt wird, desto wahrscheinlicher sind Erfolge.
In der Physiotherapie wird heute vor allem das Prinzip des "systematische repetitive Basis-Training" angewandt. Dieses beinhaltet das zunächst nur einzelne, kleine Bewegungen an Gelenken trainiert werden. Sind diese wieder selbstständig durchführbar und bestimmte Stellungen haltbar, werden die Trainingsübungen auf mehrere Gelenke und Muskelgruppen erweitert und später in genauen Tätigkeiten ausgeübt (zum Beispiel Gabel halten und zum Mund führen).
Weitere Hilfestellung beim Wiedererlernen verschiedener Fähigkeiten bietet die Ergotherapie, deren Ziele v.a. im Wiederaufbau von Fein- und Grobmotorik bietet. Andere Aufgabenbereiche sind die Verbesserung von Kommunikation (via Körpersprache), die Entwicklung sozio-emotionaler Fähigkeiten (Zeigen von Gefühlszuständen) aber auch die Hilfestellung bei eventuellen Umbauten im häuslichen Umfeld und die Anschaffung geeigneter Hilfsmittel.
Der Einsatz von Logopäden als dritte Säule der Therapie dient vor allem dem Schlucktraining, um selbstständige Nahrungsaufnahme wieder zu ermöglichen. Durch häufige, gezielte Übungen soll zudem eine Verbesserung der Sprachfähigkeit wiederhergestellt werden, um eine aktivere Kommunikation mit dem Patientenumfeld zu erreichen.
Aussicht & Prognose
Die Prognose des Locked-In-Syndroms ist im Normalfall ungünstig. In den meisten Fällen halten die Beschwerden lebenslang an oder zeigen über die Lebensspanne nur leichte Verbesserungen. Das erlangen einer vollständigen Genesung ist nur selten gegeben. Dennoch hängt der Krankheitsverlauf von der Ursache der Störungen auf. Gibt es eine Möglichkeit, die ursächlichen Auslöser zu beheben, kann eine Heilung erfolgen.
Zur Unterstützung der Lebensqualität und Förderung des Wohlbefindens werden verschiedene Therapien angewendet. Diese werden individuell an die Möglichkeiten des Organismus angepasst und variieren häufig über die Zeit. Bei dem Locked-In-Syndrom kommt es zu einer Langzeitbehandlung des Patienten. Ohne die Inanspruchnahme einer medizinischen Versorgung bleibt bestenfalls der status quo erhalten. In einem ungünstigen Fall kommt es zu einem vorzeitigen Ableben des Betroffenen.
Viele Betroffene berichten von einer Besserung ihrer Lebensqualität, wenn sie auch außerhalb der angebotenen Therapiemöglichkeiten selbstständig und eigeninitiativ gezielte Übungen und Trainings durchführen. Dennoch sind die meisten Patienten lebenslang auf die Hilfe von anderen Menschen angewiesen. Ihnen ist es meist nicht möglich, ihren Alltag ohne eine Vollzeitbetreuung zu bewältigen. Aufgrund der körperlichen Beeinträchtigungen kann es zu psychischen Folgeerkrankungen kommen. Die Erkrankung stellt für den Betroffenen aber auch für die Angehörigen eine starke emotionale Belastung dar.
Vorbeugung
Um eine Erkrankung zu vermeiden gibt es keine besonderen Maßnahmen. Eine gesunde Lebensführung ohne Körpergifte wie Alkohol, Nikotin (und den in Zigaretten enthaltenen Begleitstoffen) sowie Drogen jeglicher Art können Ursachen wie Schlaganfälle u.ä. minimieren, jedoch ist dadurch kein Garant gegeben.
Nachsorge
Da beim Locked-In-Syndrom in der Regel keine Selbstheilung eintreten kann, konzentriert sich die Nachsorge in erster Linie darauf, die starken Einschränkungen in der Bewegung zu handhaben. Die meisten Betroffenen sind in ihrem Alltag auf die Hilfe und die Unterstützung von der Familie und Freunden angewiesen. Dabei kann auch die Sprachfähigkeit eingeschränkt sein, sodass die Betroffenen nicht mehr richtig sprechen und auch keine Nahrung mehr selbst einnehmen können.
Da die Erkrankung häufig zu psychischen Beschwerden führt, kann es hilfreich sein, wenn die Beteiligten, also auch Angehörige, professionelle, psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Auch der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann einen Austausch an wertvollen Informationen bewirken und die Selbstsicherheit im Umgang mit der Erkrankung.
Das können Sie selbst tun
Mit beginnender Therapie, ist es auch am Betroffenen, Übungen, die allein oder im privaten Umfeld durchführbar sind, konsequent in seine Tagesplanung einzubauen. Dies gilt besonders dann, wenn der stationäre Aufenthalt beendet wird, da dies zumeist auch einen Rückgang von Therapiestunden bedeutet.
Für das Umfeld des Betroffenen bedeutet die Situation, dass sie bestimmte Kommunikationsformen ebenfalls erlernen müssen. Durch die Einschränkungen, wird es nötig, die Kommunikation anzupassen, um mit dem Betroffenen in Kontakt zu bleiben. Gleichzeitig sollte nicht zu sehr vereinfacht - einem Kleinkind gerecht beispielsweise - gesprochen werden, da Locked-In-Syndrom-Patienten zwar objektiv hilflos scheinen, aber sich ihre Wahrnehmung in der Regel nicht eingeschränkt ist. Auch obliegt es Angehörigen, die Pflege des Betroffenen zu unterstützen. Dies umfasst Besuche, eigens durchgeführte Handgriffe (insofern zugelassen) und natürlich das Überprüfen auf mögliches Wundliegen oder schlechte Körperhaltungen.
Weitere Maßnahmen, die vom Betroffenen und ihrem Umfeld ergriffen werden können, sind sehr von einem möglichen Therapieerfolg und den Spätauswirkungen des Locked-In-Syndroms abhängig. Sie gehören entsprechend gemeinsam mit Ärzten und Therapeuten erarbeitet.
Quellen
- Arasteh, K., et. al.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
- Mattle, H., Mumenthaler, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013