Emotionale Störungen im Kindesalter
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Emotionale Störungen im Kindesalter sind eine Gruppe von psychischen Erkrankungen, die bei Kindern und Jugendlichen auftreten. Die Störungen sind insbesondere durch Angst gekennzeichnet.
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Was sind emotionale Störungen im Kindesalter?
Dem Klassifizierungssystem ICD-10 zufolge gehören alle Störungen, die eine Verstärkung der normalen Entwicklung aufweisen, zu den emotionalen Störungen im Kindesalter. Im Vordergrund steht die Angst vor einem bestimmten Ding oder einer Situation. Kennzeichnend ist, dass dieses Objekt oder die Situation eigentlich ungefährlich ist.
Im DSM-IV, einem anderen Klassifizierungssystem für Erkrankungen, sind die emotionalen Störungen des Kindesalters hingegen nicht gesondert aufgeführt. Sie werden gemeinsam mit Angststörungen und Phobien von Erwachsenen codiert, sodass der Entwicklungskomponente hier keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. Laut ICD und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehören jedoch folgende Erkrankungen zu den emotionalen Störungen des Kindesalters:
- Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters
- Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters
- Emotionale Störungen mit Geschwisterrivalität
- Phobische Störung des Kindesalters
- Sonstige emotionale Störungen des Kindesalters
Ursachen
Für die Entstehung der emotionalen Störungen im Kindesalter gibt es verschiedene Theorien. Der Lehre der Psychoanalyse zufolge entstehen die Störungen durch eine Nichtbeachtung der kindlichen Bedürfnisse. Häufig ist zudem zu beobachten, dass auch die Bezugspersonen der erkrankten Kinder ängstlich wirken.
Eine weitere Theorie der Psychoanalyse besagt, dass die Ängste in Zusammenhang mit einer Trennungsangst auftreten. Nach den klassischen Lerntheorien und der kognitiven Betrachtungsweise basieren die Ängste hingegen auf einer klassischen Konditionierung. Ein ursprünglich neutraler Reiz erhält durch das räumlich-zeitliche Zusammentreffen mit einem angstauslösenden Reiz dazu, dass auch der eigentlich neutrale Reiz Angst auslöst.
Auch durch Modelllernen kann Angst erlernt werden. So kann beispielsweise das Kind beobachten, dass die Mutter ängstlich auf Hunde reagiert. Daraus schließt das Kind, dass Hunde gefährlich sein müssen und reagiert folglich ebenfalls mit Angst. Einige Forscher vermuten, dass die Angst vor einigen Gegenständen oder Situationen angeboren ist.
Nur durch eine Konfrontation mit der angstauslösenden Situation können Ängste abgebaut werden. Geschieht dies nicht, bleiben die Ängste erhalten. Der amerikanische Psychiater und Psychotherapeut Aaron Temkin Beck geht davon aus, dass die emotionalen Störungen des Kindesalters auf einer kognitiven Triade basieren. Für die Entstehung der Angst sind demnach drei Auslöser erforderlich: ein negatives Selbstbild, eine negative Interpretation der Situation /des Gegenstandes und eine nihilistische Einstellung zur Zukunft.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Rund zehn Prozent aller Kinder und Jugendlichen leiden im Laufe ihrer Entwicklung zumindest kurzzeitig unter einer Angststörung. Bei ein bis vier Prozent kommt es zu Trennungsängsten. Insgesamt betrachtet sind im Kindergartenalter weniger Jungen als Mädchen von emotionalen Störungen betroffen.
Die Angststörungen beginnen häufig bereits in der frühen Kindheit und können sich bis zum Erwachsenenalter chronifizieren. Durch die Störungen kann die normale Entwicklung des Kindes behindert werden. Nicht selten entwickeln sich im Verlauf der Erkrankung komorbide Störungen. So besteht insbesondere zu anderen Angststörungen eine recht hohe Komorbidität.
Fast die Hälfte aller Kinder mit einer emotionalen Störung leidet noch an einer weiteren Angststörung. Bei vielen Betroffenen finden sich zudem depressive Störungen. Oft gehen die emotionalen Störungen den depressiven Störungen voraus. Auch mit Störungen des Sozialverhaltens, Zwangssymptomen, elektivem Mutismus und Depersonalisationssyndromen finden sich Komorbiditäten. Je nach Störungsart treten zudem unterschiedliche Leitsymptome auf.
Emotionale Störungen mit Trennungsangst äußern sich durch eine anhaltende Sorge, dass der Bezugsperson etwas zustoßen könnte. Die betroffenen Kinder weigern sich zur Schule oder zum Kindergarten zu gehen, um bei ihrer Bezugsperson bleiben zu können. Sie haben Albträume, die die Trennung betreffen. Auch somatische Symptome wie Übelkeit, Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen können vor oder während der Trennung auftreten.
Bei der phobischen Störung zeigen die Kinder ausgeprägte Ängste vor bestimmten Gegenständen oder Situationen. In der Angstsituation schwitzen oder zittern die Kinder. Sie können Atembeschwerden, Schwindelgefühle oder Beklemmungen aufweisen. Eine anhaltende Ängstlichkeit in sozialen Situationen weist auf Störungen mit sozialer Ängstlichkeit hin.
Fremden gegenüber agieren die Kinder befangen. Sie sind verlegen oder machen sich übertriebene Sorgen bezüglich ihres Verhaltens. Dadurch sind die sozialen Beziehungen deutlich reduziert und beeinträchtigt. Das wiederum führt bei den Kindern zu Schweigen, Weinen und einem starken unglücklichen Gefühl. Emotionale Störungen mit Geschwisterrivalität äußern sich durch eine Konkurrenz zu jüngeren Geschwisterkindern. Das Kind buhlt um die Aufmerksamkeit der Eltern und zeigt häufig Wutausbrüche.
Diagnose
Bei Verdacht auf eine emotionale Störung des Kindesalters führt der behandelnde Arzt oder der behandelnde Psychiater beziehungsweise Psychotherapeut ein Gespräch mit dem betroffenen Kind und seinen Eltern. Fremdanamnesen mit Geschwisterkindern, anderen Kindern oder Lehrern können weitere Hinweise liefern, ob eine emotionale Störung vorliegt.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Die emotionalen Störungen im Kindesalter sind von einem Arzt abklären zu lassen, sobald sie von den Eltern oder nahen Angehörigen als ungewöhnlich wahrgenommen werden. Unterscheidet sich das Verhalten des Kindes von dem Gleichaltriger, gilt dies als Hinweis, um einen Arzt aufzusuchen und die Ursachen dafür zu ermitteln. Kinder durchleben verschiedene Phasen, in denen sie auffälliges Verhalten zeigen. Dies gilt als normal und muss nicht untersucht oder behandelt werden. Anhaltendes Weinen oder Schreien über mehrere Stunden ist jedoch ein Anzeichen auf eine vorliegende Problematik, die besprochen und ärztlich abgeklärt werden muss.
Es können körperliche wie auch seelische Belastungen vorhanden sein, bei denen das Kind Hilfe zur Bewältigung benötigt. Verweigert das Kind die Nahrungsaufnahme, spuckt es die aufgenommene Mahlzeit unverzüglich aus oder zieht es sich auffallend stark von den sozialen Kontakten zurück, besteht Grund zur Besorgnis. Bei Kindern, die nicht spielen, apathisch, interesselos sowie teilnahmslos sind, ist ein Arztbesuch notwendig. Verändert sich das Verhalten des Kindes plötzlich nach einem erlebten Ereignis, sollte die Rücksprache mit einem Arzt gesucht werden. Der Verlust eines Elternteils, ein Umzug oder eine Änderung bei dem Besuch der sozialen Einrichtungen können Auslöser sein. Das Kind benötigt in diesen Fällen eine Unterstützung bei der Verarbeitung der Geschehnisse.
Behandlung & Therapie
In den meisten Fällen sind ambulante Behandlungen ausreichend. Dabei wird meistens ein multimodaler Ansatz verfolgt. Zunächst sollten Kindern und Eltern Informationen über die Angststörung vermittelt werden. Dieser Teil der Therapie wird auch Psychoedukation genannt. Zudem können verhaltensorientierte Interventionen, psychodynamische Psychotherapien und auch Körperpsychotherapien durchgeführt werden.
Familientherapien oder die Einbeziehung der Familie in die Therapie können die Behandlungserfolge verbessern. In Einzelfällen kann eine Behandlung mit Psychopharmaka erforderlich sein. In besonders schweren Fällen reicht eine ambulante Behandlung nicht aus, sodass eine stationäre oder teilstationäre Therapie erforderlich sein kann.
Aussicht & Prognose
Die Aussicht auf Heilung ist bei emotionalen Störungen im Kindesalter gebunden an verschiedene Einflussfaktoren. Zu den wichtigsten Prädikatoren gehören die Persönlichkeit des Kindes, der Zeitpunkt der Behandlung, die Umwelteinflüsse und der Fortschritt der vorhandenen Störungen.
Die Prognose verschlechtert sich, sobald mehrere psychische Erkrankungen vorliegen und das soziale Umfeld nicht angemessen auf die vorhandenen Beschwerden reagiert. In diesen Fällen droht eine Zunahme sowie Manifestation der Beschwerden. Mangelt es an Unterstützung, Zuversicht und Verständnis, können sich die Symptome verschlechtern oder einen chronischen Verlauf nehmen.
In den meisten Fällen sind Ängste die Auslöser für die emotionalen Störungen. Eltern und Erziehungsberechtigte können sich auch ohne eine therapeutische Begleitung umfassend über den Umgang mit Ängsten und Unsicherheiten auseinandersetzen. Fachliteratur oder verschiedene Institutionen bieten viele Hilfsangebote an, die genutzt werden können. Bei entsprechenden Reaktionen sowie Trainings im Alltag sind Verbesserungen der Beschwerden möglich.
Emotionale Schwankungen treten bei jedem Menschen auf. Werden Kinder die Gegebenheiten erklärt und in ihren Befürchtungen ernst genommen, lindern sich oftmals die Symptome. Mit der Inanspruchnahme einer Therapie stellt sich in vielen Fällen eine schnellere Besserung der Störungen ein. Die Kompetenz eines Therapeuten ermöglicht eine gezielte Arbeit mit den Ursachen der Störungen. Eltern werden umfassend aufgeklärt und erhalten wichtige Verhaltenshinweise.
Vorbeugung
Da die genauen Ursachen der emotionalen Störungen des Kindesalters unbekannt sind, kann den einzelnen Störungen nicht vorgebeugt werden.
Nachsorge
Besondere Maßnahmen einer Nachsorge stehen bei dieser Krankheit in der Regel nicht zur Verfügung. Die emotionalen Störungen im Kindesalter sollten dabei schon so früh wie nur möglich erkannt und durch einen Arzt behandelt werden, damit es im späteren Erwachsenenalter nicht zu Komplikationen oder zu anderen psychischen Verstimmungen oder zu Depressionen kommt.
Entscheidend ist, dass Eltern schon früh die Beschwerden der emotionalen Störungen im Kindesalter erkennen und einen Arzt aufsuchen. Die Behandlung dieser Störung richtet sich dabei immer nach der genauen Ausprägung und wird in der Regel durch einen Psychologen begleitet und in einigen Fällen auch mit Hilfe von Medikamenten unterstützt. Die Eltern sollten bei ihren Kindern dabei auf eine richtige und regelmäßige Einnahme der Medikamente achten, um die Beschwerden zu lindern.
Häufig sind auch einfühlsame Gespräche mit den Kindern notwendig, um die Ängste und Beschwerden zu lindern und diese Störungen einzuschränken. Ob es dabei jedoch zu einer vollständigen Heilung kommt, kann nicht universell vorausgesagt werden. Auch die Unterstützung der gesamten Familie kann dabei sinnvoll sein. Die Lebenserwartung des Kindes wird durch Störungen dieser Art in der Regel nicht eingeschränkt.
Das können Sie selbst tun
Emotionale Störungen im Kindesalter bedürfen grundsätzlich einer professionellen Therapie. Diese sollte frühzeitig nach der Diagnose ansetzen, um dem Kind die bestmöglichen Chancen für seine Entwicklung zu ermöglichen. Entsprechend ausgebildete Therapeuten für das Fachgebiet emotionale Störungen im Kindesalter können die Problematik gezielt angehen und oft verhältnismäßig schnell gute Erfolge erzielen, von denen auch das soziale Umfeld des Kindes profitiert.
Steht einmal eine Diagnose eines Störungsbildes im Raum, ist es für Eltern nicht ratsam, im Alltag selbst als Therapeuten des Kindes fungieren zu wollen. Mangels psychologischen Fachwissens wird realistisch keine Besserung zu erzielen sein, und die Verschleppung einer professionellen Therapie bedeutet für das Kind Leidensdruck.
In Sachen Selbsthilfe können Eltern bei einer diagnostizierten emotionalen Störung im Kindesalter wenig tun. Dennoch haben sie Möglichkeiten, ihr Kind im Alltag gut zu unterstützen und durch die Therapie zu begleiten. Hierzu zählt auch der positive Blick auf die Therapie und die Bereitschaft des Elternhauses, mit dem Therapeuten konstruktiv zusammenzuarbeiten.
Hilfreich für das Kind ist auch ein klar strukturierter Alltag, der ihm hilft, sich trotz seines Störungsbildes gut zurechtzufinden, Regeln zu kennen und auf die Einhaltung derselben hin angeleitet zu werden. Gerade Kinder mit emotionalen Störungen können für ihr Umfeld häufig fordernd und anstrengend wirken. Gerade diese Kinder brauche immer wieder die ausdrückliche Versicherung der elterlichen Liebe, um ein gutes Selbstbewusstsein entwickeln zu können.
Quellen
- Fegert, J.M., Eggers, Ch., Resch, F.: Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters. Springer, Heidelberg 2012
- Koletzko, B.: Kinder- und Jugendmedizin. Springer Medizin Verlag, Berlin 2007
- Morschitzky, H.: Angststörungen – Diagnostik, Konzepte, Therapie, Selbsthilfe. Springer, Wien 2009