Mutismus

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 28. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Beim Mutismus handelt es sich um eine Sprachstörung, die zumeist keine körperlichen Ursachen, wie z.B. Defekte am Gehör oder Probleme mit den Stimmbändern, hat. Diese Sprachstörung ist also etwas völlig anderes als die bei Taubstummen. Die Ursache liegt in einer psychischen Störung oder an Schädigungen des Gehirns. Beim Mutismus wird zwischen (s)elektiven Mutismus, totalem Mutismus und akinetischen Mutismus unterschieden.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Mutismus?

Mutismus wird stark durch die genetische Disposition begünstigt. Menschen, die schon im Kindesalter häufig extreme Angstreaktionen gezeigt haben, sind am häufigsten vom Mutismus betroffen.
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Das Wort Mutismus wurde aus dem lateinischen „mutus“ abgeleitet, das so viel wie „stumm“ bedeutet. Dieser Begriff ist genau genommen aber nicht richtig, denn betroffene Menschen sind nicht stumm im klassischen Sinn, sondern können rein physisch durchaus sprechen.

Menschen, die unter dem selektivem und dem totalem Mutismus leiden, sind grundsätzlich rein körperlich in der Lage normal zu sprechen. Sie haben keine körperlichen Einschränkungen, die Sprache nicht zulassen, wie Störungen an den Stimmbändern oder im Gehör. Durch eine psychische Erkrankung leiden die Betroffenen aber unter so starker Angst, dass sie das Sprechen einstellen. Dies kann durchgehend oder nur in bestimmten Situationen sein.

Der akinetische Mutismus hat seine Ursache in einer Schädigung des Frontalhirns oder durch Gehirntumore. Auch die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit kann für den akinetischen Mutismus verantwortlich sein.

Ursachen

Mutismus wird stark durch die genetische Disposition begünstigt. Menschen, die schon im Kindesalter häufig extreme Angstreaktionen gezeigt haben, sind am häufigsten vom Mutismus betroffen.

Zu diesen Angstreaktionen zählen z.B. extreme Trennungsangst, Einschlafstörungen oder Weinanfälle. In Forschungen kam man zu dem Ergebnis, dass bei diesen Menschen das Angstzentrum im Gehirn viel heftiger reagiert als es eigentlich notwendig wäre. Kleine Gefahrensituationen können schon extreme Reaktionen auslösen um den Selbstschutz zu aktivieren. Bei einem gesunden Menschen würde eine solche Situation das Angstzentrum nicht so stark aktivieren.

Beim selektiven Mutismus wird die Angstreaktion durch bestimmte Ereignisse ausgelöst. Spricht das Kind zuhause völlig normal, kann es dagegen im Kindergarten beharrlich schweigen. Das Kind fühlt sich im Kindergarten aus einem nicht nachvollziehbaren Grund in Gefahr und spricht deshalb in dieser Umgebung nicht mehr. Beim totalen Mutismus schweigen die Betroffenen dagegen durchgehend. Verantwortlich ist hierfür ebenso eine psychische Störung, die genauen Ursachen sind jedoch nicht bekannt.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das Fehlen jeglicher Art von Kommunikation ist das Leitsymptom des Mutismus. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen sprechen nicht, halten keinen Blickkontakt, sind scheu und in sich gekehrt. Als weitere Anzeichen können Angst, im Mittelpunkt zu stehen und sich sportlich etwas zuzutrauen, wie zum Beispiel Angst vorm Schwimmen oder Fahrradfahren lernen, auftreten.

Außerdem ist ein erhöhtes Sprachaufkommen Zuhause möglich, das sofort beendet wird, wenn Fremde dazukommen. Beim selektiven Mutismus kommen diese Verhaltensweisen immer nur in bestimmten Situationen, gegenüber bestimmten Personen oder an ganz bestimmten Orten zum Tragen, wie zum Beispiel im Kindergarten. Das Auftreten ist genau vorhersehbar und immer gleich.

Durch verstärkte Mimik und Gestik wird zum Teil kompensiert, daß nicht gesprochen wird. Im vertrauten Umfeld hingegen wird gesprochen und es zeigt sich ein normales Verhalten. Beim totalen Mutismus wird die verbale und nonverbale Kommunikation immer vollständig vermieden. Körpergeräusche, wie Lachen, Husten und Niesen werden zwanghaft unterdrückt. Eine abgewandte Körperhaltung gehört ebenso zu den Symptomen, wie das Auftreten in jeder Situation, gegenüber allen Personen und an allen Orten. Hinzu kommt ein Erstarren des Körpers. Dies macht es dem Betroffenen nicht möglich zu interagieren.

Diagnose & Verlauf

Mutismus kann von Ärzten oder Psychologen diagnostiziert werden. Da diese Erkrankung aber noch nicht abschließend erforscht ist und relativ unbekannt ist, fällt die Diagnose nicht immer leicht.

Bei Kindern können die Eltern hierbei ausschlaggebende Hinweise liefern, die den Arzt in die richtige Richtung führen. Auch ein Sprachtherapeut kann der richtige Ansprechpartner sein. Sprachtherapeuten sind häufig besser mit Mutismus vertraut als Ärzte und Psychologen.

Für die weitere Entwicklung ist eine Behandlung mittels Psychotherapie enorm wichtig. Gerade betroffene Kinder leiden sehr stark unter der Situation, werden schnell zum Außenseiter und es kann zu Problemen in der Schule kommen. Zudem können Depressionen entstehen, die nicht selten Selbstmordgedanken auslösen können. Auch Sozialphobien sind häufig ein Folge von Mutismus.

Komplikationen

Totaler Mutismus kann die Behandlung erschweren, da sich der Betroffene auch einem Therapeuten oder Psychiater gegenüber nicht mitteilen kann. Mithilfe von geeigneten Gesprächstechniken können empathische Behandler jedoch die Kommunikation ermöglichen. Ähnliches gilt für selektiven Mutismus. In beiden Fällen ist ein gutes Vertrauensverhältnis zum Therapeuten oder Arzt besonders wichtig.

Bei Kindern mit selektivem Mutismus kommt es häufig zu anderen psychischen Erkrankungen oder Beschwerden. Viele Mutisten leiden unter einer Angststörung oder einer klinischen Depression. Dabei ist zu beachten: Mutismus sollte eigentlich nur dann diagnostiziert werden, wenn die Angststörung oder die Depression das psychogene Schweigen nicht vollständig erklären kann.

Ohne eine ausreichende Therapie besteht die Gefahr, dass der Mutismus bestehen bleibt. In der Regel sollte die Behandlung so bald wie möglich beginnen. Je länger der Mutismus andauert, desto wahrscheinlicher werden Komplikationen. Die Persönlichkeitsentwicklung kann beeinträchtigt werden.

Bei mutistischen Kindern sind Enkopresis und Enuresis ebenfalls häufige Komplikationen. Dabei koten beziehungsweise nässen sie sich ein, obwohl sie eigentlich bereits gelernt haben, ihre Ausscheidungen zu kontrollieren. Erwachsene Mutisten sind durch ihre psychische Krankheit häufig beruflich und familiär eingeschränkt.

Der Mutismus trifft bei anderen Personen häufig auf Unverständnis oder Hilflosigkeit. Wenn der Mutismus durch ein Trauma ausgelöst wird, erhöht sich durch ungünstige Reaktionen von Angehörigen die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Störungen der Kommunikation sind grundsätzlich einem Arzt vorzustellen. Kommt es zu Beeinträchtigungen der Lautgebung, erlernt das Kind trotz vielfacher Bemühungen keine Sprachgebung oder liegt eine plötzliche Verstummung vor, muss ein Arzt konsultiert werden. Kann sich der Betroffene nicht ausreichend über die Körpersprache ausdrücken, angemessen auf eine soziale Interaktion reagieren oder treten die Beschwerden situationsgebunden auf, sollten die Beobachtungen mit einem Arzt besprochen werden.

In vielen Fällen findet unter fast allen Gegebenheiten ein normaler Austausch des Betroffenen mit Personen seines nahen Umfeldes statt. Setzen die Beschwerden jedoch unter bestimmten sehr selektiven Bedingungen ein, sollte ein Arzt konsultiert werden. Charakteristisch ist, dass in einem anderen Umfeld eine sehr rege Kommunikation durch den Betroffenen gepflegt wird oder eine traumatische Erfahrung erlebt wurde.

Bei verschiedenen Verhaltensauffälligkeiten, Störungen der Persönlichkeit oder der allgemeinen Entwicklung wird ein Arztbesuch empfohlen. Kommt es im unmittelbaren Vergleich zu Gleichaltrigen zu Verzögerungen erlernbarer Fortschritte oder starken Lernschwierigkeiten, sollte ein Arzt aufgesucht werden. Bei Störungen des Gedächtnisses, Orientierungsproblemen oder einem Konzentrationsdefizit sind ärztliche Untersuchungen zur Klärung der Ursache notwendig. Eine abgewandte Körperhaltung und vermeintliches Desinteresse sind einem Arzt vorzustellen. Wird die Lautgebung von dem Betroffenen durch Geräusche wie Husten, Lachen oder Brummen ersetzt, liegt eine Unregelmäßigkeit vor, die abgeklärt werden sollte.

Behandlung & Therapie

Mutismus wird sowohl sprachtherapeutisch als auch psychiatrisch und psychologisch behandelt. Ob einzelne Behandlungsformen ausreichen, oder eine Kombination aus den verschiedenen Behandlungsbereichen nötig ist, muss vom Ausmaß der Erkrankung abhängig gemacht werden. Aber auch die eigentliche Ursache bestimmt die Form der Behandlung.

Zusätzlich kann Mutimus auch auf dem medikamentösen Weg behandelt werden, dafür werden Antidepressiva eingesetzt. Diese sorgen für einen ausgeglicheneren psychischen Zustand und vermindern somit auch Angstgefühle. Der Betroffene kann seinen Alltag entspannter erleben und wird weniger oft von der Sprachhemmung heimgesucht.

In jedem Fall ist es wichtig, eine Behandlung zu starten, sobald Mutismus diagnostiziert wurde. Je früher die Therapie einsetzt, umso größer sind die Erfolgschancen. Hat sich das Angstverhalten über viele Jahre gefestigt, ist eine Therapie sehr viel schwieriger und wird nicht so schnell zum Erfolg führen. Inzwischen existieren einige Therapieformen, die speziell für Mutismus entwickelt wurden. Welche die richtige Form der Therapie ist, kann unterschiedlich sein. Ein Allheilmittel existiert nicht.

Eine Therapie von Mutismus ist immer eine sehr langwierige Angelegenheit und nicht innerhalb von wenigen Wochen abgeschlossen. Je nachdem, wie stark sich die psychische Störung schon manifestiert hat, können Monate oder sogar Jahre der regelmäßigen Therapie nötig sein um eine dauerhafte Verbesserung zu erzielen.


Aussicht & Prognose

Ein selektiver Mutismus, wie er oft beim Eintritt in den Kindergarten oder in andere fremde Situationen auftritt, verschwindet oft nach wenigen Wochen oder Monaten wieder. Bleibt er länger als sechs Monate bestehen, ist die Prognose auf eine Genesung schlecht. Die Kinder bleiben meist bis zum Jugendalter relativ stumm und können nur durch jahrelanges Üben wieder erlernen, in unbekannten Situationen zu sprechen. Oft entwickelt sich im Erwachsenenalter eine Sozialphobie. Je früher die Erkrankung behandelt wird, desto besser ist die Aussicht auf eine Genesung.

Allerdings spielen auch die Ursache des Mutismus und der Charakter des Kindes sowie sein Umfeld eine Rolle. Kinder, die an Mutismus leiden, benötigen die Unterstützung mehrerer Bezugspersonen, die ihnen schon früh während der Erkrankung Mut machen und sie dadurch zum Sprechen bewegen. Der totale Mutismus kann wesentlich schwieriger behandelt werden. Das Kind spricht weder mit Freunden noch mit den Eltern, wodurch meist auch keine ärztliche oder therapeutische Behandlung möglich ist.

Die Aussicht auf eine gesunde Entwicklung ist nur dann gegeben, wenn das Kind von sich aus entscheidet, wieder zu sprechen. Der selektive Mutismus bildet sich oft im Jugendalter zurück. Die Kinder pflegen im späteren Leben ein ganz normales Sprechverhalten. Weitere Informationen kann der Verein Mutismus Selbsthilfe Deutschland e. V. geben.

Vorbeugung

Eine direkte Vorbeugung für Mutismus existiert nicht. Eltern, die bei ihren Kindern ein enorm gesteigertes Angstverhalten beobachten, sollten ihr Kind aber entsprechend stärken um die Ängste zu vermindern. Eventuell kann schon dann der Rat eines Kinderpsychologen angebracht sein, damit das Selbstbewusstsein des Kindes gestärkt und übersteigerte Ängste eingedämmt werden.

Nachsorge

Die Nachsorge ist vor allem ein Thema für Krebspatienten. Ärzte versprechen sich durch eine engmaschige Verlaufskontrolle das Wiederauftreten eines Tumors frühzeitig zu erkennen. Mutismus hingegen besteht oder konnte durch geeignete Therapien erfolgreich behandelt werden. Auch ist nicht, wie bei einem bösartigen Karzinom, eine Verkürzung der Lebenszeit erwartbar.

Daher geht es in der Nachsorge nicht primär darum, ein Wiederauftreten zu verhindern. Vielmehr sollen Patienten mit einem Leiden in ihrem Alltag Unterstützung erfahren. Eine Dauerbehandlung wird angeordnet. Das Ausmaß der Nachsorge hängt dabei stark vom Schweregrad des Mutismus und dem Lebensalter ab. Gerade bei Kindern empfiehlt sich eine häufige Verlaufskontrolle, weil der Mutismus schwerwiegende Entwicklungsverzögerungen hervorrufen kann. Diese lassen sich in späten Jahren nur noch schwer beheben.

Die Nachsorge umfasst regelmäßige Vorstellungen, wobei meist den Angehörigen und Eltern eine große Bedeutung zukommt. Sie erleben ihr Kind im Alltag und können daher am besten über Veränderungen und Fortschritte informieren. Wird der Mutismus von Depressionen begleitet, kann eine vorübergehende stationäre Unterbringung angebracht sein. Zu den ambulanten Maßnahmen gehören die Sprach- und Psychotherapie.

Das können Sie selbst tun

Bei Mutismus ist eine Sprachtherapie, verbunden mit einer Psychologe|psychologischen Behandlung, angezeigt. Eltern, die bei ihrem Kind Anzeichen von Mutismus feststellen, sollten frühzeitig einen Facharzt hinzuziehen.

Handelt es sich um selektiven Mutismus, muss das Gespräch mit den Pädagogen im Kindergarten oder den Lehrern in der Schule des Kindes gesucht werden. Womöglich liegt der Sprechverweigerung Ausgrenzung oder Mobbing zugrunde. Lässt sich die Ursache nicht ermitteln, ist eine weitergehende Untersuchung erforderlich. In vielen Fällen beginnen die Kinder zu sprechen, sobald sie über einen längeren Zeitraum Zuneigung erfahren. Eltern von betroffenen Kindern müssen darum viel Geduld und Verständnis zeigen.

Begleitend dazu können weitere Therapiemaßnahmen ergriffen werden, um dem Kind den Umgang mit der Erkrankung zu erleichtern. So kann das Kind oft durch eine Frühförderung zum Sprechen bewegt werden. Der Besuch einer spezielle Förderschule für Kinder mit Sprachstörungen kann dem Kind die Ängste nehmen und stellt zudem geeignete Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Welche Maßnahmen im Detail ergriffen werden können, muss ein Arzt oder Psychologe beantworten. Dieser wird zunächst eine umfassende Untersuchung durchführen und auch mit den Eltern sprechen. Die eigentliche Therapie kann von den Eltern dann gezielt unterstützt werden.

Quellen

  • Arnold, W.: Checkliste Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Thieme, Stuttgart 2011
  • Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Reia, M.: Facharztwissen HNO-Heilkunde. Springer, Heidelberg 2009

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