Gliazellen
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 5. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Gliazellen befinden sich im Nervensystem und grenzen sich strukturell und funktionell von den Nervenzellen ab. Nach neueren Erkenntnissen spielen sie eine bedeutende Rolle bei der Informationsverarbeitung im Gehirn sowie im gesamten Nervensystem. Viele neurologische Erkrankungen sind auf pathologische Veränderungen von Gliazellen zurückzuführen.
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Was sind Gliazellen?
Gliazellen sind neben den Nervenzellen am Aufbau des Nervensystems beteiligt. Sie verkörpern viele unterschiedliche Zelltypen, die strukturell und funktionell voneinander unterscheidbar sind. Rudolf Virchow, der Entdecker der Gliazellen, sah sie als eine Art Leim zum Zusammenhalt der Nervenzellen im Nervengewebe an. Daher gab er ihnen den Namen Gliazellen, wobei der Wortstamm "Glia" vom griechischen Wort "gliokytoi" für Leim abgeleitet wird.
Bis in die jüngste Vergangenheit wurde ihre Bedeutung für die Funktion des Nervensystems unterschätzt. Nach neueren Forschungsergebnissen greifen die Gliazellen aber sehr aktiv in die Informationsverarbeitung ein. Der Mensch besitzt ca. zehnmal mehr Gliazellen als Nervenzellen. Dabei hat sich sogar herausgestellt, dass das Verhältnis von Gliazellen zu Nervenzellen entscheidend für die Schnelligkeit der Nervenreizweiterleitung und damit auch der Denkprozesse ist. Je mehr Gliazellen vorhanden sind desto schneller ist die Informationsverarbeitung.
Anatomie & Aufbau
Eine weitere Gruppe von Gliazellen sind die Oligodendrozyten. Sie umlagern die Axone (Nervenfortsätze), welche die einzelnen Nervenzellen (Neuronen) miteinander verbinden. Astrozyten und Oligodendrozyten werden auch als Makrogliazellen bezeichnet. Neben den Makrogliazellen gibt es noch die Mikrogliazellen. Sie sind überall im Gehirn vorhanden. Während die Makrogliazellen ihren Ursprung im ektodermalen Keimblatt (äußere Schicht des Embryoblasten) haben, stammen die Mikrogliazellen aus dem Mesoderm. Im peripheren Nervensystem spielen die sogenannten Schwann-Zellen eine Rolle.
Auch Schwann-Zellen sind ektodermalen Ursprungs und erfüllen ähnliche Funktionen wie die Oligodendrozyten im Gehirn. Sie umlagern auch hier die Axone und versorgen sie. Daneben gibt es noch einige Sonderformen. So sind die sogenannten Müller-Stützzellen die Astrozyten der Retina. Des Weiteren gibt es noch Pituizyten, welche die Gliazellen des Hypophysenhinterlappens darstellen. Der HHL ist zu 25-30 Prozent aus Pituizyten aufgebaut. Ihre Funktion ist noch nicht vollständig geklärt.
Funktion & Aufgaben
Insgesamt erfüllen die Gliazellen vielfältige Funktionen. Die Astrozyten oder Astroglia stellen die Mehrzahl der im Nervensystem vorhandenen Gliazellen dar. Sie beteiligen sich maßgeblich an der Flüssigkeitsregulation im Gehirn. Dabei sorgen sie auch für die Aufrechterhaltung des Kaliumhaushaltes. Die während der Reizweiterleitung frei werdenden Kalium-Ionen werden von den Astrozyten aufgenommen, wobei sie gleichzeitig den extrazellulären pH-Haushalt im Gehirn regulieren.
Eine besondere Bedeutung besitzen Astrozyten bei der Teilnahme an der cerebralen Informationsverarbeitung. Sie enthalten in ihren Vesikeln den Neurotransmitter Glutamat, das bei seiner Freisetzung zur Aktivierung benachbarter Neuronen führt. So sorgen die Astrozyten dafür, dass die Signale im Körper weite Strecken zurücklegen und gleichzeitig für andere Neuronen weiter aufgearbeitet werden. Sie differenzieren also die Bedeutung einzelner Informationen. Neben der Moderation der Informationen bestimmen sie auch, wohin sie weitergeleitet werden sollen. Somit sind sie verantwortlich für den dauerhaften Auf- und Umbau des Informationsnetzes im Gehirn. Ohne Astrozyten wäre die Übertragung der Informationen sehr mühevoll.
Nur durch die komplexe Zusammenarbeit von Astrozyten und Neuronen ist der Lernprozess und damit die Ausbildung von Intelligenz möglich. Die Oligodendrozyten wiederum bilden das Myelin um die Nervenstränge. Je stärker bestimmte Informationsstränge ausgebaut werden desto dicker werden auch die Nervenstränge und desto mehr Myelin wird benötigt. Der dritte Typ der Gliazellen, die Mikrogliazellen, reagieren ähnlich wie die Makrophagen des Immunsystems auf Erreger, Gifte und abgestorbene körpereigene Zellen im Gehirn. Da durch die Blut-Hirn-Schranke keine Antikörper ins Gehirn gelangen können, wird diese Aufgabe von den Mikrogliazellen übernommen. Die Mikrogliazellen werden in ruhende und aktive Zellen eingeteilt.
Die ruhenden Zellen überwachen die Vorgänge in ihrer Umgebung. Bei Störungen durch Verletzungen oder Infektionen werden sie frei beweglich, wandern wie Amöben zu der entsprechenden Stelle und beginnen mit ihrer Abwehr- und Aufräumfunktion. Insgesamt wird immer deutlicher, dass Gliazellen nicht nur Stützfunktionen haben, sondern maßgeblich für die Leistungsfähigkeit des Gehirns und des Nervensystems verantwortlich sind.
Krankheiten
Dabei werden bei den entsprechenden Patienten sehr wenig Oligodendrozyten nachgewiesen, die für den Myelinaufbau verantwortlich sind. Möglicherweise sind teilweise auch für den Myelinaufbau wichtige Gene verändert. Bei der multiplen Sklerose kommt es vielfach zur Zerstörung des Myelinmantels. Die freigelegten Nervenfortsätze können dadurch keine Signale mehr übertragen und die abgeschnittenen Neuronen sterben ab.
Bei der erblich bedingten Leukodystrophie handelt es sich um eine fortschreitende Zerstörung der weißen Substanz des Nervensystems. Dabei wird das die Nerven umgebende Myelin abgebaut. Die Folge ist eine massive Beeinträchtigung der Nerven. Die betroffenen Personen leiden unter motorischen und weiteren neurologischen Störungen. Schließlich nehmen einige Hirntumoren ihren Ausgangspunkt im unkontrollierten Wachstum von Gliazellen.
Quellen
- Diener, H.-C., et al.: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
- Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
- Renz-Polster, H., Krautzig, S. (Hrsg.): Basislehrbuch Innere Medizin. Urban & Fischer, München 2012