Mendel-Bechterew-Reflex
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. November 2021Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Beim Mendel-Bechterew-Reflex handelt es sich um einen Fußreflex aus der Babinski-Gruppe, der zu den Pyramidenbahnzeichen gezählt wird. Die krankhafte Reflexbewegung kann Schädigungen der zentralen Motoneuronen andeuten. Solche Schädigungen stellen sich beispielsweise im Rahmen von Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ein.
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Was ist der Mendel-Bechterew-Reflex?
Der Mendel-Bechterew-Reflex ist ein krankhafter Reflex der Fußglieder. Die Reflexbewegung zählt zur Babinski-Gruppe und ist damit ein sogenanntes Pyramidenbahnzeichen. Die Neurologie kennt diese Reflexgruppe als Symptom bei Erkrankungen der Motoneuronen im Zentralnervensystem.
Die Motoneuronen sind die übergeordnete Schaltstellen für die willkürliche und die reflexhafte Motorik. Das untere Motoneuron liegt im Vorderhorn des Rückenmark auf den sogenannten Pyramidenbahnen. Von hieraus werden Nervenimpulse efferent aus dem Zentralnervensystem zu den Erfolgsorganen und der Skelettmuskulatur geleitet.
Benannt wurde der Mendel-Bechterew-Reflex nach Wladimir Michailowitsch Bechterew. Der russische Neurologe brachte den Reflex im 19. Jahrhundert erstmals mit einem pathologischen Wert in Verbindung. In Zusammenhang mit seinem Entdecker wird der Mendel-Bechterew-Reflex auch zur Gruppe der Bechterew-Reflexe gerechnet. Alle Bechterew-Reflexe haben Krankheitswert und gehen auf Bechterew als Erstbeschreiber zurück. Außer dem Mendel-Bechterew-Reflex zählt zB auch der Pupillenreflex zu den Bechterew-Reflexen.
Funktion & Aufgabe
Alle Reflexe werden durch sogenannte Trigger ausgelöst. Bei diesen Triggern handelt es sich um Wahrnehmungen aus einem der fünf Wahrnehmungssysteme des Menschen. Vor allem das visuelle System übernimmt im Zusammenhang mit Reflexen Trigger-Funktionen. Wenn die Augen zum Beispiel einen Gegenstand auf das Gesicht zukommen sehen, so wird der Abwehrreflex der Arme eingeleitet. Auch das Ausweichen wäre in diesem Zusammenhang ein motorischer Reflex.
Beim Hustenreflex sind die Trigger nicht spezifische Wahrnehmungen der Augen, sondern der Mechanorezeptoren in den Schleimhäuten der Atemwege. Wenn diese Sinneszellen starke Reizung registrieren, dann lösen sie Reflexhusten aus. Damit katapultieren sie Nahrungsbestandteile und Flüssigkeiten wieder aus den Atemwegen heraus, wenn sich der Mensch verschluckt.
Das Reflexsystem ist größtenteils nicht kontrollierbar, da es aus unwillkürlichen Bewegungen besteht. Im Laufe des Lebens verändert sich das Reflexsystem. Erwachsene haben daher weniger Reflexe als ein Baby, für das die reflexhaften Bewegungen noch überlebenswichtig sind. Säuglinge nuckeln so zum Beispiel automatisch an der Brust der Mutter lange bevor sie es willkürlich tun könnten. Dieser Reflex bildet sich nach dem ersten Lebensjahr zurück, da er dann zum Überleben nicht mehr benötigt wird.
Auch die Reflexe der Babinski-Gruppe sind für Säuglinge bis zu einem Jahr physiologische Reflexbewegungen. Sie haben demzufolge keinen Krankheitswert. Für einen Erwachsenen sind die Pyramidenbahnzeichen allerdings pathologisch und gleichen einer Rückentwicklung, wie sie bei einer Schädigung der zentralen Motoneuronen vorliegen kann.
Wie eingangs bemerkt sind die Motoneuronen die übergeordnete Schaltstelle für umfangreiche Bewegungsabläufe. Ein Säugling kann die Muskeln der einzelnen Fußglieder zum Beispiel noch nicht einzeln, sondern nur in der Gruppe bewegen. Wenn ihr Fußrücken bestrichen wird, bewegen sich so zum Beispiel alle Zehen Richtung Fußsohle. Diese Reflexbewegung ist der Mendel-Bechterew-Reflex.
Dank der Motoneuronen ist dem Menschen ab etwa einem Jahr aber die gezielte Bewegung einzelner Fußglieder möglich. Die zentralen Motoneuronen verschalten die Impulse ab diesem Alter als Aktionspotentiale an einzelne Muskelspindeln der Skelettmuskulatur. Wenn also bei einem Erwachsenen der Mendel-Bechterew-Reflex auslösbar ist, dann verweist das auf eine fehlende übergeordnete Kontrolle durch die zentralen Motoneuronen.
Krankheiten & Beschwerden
Die Reflexuntersuchung ist mittlerweile ein diagnostisches Standardverfahren der Neurologie. Trotzdem wird die Zuverlässigkeit von diagnostischen Kriterien aus der Babinski-Gruppe heute kritisch betrachtet. Ein einzelner Reflex aus der Babinski-Gruppe ist so mittlerweile bei Weitem nicht mehr ausreichend, um über eine Schädigung der Motoneuronen zu spekulieren. Diagnosesichernder Wert kommt dem Mendel-Bechterew-Reflex also nicht mehr zu. Dasselbe gilt für alle anderen Reflexe aus der Gruppe der Pyramidenbahnzeichen.
Nichtsdestotrotz können Reflexe der Babinski-Gruppe dem Neurologen einen ersten Verdacht auf die Lokalisation einer Läsion im zentralen Nervensystem geben. Bei einer Läsion des ersten Motoneurons treten begleitend vor allem Spastiken auf. Ist dagegen das zweite Motoneuron von einer Schädigung betroffen, so liegt als primäres Symptom meist Muskelschwäche oder Bewegungsunsicherheit vor.
Auf Basis dieser Zusammenhänge die Diagnose auf eine bestimmte Erkrankung zu stellen, ist noch immer eine Herausforderung, da verschiedene neurologische Krankheiten die Motoneuronen schädigen können. Die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose ruft zum Beispiel immunologische Entzündungen im Gehirn und im Nervengewebe des Rückenmarks hervor, die zu einer Schädigung der Motoneuronen führen können. Ebenso kann ALS eine motoneuronale Läsion verursachen. Bei dieser degenerativen Erkrankung wird Stück für Stück das Gewebe im motorischen Nervensystem abgebaut.
Neben dem diagnostischen Wert haben alle Pyramidenbahnzeichen auch prognostischen Wert. So spricht der Neurologe zum Beispiel eher von einem ungünstigen Verlauf der Multiplen Sklerose, wenn zu Krankheitsbeginn bereits Pyramidenbahnzeichen vorliegen. Auch als Prognosekriterium sind die Reflexe der Babinski-Gruppe aber keine 100-prozentig zuverlässigen Kriterien.
Quellen
- Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
- Hacke, W.: Neurologie. Springer, Heidelberg 2010
- Poeck, K., Hacke, W.: Neurologie. Springer, Heidelberg 2010