Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit (MEB) gehört zur Krankheitsgruppe der kongenitalen Muskeldystrophien, welche neben schweren Funktionsstörungen in den Muskeln zusätzlich Fehlbildungen in Augen und Gehirn aufweisen. Alle Erkrankungen dieser Gruppe sind erblich bedingt. Jegliche Formen der Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit sind unheilbar und führen bereits im Kindes- oder Jugendalter zum Tod.

Inhaltsverzeichnis

Was ist die Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit?

Die Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit ist durch eine Vielzahl von schwerwiegenden Symptomen und Missbildungen an Muskeln, Augen und Gehirn gekennzeichnet. Die Erkrankung tritt schon kurz nach der Geburt in Erscheinung.
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Im Rahmen der kongenitalen Myopathien stellen die kongenitalen Muskeldystrophien die Erkrankungen mit der schlechtesten Prognose dar. Diese sind durch schwere Fehlbildungen von Muskeln, Augen und Gehirn gekennzeichnet. Die Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit ist als kongenitale Muskeldystrophie eng mit dem sogenannten Walker-Warburg-Syndrom verwandt. Im Gegensatz zum Walker-Warburg-Syndrom verläuft MEB jedoch etwas milder.

Beide Erkrankungen weisen neben den zahlreichen Muskeldystrophien zusätzlich krankhafte Veränderungen an Augen und Gehirn auf. Beim Walker-Warburg-Syndrom besteht eine fehlerhafte Hirnanlage mit Schädellücken (Encephalozele), durch die Teile des Gehirns nach außen dringen können. Das ist bei MEB nicht der Fall, sodass die Encephalozele das Unterscheidungsmerkmal beider Erkrankungen darstellt.

Aus diesem Grund ist die Lebenserwartung beim Walker-Warburg-Syndrom im Gegensatz zur Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit deutlich niedriger. Sie beträgt hier nur zwei Jahre, während ein Patient mit der Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit je nach Verlauf zwischen 6 und 16 Jahre alt werden kann. Beide Erkrankungen werden auch durch Mutationen in den gleichen Genen hervorgerufen.

Hauptsächlich sechs Gene sind dafür verantwortlich. Das Auftreten der kongenitalen Muskeldystrophien ist geografisch sehr uneinheitlich. So wird die Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit verstärkt in Finnland beobachtet. Insgesamt liegen die Schätzungen für die Gesamtheit der kongenitalen Muskeldystrophien bei 1 zu 20.000 Neugeborenen.

Ursachen

Als Ursachen für MEB werden unterschiedliche Gendefekte an hauptsächlich sechs verschiedenen Genen verantwortlich gemacht. Dabei handelt es sich um die Gene für die Enzyme POMT1, POMT2, POMGNT1, Fukutin (FKTN), FKRP oder LARGE1. Die jeweilig codierten Enzyme unterstützen die Glykosylierung von Membranproteinen. POMT1 und POMT2 sind Protein-O-Mannosyltransferasen.

Sie sind für die Übertragung von Mannose zu den Membranproteinen von Muskel-, Augen- und Hirnzellen verantwortlich. Dort kommt es zur glykosidischen Bindung der Mannosemoleküle an die funktionellen Seitengruppen der Aminosäuren Serin oder Threonin innerhalb der Proteinkette. Mit der Verknüpfung des Zuckerrestes an die Proteinkette verändern sich die Eigenschaften des Proteins. Die einzelnen Eiweißketten von extrazellulärer Matrix und Zytoskelett werden stärker miteinander vernetzt.

Wenn dieser Prozess gestört ist, kann sich als Folge eine Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit entwickeln. Auch die anderen genannten Enzyme katalysieren jeweils einzelne Reaktionsschritte bei der Glykosylierung von Proteinen, die ebenso zur Vernetzung von extrazellulärer Matrix mit dem Zytoskelett beitragen. Alle Formen der Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit werden autosomal rezessiv vererbt.

Personen mit nur einem defekten Gen erkranken nicht. Wenn jedoch beide Elternteile jeweils ein mutiertes Gen besitzen, besteht für ihre Nachkommen eine 25-prozentige Wahrscheinlichkeit, an MEB zu erkranken. Das ist dann der Fall, wenn das Kind von beiden Elternteilen jeweils das kranke Gen erbt.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit ist durch eine Vielzahl von schwerwiegenden Symptomen und Missbildungen an Muskeln, Augen und Gehirn gekennzeichnet. Die Erkrankung tritt schon kurz nach der Geburt in Erscheinung. Die Muskeln weisen einen niedrigen Spannungszustand (Tonus) auf. Es besteht dauernde Muskelschwäche.

Die betroffenen Kinder haben Schwierigkeiten beim Stillen, da sie sehr schwach sind. Des Weiteren besitzen sie entweder kleine Augäpfel (Mikrophthalmie), Spaltbildungen in den Augen oder stark vergrößerte Augäpfel. Dazu kommen die Fehlbildung der Retina und die Entwicklung eines Glaukoms. Außerdem kann es durch die Fehlbildungen der Augen zur Erblindung kommen.

Das Gehirn ist ebenfalls häufig fehlgebildet. Die Hirnwindungen können völlig fehlen oder ungewöhnlich strukturiert sein. Der Sehnerv ist oft nur unzureichend ausgebildet. Häufig wird auch eine Unterentwicklung des Kleinhirns beobachtet. Es kommt zu psychomotorischen Einschränkungen, Gedeihstörungen, Krämpfe und geistiger Behinderung. Manchmal tritt auch ein sogenannter Hydrocephalus (Wasserkopf) auf, der allerdings meist nicht sehr stark ausgebildet ist.

Der Mund kann nur in eingeschränktem Maße geöffnet werden, weil sich die Kiefernmuskulatur zusammenzieht. Die Muskel- und Augenschwäche verschlimmert sich sehr schnell. Das führt zu einer Entwicklungsverzögerung des Kindes. Auch die motorischen Fähigkeiten verschlechtern sich. Es kommt immer häufiger zu Krämpfen. Die Erkrankung ist unheilbar und endet spätestens im Jugendalter tödlich.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Zur Diagnose der MEB wird zunächst eine Anamnese der familiären Krankengeschichte durchgeführt. Hier wird ermittelt, ob diese Erkrankung bereits in der Verwandtschaft vorgekommen ist. Über genetische Untersuchungen kann bestimmt werden, welches Gen für die Erkrankung verantwortlich ist. Zu den weiteren Untersuchungen gehören Ultraschalluntersuchungen des Gehirns, die Augeninspektion und die Bestimmung von Kreatinkinase im Blut.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Bei der erblich bedingten Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit ist der erste Arztkontakt oft bereits unmittelbar nach der Geburt gegeben. Die Schwere der genetisch verursachten Schäden ist so gravierend, dass die Betroffenen meist keine lange Überlebensdauer haben. Ein maximales Lebensalter von 16 Jahren ist erreichbar.

Warum die Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit in Finnland besonders häufig auftritt, ist bisher ein Rätsel. Im Idealfall ist bekannt, dass beide Elternteile entsprechende genetische Veranlagungen haben. In diesem Fall könnte der Arztbesuch einer Abtreibungsindikation dienen. Auch eine anschließende Sterilisierungsmaßnahme der Eltern wäre zu diskutieren.

Solche durch Genmutationen entstandenen Muskeldystrophien verursachen gleich zu Beginn des Lebens schwere Beschwerden. Sie hinterlassen außerdem erkennbare Schäden am Gehirn und den Augen. Diese Folgeschäden werden meist sofort, selten etwas später im Leben eines Kindes bemerkt. Falls die Abklärung der Symptome für die korrekte Diagnose nicht gleich nach der Geburt erfolgt, wird sie durch einen Arztbesuch wegen ungewöhnlicher Schwäche des Neugeborenen meist innerhalb der nächsten Monate gestellt.

Das Aussehen der Neugeborenen weist oft bereits auf die Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit hin. Ein Arztbesuch ist also kaum zu vermeiden. Alle weiteren Arztbesuche haben den Versuch der Symptomlinderung zur Folge. Mehr als eine symptomatische Behandlung, wie eine Beatmungshilfe oder eine künstliche Ernährung der Kinder mit der selten auftretenden Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit, ist derzeit nicht möglich.

Behandlung & Therapie

Leider gibt es keine kausale Therapie für die MEB. Das gilt jedoch für alle kongenitalen Muskeldystrophien. Diese Erkrankungen treten sehr selten auf. Dementsprechend liegen auch wenige Erfahrungen zu ihrer Behandlung vor. Lediglich symptomatische Behandlungen zur Verbesserung der Lebensqualität und der Lebensverlängerung stehen derzeit zur Verfügung.

In sehr schweren Fällen ist aufgrund der Muskelschwäche teilweise auch eine Sondenernährung oder Beatmung notwendig. Die wichtigste Maßnahme ist jedoch die bestmögliche Förderung des Kindes im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten.

Komplikationen

In der Regel kommt es bei der Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit zu verschiedenen Beschwerden und Fehlbildungen, die vor allem an den Muskeln, den Augen und am Gehirn des Patienten auftreten. Durch diese Fehlbildungen ist der Alltag des Betroffenen deutlich eingeschränkt und es kommt zu einer stark verringerten Lebensqualität. Weiterhin ist auch die Lebenserwartung durch diese Krankheit deutlich verringert, sodass es in der Regel schon im Jugendalter zum Tode des Patienten kommt.

Dadurch treten vor allem bei den Angehörigen und den Eltern psychische Beschwerden und Depressionen auf. Die Betroffenen leiden dabei an einer vollständigen Erblindung und an einer Muskelschwäche. Dadurch kommt es im Alltag durch die Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit zu erheblichen Einschränkungen, sodass die Patienten in den meisten Fällen auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sind.

Ebenso kommt es durch die Beschwerden auch zu einer geistigen Retardierung und im Allgemeinen zu starken Entwicklungsverzögerungen. Ebenso können die Betroffenen an starken Krämpfen leiden. Eine kausale Behandlung der Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit ist nicht möglich. Die Beschwerden können allerdings gelindert werden, damit der Alltag für den Patienten erträglich wird. Im letzten Stadium des Lebens ist in den meisten Fällen auch eine künstliche Ernährung und eine künstliche Beatmung notwendig.


Aussicht & Prognose

Die Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit zählt zu den Muskeldystrophien mit der schlechtesten Prognose. Die Aussicht auf eine Besserung des Gesundheitszustandes ist nur bei einer frühzeitigen Behandlung gegeben. Unabhängig vom Zeitpunkt der Behandlung besteht die Gefahr eines Therapieversagens. Die Folge einer gescheiterten Therapie kann eine erneute Infektion sein. Die Kurzsichtigkeit der betroffenen Kinder schreitet rasch voran.

Bereits nach wenigen Lebensmonaten kann eine deutliche Verschlechterung der Sehkraft festgestellt werden. Die Motorik verschlechtert sich spätestens bis zum fünften Lebensjahres des Kindes erheblich. Begleitend dazu treten Spastiken und Kontrakturen auf, welche die Prognose zusätzlich verschlechtern. Die Lebenserwartung ist stark reduziert. Abhängig vom Verlauf der Erkrankung erreichen betroffene Kinder das sechste bis sechzehnte Lebensjahr.

Die Lebensqualität nimmt hierbei kontinuierlich ab. Das Wohlbefinden kann jedoch durch eine umfassende symptomatische Therapie verbessert werden, etwa durch die Gabe von Schmerzmitteln und physiotherapeutische Maßnahmen. Die Prognose stellt der zuständige Facharzt im Hinblick auf die festgestellten Symptome und die Konstitution des Kindes. Die Prognose ist insgesamt also schlecht. Die seltene Erkrankung stellt auch für die Angehörigen des Kindes eine große Belastung dar. Meist ist eine therapeutische Aufarbeitung vonnöten. Generell ist die Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit ein schweres Leiden, welches die Betroffenen körperlich und seelisch stark belastet.

Vorbeugung

MEB ist eine genetisch bedingte Erkrankung. Deshalb kann es keine vorbeugenden Maßnahmen zu ihrer Verhinderung geben. Wenn jedoch Krankheitsfälle innerhalb der Familie oder der Verwandtschaft bekannt sind, können durch eine humangenetische Beratung die Risiken für die Weitervererbung der Erkrankung auf die Nachkommen abgeschätzt werden. Sollten beide Elternteile Träger des mutierten Gens sein, liegt die Wahrscheinlichkeit für MEB beim Nachwuchs bereits bei 25 Prozent.

Nachsorge

Bei der Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit erweist sich eine Nachsorge in der Regel als relativ schwierig, wobei dem Betroffenen in vielen Fällen gar keine besonderen Maßnahmen zur Verfügung stehen. Der Betroffene sollte daher schon bei den ersten Anzeichen und Symptomen dieser Krankheit einen Arzt aufsuchen, damit weitere Komplikationen oder Beschwerden verhindert werden können.

Da es sich dabei um eine genetisch bedingte Erkrankung handelt, kann eine vollständige Heilung in der Regel nicht stattfinden. Der Betroffene sollte daher im Falle eines Kinderwunsches auf jeden Fall eine genetische Untersuchung und Beratung durchführen lassen, um ein erneutes Auftreten der Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit zu verhindern.

Die Beschwerden selbst können dabei durch einige operative Eingriffe gelindert werden. Der Betroffene sollte sich nach einem solchen Eingriff ausruhen und seinen Körper schonen. Dabei ist von Anstrengungen oder von stressigen und körperlichen Aktivitäten abzusehen. Ebenso ist häufig die Hilfe und die Pflege durch die eigene Familie sehr wichtig.

Dabei ist auch eine psychologische Unterstützung wichtig, um Depressionen und andere psychische Beschwerden zu verhindern. Weitere Maßnahmen einer Nachsorge stehen dem Patienten bei der Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit nicht zur Verfügung, da die Krankheit selbst die Lebenserwartung erheblich einschränkt.

Das können Sie selbst tun

Die Muskel-Auge-Gehirn-Krankheit führt aufgrund der Schwere der Störungen bereits im Kindesalter oder bei Jugendlichen zu einem vorzeitigen Ableben. Die Mittel und Möglichkeiten der Erkrankung sind für den Betroffenen minimal. Es gibt keine Techniken oder Methoden, die eine Heilung bewirken oder die zu einer Erreichung der durchschnittlichen Lebenserwartung führen.

Aufgrund des Krankheitsverlaufs ist der Fokus auf die Verbesserung der Lebensqualität zu legen. Die Angehörigen und Menschen aus dem sozialen Umfeld sollten sich umfassend über die Erkrankung und deren Folgen informieren. Eine Umstellung der Lebensführung erfolgt insbesondere für die Familienmitglieder. Trotz aller Widrigkeiten und der schlechten Prognose hilft eine optimistische sowie positive Lebenseinstellung bei der Bewältigung der täglichen Herausforderungen. Die Freizeitaktivitäten sind nach den Wünschen und Bedürfnissen aller Beteiligter auszurichten. Stress, Streit und Konflikte sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Im Entscheidungsprozess für die Stärkung des Wohlbefindens des Patienten sind Einigkeit und Zusammenhalt der Angehörigen essentiell. Sie sollten im Interesse des Kindes handeln und egoistische Verhaltensmuster vermeiden.

Da die Erkrankung eine starke emotionale Belastung darstellt, ist die Inanspruchnahme einer psychologischen Betreuung für die Angehörigen anzuraten. Ein Austausch in Selbsthilfegruppen kann als stärkend empfunden werden, da Tipps und eine gegenseitige Unterstützung ein zentraler Mittelpunkt des Kontaktes ist.

Quellen

  • Hacke, W.: Neurologie. Springer, Heidelberg 2010
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Lang, G. K.: Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart 2014

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