Muskeldysmorphie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 22. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Personen mit dem Krankheitsbild Muskeldysmorphie verfolgen das Idealbild eines extrem muskulösen Aussehens. Dieses versuchen sie zwanghaft zu erreichen. Entsprechend ihrer gestörten Sichtweise werden sie dieses Ziel, dieses Aussehen, niemals erreichen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Muskeldysmorphie?

Der Krankheitsverlauf wird selbst unter Fachärzten häufig erst nach vielen Jahren als Muskeldysmorphie erkannt. Die Beachtung einer Vielzahl an Symptomen kann jedoch viel früher zu einer entsprechenden Diagnose führen.
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Generell gilt die Muskeldysmorphie (MD), auch bekannt als Bigorexie (Biggerexie), Adoniskomplex oder Muskelsucht, als Ausdruck eines gestörten Selbstbilds. Betroffen sind meist Männer, die Ihr eigenes Muskelbild als unzureichend halten, weil es nicht ihrer persönlichen Idealvorstellung entspricht.

Zu den Symptomatiken, die eine Muskeldysmorphie definieren, gehört auch, dass sich die Betroffenen trotz eines guten Trainingszustands für zu schmächtig halten und deshalb nicht selten zu gesundheitsgefährdenden anabolen androgenen Steroiden greifen. Auch der trainierte Muskeltonus erscheint nicht ausreichend und wird weiterhin wie unter Zwang trainiert.

Sie sind der Überzeugung, dass sie trotz überragender Muskelbildung nicht muskulös sind. Die negativen Auswirkungen von exzessivem körperlichem Training, womit vor allem das Gewichtheben angesprochen wird, nehmen die Betroffenen in Kauf, weil sie ihrer Meinung nach dem körperlichen Erscheinungsbild zuträglich sind.

1997 fanden die Forscher Pope, Gruber und Choi eine Unterklasse von körperdysmorphen Störungen. Ihre Forschungsergebnisse besagen, dass sich Betroffene weniger attraktiv und gesund empfanden im Vergleich zu ihren ebenfalls trainierenden Mitstreitern.

Ursachen

Entsprechend der Aussage des Psychologen Roberto Olivardia sind für eine Muskeldysmorphie vier Faktoren verantwortlich: ein sehr stark ausgeprägter Perfektionismus, ein geringes Selbstwertgefühl, das eigene Körperbild erscheint nicht zufriedenstellend und eine negative oder gar keine Beziehung zum Vater.

Werden psychische Konflikte gar nicht oder nur unzureichend verarbeitet, kann es mit der Zeit dazu kommen, dass Betroffene ihre Konflikte auf den eigenen Körper übertragen. Ihren Konflikten verleihen sie mit diesem Verhalten die gewünschte Ausdrucksstärke. Kurz gesagt: Der Muskelaufbau dient der Verringerung des psychischen Leidensdrucks.

Betroffene erkennen sehr schnell, dass auf den Körper einfacher Kontrolle ausgeübt werden kann als auf die eigene Emotionalität. Auch Fremdbilder (muskelbepackte Bodybuilder in den Printmedien) können als Auslöser fungieren. In diesem Fall übernehmen diese Darstellungen für die Betroffenen eine Vorbildfunktion.

Vielleicht, weil ihnen im realen Leben Vorbilder bisher fehlen. Auch eine biologische Neigung wird für möglich gehalten. Im Bereich der Stress bedingten Symptomatik sind der emotionale und der körperliche Stress als Auslöser für eine Muskeldysmorphie zu überdenken.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Der Krankheitsverlauf wird selbst unter Fachärzten häufig erst nach vielen Jahren als Muskeldysmorphie erkannt. Die Beachtung einer Vielzahl an Symptomen kann jedoch viel früher zu einer entsprechenden Diagnose führen. Zu den Symptomen gehören ein starker Gewichtsverlust und die Gier nach leistungssteigernden Produkten (Substanzen).

Auch das Betreiben von nicht nur regelmäßigem, sondern exzessivem Sport begleitet mit einem zunehmenden Realitätsverlust in Bezug zum eigenen Körperbild, zur eigenen Erscheinung, ist ein weiteres Indiz. Verstärkt treten auch hormonelle Störungen sowie die Bildung von Akne, hervorgerufen durch Anabolika, auf.

Soziale aber auch berufliche Kontakte verlieren an Priorität und werden einem exzessiven Trainingsplan untergeordnet. Symptomatisch sind auch Essattacken durch Verzicht auf viele Lebensmittel zugunsten von Diäten, die Muskelaufbau unterstützen. Öffentliche Umkleiden, wo Anwesende ihren Körper sehen können, werden gemieden.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass im fortgeschrittenen Stadium nicht mehr die maximale Muskulatur und der Waschbrettbauch, sondern der persönliche Sieg in Form von Selbstdisziplin über die eigene Gefühlswelt in den Vordergrund rückt.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Da es sich bei Muskeldysmorphie psychisch bedingt um ein gestörtes Wahrnehmungsbild handelt, sind die genannten Symptome Grundlage einer Diagnose. Hinzu kommt, dass sich die Betroffenen im Übermaß mit dem Thema Nahrung beschäftigen und sich trotzdem einseitig ernähren (alles muss dem Muskelaufbau dienen). Gewichtsverlust mit gleichzeitigem Muskelaufbau ist ein weiteres Indiz. Auch Veränderungen an den Brustwarzen sind häufig zu beobachten.

Komplikationen

In erster Linie leiden die Betroffenen bei einer Muskeldysmorphie an einem sehr starken Gewichtsverlust. Dieser Verlust kann sich sehr negativ auf die Gesundheit des Betroffenen auswirken und dabei zu verschiedenen Beschwerden führen. Nicht selten kommt es dabei auch zu einer stark verringerten Belastbarkeit des Patienten und auch zu einer dauerhaften Müdigkeit.

Der Alltag des Betroffenen wird deutlich eingeschränkt. Weiterhin leiden die meisten Betroffenen an Akne und damit an einem verringerten Selbstwertgefühl oder an Minderwertigkeitskomplexen. Die Betroffenen schämen sich oft für die Beschwerden und weisen auch hormonelle Störungen auf. Vor allem durch Anabolika kann es auch zu psychischen Beschwerden oder zu einem Realitätsverlust kommen, wenn keine Behandlung eingeleitet wird.

Das Essverhalten der Patienten ist stark gestört, sodass es auch zu Mangelerscheinungen kommt. Weiterhin können die Betroffenen auch das Bewusstsein verlieren. Ebenso kann sich die Muskeldysmorphie auch negativ auf soziale Kontakte auswirken und dabei zu Spannungen oder Ausgrenzungen führen.

Die Behandlung erfolgt dabei mit Hilfe eines Psychologen und einer Ernährungsberatung. Der Betroffene muss eine strenge Diät einhalten, um dem Gewichtsverlust entgegenzuwirken. Allerdings ist der Erfolg dieser Behandlung stark vom Willen des Patienten abhängig. Aus diesem Grund kommt es nicht in jedem Fall zu einem positiven Krankheitsverlauf bei der Muskeldysmorphie.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Eine Muskeldysmorphie entwickelt sich schleichend im Verlauf von Monaten oder Jahren. Die Erkrankung kann oft erst nach Jahren diagnostiziert werden, meist nachdem bereits ein konkreter Verdacht besteht. Sollten sich Indizien wie ein krankhaftes Selbstbild oder hormonelle Beschwerden einstellen, ist ärztlicher Rat gefragt. Die Betroffenen sollten frühzeitig mit dem Hausarzt sprechen. Dieser wird zunächst eine Anamnese durchführen und anschließend eine körperliche Untersuchung einleiten.

Da die Muskeldysmorphie nur schwer zu diagnostizieren ist, wird bei fehlenden körperlichen Ursachen außerdem ein Psychologe hinzugezogen. Personen, die unter psychischen Beschwerden oder ausgeprägten Persönlichkeitsstörungen leiden, sollten den zuständigen Arzt oder Therapeuten informieren. Zudem sollte die etwaige Einnahme von Medikamenten geprüft und gegebenenfalls angepasst werden.

Die eigentliche Behandlung ist langwierig und setzt sich aus medikamentösen und therapeutischen Maßnahmen zusammen. Um eine rasche Genesung zu gewährleisten, sollten Ernährungsberater, Sportmediziner und gegebenenfalls auch ein Internist in die Behandlung miteinbezogen werden. Bei einer stark ausgeprägten Muskeldysmorphie ist ein Aufenthalt in einer Fachklinik angezeigt.

Behandlung & Therapie

Eine Muskeldysmorphie bedarf einer professionellen Therapie in einer psychosomatischen Klinik. Dort kann durch ein Kompetenznetzwerk, dass sich auf die Zusammenhänge von seelisch-geistigen und körperlichen Beschwerden spezialisiert hat, eine zielführende Therapie durchgeführt werden. Es gilt, ein normales Essverhalten mit Gewichtsstabilisierung aufzubauen. Ferner lernen die Betroffenen unter Anleitung, eine autonome und selbstbewusste Lebensorientierung in den Fokus ihrer persönlichen Sichtweise zu rücken.

Die ambulante oder stationäre Therapie umfasst fünf wesentliche Punkte:

  • Gewichtsaufbau und gleichzeitig Behandlung von physischen Erkrankungen
  • parallel dazu eine individuelle Psychotherapie
  • Ernährungsberatung mit begleitender Therapie
  • Einbeziehung der Familie in die Therapie
  • Behandlung weiterer Störungen, die sich im Verlauf, teilweise über Jahre, ergeben haben

Die Behandlungsdauer lässt sich im Vorfeld nur schwer definieren. Sie liegt aber erfahrungsgemäß zwischen einem Monat und einem halben Jahr. Der Umfang an Therapiesitzungen wird meistens vom Therapeuten zusammen mit dem Patienten festgelegt. In der Regel werden von den gesetzlichen Krankenkassen 25 Sitzungen bezahlt.

Die Beantragung einer Verlängerung ist genauso möglich wie von vornherein mehr Stunden beantragt werden können. Zum Beispiel, wenn die Notwendigkeit einer Psychoanalyse vorliegt.


Aussicht & Prognose

Bei einer Muskeldysmorphie gibt es gute Aussichten auf Heilung, sobald die Krankheit professionell behandelt wird und eine Diagnose sowie die Behandlung frühzeitig stattfinden. Bei den meisten Patienten stellt sich durch eine Verhaltenstherapie eine deutliche Verbesserung ihres Gesundheitszustands ein. Die Behandlung kann stationär sowie auch ambulant stattfinden. Wenn die Behandlung in Verbindung mit medikamentöser Therapie angewendet wird, stellen sich bei den Patienten rasch deutliche Linderungen ihrer Symptome ein.

Eine alleinige Gabe von Medikamenten ohne Psychotherapie hat sich allerdings als weniger erfolgreich gezeigt. Bei den meisten Patienten kommt es oftmals zügig zu einem Rückfall der Symptome, sobald verschriebene Präparate abgesetzt wurden. Deshalb bestehen die besten Aussichten einer Heilung aus der Kombination einer Therapie sowie der Gabe von Arzneimitteln. Die Behandlung dauert dabei oft mehrere Monate oder sogar Jahre. Beschwerden bilden sich allmählich schrittweise zurück, bis eine komplette Beschwerdefreiheit erreicht wurde.

Die Muskeldysmorphie kann unbehandelt in den chronischen Verlauf überspringen. Dadurch verschlechtert sich die Prognose deutlich. Die Spontanheilung ist eher unwahrscheinlich. Die Symptome der Krankheit können während des Verlaufs in ihrer Intensität schwanken. Gleichzeitig nehmen die Beschwerden zu, je länger die Erkrankung besteht. Durch Zunahme der Beschwerden steigt das Suizidrisiko der Betroffenen an. Damit keine lebensbedrohliche Situation eintritt, ist rechtzeitige Therapie unumgänglich.

Vorbeugung

Der Kontakt zu einer präventiven Jugendhilfe für Kinder, Jugendliche und Familien oder zur Fachberatung für Suchtprävention des zuständigen Schulamtes kann weiterhelfen. Der Verein für Arbeits- und Erziehungshilfe e. V. mit seiner Fachstelle für Prävention gilt als zielführende Anlaufstelle nicht nur für Jugendliche. Kinder- und Jugendliche sollten auf ihrem Weg der Selbstfindung mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit begleitet werden. Nicht selten steht das „sich Abheben“ von der Masse im Vordergrund, was schnell zu einem übertriebenen Körperkult führen kann.

Ein gesundes Körper- und Selbstwertgefühl, eine sichere Selbstwirksamkeit und ein realistisches Selbstkonzept gilt als beste Prävention gegen übertriebenen Körperkult.

Nachsorge

Die Therapie einer Muskeldysmorphie gilt als schwierig. Bisher ist die Erkrankung wenig erforscht und es haben sich fast keine allgemein gültigen Ansätze zur Behandlung herausgebildet. Diese Gegebenheiten - und da es sich um eine psychische Störung handelt - machen nicht selten eine langwierige Nachsorge erforderlich.

Auch die leichte Zugänglichkeit von Aufbausubstanzen und das medial erzeugte Idealbild eines Mannes bedingen eine längere Therapie. Patienten erfahren durch die Nachsorge eine nachhaltige Stabilisierung. Therapeuten versuchen, Komplikationen wie Alkoholismus, Depressionen und ein vermindertes Selbstwertgefühl zu verhindern. Art und Umfang der Sitzungen richten sich nach dem Ausmaß der Muskeldysmorphie.

Viele Ärzte verschreiben zudem Psychopharmaka, um den Behandlungserfolg zu erhöhen. Grundsätzlich führt eine erfolgreiche Therapie zum Ende der ärztlichen Untersuchungen. Da allerdings bei bestimmten psychischen Erkrankungen die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls gegeben ist, sind planmäßige Gesprächstermine ratsam.

Patienten mit einer zurückliegenden Muskeldysmorphie sollten daher in den ersten Jahren quartalsweise ihren Arzt aufsuchen. In den stattfindenden Untersuchungen kann erörtert werden, inwiefern sie in alte Muster zurückfallen. Darüber hinaus empfiehlt sich auch die regelmäßige Teilnahme an Selbsthilfegruppen für Süchtige. Ein Arzt vermittelt entsprechende Kontakte. Daraus ergibt sich eine gewisse Kontrolle durch andere Betroffene.

Das können Sie selbst tun

Personen, die an einer Muskeldysmorphie leiden, bedürfen einer professionellen Therapie. Die therapeutischen Maßnahmen können durch einige Veränderungen im Alltag unterstützt werden. Zunächst muss die Ernährung umgestellt werden, damit rasch eine Stabilisierung des Gewichts erreicht werden kann. Eine individuell angepasste Diät ermöglicht es den Patienten zudem, ein normales Essverhalten zu entwickeln. Begleitend dazu kann eine Ernährungsberatung in Anspruch genommen werden. Unter Anleitung eines Fachmanns lernen die Betroffenen, eine positive Aussicht auf das Leben zu entwickeln.

Die Muskeldysmorphie ist oft auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen oder tritt im Zusammenhang mit anderen seelischen Beschwerden auf. Deshalb ist begleitend zur Verhaltenstherapie immer auch eine weitergehende psychologische Beratung angezeigt. Der Therapeut kann den Patienten bei der Aufarbeitung tieferliegender Ursachen unterstützen und so zu einer raschen Genesung beitragen. Ebenso wichtig ist die Hilfe von Freunden und Angehörigen. Oft findet die Therapie unter Einbeziehung der Familie statt oder der Betroffene nimmt begleitend zur psychologischen Beratung an einer Selbsthilfegruppe Teil.

Welche Maßnahmen die Erkrankten ansonsten ergreifen können, hängt von der Art und Ausprägung der Muskeldysmorphie ab. Darum sollte vor jeder Therapie eine umfassende Anamnese sowie eine körperliche Untersuchung durch den Hausarzt und einen Therapeuten stattfinden.

Quellen

  • Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015
  • Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015
  • Möller. H.-J., Laux, G., Deister, A., Braun-Scharm, H., Schulte-Körne, G.: Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013

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