Phänotypische Variation
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 14. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
Sie sind hier: Startseite Körperprozesse Phänotypische Variation
Die phänotypische Variation beschreibt unterschiedliche Merkmalsausprägungen von Individuen mit gleichem Genotyp. Das Prinzip wurde durch den Evolutionsbiologen Darwin bekannt gemacht. Krankheiten wie die Sichelzellanämie beruhen auf phänotypischer Variation und waren ursprünglich mit einem evolutionären Vorteil assoziiert.
Inhaltsverzeichnis |
Was ist die phänotypische Variation?
Der Phänotyp bezeichnet das tatsächliche Erscheinungsbild eines Organismus inklusive aller Einzelmerkmale eines Individuums. Statt auf morphologische Merkmale bezieht sich der Ausdruck auf physiologische Merkmale und Verhaltensmerkmale. Der Phänotyp hängt nicht ausschließlich von genetischen Eigenschaften eines Organismus ab, sondern wird vor allem von Umwelteinflüssen bestimmt.
Mit der phänotypischen Variation bezieht sich die Biologie auf die unterschiedlichen Merkmalsausprägungen zwischen Individuen derselben Art. Trotz gemeinsamem Genotyp nehmen die Individuen aufgrund von Umwelteinflüssen unterschiedliche Phänotypen an.
Das Prinzip der phänotypischen Variation geht auf die Beobachtungen der Franzosen Georges Cuvier und Étienne Geoffroy Saint-Hilaire zurück. In Großbritannien wurde es erstmals von Erasmus Darwin und Robert Chambers beschrieben. Charles Darwin machte die phänotypische Variation schließlich bekannter, gilt aber nach heutigen Erkenntnissen nicht als Erstbeschreiber des Phänomens. Er benutzte in Zusammenhang mit der phänotypischen Variation den Ausdruck der Divergenz und beschrieb damit, dass phänotypische Individualmerkmale mit den Generationen stetig zunehmen und sich einzelne Vertreter eine Rasse immer weiter von den Rassenmerkmalen entfernen.
Funktion & Aufgabe
Phänotypische Variation ist nicht durch genetische Mutation festgelegt, kann über die Generationen allerdings in Mutation münden. Aus einem Genom ist der spätere Phänotyp nicht eindeutig abzulesen. Ebenso wenig kann vom Phänotypen eindeutig auf einen bestimmten Genotypen geschlossen werden. Das Genotyp-Phänotyp-Verhältnis bleibt so relativ undeutlich.
Gemäß der synthetischen Evolutionstheorie Darwins werden kleinste Veränderungen im Phänotypen im Laufe der Evolution zu manifesten Merkmalsänderungen, die sich bis hin zum Artenwandel bewegen können. Mutationsbedingte Änderungen eines Phänotypen können mit einem geografischen Selektionsvorteil einhergehen und in zwei geografisch begrenzte Untervarianten derselben Art münden, die nebeneinander bestehen bleiben. Ein Beispiel hierfür ist die Laktose-Persistenz, die vor Tausenden Jahren Nordeuropäern die Verstoffwechslung von tierischer Milch erlaubt hat.
Die Evolutionäre Entwicklungsbiologie führt neben der kontinuierlichen Variation des Phänotypen komplex diskontinuierliche Spontanvariationen in derselben Generation auf. Alle Arten weisen phänotypische Variationen auf. Variationen bilden keine Ausnahme, sondern entsprechen dem Regelfall. Die Variation von bestimmten Merkmalen innerhalb derselben Art ist räumlich nicht gleichverteilt. Unterschiedliche Populationen weisen zum Beispiel oft Variabilität auf, so zum Beispiel Individuen mit unterschiedlichen Körpergrößen. Alle phänotypischen Variationen der Populationen einer Art belegen die Evolutionsvorgänge.
Die phänotypische Variation ist ein Basisstein der natürlichen Selektion und verschafft Individuen in unterschiedlichen Milieus damit Überlebensvorteile. Die Unterschiede zwischen menschlichen Augen- und Haarfarben sind das mitunter bekannteste Variationsbeispiel innerhalb der menschlichen Art. Bei Arten wie dem Zebra tritt das Prinzip der phänotypischen Variation derweil zum Beispiel in den Streifenunterschieden der Zebraarten in Erscheinung. Burchellzebras besitzen rund 25 Streifen, Bergzebras besitzen etwa 4o und Grevyzebras sogar um die 80.
Krankheiten & Beschwerden
Das mitunter bekannteste Beispiel für die Vorteile von phänotypischen Variationen ist die Laktosetoleranz des Menschen. Ursprünglich war die menschliche Art außerhalb der Säuglingszeit nicht dazu in der Lage, Milch und Milchprodukte zu verstoffwechseln. Diese Laktoseintoleranz verschwand mit der Zeit durch phänotypische Variation für fast alle Individuen im nordeuropäischen Raum. Da die Fähigkeit zur Verstoffwechslung von Milch und Milchprodukten mit wesentlichen Evolutionsvorteilen für den Menschen einherging, nahm der Phänotyp durch eine genetische Mutation rückwirkenden Einfluss auf den Genotypen. Seither gilt die Laktosetoleranz für den nordeuropäischen Menschen als Norm. Nichtsdestotrotz bleiben zur selben Zeit Phänotypen mit der ursprünglichen Laktoseintoleranz innerhalb der menschlichen Art bestehen.
Über diese Zusammenhänge hinaus spielt die phänotypische Variation außerdem für Krankheiten, so vor allem für hereditäre Krankheitsbilder eine Rolle. Je länger eine bestimmte Erkrankung in einer Art verbreitet ist, desto wahrscheinlicher sind phänotypische Variationen derselben Krankheit. Auf diese Weise kann dasselbe Krankheitsbild nach mehreren Generationen unterschiedlichste Symptome hervorrufen. Anhand der Untertypen einer Krankheit lässt sich damit in etwa nachvollziehen, wie lange die Erkrankung in einer Art bereits verbreitet ist.
Phänotypische Variation findet außerdem bei hereditären Erkrankungen statt, die nur durch gewisse exogene Faktoren zum Ausbruch gelangen. Krebs kann beispielsweise im Genotypen angelegt sein, aber gelangt trotzdem nicht bei jedem Phänotypen zum Ausbruch.
Quellen
- Buselmaier, W. et al.: Humangenetik für Biologen. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2005
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
- Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011