Sichelzellenanämie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 28. Februar 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die Sichelzellenanämie (fachsprachlich: Drepanozytose) ist eine erbliche Erkrankung der roten Blutkörperchen. Man unterscheidet eine schwere homozygote und eine milde heterozygote Form. Da die heterozygote Sichelzellenanämie eine gewisse Resistenz gegen Malaria verleiht, ist sie v. a. in Malariarisikogebieten (Afrika, Asien und Mittelmeerraum) verbreitet.
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Was ist eine Sichelzellenanämie?
Die Sichelzellenanämie zählt zu den Hämoglobinopathien (Störungen des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin). Hämoglobin ist ein kompliziert aufgebautes Protein aus 4 Untereinheiten, das den roten Blutkörperchen (Erythrozyten) ihre Farbe verleiht und Sauerstoff zum Transport durch den Organismus bindet.
Das bei Sichelzellenanämie veränderte Hämoglobin (HbS) neigt dazu, bei Sauerstoffmangel auszukristallisieren. Dadurch verformen sich die Erythrozyten sichelzellförmig und verstopfen Gefäße, gehen zugrunde oder werden verfrüht abgebaut. Sichelzellenanämie ist daher geprägt von hämolytischer Blutarmut und Durchblutungsstörungen.
Ursachen
Heterozygot Erkrankte besitzen ein gesundes und ein erkranktes Allel; bei ihnen ist nur etwa 1 Prozent des Hämoglobins verändert. Homozygot Erkrankte mit zwei mutierten Allelen besitzen nur abnormes Hämoglobin, was zu einem sehr viel schwereren Krankheitsverlauf führt. Auch im gesunden Organismus herrscht in kleinen Gefäßen ein physiologischer Sauerstoffmangel, der das gesunde Hämoglobin dazu bringt, hier seinen Sauerstoff abzugeben.
Bei homozygoter Sichelzellenanämie führt schon dieser physiologisch niedrige Sauerstoffpartialdruck zur Verformung der Erythrozyten. Sie verstopfen die Gefäße und neigen dazu, sich aufzulösen. Das dabei frei werdende Hämoglobin bindet Stickstoffmonoxid - einen wichtigen Gefäßerweiterer (Vasodilatator). Die Gefäße werden also nicht nur verstopft, sondern verengen sich zusätzlich. Durch den Verschluss vieler kleiner Endarterien kommt es bei Sichelzellenanämie zu Durchblutungsstörungen und Schäden in diversen Organssystemen.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Die Symptome einer Sichelzellenanämie können unterschiedlich stark auftreten - abhängig davon, ob der Betroffene ein homo- oder heterozygoter Träger der verantwortlichen Genmutation ist.
Bei heterozygoten Trägern kommen meist im Allgemeinen keine Symptome vor. Es kann gelegentlich allerdings zu einer Hämolyse kommen. Dabei werden viele rote Blutkörperchen plötzlich abgebaut, was vor allem die Nieren stark belasten kann und zu vorübergehender Sauerstoffarmut führt. Diese Form der Hämolyse kann lebensbedrohlich sein. Dabei folgt ein solcher Zerfall von roten Blutkörperchen bei heterozygoten Erbgutträgern als Antwort auf Sauerstoffmangel oder bestimmte Medikamente.
Homozygote Träger zeigen hingegen schon wenige Monate nach der Geburt die ersten Symptome. Es kann zu heftigen Schmerzattacken infolge einer mangelnden Sauerstoffversorgung kommen. Auch werden Blutgefäße häufiger verstopft, was zu kleinen und großen Infarkten führen kann. An den nicht mit Sauerstoff versorgten Körperteilen kommt es gelegentlich zum Absterben von Gewebe. Es kommt sehr häufig zu Knochenschmerzen.
Die an einer Sichelzellenanämie erkrankten Personen haben zudem eine erhöhte Infektanfälligkeit und klagen oftmals über Fieber. Die Neigung zur Gelbsucht ist stark erhöht, was auf den vermehrten Abbau von zerstörten Erythrozyten zurückzuführen ist. Zudem zeigen sich alle Symptome einer Anämie. Dies führt zu Blässe, hellen Schleimhäuten, Konzentrationsschwierigkeiten, einem Schwächegefühl und in einigen Fällen zu Luftnot.
Diagnose & Verlauf
In den ersten Lebensmonaten produziert jeder Mensch ein besonderes fetales Hämoglobin, auf das sich der Gendefekt der Sichelzellenanämie nicht auswirkt. Die Krankheit macht sich daher erst ab dem 6. Lebensmonat bemerkbar, wenn das adulte Hämoglobin ins Spiel kommt.
Im Kindesalter fallen vorwiegend die homozygoten Patienten auf: Sie leiden früh an schmerzhaften hämolytischen Krisen. Diese beinhalten eine hämolytische Anämie mit Blässe, Ikterus und Schwäche sowie Durchblutungsstörungen und multiple kleine Organinfarkte, typischerweise im Gehirn und im Auge, in Milz, Lunge, Niere und Herz sowie in Muskulatur und Knochen. Die Skelettreife ist verzögert. Ein typisches Symptom ist auch eine schmerzhafte Dauererektion (Priapismus).
Die Diagnose Sichelzellenanämie wird durch Labordiagnostik gesichert, insbesondere durch Hämoglobin-Gelelektrophorese. Ein Gentest differenziert zwischen homozygoter und heterozygoter Erkrankung. Nur die Hälfte der homozygot Betroffenen erreicht das 30. Lebensjahr. Wegen der vorgeschädigten Lungen sind Lungeninfektionen die häufigste Todesursache.
Im Gegensatz zur schweren Krankheitsform kann eine heterozygote Sichelzellenanämie lange unauffällig bleiben. Die erste hämolytische Krise tritt hier unter Umständen erst bei unphysiologischem Sauerstoffmangel auf, z. B. unter extremer sportlicher Belastung oder bei Höhenaufenthalten.
Komplikationen
Werden kleine Gefäße an den Beinen durch die Sichelzellenanämie verstopft, droht die Entstehung von Hautgeschwüren an den Beinen. Als neurologische Komplikation gelten Krampfanfälle. In schweren Fällen sind zudem Hirnblutungen oder ein Abgleiten des Patienten ins Koma möglich. Grund dafür sind Blockaden innerhalb des Gehirns, die einer umgehenden Therapie bedürfen.
Ebenfalls zu den Folgeerscheinungen der Sichelzellenanämie gehört die Bildung von Gallensteinen. Sie stellen nicht die Folge einer Gefäßblockade dar, sondern werden durch den Zerfall von roten Blutkörperchen (Erythrozyten) hervorgerufen. Zu den Nebenprodukten dieser Zerfallserscheinungen zählt das Bilirubin. Wird der Bilirubinspiegel im Blut erhöht, steigt die Gefahr, dass sich Gallensteine bilden, die auch die Bezeichnung Pigmentsteine tragen.
Beim männlichen Geschlecht zeigt sich mitunter bei einer Sichelzellenanämie Priapismus. Dabei handelt es sich um eine schmerzvolle und dauerhafte Erektion. Sie kommt durch die Blockade der Blutgefäße innerhalb des Penis zustande. Ohne eine Behandlung kann der Priapismus erektile Dysfunktionen zur Folge haben.
Eine gefürchtete Komplikation der Sichelzellenanämie stellt Blindheit dar. Verursacht wird sie durch Blockaden der Gefäße, die für die Versorgung der Augen zuständig sind. Dabei drohen Schäden an der Netzhaut.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Nur durch eine medizinische Behandlung dieser Krankheit können weitere Komplikationen und Beschwerden verhindert werden. Daher sollte schon bei den ersten Anzeichen und Beschwerden der Sichelzellenanämie ein Arzt aufgesucht werden. Ein Arzt ist dann aufzusuchen, wenn der Patient an einem dauerhaften Mangel an Sauerstoff leidet. Dabei kommt es häufig zu einer starken Müdigkeit oder zu einer starken Verwirrtheit, wobei die Betroffenen auch träge sind und nicht mehr aktiv am Alltag teilnehmen. Weiterhin können starke Schmerzen am Kopf oder an den Knochen auf die Sichelzellenanämie hinweisen und müssen ebenfalls durch einen Arzt behandelt werden.
Die Patienten leiden an einer erhöhten Anfälligkeit für Infekte und ebenfalls an einer starken Blässe oder an einem hohen Fieber. Wird die Sichelzellenanämie nicht behandelt, kommt es zu einer deutlich verringerten Lebenserwartung des Patienten. Die Sichelzellenanämie kann durch einen Allgemeinarzt erkannt und behandelt werden. Eventuell ist zur Behandlung auch der Besuch bei einem Facharzt notwendig. Der weitere Verlauf der Sichelzellenanämie hängt allerdings auch stark von der genauen Art der Krankheit ab.
Behandlung & Therapie
Eine kausale Therapie gegen Sichelzellenanämie existiert (noch) nicht. Die einzige Hoffnung auf Heilung besteht in Knochenmarktransplantationen - diese werden aber erst in Ausnahmefällen angewandt und gehen noch mit relativer hoher Mortalität einher.
Die Routinebehandlung der Sichelzellenanämie konzentriert sich auf Verzögerung und Linderung der Symptome. Insbesondere in Schmerzkrisen müssen Patienten mit Analgetika versorgt werden. Bei akutem Hämoglobinabfall können partielle Blutaustauschtransfusionen sinnvoll sein. Häufig ist bei Sichelzellenanämie die Milz rückgebildet und nicht ausreichend funktionsfähig; die Patienten benötigen dann einen sorgfältigen Impfschutz, z. B. gegen Pneumokokken.
Bildet sich die Milz nicht zurück, kann sie sich allerdings auch pathologisch vergrößern (Splenomegalie), zur Verschlimmerung der Blutarmut beitragen und eine Splenektomie (Entfernung der Milz) erforderlich machen. In jedem Fall sollten Patienten mit Sichelzellenanämie auch außerhalb von Krisen regelmäßige ambulante Routineuntersuchungen wahrnehmen.
Vorbeugung
Da es sich bei der Sichelzellenanämie um einen erblichen Gendefekt handelt, gibt es keine Prävention gegen die Krankheit selbst. Allerdings können heterozygote Patienten zu einem milderen Verlauf beitragen, indem sie Sauerstoffmangel (etwa durch Höhenaufenthalte oder sportliche Belastung) meiden, auf sorgfältigen Impfschutz achten und regelmäßig ärztliche Kontrolluntersuchungen in Anspruch nehmen.
Nachsorge
Die Sichelzellenanämie gilt als nicht heilbar. Im Vordergrund der Nachsorge bei Patienten mit Sichelzellenanämie stehen die Patientenschulung, die Patientenberatung (Lebensführung), die Infektionsprophylaxe und Impfungen sowie die Routinediagnostik. Gegenstand der Patientenschulung ist das Informieren des Patienten über die Erkrankung selbst.
Er muss erlernen, dass die Sichelzellenanämie zu lebensbedrohlichen Symptomen führen kann. Die Warnzeichen akut bedrohlicher Komplikationen (zum Beispiel Sepsis) sollen dem Patienten gegenwärtig sein und sofort zur Vorstellung bei einem Arzt führen. Ärztlich bekannt ist, dass bei Patienten mit Sichelzellenanämie ein Schub durch Dehydratation, Unterkühlung, Hypoxie, Azidose und Infektionen ausgelöst werden kann.
Die Patientenberatung zielt daher darauf ab, den Patienten in seiner Lebensführung so zu sensibilisieren, dass er diese fünf Faktoren möglichst umgeht. Der Zeitraum zwischen den Schüben kann so verlängert werden. Neben den allgemeinen Hygienemaßnahmen ist bei Patienten mit Sichelzellenanämie als Infektionsprophylaxe zusätzlich die tägliche die Einnahme von Penicillin ärztlich verordnet.
Zudem sollte zum Schutz vor Infektionen jeder Patient mit Sichelzellenanämie bei der Nachsorge mindestens eine Impfung mit 13-valenten Pneumokokken-Konjugatimpfstoff erhalten. Für die Routinediagnostik ist empfohlen, Patienten mit Sichelzellenanämie mindestens einmal im Jahr in einem spezialisierten Zentrum vorzustellen. Dort sind klinisch das Blutbild, der Blutdruck, die Pulsfrequenz, die Leber‐ und Nierenwerte, der Urinstatus und die Eiweißausscheidung zu untersuchen. Ebenso ist eine Echokardiographie durchführen.
Das können Sie selbst tun
Die Erkrankung wird meist innerhalb der ersten Lebensmonate oder Jahre bemerkt. Naturbedingt kann der Patient sich in diesem Alter nicht ausreichend selbst helfen oder Verbesserung seiner Situation erwirken. Die Angehörigen und Erziehungsberechtigten sind daher in der Verantwortung, für den Nachwuchs ausreichend zu sorgen und eng mit dem behandelnden Arzt zusammenzuarbeiten.
Um den Blutkreislauf zu unterstützen, sollte die Lebensmittelzufuhr optimiert werden. Es kann gezielt mit bestimmten Nahrungsmitteln eine Aufnahme von Nährstoffen erreicht werden, die eine Förderung der Blutbildung anregen. Darüber hinaus ist eine sauerstoffreiche Umgebung für den Säugling besonders wichtig. Räumlichkeiten sind ausreichend zu lüften und Spaziergänge im Freien helfen bei der Zufuhr von ausreichendem Sauerstoff. Wenngleich mit diesen Maßnahmen keine Heilung der Sichelzellenanämie erreicht wird, kann dadurch der Organismus des Kindes positiv unterstützt werden.
Das Kind sollte sich in keiner Umgebung aufhalten, in der Nikotin oder anderen Giftstoffe in der Luft enthalten sind. Situationen der Überanstrengung und starken Belastung ebenfalls zu vermeiden. Zum Schutz vor Infektionen ist darauf zu achten, dass eine Ansteckung auf ein Mindestmaß reduziert ist. Freizeitaktivitäten oder sportliche Tätigkeiten sind ebenfalls auf die Bedürfnisse des Organismus abzustimmen. Ausreichend Ruhe und Schonung sind wichtig, um das Immunsystem nicht unnötig zu strapazieren.
Quellen
- Arasteh, K., et. al.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
- Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013