Kinderlähmung
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 2. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Kinderlähmung (Poliomyelitis) ist eine hoch ansteckende Infektionskrankheit. Unbehandelt kann sie zum Tod führen, da starke Lähmungen auftreten, die Lunge und Atmungsorgane angreifen und funktionsuntüchtig machen können. Es gibt jedoch eine Impfung gegen Kinderlähmung, sodass diese Krankheit seit den 1960er Jahren nur noch sehr selten in Deutschland auftritt.
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Was ist Kinderlähmung?
Die Kinderlähmung (Poliomyelitis) oder einfach Polio ist eine hochansteckende Infektionskrankheit, die durch Polioviren der Typen I, II und III übertragen wird. Nach einer Erkrankung können Lähmungen zurückbleiben oder sogar zum Tod führen.
Normalerweise ist die Viruserkrankung immer fieberhaft. Die Lähmungen entstehen durch das von den Polioviren befallene Rückenmark, das die Bewegungen steuert. Grundsätzlich ist die Kinderlähmung in den Industrieländern seit etwa 1960 und der Einführung der vorbeugenden Schluckimpfung selten geworden. Die letzte Erkrankung in Deutschland, die durch einen Wildvirus ausgelöst wurde, wurde 1990 gemeldet. Die Durchimpfung in der Gesellschaft nimmt allerdings immer mehr ab.
In mehr als 95 Prozent der Erkrankungen verläuft die Poliomyelitis unbemerkt und ohne Symptome. In etwa einem Prozent der Fälle kommt es zu den beschriebenen Lähmungen oder zu einer Hirnhautentzündung, die bleibende Schäden hinterlassen kann.
Ursachen
Die Inkubationszeit ist bei Kinderlähmung recht lang, es kann drei bis 35 Tage dauern, bis sie ausbricht. Die Krankheit verläuft in zwei Phasen. Nach der Infektion vermehren sich die Viren im Körper und es kommt zu unspezifischen Krankheitssymptomen wie Kopf- und Gliederschmerzen, Appetitlosigkeit, Durchfall, Fieber und Schluckbeschwerden.
Nach dieser ersten Krankheitsphase erfolgt ein symptomfreies Intervall und die Viren dringen in das Zentrale Nervensystem ein und lösen damit die zweite Krankheitsphase aus. Symptome dieser Phase sind dann Muskelschmerzen im Allgemeinen, besonders Rückenschmerzen, Lähmungen, erhöhte Sensibilität auf Reize und eine Hirnhautentzündung.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Auch wenn die Poliomyelitis durch die Schluckimpfung hierzulande weitgehend unter Kontrolle ist, leiden immer noch viele Menschen an den Spätfolgen einer frühkindlichen Kinderlähmung. Die frühen Symptome der Kinderlähmung können unspezifisch und undramatisch ausfallen. Nur bei wenigen Infizierten nimmt die Poliomyelitis einen schweren Verlauf. Gefährlich ist, dass es noch viele Jahre nach der eigentlichen Infektion zum Post-Polio-Syndrom mit erheblichen Beschwerden kommen kann.
Die Symptome einer Polio-Infektion können ausbleiben oder zu einer leichten abortiven Poliomyelitis führen. Dabei liegen meist unspezifische Beschwerden wie erhöhte Temperatur, Kopf- und Gliederschmerzen, Appetitlosigkeit, Halsschmerzen oder Durchfall vor. Etwa fünf von hundert Infizierten zeigen überhaupt solche Symptome. Bei schwerer Betroffenen können zwei Polioformen auftreten: eine nicht-paralytische Polio-Erkrankung und die klassische paralytische Kinderlähmung.
Erstere führt zu Hirnhautentzündungen mit Fieber, steifem Nacken, Muskel- und Rückenschmerzen sowie einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber äußeren Reizen. Die klassische Kinderlähmung führt zu bleibenden Lähmungserscheinungen an den Extremitäten. Außerdem können starke Rückenschmerzen sowie unterschiedlich schwere Beschwerden an der Atem-, Schluck- und Sprech- sowie der Augenmuskulatur auftreten. Es kann zur tödlichen Atemlähmung kommen.
Krankheitsverlauf
Die Kinderlähmung (Poliomyelitis) kann in drei unterschiedlichen Krankheitsverläufen erfolgen. Sie unterscheiden sich in der Art und Intensität der Symptome und vor allem, ob das Zentrale Nervensystem angegriffen wird oder nicht.
Beim geringen, dem sogenannten subklinischen Verlauf, sind die Krankheitsanzeichen eher gering. Nach sechs bis neun Tagen bricht die Krankheit in Form von Fieber, Übelkeit, Kopf- und Halsschmerzen aus. Insgesamt verläuft sie gemildert und das Zentrale Nervensystem wird nicht infiziert.
Beim nicht-paralytischen Verlauf (der bei etwa einem Prozent aller Kinderlähmungsinfizierten vorkommt) hat der Betroffene Fieber, Rücken- und Muskelschmerzen sowie Nackensteifigkeit. Bei diesem Krankheitsverlauf ist das Zentrale Nervenystem betroffen, der Krankheitsverlauf ist aber milder als beim paralytischen Verlauf.
In dem Fall leidet der Betroffene an Lähmungen, vor allem der Beine. Diese Lähmungen können auch nach der Krankheit zurückbleiben. In zwei bis 20 Fällen sterben Patienten, die an einer Verlaufsform der Krankheit mit Lähmungen leiden.
Komplikationen
Es kommt mit der Zeit zu einer starken Skoliose der Wirbelsäule, da diese durch die schwachen Muskeln nicht ausreichend stabilisiert wird. Infolgedessen kann die Atmung deutlich beeinträchtigt werden. Findet in der Rekonvaleszenz keine angemessene Therapie statt, bleibt die Fehlfunktion betroffener Muskeln viel ausgeprägter. Entsprechende Auswirkungen auf den Bewegungsapparat wie Gelengfehlstellungen, Durchblutungsstörungen, Osteoporose, Atem- und Schluckbeschwerden, fallen schwerwiegender aus.
Gelähmte Extremitäten wachsen häufig eingeschränkt, was im späteren Verlauf zu einer Beinlängendifferenzen, einem Beckenschiefstand und einer Skoliose führt. Orthopädische Hilfsmittel wie Krücken, Schienen und handbetriebene Rollstühle belasten nach langjähriger Nutzung zusätzlich die gesunden Gelenke. Weiter ist eine durchgemachte Kinderlähmung bei jeder folgenden Vollnarkose zu berücksichtigen.
Die Dosierung muss entsprechend angepasst werden, um Aufwachprobleme nach der Narkose zu vermeiden. Als häufigste Spätfolge gilt das Post-Poliomyelitis-Syndrom. Hier kommt es Jahre oder Jahrzehnte nach durchgestandener Erkrankung zu extremer Müdigkeit und zum plötzlichen Auftreten neuer Lähmungen. Dabei können auch bisher nicht betroffene Muskeln erkranken.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Bei Symptomen wie Lähmungen, Einschränkungen der Mobilität, Gelenkbeschwerden und Gliederschmerzen wird ein Arzt benötigt. Kann sich der Betroffene nicht mehr ohne Hilfe fortbewegen, ist dies ein besorgniserregender Zustand. Insbesondere asymmetrische Lähmungen der Gliedmaßen sind Anzeichen einer schwerwiegenden Erkrankung. Da die Kinderlähmung in schweren Fällen ohne eine medizinische Versorgung zum Tod führen kann, sollte frühzeitig bei den ersten Unregelmäßigkeiten ein Arzt konsultiert werden.
Kommt es zu einer Verweigerung der Nahrungs- oder Flüssigkeitsaufnahme, Beschwerden des Verdauungstraktes, Durchfall oder Übelkeit, ist ein Arzt aufzusuchen. Bei Kopfschmerzen oder einem allgemeinen Schmerzempfinden im gesamten Körper sind Untersuchungen zur Abklärung der Ursache notwendig. Rückenbeschwerden, Veränderungen der Atmung und eine erhöhte Reizbarkeit sind Warnhinweise, denen nachgegangen werden sollte. Kommt es zu Atemaussetzern oder Angstzuständen aufgrund einer Atemnot, ist ein Arztbesuch anzuraten. Die Konsultation eines Arztes ist notwendig, sobald anhaltende Unregelmäßigkeiten des Muskelapparates eintreten.
Fanden keine körperlichen Überanstrengungen statt, gilt dies als ungewöhnlich und ist untersuchen zu lassen. Bei Fieber, Halsschmerzen oder einer Nackensteifheit ist ein Arzt aufzusuchen. Treten Durchblutungsstörungen auf, ist ein allgemeines Krankheitsgefühl vorhanden oder stellen sich Kau-, Schluck- oder Sprachstörungen ein, sollte ein Arztbesuch stattfinden. Probleme der Augenmuskulatur oder des Herz-Rhythmus sind schnellstmöglich einem Arzt vorzustellen.
Behandlung & Therapie
Einerseits kann eine Kinderlähmung (Poliomyelitis) durch die sichtbaren Symptome wie Lähmungerscheinungen diagnostiziert werden. Es ist aber auch möglich, den Virus aus Kot, Rachensekret oder Gehirnflüssigkeit nachzuweisen. Befindet sich der Patient in der ersten Krankheitsphase der Kinderlähmung, kommen wegen der unspezifischen Beschwerden viele fieberhafte Infektionen in Frage.
Selbst wenn schon Lähmungen aufgetreten sind, gibt es andere Krankheiten, die dem Verlauf der Kinderlähmung ähneln. Es können nur die Symptome der Kinderlähmung behandelt werden, das heißt die Beschwerden werden mittels Medikamenten gemildert. Den Virus direkt zu bekämpfen ist bisher nicht möglich.
Wenn allein schon der Verdacht auf Kinderlähmung besteht, wird in der Regel strenge Bettruhe verlangt. Ansonsten wird Krankengymnastik empfohlen und bei Lähmungserscheinungen wird der Betroffene wechselnd gelagert, um die Muskeln zu entspannen. Eine Impfung gegen Kinderlähmung ist ebenso möglich.
Aussicht & Prognose
Die Prognose bei einer Kinderlähmung ist im Normalfall günstig. Es kann bei dieser Erkrankung zu Spontanheilung kommen. Diese treten in einem Zeitraum von bis zu zwei Jahren nach der Infektion ein. Dennoch sollte grundsätzlich für eine gute Prognose eine medizinische Versorgung in Anspruch genommen werden, da die Erkrankung bei vielen Betroffenen mit Komplikationen verbunden ist. Ohne eine Behandlung steigt das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs. Bei diesem kann es zu einem vorzeitigen Ableben des Betroffenen kommen. Zudem besteht die Möglichkeit, dass lebenslange Beeinträchtigungen und Folgeerkrankungen auftreten.
Mit einer ausreichenden und umfassenden Behandlung kommt es zu einer Anwendung individueller Therapieverfahren. Diese richten sich nach dem Ausmaß der Beschwerden sowie dem Stadium der Erkrankung bei Diagnosestellung und Behandlungsbeginn. Neben der Gabe von Medikamenten wird auch eine physiotherapeutische Begleitung genutzt, um eine Linderung der Bewegungsbeeinträchtigungen zu erreichen. Zusätzlich werden auf diesem Weg mögliche Spätfolgen der Kinderlähmung eingegrenzt. Verschiebungen der Wirbelsäule oder Differenzen der Gliedmaßenlängen sollen vermieden werden.
Ein ungünstiger Krankheitsverlauf ist gegeben, sobald die Hirnnerven des Betroffenen in Mitleidenschaft gezogen sind. In diesen Fällen ist die Prognose als schlecht einzustufen. Die Kinderlähmung zeigt bei den erkrankten Patienten eine deutlich erhöhte Sterberate. Bei bis zu zwanzig Prozent der Betroffenen kommt es zu einem vorzeitigen Ableben.
Nachsorge
Bei der Kinderlähmung handelt es sich um eine Infektionskrankheit, die durch Polioviren ausgelöst wird. In der Fachsprache spricht man von Poliomyelitis, kurz Polio. Dieser Begriff setzt sich aus den Wörtern "Polio" und "Myelitis" zusammen, die in ihrer Verbindung die Entzündung des Rückenmarks durch die Polioviren beschreiben. Obwohl der Begriff suggeriert, dass nur Kinder an Poliomyelitis erkranken können, sind auch Erwachsene häufig davon betroffen.
In vielen Fällen verläuft eine Kinderlähmung ohne Symptome, allerdings kann sie auch zu schwerwiegenden, dauerhaften Lähmungen mit unterschiedlichen Ausprägungen führen. Besonders gefährlich wird es, wenn die Viren die Atmungsfunktion betreffen. In der Vergangenheit kam es sehr häufig vor, dass betroffene Menschen dann in die sogenannte "eiserne Lunge" gelegt wurden, um eine Atmung überhaupt ermöglichen zu können.
Die Polioviren werden durch menschlichen Kontakt übertragen, es handelt sich also um eine sogenannte Kontaktinfektion. Ursprünglich war geplant, die Poliomyelitis innerhalb des 21. Jahrhunderts komplett auszurotten, allerdings hat dieser Plan aufgrund politischer, geographischer und globaler Auswirkungen nicht funktioniert. So kam es aufgrund des afrikanischen Bürgerkriegs im Jahr 2012 zu knapp 200 Neuinfektionen, unter anderem in Nigeria, Afghanistan, Pakistan und Tschad. Allerdings gibt es auch innerhalb der EU immer wieder einzelne Infektionen, wie zum Beispiel im Jahr 2015 in der Ukraine, wo nur ungefähr die Hälfte aller Kinder geimpft sind.
Das einzig wirksame Mittel gegen Kinderlähmung ist eine präventive flächendeckende Schutzimpfung. Früher wurde dieser Schritt mittels einer Schluckimpfung vorgenommen, heutzutage wird Kindern im dritten Lebensmonat eine Grundimpfung gegeben, die nach zehn Jahren aufgefrischt wird. Bei Risikopersonen können später gegebenenfalls weitere Impfungen vorgenommen werden. Die STIKO ("Ständige Impfkommission") empfiehlt hierbei eine Kombinationsimpfung gegen Polio (Kinderlähmung), Tetanus (Wundstarrkrampf), Diphtherie (Infektionskrankheit) und Pertussis (Keuchhusten).
Das können Sie selbst tun
Bleibende Lähmungen oder Gelenkschäden an der Wirbelsäule oder den Extremitäten erfordern eine Anpassung des alltäglichen Lebens an die veränderten Gegebenheiten. Viele Bewegungseinschränkungen können durch Hilfsmittel wie Gehschienen, Rollator oder Rollstuhl kompensiert werden, ein barrierefreier Wohnraum erleichtert das Beibehalten gewohnter Tagesabläufe. Auch ein Verbleib im Berufsleben ist in vielen Fällen möglich. Wichtig ist, den Körper nicht zu überfordern und auf seine Signale zu achten. Ausreichend Schlaf und regelmäßige Ruhepausen sorgen für die notwendige Erholung, unnötiger Stress und übermäßige körperliche Anstrengungen sollten vermieden werden.
Insbesondere das Post-Polio-Syndrom neigt dazu, sich unter Belastung zu verschlimmern. Das Ausloten der eigenen Grenzen muss daher äußerst vorsichtig geschehen. Psychisch wird die Erkrankung besser verarbeitet, wenn Einschränkungen nicht als Schwäche angesehen, sondern als gegeben hingenommen werden. Für viele Erkrankte ist es hilfreich, sich mit anderen Betroffenen in einer Selbsthilfegruppe auszutauschen oder das Gespräch mit einem Psychotherapeuten zu suchen.
Quellen
- Darai, G., Handermann, M., Sonntag, H.-G., Zöller, L. (Hrsg.): Lexikon der Infektionskrankheiten des Menschen. Springer, Berlin 2012
- Kerbl, R. et al.: Checkliste Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2011
- Muntau, A.C.: Intensivkurs Pädiatrie. Urban & Fischer, München 2011