Pseudoparalyse
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die Pseudoparalyse kennzeichnet eine Lähmung, die nicht auf einer Störung der Nervenleitfähigkeit beruht. Es gibt mehrere Formen von Pseudoparalysen. Ihre Behandlung richtet sich nach der jeweiligen Ursache.
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Was ist eine Pseudoparalyse?
Die Pseudoparalyse stellt einen Sammelbegriff für Lähmungen dar, die nicht durch Veränderungen in der Leitfähigkeit von Nervenzellen hervorgerufen werden. Nach der Definition ist sie daher eine scheinbare Paralyse. Die Vorsilbe „Pseudo“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Täuschung. Somit ist eine Pseudoparalyse zwar keine echte Paralyse, aber sie tritt mit täuschend ähnlichen Symptomen in Erscheinung.
Eine Paralyse bedeutet nach Definition eine vollständige Lähmung motorischer Nerven einzelner Körperteile. Da die Nervenreizweiterleitung vom Gehirn zu den entsprechenden Körperabschnitten unterbrochen ist, können dort einzelne Muskeln oder Muskelgruppen nicht mehr stimuliert werden. Die unvollständige Lähmung der Muskeln wird im Gegensatz dazu als Parese bezeichnet.
Zu den Pseudoparalysen gehören Erkrankungen, die unter anderem dem Erscheinungsbild der progressiven Paralyse oder anderen auf Störungen der Nervenreizweiterleitung beruhenden Lähmungen ähneln. Während die progressive Paralyse im Rahmen einer Syphilis durch Nervenschädigungen hervorgerufen wird, werden ähnliche Symptome bei Alkoholmissbrauch (alkoholische Pseudoparalyse) oder Arteriosklerose beobachtet.
Des Weiteren können Muskellähmungen auch nach langer Ruhigstellung der entsprechenden Muskeln oder bei Muskelnarben ohne Beeinträchtigung der Reizweiterleitung auftreten. Bekannt sind Pseudoparalysen auch bei Gefäßerkrankungen und Hirntumoren. Weiterhin gibt es noch die Parrot-Pseudoparalyse.
Ursachen
Bei den Muskelerkrankungen kommen die Signale vom Gehirn über die motorischen Nerven beim Muskel zwar an. Sie können aber aufgrund der Muskelschäden oder Muskelschwäche nicht in Muskelkontraktionen umgesetzt werden. Ein typisches Beispiel dafür ist der Rotatorenmanschettenriss. Bei dieser Verletzung sind eine oder mehrere Sehnen der vier Schultermuskeln gerissen. Der Arm hängt herunter, weil ein seitliches Heben nicht mehr möglich ist.
Des Weiteren können die Schultersehnen verkalkt sein. Die sogenannte Tendinitis calcarea der Schultersehnen bewirkt ebenfalls die Lähmung der Arme. Auch bei der sogenannten Parrot-Pseudoparalyse kommt es zu einem schlaff herunterhängenden Arm. Hier ist die Ursache eine Epiphysenlösung, die bereits beim ungeborenen Kind einer an Syphilis erkrankten Mutter entsteht. Eine akute Pseudoparalyse kann auch bei einer Tendinitis calcarea im Hüftgelenk auftreten.
Die Tendinitis calcarea der Hüfte kann ähnlich wie die der Schultersehnen infektiös, traumatisch oder neoplastisch bedingt sein. Dabei ist die Muskulatur der Rotatorenmanschette betroffen. Bei Erkrankungen des Hirns, bei Alkoholmissbrauch oder Arteriosklerose werden oft nicht genügend Signale über die motorischen Nervenleitungen gesendet. Auch dadurch kann es neben anderen Symptomen zu scheinbaren Lähmungen kommen. Manche Pseudoparalysen können auch psychogen bedingt sein.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Die Symptome von Pseudoparalysen ähneln denen der echten Paralysen und sind abhängig von der jeweiligen Ursache. Es kommt zur Lähmung bestimmter Muskeln oder Muskelgruppen. So treten beim Rotatoren¬manschettenriss, bei der Parrot-Pseudoparalyse und bei der Kalkschulter Lähmungen in der Schultermuskulatur auf, die zu einem schlaffen Herunterhängen der Arme führen.
Die Ursachen für alle drei Erkrankungen sind zwar unterschiedlich, aber betreffen keine Nervenschädigungen. Das Gleiche gilt für die Tendinitis calcarea im Hüftgelenk, die sich durch eine Lähmung der Hüftmuskulatur und Schmerzen in der Hüfte bemerkbar macht. Wie bereits erwähnt, ist das Gegenstück zu einer progressiven Paralyse eine Pseudoparalyse mit fast gleichen Symptomen.
Die progressive Paralyse ist durch Nervenschädigungen im Rahmen einer Syphilis bedingt. Sie führt zu völligen körperlichen und geistigen Abbau. Vorherrschende Symptome sind fortschreitende Demenz oder die Entwicklung einer Psychose. Zusätzlich kann es zu Lähmungserscheinungen kommen.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Paralysen und Pseudoparalysen sind Symptome unterschiedlicher Erkrankungen, die diagnostisch abgeklärt werden müssen. Voraussetzung ist immer eine umfassende Anamnese der Krankengeschichte. Danach werden bildgebende Verfahren und Laboruntersuchung zur Spezifizierung der Erkrankung herangezogen.
Komplikationen
Die meisten Betroffenen sind dann auf die Hilfe anderer Menschen in ihrem Alltag angewiesen. In der Hüfte kommt es dabei nicht selten zu Schmerzen oder zu Verspannungen. Diese Schmerzen breiten sich dabei nicht selten auch in den Rücken aus, sodass die Betroffenen dort ebefalls an Schmerzen leiden. Sollte die Pseudoparalyse nicht behandelt werden, werden die körperlichen und motorischen Funktionen abgebaut, sodass es auch zu einer geistigen Retardierung kommt.
In den meisten Fällen treten dabei die Symptome einer Demenz oder einer Psychose auf. Auch auf die Mitmenschen wirkt sich die Pseudoparalyse sehr negativ aus, sodass es zu sozialen Beschwerden und zu Depressionen kommen kann. Die Behandlung der Pseudoparalyse erfolgt mit Hilfe von Medikamenten und verschiedenen Therapien. Dabei machen sich selten Komplikationen bemerkbar. Allerdings kann eine Heilung der Pseudoparalyse nicht garantiert werden.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Bei einer Pseudoparalyse sollte in jedem Fall ein Arzt aufgesucht werden. Es kommt bei dieser Krankheit nicht zu einer Selbstheilung und in den meisten Fällen zu einer Verschlimmerung der Beschwerden. Der Betroffene muss sich daher immer an einen Arzt wenden, wenn die Beschwerden der Pseudoparalyse auftreten. Der Arzt ist dann aufzusuchen, wenn es zu Lähmungen an verschiedenen Muskeln im Körper kommt. Die Lähmungen können sporadisch auftreten und müssen nicht dauerhaft anhalten.
Allerdings deuten sporadische Lähmungen, die ohne einen besonderen Grund auftreten, immer auf eine Pseudoparalyse hin. Je früher der Arzt dabei aufgesucht wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines positiven Krankheitsverlaufes. In einigen Fällen können auch psychische Beschwerden oder ein geistiger Abbau auf die Pseudoparalyse hindeuten und sollte daher von einem Arzt untersucht werden. Dabei können auch Freunde oder Angehörige die Symptome der Erkrankung erkennen und den Betroffenen zu einem Arztbesuch bewegen. Auch die Lebenserwartung des Patienten ist durch die Pseudoparalyse unter Umständen verringert.
Behandlung & Therapie
Die Therapie der Pseudoparalysen ist natürlich von der jeweiligen Ursache abhängig. So wird ein Rotatoren¬manschettenriss zunächst konservativ behandelt. Bei sehr starken Schmerzen ist eine Operation notwendig, bei der Teile des Brustmuskels in die Schulter übertragen werden. Die konservative Behandlung umfasst die Gabe von nicht-steroidalen Antirheumatika sowie Analgetika.
Unter das Schulterdach werden Glukokortikoide injiziert. Des Weiteren erfolgen Physiotherapie mit Muskelaufbau, manuelle Therapien und verschiedene physikalische Therapien. Eine Tendinosis calcarea des Schulter- oder Hüftgelenks wird auch zunächst konservativ behandelt bis zur Auflösung der Kalkablagerungen.
Wenn das nicht erfolgreich ist, bieten sich unterschiedliche operative Therapien wie die Stoßwellentherapie, Kalkabsaugung oder Arthroskopie an. Bei allen weiteren Pseudoparalysen muss die zugrunde liegende Erkrankung behandelt werden. Ihre Prognose hängt vom Behandlungserfolg der Grundkrankheit ab.
Vorbeugung
Eine allgemeine Empfehlung zur Vorbeugung vor Pseudoparalysen kann nicht gegeben werden, weil die Ursachen für die Lähmungen sehr unterschiedlich sind. Oft handelt es sich auch nur um ein Symptom einer zugrunde liegenden Erkrankung. Das Risiko für eine Pseudoparalyse kann selbstverständlich durch die Verhinderung solcher Erkrankungen wie Diabetes oder Arteriosklerose bedeutend gesenkt werden. Deshalb wird allgemein eine gesunde Lebensweise mit ausgewogener Ernährung, viel Bewegung sowie Verzicht auf Alkohol und Rauchen empfohlen.
Nachsorge
Eine Nachbehandlung ist erforderlich, wenn die Pseudoparalyse durch einen Riss der Rotatorenmanschette in der Schulter hervorgerufen wird und ein operativer Eingriff deswegen erfolgt. Die Nachsorge ist dann überaus wichtig. Schon am ersten Tag nach der Operation wird mit der Nachbehandlung begonnen. Dabei erhält der Patient eine wirksame Schmerztherapie, die individuell auf ihn abgestimmt wird.
Primäres Ziel ist das Vermeiden von schmerzhaften Beschwerden. Außerdem werden spezielle krankengymnastische Übungen vorgenommen, deren Anpassung ebenfalls individuell an den Patienten erfolgt. Zu diesem Zweck stellt der Arzt zunächst einen Therapieplan zusammen. Bei der physiotherapeutischen Nachbehandlung ist es wichtig, einerseits die Nahtstelle weitgehend ruhig zu stellen, andererseits auch Muskelschwund zu vermeiden.
In den ersten zehn Tagen nach der Operation sollte der Patient seinen Arm schonen. Außerdem erhält er für einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen ein Abduktionskissen in einem Winkel von 45 Grad. Zur gleichen Zeit wird mit den Mobilisationsübungen unter Anleitung eines Physiotherapeuten begonnen.
Durch die Übungen ist es möglich, die Sehnengleitfähigkeit zu verbessern und eine stärkere Reißfestigkeit zu erzielen. Im weiteren Verlauf schließen sich aktive Übungen wie Gleitübungen oder Pendelübungen an. Nach etwa sechs Wochen beginnt eine gerätegestützte Krankengymnastik. Insgesamt nimmt die Rehabilitationsphase circa drei bis sechs Monate in Anspruch. Rund 50 Prozent aller positiven Behandlungserfolge gehen auf eine konsequente Nachbehandlung zurück.
Das können Sie selbst tun
Hat der Arzt die Diagnose Pseudoparalyse gestellt, wird er alles Nötige tun, um die Ursache für diese Lähmung herauszufinden. Denn wenn die der Pseudoparalyse zugrunde liegende Erkrankung geheilt wird, ist das betroffene Körperteil danach in der Regel auch wieder beweglich, vorausgesetzt, der Patient folgt den Therapieanweisungen des Arztes.
Diese Therapietreue – auch „Compliance“ genannt – ist extrem wichtig, da sonst die Heilung der Pseudoparalyse nicht garantiert werden kann. Je nach der zugrunde liegenden Erkrankung sind unter Umständen mehrjährige Behandlungen mit verschiedenen Therapieansätzen sowie Medikamenten und/oder Operationen nötig.
Für viele Patienten ist die Pseudoparalyse sehr belastend. Sie führt zu einer Einschränkung der Lebensqualität und bedeutet auch oft, dass der Patient von anderen abhängig ist, weil er sich beispielsweise nicht mehr alleine anziehen oder seinen Alltag bewältigen kann. Das belastet auch die Angehörigen des Patienten und kann soziale Probleme mit sich bringen. Dies wiederum führt beim Patienten zu Verstimmungen bis hin zu Depressionen. Hier ist eine begleitende Psychotherapie angeraten.
Des Weiteren profitiert der Pseudoparalyse-Patient von einem gesunden Lebensstil, um die zugrunde liegende Erkrankung besser ausheilen und eine Neuerkrankung verhindern zu können. Ausreichend Schlaf und Bewegung an der frischen Luft gehören hier ebenso dazu wie eine ausgeglichene Ernährung mit frischen, gesunden Lebensmitteln, viel Obst und Gemüse.
Quellen
- Arasteh, K., et. al.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
- Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
- I care Krankheitslehre. Thieme, Stuttgart 2015