Agnosie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 26. Februar 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die Agnosie ist ein neuropsychologisches Symptom, welches auf einer Störung der Informationsverarbeitung im Gehirn beruht. Als Ursache kommen Funktionsausfälle in bestimmten Hirnarealen infrage. Therapien dieser Erkrankung beruhen häufig auf Kompensationsstrategien.
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Was ist Agnosie?
Der Begriff Agnosie kommt aus dem Griechischen, bedeutet „Nichtwissen“ und wird in der Philosophie auch so verwendet. In der Medizin wird mit Agnosie allerdings ein seltenes neuropsychologisches Symptom beschrieben, wonach die Informationsverarbeitung im Gehirn nicht mehr richtig funktioniert. Das Phänomen tritt nach bi- oder unilateralen Läsionen bestimmter Hirnregionen auf.
Der Betroffene kann zwar alle Objekte rund um ihn herum über seine Sinnesorgane wahrnehmen. Allerdings ist er nicht in der Lage, sie richtig zuzuordnen oder zu benennen. Die Objekte werden von ihm also nicht mehr erkannt, obwohl keine sensorischen Defekte, kognitive Störungen oder Aufmerksamkeitsstörungen vorliegen. Sigmund Freud führte den Begriff Agnosie in der Medizin ein und meinte damit ausschließlich das Unvermögen, die gesehenen Objekte zuzuordnen, obwohl das Sehvermögen vorhanden ist.
Nach Freud gehören dazu jedoch auch die Rindenblindheit und die Seelenblindheit. Bei der Rindenblindheit handelt es sich um eine Blindheit aufgrund eines Funktionsausfalls der Sehrinde im Gehirn trotz gesunder Augen. Die Seelenblindheit ist dadurch gekennzeichnet, dass die Objekte zwar gesehen, aber nicht mehr zugeordnet werden können. Heute ist der Begriff Agnosie auf Ausfälle aller Sinnesmodalitäten erweitert worden.
Ursachen
Die Ursachen für eine Agnosie liegen in der Zerstörung bestimmter Hirnareale, die für entsprechende Informationsprozesse zuständig sind. Diese Läsionen können durch Schlaganfälle, Hirnverletzungen, Hirntumoren, Infektionen im Bereich der Hirnhäute und des Gehirns oder auch durch schwere psychische Erkrankungen hervorgerufen werden.
Wenn der hinterste Teil des Großhirns im Bereich des Okzipitallappens geschädigt ist, kann eine visuelle Agnosie resultieren. Dort findet nämlich die visuelle Informationsverarbeitung statt. Bei Schädigungen im Bereich der hinteren Schläfenlappen kommt es oft zu einer akustischen Agnosie. Wenn der Parietallappen geschädigt ist, tritt häufig eine Autotopagnosie auf. Hierbei kann der betroffene Patient Hautreize am eigenen Körper nicht mehr lokalisieren.
Krankheiten mit diesem Symptom
Diagnose & Verlauf
Es gibt verschiedene Formen von Agnosien, die der Arzt leicht zuordnen kann. Die Art der Agnosie gibt dem Arzt bereits Hinweise, welche Hirnregionen betroffen sind. Dazu führt er verschiedene Tests durch, welche sich auf bestimmte Sinnesbereiche beziehen. Allgemein gibt es eine Einteilung in visuelle, akustische, taktile oder räumliche Agnosien. Dazu kommen noch die Autotopagnosie und die Anosognosie.
Die visuelle Agnosie kann wiederum in verschiedene Unterformen eingeteilt werden. So handelt es sich bei der sogenannten Prosopagnosie um eine Störung der Gesichtswahrnehmung. Der Patient erkennt bekannte Personen nicht am Gesicht. Die Erkennung erfolgt beispielsweise über die Stimme oder den Gang. Des Weiteren gehört zu dieser Gruppe auch die apperzeptive Agnosie. Hier kann der Betroffene zwar Einzelelemente wahrnehmen, die er aber nicht zu einem Gesamtobjekt zusammensetzen kann.
Im Rahmen der assoziativen Agnosie erkennt der Patient zwar das gesamte Objekt in Form und Gestalt, kann aber mit dessen Funktion nichts anfangen. Bei der Farbagnosie können die Farben nicht mehr erkannt werden. Eine akustische Agnosie zeichnet sich dadurch aus, dass der Betroffene zwar Geräusche hört, sie aber nicht zu Worten oder Sätzen zusammensetzen kann. Die Unfähigkeit, sich im Raum zu orientieren, wird als räumliche Agnosie bezeichnet. Bei der taktilen Agnosie können ertastete Gegenstände nicht zugeordnet werden.
Die Nichterkennung von Funktionsausfällen eigener Körperteile oder Organe wird als Anosognosie bezeichnet. Hierbei nimmt der Patient die ausgefallenen Körperteile als funktionstüchtig wahr und möchte sie dementsprechend auch einsetzen. Dabei kann es zu Stürzen kommen.
Komplikationen
Eine Agnosie kann Auslöser verschiedener Komplikationen sein. Je nach Schwere und Ursache der Agnosie kommt es zu schweren motorischen Beeinträchtigungen und Funktionsstörungen der Sinnesorgane. Der Gleichgewichtssinn etwa, ist durch das neuropsychologische Symptom mitunter stark gestört, was zu Stürzen und ähnlichen Verletzungen führen kann. Die Augen und Ohren sind ebenso betroffen und funktionieren bei Betroffenen nur noch eingeschränkt oder überhaupt nicht mehr. Die Komplikationen, die daraus folgen, können die Hauptsymptome der Agnosie noch verstärken.
Außerdem ist die intellektuelle Leistungsfähigkeit meist stark eingeschränkt und kann durch eine Ergotherapie nur zum Teil wieder hergestellt werden. Weitere Komplikationen treten bei Agnosie vor allem durch Folgeschädigungen wie etwa die Autotopagnosie auf. Diese macht es Betroffenen unmöglich, Hautreizungen oder Verletzungen am eigenen Körper zu lokalisieren, was oft zu einer Intensivierung bestehender Erkrankungen führt. Nicht zuletzt ist auch die emotionale Verfassung der Betroffenen ein Risikofaktor.
Eine Agnosie kann zu schweren geistigen und körperlichen Behinderungen führen und den Patienten so auch psychisch enorm belasten. Bei der eigentlichen Therapie sind Komplikationen selten. Oftmals kommt es zwar zu bleibenden Schäden, die eingesetzte Ergotherapie ist jedoch ohne große Risiken für die Betroffenen. Lediglich bei der medikamentösen Behandlung, beispielsweise bei der Behandlung von psychischen Folgesymptomen notwendig, können in manchen Fällen weitere Komplikationen auftreten.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Sobald Angehörigen oder dem Betroffenen selbst auffällt, dass er oder sie unter einem Nichterkennen von Objekten oder Personen leidet, sollte unverzüglich und schnellst möglich ein Arzt aufgesucht werden. Da die Sinnesorgane meist nicht beschädigt sind, besteht die Gefahr, dass daher vielleicht anfängliche Symptome nicht sofort erkannt werden oder die Hoffnung, dass die Störung in Kürze verschwunden ist.
Bei einer Agnosie sind Augen und Ohren weiterhin funktionsfähig. Dennoch handelt es sich bei dem Nichterkennen von Objekten um eine elementare Störungen der Wahrnehmung und diese ist sehr ernst zu nehmen. Die Bedeutungslosigkeit der Seheindrücke bei einem erkrankten Menschen weist auf eine Hirnschädigung hin, die schnellst möglich näher untersucht werden sollte. Darüber hinaus besteht bei der Bewältigung des Alltags ein erhöhtes Risiko für den Betroffenen, weitere Schäden zu erleiden.
Sollte die Störung bewirken, dass ein Auto nicht mehr erkannt werden kann, ist der Gang über die Straße als lebensgefährlich einzustufen. Nur über eine intensive ärztliche Untersuchung, kann die Agnosie diagnostiziert werden und entsprechende medizinische Maßnahmen werden eingeleitet. Bei der sogenannten Seelenblindheit handelt es sich um Läsionen im Gehirn. Daher ist das Nichterkennen von Objekten als ein sofortiges Warnsignal zu verstehen. Eine Spontanheilung oder ein Vorhandensein von vorübergehenden Effekten der Einschränkung ist leider nicht zu erwarten.
Behandlung & Therapie
Es gibt keine spezifische Behandlung von Agnosien. Wenn eine Läsion in einem bestimmten Hirnareal etwa durch einen Schlaganfall aufgetreten ist, kann es nach einiger Zeit von alleine zu einer Besserung kommen. Das ist jedoch von der Größe und Lokalisation der Schädigung und dem Alter des Patienten abhängig. Nach den ersten drei Monaten erfolgt der größte Teil der Besserung. Auch danach finden oft noch Prozesse statt, die den Ausfall abschwächen.
Allerdings muss in den meisten Fällen von bleibenden Behinderungen ausgegangen werden. Der Arzt kann nur kompensatorische Maßnahmen zur Überwindung der Ausfälle veranlassen. So wird im Rahmen einer Ergotherapie versucht, die entsprechende Agnosie durch andere noch vorhandene Funktionen so gut wie möglich zu kompensieren. Während der ergotherapeutischen Behandlung kann der Patient lernen, andere Merkmale zur Erkennung von Menschen und Objekten verstärkt einzusetzen.
Beispielsweise erkennt der Patient bei einer Agnosie nicht das Gesicht einer ihn bekannten Person. Zur Identifizierung dieser Person kann der Betroffene jedoch auf andere charakteristische Merkmale zurückgreifen wie die Stimme, die Haltung oder den Gang. Der Lernprozess ist unter Umständen so erfolgreich, dass die fehlende Gesichtserkennung gar keine Rolle mehr spielt und vielleicht sogar nicht mehr bemerkt wird.
Die Ergotherapie kann selbstverständlich bei allen Formen der Agnosie angewendet werden. Dabei wird die Tatsache ausgenutzt, dass in der Regel nur selektive Ausfälle im Informationsverarbeitungssystem des Gehirns vorkommen.
Aussicht & Prognose
In der Regel ist die Wahrnehmung des Patienten durch die Agosnie stark gestört. Dies wirkt sich vor allem auf die Erkennung von Gesichtern verschiedener Menschen aus. Die Patienten versuchen dann, die Menschen aufgrund ihrer Stimme oder ihrer Gangart zuzuordnen. Die Agosnie kann allerdings auch andere Bereiche des Lebens betreffen. Dazu gehören zum Beispiel Farben oder Formen, die ebenso nicht erkannt werden können. Dies führt bei den Patienten zu einer starken Einschränkung des Alltags. So können durch die Agosnie manche Berufe nicht ausgeübt werden.
Leider gibt es keine Behandlung bei der Agosnie. Es können allerdings Übungen durchgeführt werden, welche die betroffenen Schwächen kompensieren und durch andere Möglichkeiten der Wahrnehmung ersetzen. Durch die Agosnie entsteht bei den meisten Menschen daher keine verminderte Lebenserwartung. Für die Behandlung werden vor allem Methoden aus der Ergotherapie oder der Logopädie verwendet.
In komplizierten Fällen können bestimmte Organe auch komplett versagen. Hierzu gehören zum Beispiel die Ohren oder die Augen. So kann es für den Patienten zu einer sehr starken Einschränkung des Alltags kommt. Diese Patienten sind dann auf die Hilfe andere Menschen angewiesen.
Vorbeugung
Einer Agnosie kann nicht vorgebeugt werden. Es gibt angeborene und erworbene Formen. Bei den angeborenen Formen handelt es sich häufig um genetisch bedingte Erkrankungen oder pränatale Entwicklungsstörungen. Die erworbenen Formen werden durch Erkrankungen wie Schlaganfälle oder andere hirnorganische Störungen hervorgerufen. Für alle Formen der Agnosie gibt es keine prophylaktischen Maßnahmen.
Das können Sie selbst tun
Die Agnosie ist kein häufig auftretendes Krankheitssymptom, aber für diejenigen, die darunter leiden, ein sehr großes Problem. Die im Deutschen verwendeten Begriffe Seelentaubheit und Seelenblindheit deuten an, wie vielschichtig und ernst die Störung des Hör-, Seh- oder Tastvermögens sein kann.
Weil das Symptom so individuell auftritt, ist es bei der Behandlung unbedingt nötig – insbesondere bei der Selbsthilfe -, patientenspezifisch vorzugehen. Die Agnosie ist in aller Regel zwar unheilbar, doch durch spezielle Trainingsformen lassen sich die Beeinträchtigungen mehr oder minder kompensieren. Bei der Prosopagnosie etwa ist das Ziel, die Patienten in die Lage zu versetzen, Menschen anhand anderer Erkennungsmerkmale als dem Gesicht identifizieren zu können (Körperhaltung, Gang, Stimme, Kleidung, Frisur etc.). Mitunter sind es simpel anmutende Maßnahmen, die helfen – wie zum Beispiel Schreib- und Rechenübungen. Welche Übungen durchgeführt werden sollten, ist mit dem Therapeuten beziehungsweise dem Arzt abzusprechen. Generell sind Gesprächs- oder Beschäftigungstherapien unerlässlich bei der Behandlung.
Durch Lernprozesse und Gedächtnisbildung entstehen bei gezielten Übungen neue Neuronen und Synapsen im Gehirn, was eine Leistungsverbesserung herbeizuführen vermag. Viel hängt bei der Behandlung vom Freundeskreis und der Familie ab. Es empfiehlt sich, für die soziale Integration des Betroffenen zu sorgen, seine Verletzungsgefahr im Alltag zu mindern und ihm durch sicheres Auftreten Ruhe zu vermitteln.
Quellen
- Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
- Hacke, W.: Neurologie. Springer, Berlin 2010
- Schiebler, T.H., Korf, H.W.: Anatomie. Steinkopff, Heidelberg 2007