VACTERL-Assoziation
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 9. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die VACTERL-Assoziation ist ein Komplex aus verschiedenen Fehlbildungen, der auf Entwicklungsstörungen durch externe Faktoren zurückzuführen ist. In vielen Fällen sind die Defekte nicht mit dem Leben vereinbar und die Kinder kommen als Totgeburten zur Welt. Die Behandlung der milderen VACTERL-Form erfolgt vorwiegend operativ.
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Was ist eine VACTERL-Assoziation?
Die Fehlbildungssyndrome bei Neugeborenen sind eine außerordentlich weitgefächerte Krankheitsgruppe, die meist aus einer symptomatischen Kombination verschiedener Missbildungen besteht. Eine solche Kombination aus unterschiedlichen Fehlbildungen ist die VACTERL-Assoziation. Bei dieser Bezeichnung handelt es sich um ein Akronym. Das V steht für vertebrale Anomalien, die Fehlbildungen der Wirbelsäule entsprechen.
Das A verweist auf die analen und aurikulären Fehlbildungen der Patienten, die in der Regel einem Verschluss des Mastdarms entsprechen. Das C steht für den Herzfehler im Sinne eines Kammerscheidewanddefekts, der im Rahmen des Syndroms auftreten kann. Das T ist mit den tracheo-ösophagealen Fisteln assoziiert, die eine Verbindung zwischen der Luftröhre und der Speiseröhre der Betroffenen schaffen.
Das E bezieht sich auf die Ösophagusatresie und damit auf einen Speiseröhrenverschluss. Mit dem R werden die renalen Fehlbildungen der Nieren abgekürzt und das L steht für Limb-Missbildungen, also Fehlbildung der Gliedmaßen. Synonym zum Akronym VACTERL-Assoziation wird der Begriff VATER-Syndrom genutzt. Etwas über zehn Prozent aller Totgeburten sind mit der VACTERL-Assoziation assoziiert.
Ursachen
Zwischen 56 und 67 Prozent der Fälle betreffen die Fehlbildungen männliche Kinder. Das Wiederholungsrisiko beträgt für jede Folgeschwangerschaft betroffener Eltern nicht einmal einen Prozent. Die mögliche Vererbung findet offenbar im autosomal-rezessiven Erbgang statt. Wenn das Gehirn zusätzlich von Missbildungen betroffen ist, liegt scheinbar ein X-chromosomal rezessiver Erbgang vor. VACTERL scheint in einer Mehrzahl der Fälle gänzlich sporadisch aufzutreten.
Statt genetischen Faktoren werden daher vermehrt exogene Faktoren als Ursache der Entwicklungsstörungen angenommen. Spekulationen zufolge kann ein zum Beispiel eine Diabetes mellitus der Mutter die Differenzierung des mesenchymalen Bindegewebes bis zum 30. Entwicklungstag stören.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Neugeborene mit VACTERL-Assoziation leiden an mindestens drei der charakteristischen Fehlbildungen. Zu diesen Fehlbildungen zählen in rund 80 Prozent der Fälle Wirbelanomalien, die oft mit Rippen-Anomalien vergesellschaftet sind. Bis zu 90 Prozent der Patienten sind außerdem von einem Anus imperforatus oder einer Analatresie betroffen.
Zwischen 40 und 80 Prozent haben zusätzlich einen Herzfehler und etwa derselbe Anteil ist von tracheo-ösophagealen Fisteln betroffen, die meist mit einer Ösophagusatresie vergesellschaftet sind. Nierenfehlbildungen wie die Nichtanlage einer Niere, die Hufeisenniere oder die zystische und dysplastische Niere kommen in 50 bis 80 Prozent der Fälle vor.
Fehlbildungen der Gliedmaßen besitzen etwa die Hälfte aller Betroffenen. Klassischerweise entsprechen die Defekte der Extremitäten radialen Fehlbildungen wie der Daumen-Aplasie oder einer Hypoplasie. Die Fehlbildungen und ihre Kombination sind die Schlüsselkomponenten der Assoziation. An vielen Patienten finden sich allerdings noch andere Fehlbildungen, so zum Beispiel Gehirndefekte.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Bei der Diagnose der VACTERL-Assoziation muss der Arzt differentialdiagnostisch viele andere Fehlbildungssyndrome ausschließen, so zum Beispiel die Trisomie 18, 18 und die Potter-Sequenz. Abhängig von den vorliegenden Fehlbildungen kann das eine schwierige Aufgabe sein. Unter Umständen hilft die Anamnese und das Wissen über vorhandene oder nicht vorhandene familiäre Dispositionen für klinisch ähnliche Erberkrankungen bei der Differentialdiagnostik.
Eine Pränataldiagnostik über Sonografie ist für die VACTERL-Assoziation ein eher seltener Umstand. Trotz der Möglichkeit einer pränatalen Amniozentese mit Karyogramm oder FISH wird die Diagnose meist postnatal über Sichtbefund, Sonografie, eine Echokardiografie oder ein EKG, EEG und einen Röntgenbefund gestellt. Auch ausgiebige Testungen der Sinne gehören zur postnatalen Diagnostik. Die Prognose für die Patienten variiert abhängig von den Fehlbildungen im Einzelfall. Während manche Fehlbildungen mit einem letalen Verlauf assoziiert sind, lassen sich andere mit dem Leben vereinen.
Komplikationen
Bei der VACTERL-Assoziation leiden die Patienten an einer Reihe verschiedener Fehlbildungen und Missbildungen. Diese wirken sich dabei sehr negativ auf die Lebensqualität des Betroffenen aus und verringern diese enorm. Die meisten Patienten sind in ihrem Leben daher immer auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen und können den Alltag nicht mehr alleine meistern. Auch das Fehlen einer Niere kann es erheblichen Beschwerden führen und im schlimmsten Fall zum Tod des Betroffenen herbeiführen.
Weiterhin treten auch an den Fingern oder an den Händen Fehlbildungen auf, die den Alltag des Patienten erschweren können. Weiterhin kann die VACTERL-Assoziation auch zu Defekten am Gehirn führen. Bei Menschen mit VACTERL-H kann durch den Hydrocephalus eine Einschränkung der geistigen Fähigkeiten eintreten. Dagegen sind bei Menschen mit VACTERL grundsätzlich keine Hirnfehlbildungen vorhanden und auch keine kognitiven Einschränkungen. Auch die Eltern und die Angehörigen sind durch die VACTERL-Assoziation von psychischen Beschwerden betroffen und leiden dabei nicht selten an starken Depressionen.
Da nur die Symptome der VACTERL-Assoziation behandelt werden können, treten keine weiteren Komplikationen auf. Mit Hilfe von Medikamenten und durch verschiedene Therapien können einige der Beschwerden eingeschränkt werden. Allerdings sind die Betroffenen ihr gesamtes Leben lang auf eine Behandlung angewiesen. Eventuell wird durch die Krankheit auch die Lebenserwartung des Patienten verringert.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Der Betroffene ist bei der VACTERL-Assoziation in der Regel immer auf einen Besuch bei einem Arzt angewiesen, da es bei dieser Erkrankung nicht zu einer selbstständigen Heilung kommen kann. Je früher ein Mediziner aufgesucht wird, desto besser ist meist auch der weitere Verlauf, sodass schon bei den ersten Symptomen oder Anzeichen der Krankheit ein Arzt kontaktiert werden sollte. Falls es bei den Eltern oder beim Patienten zu einem Kinderwunsch kommen sollte, so kann auch eine genetische Beratung durchgeführt werden, um das erneute Auftreten der VACTERL-Assoziation zu verhindern.
Ein Arzt ist bei dieser Krankheit dann zu kontaktieren, wenn der Betroffene an einer Analtresie leidet. In den meisten Fällen treten dabei Fisteln im Bereich des Anus auf. Weiterhin können auch Herzbeschwerden auf die Krankheit hindeuten, wobei die Betroffenen auch an angeborenen Fehlbildungen der Extremitäten leiden. Auch eine fehlende Niere kann auf diese Krankheit hindeuten.
Die Diagnose der VACTERL-Assoziation erfolgt durch einen Kinderarzt oder durch einen Allgemeinarzt. Ob und wie die Krankheit behandelt werden kann, hängt stark von der Ausprägung der Beschwerden ab, sodass eine allgemeine Voraussage in der Regel nicht möglich ist. In einigen Fällen ist durch die VACTERL-Assoziation auch die Lebenserwartung des Betroffenen verringert.
Behandlung & Therapie
Eine kausale Therapie steht für Patienten mit der ACTERL-Assoziation nicht zur Verfügung. Auch in naher Zukunft wird es keine kausale Therapie geben, da der Fehlbildungskomplex nicht auf genetische, sondern auf externe Faktoren zurückzuführen ist. Sobald diese Faktoren bekannt sind, lässt sich dem Komplex eventuell aber vorbeugen. Die Behandlung der Patienten findet rein symptomatisch statt.
Da es sich bei den Symptomen um Fehlbildungen handelt, besteht die Behandlung vor allem aus operativen Eingriffen zur Korrektur der Fehlbildung. Die Planung der Behandlung ist kritisch und hängt stark von der allgemeinen Konstitution des Neugeborenen ab. Vor allem Missbildungen des Herzens und Symptome wie die Ösophagusatresie müssen schnellstmöglich chirurgisch versorgt werden, um die Überlebenschancen des Patienten zu steigern.
Bei mehreren schweren Fehlbildungen kritischer Qualität und bei schlechter Allgemeinkonstitution der Patienten ist die zeitige Korrektur oft nicht möglich. In derartigen Fällen werden die Eltern der Betroffenen supportiv im Rahmen von psychotherapeutischer Begleitung behandelt. Die Defekte der Gliedmaßen, der Wirbelsäule und des Darms lassen sich in vielen Fällen noch am leichtesten korrigieren.
Vorbeugung
Bei Verdacht auf die VACTERL-Assoziation sollte immer eine genetische Beratung vorgenommen werden. Andere Vorbeugemaßnahmen stehen nicht zur Verfügung, da die externen Faktoren zur Krankheitsentstehung bislang nicht im Detail bekannt sind.
Nachsorge
Da eine VACTERL-Assoziation nicht grundlegend heilbar beziehungsweise behandelbar ist, sondern lediglich die einzelnen aus der VACTERL-Assoziation resultierenden Fehlbildungen an Knochen, After, Herz, Speiseröhre, Nieren und Gliedmaßen behandelt werden können, richtet sich die Nachbehandlung ebenfalls nach den aus der VACTERL-Assoziation resultierten Fehlbildungen.
Bei vorhandenen Fehlbildungen an den Gliedmaßen sollte sich die Nachsorgebehandlung für Betroffene daran ausrichten, mit der daraus resultierenden körperlichen Behinderung leben zu lernen. Gegebenenfalls kann hier eine lebenslange Pflege notwendig sein. Ebenso kann eine Psychotherapie dabei unterstützen, mit der Behinderung zu leben.
Lagen Herz- und/oder Nierenfehler vor, muss eine lebenslange engmaschige medizinische Nachsorgebetreuung erfolgen, um Organprobleme frühzeitig zu erkennen und behandeln zu können. Diese sollte neben einer regelmäßigen Kontrolle der Organwerte im Blut auch eine regelmäßige Bildgebung (Ultraschall, MRT, CT) von Nieren und Herz umfassen.
Lagen Fehlbildungen an After und/oder Speiseröhre vor, muss beides ebenfalls regelmäßig ärztlich untersucht werden, um potentiell mögliche, auftretende Folgeerkrankungen frühzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Im Falle einer angeborenen Fistel zwischen Speise- und Luftröhre sollte zusätzlich eine regelmäßige Bildgebung (CT, MRT) des Bereiches erfolgen, um die Entstehung einer erneuten Fistel oder Komplikationen an der vernarbten Stelle im Verlauf des Wachstums frühzeitig erkennen und therapieren zu können.
Das können Sie selbst tun
Die VACTERL-Assoziation wird rein symptomatisch behandelt. Therapie und Begleitmaßnahmen orientieren sich an den jeweiligen Fehlbildungen. Nach operativen Eingriffen muss das Kind geschont werden. Es gelten allgemeine Maßnahmen wie Ruhe, eine umfassende Wundpflege und das regelmäßige Gespräch mit dem Arzt. Bei einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte muss das betroffene Kind logopädisches Sprechtraining durchführen. Bei einer Choanalatresie kann Atemtraining notwendig sein.
Aufgrund der Vielzahl der Fehlbildungen bleiben immer körperliche Einschränkungen bestehen. Oft muss das Leben vollständig an die Erkrankung des Kindes angepasst werden. Dazu gehört eine behindertengerechte Wohnung ebenso wie eine begleitende Therapie. Das Kind kann früh über seine Erkrankung aufgeklärt werden. Dadurch gelingt oftmals ein besseres Verständnis für die Erkrankung, wodurch sich auch die Aussicht auf ein glückliches Leben verbessert.
Zuletzt sollten Kinder, die an der VACTERL-Assoziation leiden, ständig überwacht werden. Notwendig ist dies aufgrund des großen Unfall- und Sturzrisikos, dem die Patienten aufgrund der Fehlbildungen ausgesetzt sind. Die Erkrankung ist zwar nur symptomatisch behandelbar, durch eine geeignete Begleittherapie kann den Kindern jedoch ein relativ beschwerdefreies Leben ohne große Einschränkungen im Alltag ermöglicht werden.
Ein eigenständiges Leben von erwachsenen VACTERL-Betroffenen ist dennoch möglich. Siehe dazu auch: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3033487/Quellen
- Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
- Rath, W., Gembruch, U., Schmidt, S. (Hrsg.): Geburtshilfe und Perinatologie: Pränataldiagnostik - Erkrankungen - Entbindung. Thieme, Stuttgart 2010
- Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003