Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. April 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom ist eine sehr seltene genetisch bedingte Erkrankung, die mit vorzeitiger Alterung und schlechter Prognose einhergeht. Bisher wurden nur wenige Fälle dieses Syndroms beschrieben. Eine ursächliche Therapie ist nicht möglich.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom?

Erwiesen ist ein Gendefekt, welcher sich auf die Synthese von Kollagen III oder die Elastinsynthese auswirkt. In einigen Fällen wurde eine familiäre Häufung festgestellt, sodass hier von einer autosomal-rezessiven Vererbung ausgegangen wird.
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Das Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom zeigt schon bei der Geburt Symptome vorzeitiger Alterung, verschiedene Dysmorphien, Verminderung des weißen Fettgewebes, einen vergrößerten Schädel oder gestörtes Haarwachstum. Erstmals wurde diese Erkrankung im Jahre 1977 von den Ärzten Rautenstrauch und Snigula beschrieben.

Weitere Beschreibungen folgten von Wiedemann im Jahre 1979, von Devos im Jahre 1981 und von Rudin im Jahre 1988. Seit dieser Zeit sind nur rund 60 Fälle des Wiedemann-Rautenstrauch-Syndroms bekannt geworden. Diese Fälle stammen hauptsächlich aus Europa, Arabien oder Afrika. Dieses Syndrom gehört zu den sogenannten Progeroid-Syndromen.

Dabei handelt es sich um Erkrankungen, die von vorzeitiger Alterung gekennzeichnet sind. Das bekannteste Beispiel dieser Erkrankungsgruppe ist die Progerie. Alle Progeroid-Syndrome scheinen genetisch bedingt zu sein, wobei es sich meist um eine Mutation eines einzelnen Gens handelt. Auch das Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom wird durch die Mutation eines einzelnen Gens hervorgerufen.

Allerdings ist die genaue Ätiologie der Erkrankung noch nicht bekannt. Die Prognose des Wiedemann-Rautenstrauch-Syndroms ist sehr schlecht. Meist tritt der Tod bereits in den ersten sieben Lebensmonaten durch schwere Infektionen oder Koronarsklerose ein. In sehr seltenen Fällen überleben die Kinder jedoch bis zur Pubertät.

Ursachen

Bisher ist nicht klar, ob eine einheitliche Ursache für das Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom angenommen werden kann. Die Erkrankung tritt sporadisch auf. Erwiesen ist ein Gendefekt, welcher sich auf die Synthese von Kollagen III oder die Elastinsynthese auswirkt. In einigen Fällen wurde eine familiäre Häufung festgestellt, sodass hier von einer autosomal-rezessiven Vererbung ausgegangen wird.

Einmal waren sogar Geschwister betroffen, deren Eltern miteinander blutsverwandt waren. Andere Beobachtungen deuten aber auch auf eine mögliche autosomal-dominante Vererbung hin, wobei eine Genlokalisation bei 1q32 betroffen sein soll. Einige Patienten zeigen aber auch eine erhöhte Chromosomenbrüchigkeit, die einen Hinweis auf einen möglichen DNA-Reparaturdefekt liefert. Bei der autosomal-dominanten Form der Vererbung war das Zeugungsalter des Vaters durchschnittlich erhöht.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom ist durch eine Vielzahl von Dysmorphien und gesundheitlichen Einschränkungen gekennzeichnet. Das übergreifende Hauptsymptom stellt die vorzeitige Alterung mit frühzeitigem Beginn von typischen Alterserscheinungen dar. Bereits vor der Geburt kommt es zu Wachstumsstörungen, sodass das Kind mit vermindertem Geburtsgewicht und reduzierter Körpergröße geboren wird.

So liegt das Körpergewicht zwischen 2100 und 2500 Gramm und die Körperlänge zwischen 45 und 49 Zentimeter. Nach der Geburt treten schnell Ernährungsschwierigkeiten mit Gedeihstörungen auf. Der Kopf erscheint zu groß. Das Gesicht ist im Gegensatz dazu klein mit dreiecksförmigem Aussehen. Gleichzeitig wirkt es bereits vorgealtert bis greisenhaft. Die Schädelnähte sind noch offen und schließen sich nur langsam.

Die Haut erscheint sklerodermieartig dick. Außerdem besteht eine ausgeprägte Venenzeichnung. Auch das spärlich vorhandene Haar ist bereits ergraut und fällt schnell aus. Bei gering ausgebildeten Wimpern und Augenbrauen sowie tief liegenden Augen sind die Augenlider mitsamt den Wimpern entweder nach innen oder nach außen gedreht. Dabei kann das Unterlid ein- oder ausgestülpt sein.

Weitere Erscheinungen sind tief sitzende Ohrmuscheln und eine zunehmende Entwicklung einer schnabelförmigen Nase. Der Unterkiefer ist zu klein und das Kinn steht vor. Oft sind bei der Geburt bereits Schneidezähne vorhanden, die bald ausfallen. Die danach durchbrechenden Zähne zeigen häufig dysplastische Veränderungen. Während die Arme und Beine zu dünn sind, werden die Hände, Füße, Finger und Zehen zu groß.

Die Nägel sind wiederum zu klein. Das Fettgewebe ist paradox verteilt. An den meisten Stellen ist nur wenig subkutanes Fettgewebe vorhanden. Allerdings kommen in den Bereichen der Flanken, des Gesäßes oder der Genitalien stärkere Fettansammlungen vor. Insgesamt ist das Wachstum verzögert, sodass es zu Kleinwuchs kommt. Bei den Jungen wandern die Hoden oft nicht in den Hodensack, sondern verbleiben im Bauchraum.

Das vorzeitige Altern ist durch die frühzeitige Ausbildung einer Arteriosklerose gekennzeichnet. Gleichzeitig ist die Infektneigung sehr hoch. Länger überlebende Patienten entwickeln eine mäßige bis schwere geistige Behinderung. Des Weiteren kommt es zu Koordinationsstörungen, Zittern oder Augenzittern. Die zunehmende körperliche Behinderung macht oft einen Rollstuhl erforderlich.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Der Verdacht auf ein Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom kann aufgrund des Aussehens und der Symptome gestellt werden. Zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung zu anderen Syndromen mit ähnlichen Symptomen sollten molekulargenetische Untersuchungen, Röntgenuntersuchungen des Skeletts, bildgebende Untersuchungen des Gehirns und Funktionsuntersuchungen des Nervensystems durchgeführt werden. Im Gehirn zeigt sich eine gravierende Veränderung der weißen Substanz und im Nervensystem eine ausgedehnte Entmarkung durch Myelinisierungsstörungen.

Komplikationen

Das Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom kann in seinem Verlauf verschiedene Komplikationen hervorrufen. Eine typische Folge der Erkrankung sind die frühkindlichen Wachstumsstörungen, die zu diversen Fehlbildungen am Kopf, den Gliedern, den Gefäßen und an der Wirbelsäule führen können. Treten Fehlbildungen an der Wirbelsäule auf, kann dies Haltungsschäden hervorrufen.

Fehlbildungen an den Gefäßen führen beispielsweise zu einer Zunahme der Venendicke, die mit Herz-Kreislauf-Beschwerden in Verbindung steht. Im Bereich des Schädels rufen Fehlbildungen immer schwere Komplikationen hervor. So kann es zu Hörstörungen, Schädigungen des Gehirns, Atembeschwerden und Sehstörungen kommen.

Im Bereich der Haut führt das Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom zu Verdickungen und der Entstehung von Ödemen. Die Erkrankung kann Folgebeschwerden wie Arteriosklerose, Infekte, geistige Behinderung und Unfruchtbarkeit hervorrufen. Meist ist die Lebenserwartung stark eingeschränkt und das betroffene Kind stirbt in den ersten Lebensjahren.

Überlebt der Patient bis ins Jugendalter, rufen die Auffälligkeiten meist auch psychische Beschwerden hervor, zum Beispiel soziale Ängste, Minderwertigkeitskomplexe oder depressive Verstimmungen. Eine Behandlung erfolgt rein symptomatisch und ist mit den typischen Risiken von Operationen und Medikamenten verbunden. Die vielgestaltigen Komplikationen erfordern eine individuell abgestimmte Therapie.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Zeigen sich im Entwicklungs- und Wachstumsprozess des Kindes Auffälligkeiten oder Unregelmäßigkeiten, sind diese grundsätzlich mit einem Arzt zu besprechen. Meist sind bereits unmittelbar nach der Geburt erste gesundheitliche Unstimmigkeiten erkennbar. Diese werden von Geburtshelfern im Normalfall dokumentiert und an den behandelnden Arzt weitergeleitet. Häufig werden bereits in diesem Stadium automatisch weitere Tests durchgeführt, um eine Klärung der Ursache zu erreichen.

Besonderheiten der Ernährung, allgemeine Verhaltensstörungen oder ein ungewöhnliches optisches Erscheinungsbild sind Anzeichen einer gesundheitlichen Störung. Sind optische Alterserscheinungen eines Kindes im Vergleich zu Artgenossen des gleichen Alters grundsätzlich verschieden, sollten die Beobachtungen mit einem Arzt besprochen werden. Bereits nach der Geburt stellen das verminderte Geburtsgewicht und eine reduzierte Körpergröße erste Warnsignale des Organismus dar und sollten entsprechend weiter beobachtet werden. Zeigen sich im Verlauf der kommenden Wochen oder Monate Gedeihstörungen, ist die Rücksprache mit einem Arzt notwendig.

Optische Veränderungen im Bereich des Gesichts, der Nägel sowie der Genitalien sind ebenfalls mit einem Arzt zu besprechen. Medizinische Tests sind notwendig, damit die Ursache geklärt werden kann. Haben bereits Kinder ergraute Haare, gilt dies als ungewöhnlich. Störungen der Konzentration, Auffälligkeiten beim Lernen sowie Unregelmäßigkeiten der Bewegungsabläufe sind weitere Beschwerden, bei denen die Zusammenarbeit mit einem Arzt notwendig ist.

Behandlung & Therapie

Eine kurative Therapie des Wiedemann-Rautenstrauch-Syndroms gibt es bisher nicht. Es können nur symptomatische Standardtherapien durchgeführt werden. Dazu zählen unter anderem Frühförderung oder Physiotherapie. Die vielfältig auftretenden Komplikationen erfordern entsprechend angepasste symptomatische Therapien.

Das gilt sowohl für die Behandlung der rezidivierenden Infektionen als auch für die Folgen der ausgeprägten Arteriosklerose. Diese Maßnahmen dienen zur Lebensverlängerung und zur Verbesserung der Lebensqualität. Im Idealfall kann das Kind das Pubertätsalter erreichen. Mögliche kurative Therapieansätze befinden sich noch in der Erforschung.


Vorbeugung

Das Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom tritt sehr selten und in der Regel sporadisch auf. Eine Empfehlung für eine Vorbeugung gibt es daher nicht. Lediglich bei familiärem Auftreten sollte zur Risikoabschätzung eine humangenetische Beratung in Anspruch genommen werden.

Nachsorge

Da es sich beim Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom um eine erblich bedingte Erkrankung handelt, kann diese in der Regel nicht vollständig geheilt werden. Daher stehen Betroffenen nur sehr wenige und eingeschränkte Maßnahmen einer direkten Nachsorge zur Verfügung. In aller erster Linie sollte dabei schon möglichst frühzeitig ein Arzt aufgesucht werden, damit das Auftreten weiterer Komplikationen und Beschwerden ausbleibt.

Bei einem Kinderwunsch sollten Betroffene auch eine genetische Untersuchung und Beratung durchführen lassen, damit das Syndrom nicht erneut bei den Nachfahren auftritt. In der Regel sind die Betroffenen des Wiedemann-Rautenstrauch-Syndroms auf die Maßnahmen einer Physiotherapie und einer Krankengymnastik angewiesen. Viele der Übungen können auch im eigenen Zuhause wiederholt werden, wodurch die Heilung beschleunigt wird.

Ebenso ist die Hilfe und Unterstützung durch die eigene Familie sehr wichtig und kann Depressionen und weitere psychische Verstimmungen verhindern. Nicht selten kann der Kontakt zu anderen Betroffenen des Wiedemann-Rautenstrauch-Syndroms sehr sinnvoll sein. Dadurch kommt es zu einem Austausch an Informationen, welche den Alltag des Betroffenen erleichtern können. Der weitere Verlauf des Syndroms kann nicht im Allgemeinen vorhergesagt werden. Allerdings verringert die Krankheit in den meisten Fällen nicht die Lebenserwartung des Betroffenen.

Das können Sie selbst tun

Die Möglichkeiten der Selbsthilfe sind bei dem Wiedemann-Rautenstrauch-Syndrom äußerst eingeschränkt. Im Alltag sollte darauf geachtet werden, dass die Gestaltung des Lebens zu keinen weiteren Komplikationen führt. Eine enge Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten ist für eine Linderung der Beschwerden von besonderer Bedeutung.

Die Erkrankung ist für den Patienten wie auch für dessen Angehörige eine starke Belastung. Als hilfreich hat sich erwiesen, eine psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dadurch können alle Betroffenen erlernen, wie sie im alltäglichen Geschehen bestmöglich mit den Gesamtumständen umgehen können. Insbesondere die Verarbeitung der Ereignisse kann dabei gefördert werden. Letztlich wird das Wohlbefinden dadurch unterstützt und kann zu einer verbesserten Einstellung führen.

Die körperliche wie auch die geistige Beanspruchung ist im Alltag den Möglichkeiten des Patienten anzupassen. Andernfalls ist mit einer Zunahme der Probleme zu rechnen. Sofern Angehörige Anzeichen einer Überforderung bemerken, sollten sie unbedingt für sich selbst Hilfe in Anspruch nehmen. Der Organismus ist durch eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu unterstützen. Dadurch können weitere Erkrankungen wie Infekte auf ein Mindestmaß reduziert werden. Da die Erkrankung mit einer verminderten Lebenserwartung verbunden ist, sollte die zur Verfügung stehende Zeit bewusst genutzt werden. Die Lebensfreude ist durch Freizeitaktivitäten gezielt zu stärken.

Quellen

  • Arasteh, K., et. al.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Steffen, H.-M. et al.: Internistische Differenzialdiagnostik. Schattauer, Stuttgart 2008

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