Ätiologie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 18. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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In Abgrenzung zu der Pathogenese, welche die Mechanismen einer Krankheit beschreibt, beschäftigt sich Ätiologie mit der Frage, „wie und warum“ Krankheiten entstehen. Sie fragt nach den Ursachen und den auslösenden Faktoren. Die Wortherkunft geht auf die griechischen Wörter „αἰτία aitía“, Ursache und „λόγος lógos“ Vernunft oder Lehre zurück.
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Was ist die Ätiologie?
Im medizinischen Sprachgebrauch wird dieser Fachausdruck häufig verwendet, um die Gesamtheit der Faktoren zu beschreiben, die zu einer Krankheit geführt haben. In dieser Hinsicht werden Ätiologie und Pathogenese zusammengeführt. Ätiologie ist eine medizinische Fachrichtung, die sich nicht ausschließlich mit der Heilung und Therapie von Krankheiten beschäftigt, sondern auch präventiv tätig ist, denn ihr liegt die Lehre der Ursachen zugrunde.
Drei Fragestellungen sind die Säulen der Ätiologie: Führt die festgestellte Ursache unbedingt zum Ausbruch der Krankheit (Causa)? Ist die Ursache Hauptbestandteil einer bereits ausgebrochenen Krankheit (begünstigende Faktoren, Contributio)? Kommt die Krankheit zusammen mit der Ursache wiederholt vor, ohne dass ein nachweislicher Zusammenhang besteht (Wechselwirkungen, Correlatio)?
Prozesse & Ziele
Menschen, die sich weniger an der frischen Luft bewegen und damit weniger fit sind und über ein schwächeres Immunsystem verfügen, erkranken nachweislich häufiger an der Grippe. Erkranken die Menschen der ersten Gruppe dennoch an der Grippe, was natürlich nicht ausgeschlossen ist, ist auch hier die Ursache (Grippeviren) am Ausbruch und Verlauf der Krankheit beteiligt (Causa). In Grönland erkranken die Menschen nachweislich seltener an der Grippe. Die Ätiologie erforscht auf dieser Wissensgrundlage, warum Grippeviren sich in diesem Land nur sehr selten verbreiten (Correlatio). Dies bedeutet jedoch nicht, dass Grönländer nicht an der Grippe erkranken können.
Ein unumstößlicher Zusammenhang zwischen Ursache und Krankheit ist nicht nachgewiesen. Mediziner sprechen von den sinnbildlichen drei Kreisen, die diese medizinische Fachrichtung um jede Krankheit zieht. Der innere Kreis ist die Causa, der beschreibt, welche Ursache zwingend zum Ausbruch einer Krankheit führt. Die Contributio als mittlerer Kreis beschreibt alle Verhaltens- und Lebensweisen, die ursächlich sein können für die Erkrankung. Die Correlatio als äußerer Kreis untersucht, welche Wechselwirkungen zum Ausbruch einer Krankheit führen können. Die wichtige Frage ist, wo eine bestimmte Krankheit öfters auftritt als woanders. Die Ätiologie einer Tuberkuloseerkrankung ist das Tuberkelbakterium.
Forscher haben festgestellt, dass Menschen, die zwischen ihrem 20. Bis 50. Lebensjahr einer intellektuell fordernden geistigen Tätigkeit (Contributio, begünstigende Faktoren) nachgehen, seltener an demenziellen Syndromen wie Alzheimer erkranken (Correlatio). Die Ätiologie stellt sich die Frage, ob diese anspruchsvolle Tätigkeit die Erkrankung verhindert, oder ob die Prädisposition (Causa) für den Ausbruch schon in jungen Jahren besteht und damit die Aufnahme einer intellektuellen Tätigkeit verhindert.
Die Japaner sind das Volk, das die höchste Lebenserwartung hat. Mediziner gehen davon aus, dass die gesunde asiatische Ernährung ein entscheidender Faktor ist, medizinisch beweisen lässt sich dies jedoch nicht. Eine andere Vermutung besteht dahingehend, dass Inselvölker einer geringeren genetischen Durchmischung unterliegen (Contributio, begünstigende Faktoren). Wissenschaftlich gesichert ist jedoch auch diese Annahme nicht.
Dennoch heißt das nicht, dass automatisch alle Japaner überdurchschnittlich alt werden oder dass alle Nicht-Japaner, die in Japan leben oder die gesunde japanische Lebensweise übernehmen, zwingend ebenfalls ein hohes Alter erreichen (Wechselwirkungen, Correlatio). Varizen sind erweiterte, oberflächliche insuffiziente Venen im subkutanen Fettgewebe. Die Ursache für diese unerwünschte Venenerscheinung ist eine venöse Blutstauung (Causa), die einen erhöhten Venendruck verursacht und zusammen mit der Venenschwäche zu einer Dilatation des erkrankten Venengewebes führt. Diese chronische Venenerkrankung zieht, bleibt sie unbehandelt, schwerwiegende Folgen nach sich.
Die Ätiologie beschäftigt sich mit der Frage, welche begünstigenden Faktoren (Contributio) zu der Dysfunktion und Erkrankung des betroffenen Venengewebes führen. Begünstigende Faktoren sind Bewegungsmangel, familiäre Vorbelastung, starkes Rauchen, hohe Belastungsanforderungen wie langes Stehen oder Sitzen, Alter und Schwangerschaft. Die Psychologie beschäftigt sich mit der „multifaktoriellen Ätiopathogenese“ von Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenie, affektiven Störungen sowie Manie und der bipolaren Störung. Die Erscheinungsweise und Ausprägung dieser Krankheitsbilder ist unterschiedlich, da es nicht die eine Ursache, sondern mehrere kausal zusammenspielende Faktoren gibt, die zu dem Ausbruch der Erkrankung führen.
Ursache und auslösende Faktoren sind genetische Prädisposition, biologische und psychosoziale Faktoren. Da die Ätiologie eine Lehre ist, die nach den Ursachen festgestellter Krankheiten forscht und diese nicht nur therapieren, sondern auch präventiv tätig sein will, kann sie auf allen medizinischen Fachgebieten und bei Vorliegen aller Krankheitsbilder angewendet werden. Hauptsächlich handelt es sich jedoch um eine wissenschaftliche Disziplin und ein Forschungsgebiet.
Untersuchungsmethode- & gegenstand
Laut Virchow bedeutet eine Krankheit „das Leben unter abnormen Bedingungen mit dem Charakter einer Gefahr“. Die Krankheit versteht er als Vorgang. Mehrere aufeinanderfolgende, abnorme Reaktionen eines Organismus oder einzelner Bestandteile reagieren auf einen krankmachenden Reizzustand. Der geregelte Ablauf eines Organismus unter gesunden Bedingungen ist nicht mehr gegeben. Die Diagnose stellt Krankheiten fest und grenzt sie voneinander ab, sie erkennt die inneren und äußeren Einwirkungen, die zu der Krankheit geführt haben.
Diese Einwirkungen sind die Ursache. An dieser Stelle setzt die Ätiologie an, die sich nun mit der Frage beschäftigt, wie die festgestellte Krankheit entstehen konnte und welche Faktoren sie ausgelöst haben. Die Ätiologie arbeitet auf der Grundlage der drei „C“ (Causa, Contributio, Correlatio), wobei jede einen unterschiedlichen Grad eines kausalen Zusammenhangs zwischen Krankheit und Ursache kennt. Sie kann Medizinern und Patienten dabei helfen, die festgestellte Krankheit und ihre Ursachen besser zu verstehen und diese rational einzuordnen.
Quellen
- Grüne, S., Schölmerich, J.: Anamnese, Untersuchung, Diagnose. Springer, Heidelberg 2007
- I care Krankheitslehre. Thieme, Stuttgart 2015
- Suttorp et al.: Infektionskrankheiten verstehen, erkennen, behandeln. Thieme, Stuttgart 2003