Blasenekstrophie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 13. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Eine Blasenekstrophie bei Neugeborenen ist in der Regel notfallmedizinisch zu behandeln. Trotz erfolgreicher Therapieschritte können lebenslang Beschwerden auftreten.
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Was ist eine Blasenekstrophie?
Bei der Blasenekstrophie handelt es sich um eine bereits angeborene Fehlbildung, die vergleichsweise selten auftritt. Zu einer Blasenekstrophie kommt es bei ca. einem von 10.000 bis 50.000 Neugeborenen. Dabei sind Jungen in der Regel häufiger von der Fehlbildung betroffen als Mädchen.
Zu den sichtbaren Hauptsymptomen der Blasenekstrophie zählt vor allem eine Harnblase, die in Richtung des Körperäußeren offen liegt. Bei von der Blasenekstrophie Betroffenen geht dabei die Schleimhaut der Harnblase in die Haut der vorderen Bauchwand über. Sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen geht die Blasenekstrophie darüber hinaus meist mit einer Spaltung der Harnröhre einher.
Neben Harnröhre und Harnblase sind in den meisten Fällen auch äußere Genitalien (Geschlechtsorgane) und Becken durch die Entwicklungsstörung beeinträchtigt. In der Urologie (einer medizinischen Fachrichtung, die sich unter anderem mit den Harnwegen beschäftigt) gilt die Blasenekstrophie als schwerer Defekt.
Ursachen
Verursacht werden Symptome der Blasenekstrophie meist durch eine gestörte Entwicklung der unteren Bauchwand eines betroffenen Fötus. Im Rahmen dieser Fehlentwicklung sind beispielsweise Vereinigungen von Bauchmuskeln oder der Knochen des Beckens beeinträchtigt.
In der Folge stellt sich an der Bauchwand eine Ruptur (ein Durchbruch) ein, durch die die Harnblase nach außen dringt. Ein häufig vorliegendes konsistentes Tröpfeln von Urin aus der durch die Blasenekstrophie beeinträchtigten Harnblase wird meist durch eine fehlende Anlage von Blasenhals (der Übergang zwischen Harnblase und Harnröhre) und Schließmuskel der Harnblase hervorgerufen.
Auch diese fehlende Anlage ist eine Folge der embryonalen Entwicklungsstörung. Die Ursachen einer Blasenekstrophie an sich sind noch weitgehend unbekannt - vermutlich spielen aber sowohl Umweltfaktoren als auch genetische Faktoren eine Rolle.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Eine Blasenekstrophie macht sich in erster Linie durch die von außen sichtbare Harnblase bemerkbar. Meist liegt auch ein Teil der gespaltenen Harnröhre frei. Dadurch kommt es zu einem Ausfließen von Urin und gelegentlich auch zu Infektionen.
Eine Fehlbildung der Harnblase kann anhand der eindeutigen äußerlichen Anzeichen und der genannten Symptome rasch diagnostiziert und im Regelfall direkt behandelt werden. Geschieht dies frühzeitig, treten keine weiteren Beschwerden auf. Bei fehlender Behandlung kann eine Blasenekstrophie eine Reihe weitere Symptome hervorrufen. Dazu gehören Harninkontinenz, Infektionen der Blase und Geschlechtsorgane sowie chronische Schmerzen im Bereich der Fehlbildung.
Bei einigen Patienten staut sich der Urin zurück, wodurch Nierenschäden auftreten können. Ein solcher Rückstau äußert sich zunächst durch zunehmende Druckschmerzen und Harnverhalt. Im weiteren Verlauf können Krämpfe und Fieber auftreten. Eine Blasenekstrophie kann auch die sexuellen Funktionen beeinträchtigen.
Dies äußert sich zum Beispiel durch Potenzstörungen bis hin zur erektilen Dysfunktion. Im Verlauf einer unbehandelten Blasenekstrophie besteht das Risiko, dass sich seelische Beschwerden entwickeln. Probleme wie Depressionen oder soziale Ängste treten oft schon im Kindesalter auf und stellen sowohl für die Betroffenen als auch für deren Angehörige eine erhebliche Belastung dar.
Diagnose & Verlauf
Die Verdachtsdiagnose Blasenekstrophie kann gelegentlich bereits im Rahmen pränataler (vorgeburtlicher) Untersuchungen mithilfe von Ultraschall erfolgen. Ein solcher Verdacht basiert beispielsweise auf der Tatsache, dass wiederholt eine mangelhaft gefüllte Blase des Fötus festzustellen ist.
Bei nicht erfolgter pränataler Diagnose wird eine Blasenekstrophie dann meist bei der Geburt aufgrund der charakteristischen Symptomatik erkannt. Der individuelle Verlauf einer Blasenekstrophie wird unter anderem vom Erfolg stattfindender Therapiemaßnahmen beeinflusst.
Wird eine fachgerechte Behandlung der Entwicklungsstörung versäumt, so können Betroffene in der Folge an Komplikationen wie Harninkontinenz (eine fehlende Kontrolle über das Zurückhalten von Urin), Rückstauungen von Urin in die Niere, häufigen Entzündungen des Harn- und Geschlechtsapparates oder sexuellen Funktionsstörungen leiden. Entsprechende Folgeschäden sind gelegentlich allerdings auch bei erfolgreich behandelten Patienten möglich.
Komplikationen
Die Blasenekstrophie bei Neugeborenen stellt einen urologischen Notfall dar. Je mehr Zeit bis zur ersten operativen Rekonstruktion verstreicht, umso größer ist die Gefahr späterer Komplikationen. Aufgrund des Defekts der vorderen Bauchwand kann es bei Blasenekstrophie zu einer Infektion mit pathogenen Mikroorganismen kommen. Im schlimmsten Fall droht eine Sepsis (Blutvergiftung) unmittelbar nach der Geburt. Eine Prophylaxe mit Antibiotika ist deshalb ab dem ersten Lebenstag zwingend erforderlich.
Die chirurgische Wiederherstellung der Harnkontinenz steht bei der weiteren Behandlung der Blasenekstrophie im Vordergrund. Wird die Inkontinenz nicht ausreichend behoben, kann es zu chronischen Hautirritationen kommen. Diese ziehen häufig Superinfektionen mit Candida albicans und anderen Pilzen nach sich.
Auch bei erfolgreichen Operationen drohen als Langzeitfolgen neben sexueller Dysfunktion vor allem rezidivierende Entzündungen im Urogenitalbereich sowie ein Rückstau des Urins in die Nieren. Regelmäßige Kontrollen gewährleisten eine frühzeitige Diagnose metabolischer Erkrankungen und dienen der Erkennung von Karzinomentwicklungen.
Aufgrund der anatomischen Verhältnisse von Vagina und Gebärmutter kommt es bei Frauen, die mit einer Blasenekstrophie geboren wurden, mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einer Schwangerschaft. Durch die Lockerung (Diastase) der Schambeinfuge und die veränderte Beckenbodenmuskulatur besteht dabei die Gefahr eines Uterusprolapses. Um die Ergebnisse vorheriger Operationen nicht zu gefährden, empfehlen Ärzte in jedem Fall eine Entbindung per Kaiserschnitt (elektive Sectio).
Wann sollte man zum Arzt gehen?
In der Regel wird eine Blasenekstrophie während einer Ultraschalluntersuchung in der Schwangerschaft oder unmittelbar nach der Geburt diagnostiziert. Die Fehlbildung muss umgehend behandelt werden, da es andernfalls zum Tod des Kindes kommen kann. Nach der Operation sind meist weitere chirurgische Eingriffe und Arztbesuche erforderlich. Eltern sollten regelmäßig Rücksprache mit dem Hausarzt oder Kinderurologen halten, um bei etwaigen Komplikationen schnell reagieren zu können.
Weitere ärztliche Untersuchungen sind notwendig, wenn es durch die Inkontinenz zu Infektionen und anderweitigen Beschwerden kommt. Auch bei psychischen Beschwerden sollte mit dem betroffenen Kind zu einem Arzt gegangen werden. Oftmals kann die Lebensqualität durch weitere operative Maßnahmen und kosmetische Eingriffe verbessert werden.
Begleitend dazu wird der Arzt den Betroffenen an einen Therapeuten oder eine Selbsthilfegruppe verweisen. Welche Maßnahmen im Detail zu treffen sind, hängt von der Schwere der Blasenekstrophie und den körperlichen und seelischen Auswirkungen ab. Durch frühzeitige Beratungsgespräche, idealerweise noch während der Schwangerschaft, kann die Behandlung optimiert und Komplikationen weitestgehend ausgeschlossen werden.
Behandlung & Therapie
Erfolg versprechende medizinische Behandlungen der Blasenekstrophie finden in der Regel auf operativem Wege statt. Dabei gilt die Blasenekstrophie in der Urologie als Notfall.
Internationalen Richtlinien zufolge hat ein Verschluss der Harnblase mit einhergehender Stabilisierung der Bauchwand beim betroffenen Kind zunächst innerhalb von 24 bis 72 Stunden nach der Geburt auf chirurgischem Weg zu erfolgen. In der Regel schließen sich in den weiteren Lebensjahren eines unter Blasenekstrophie leidenden Kindes dann weitere Operationen an; zu den Zielen entsprechender Eingriffe zählen beispielsweise ein Wiedererlangen der willentlichen Kontrolle über die Harnblasenfunktion (Harnkontinenz) sowie eine Aufrechterhaltung der gesunden Nierenfunktionen.
Da meist auch die Geschlechtsorgane durch eine Blasenekstrophie beeinträchtigt sind, zielen weitere mögliche Eingriffe außerdem auf eine Wiederherstellung entsprechende Organe; diese Wiederherstellungsmaßnahmen können sowohl auf funktionaler als auch auf kosmetischer Ebene erfolgen.
In den meisten Fällen sind bei von einer Blasenekstrophie Betroffenen schließlich lebenslange, regelmäßige Kontrolluntersuchungen notwendig. Diese Untersuchungen dienen vor allem einem frühzeitigen Erkennen möglicher Folgeerkrankungen einer Blasenekstrophie. Zu diesen Folgeerkrankungen zählen beispielsweise Stoffwechselstörungen oder die Ausbildung von Karzinomen (bösartiger Gewebeneubildungen) an den Schleimhäuten des unteren Bauchraums.
Aussicht & Prognose
Die Heilungsaussicht einer Blasenekstrophie ist abhängig von der Schwere der Erkrankung, dem Behandlungsbeginn sowie der allgemeinen Gesundheit des Patienten.
Liegen keine weiteren Störungen oder Krankheiten vor, wird im Normalfall das Neugeborene innerhalb der ersten beiden Lebenstage einem operativen Eingriff unterzogen. Dabei wird die Fehlbildung der Blase so weit wie möglich korrigiert. Nur bei wenigen Patienten genügt ein einziger Korrektureingriff zur Heilung oder Linderung der Beschwerden aus. In den meisten Fällen folgen im Verlauf des Wachstums- und Entwicklungsprozesses weitere Operationen. In diesen wird versucht, die körperlichen Voraussetzungen für eine willentliche Blasenkontrolle zu schaffen.
Da oftmals ebenfalls die Geschlechtsorgane bei einer Blasenekstrophie beschädigt sind, werden auch diese in den ersten Lebensjahren bis ins Erwachsenenalter einer Korrekturbehandlung unterzogen. Jede Operation ist mit den üblichen Risiken und Nebenwirkungen. Das hat zur Folge, dass der Patient über die ersten 20 Jahres seines Lebens mehrfach starken Belastungen ausgesetzt wird, von denen er sich erholen muss.
Je stabiler die Gesundheit und je stärker das Immunsystem sind, desto besser und schneller können die einzelnen Eingriffe abheilen. Verzichtet der Patient auf die Korrekturen, wird er lebenslang unter Problemen des Wasserlassens sowie sexuellen Funktionsstörungen leiden. Finden die Eingriffe mit optimalen Ergebnissen statt, kann weitestgehend eine Beschwerdefreiheit erlangt werden.
Vorbeugung
Da der Medizin bisher wenige Erkenntnisse über die Ursachen der Ausbildung einer Blasenekstrophie vorliegen, kann der Erkrankung kaum vorgebeugt werden.
Die Ausprägung von Beschwerden, Komplikationen und möglichen Folgeerkrankungen im Zusammenhang mit einer Blasenekstrophie kann allerdings durch frühzeitige und konsequente Behandlungsschritte positiv beeinflusst werden. Logischerweise sollten Frauen während der Schwangerschaft auf das Rauchen, Alkohol und Drogen gänzlich verzichten, um Fehlbildungen des Kindes zu vermeiden.
Nachsorge
Nachdem die Blasenekstrophie operativ korrigiert wurde, gelten verschiedene Nachsorge-Maßnahmen. Der Patient muss zunächst einige Stunden im Aufwachraum verbringen, um Komplikationen rechtzeitig feststellen und behandeln zu können. Der Arzt wird regelmäßig den Blutdruck und den Puls kontrollieren und außerdem sicherstellen, dass die Nähte optimal verheilen. Treten in dieser Phase keine Auffälligkeiten auf, kann der Patient entlassen werden.
Zunächst enthält der Betroffene jedoch ärztliche Empfehlungen für die Einnahme von Schmerz- und Beruhigungsmitteln. Die Blasenekstrophie kann noch einige Zeit nach dem Eingriff zu Komplikationen führen, die ärztlich abgeklärt werden müssen. Ein Arztbesuch empfiehlt sich beispielsweise bei Entzündungen, Juckreiz oder Blutungen im Bereich der Operationsnarbe.
Darüber hinaus müssen mit dem operierenden Arzt vereinbarten Nachsorgetermine eingehalten werden. Allgemeinmaßnahmen wie ausreichend trinken (vor allem Mineralwasser und Tee), der Verzicht auf Alkohol und Nikotin sowie die Vermeidung von starker Sonneneinstrahlung im Bereich der Narben sind essenziell.
Mit einer frischen Naht sollte außerdem sieben bis neun Tage auf die Dusche verzichtet werden. Falls keine Komplikationen auftreten, ist keine weitere Nachsorge vonnöten. Patienten mit einer Blasenekstrophie leiden jedoch oftmals an weiteren Erkrankungen, weshalb sich ein regelmäßiger Arztbesuch beim Urologen empfiehlt.
Das können Sie selbst tun
Die im Rahmen der Blasenekstrophie von Geburt an bestehenden Missbildungen im Bereich der Harnblase sind nur durch ärztliche Eingriffe therapierbar, sodass keine direkten Maßnahmen zur Selbsthilfe anwendbar sind. Allerdings unterstützen Patienten und deren Sorgeberechtigte die ärztliche Behandlung durch eine an die meist operativen Eingriffe angepasste Verhaltensweisen.
Üblicherweise unterzieht sich der neugeborene Patient schon innerhalb der ersten Lebenstage einer Operation, um die Missbildung auszugleichen. Eine ständige ärztliche Überwachung des Neugeborenen ist dabei unerlässlich, wobei sich Eltern grundsätzlich an die Anweisungen der Fachärzte und des Klinikpersonals halten.
Bis die Patienten mit Blasenekstrophie das Erwachsenenalter erreichen, sind in vielen Fällen weitere chirurgische Eingriffe nötig. Das Ziel dieser Operationen besteht darin, die Harnkontinenz zu gewährleisten und gegebenenfalls die Geschlechtsorgane zu rekonstruieren. Hinsichtlich der Kontinenz unterstützen die Patienten den Therapieerfolg durch eine Physiotherapie, die entsprechende Muskelpartien im unteren Bauchbereich kräftigen. Derartige Übungen sind zu Hause durchführbar.
Solange die Harnkontinenz nicht gegeben ist, sind die Patienten oft auf Windeln angewiesen. Geeignete Modelle sind diskret, sodass sie äußerlich kaum auffallen und die Betroffenen in ihrem normalen Lebensalltag möglichst nicht stören. Somit sind die Patienten trotz Blasenekstrophie in der Lage, am sozialen Leben teilzunehmen und Einschränkungen durch eine Inkontinenz zu minimieren.
Quellen
- Buselmaier, W. et al.: Humangenetik für Biologen. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2005
- Keller, C.K., Geberth, S.K.: Praxis der Nephrologie. Springer, Berlin 2010
- Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003