Christ-Siemens-Touraine-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. November 2021Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Das Christ-Siemens-Touraine-Syndrom ist eine ektodermale Dysplasie. Die Leitsymptome der Erkrankung sind Fehlbildungen der Hautanhangsgebilde. Im Fokus der Therapie steht die Wärmeabgabe, da die Patienten oft keine vollausgebildeten Schweißdrüsen besitzen und daher schnell überhitzen.
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Was ist das Christ-Siemens-Touraine-Syndrom?
Bei der Gastrulation bilden sich während der embryonalen Entwicklung drei sogenannte Keimblätter. Diese Keimblattbildung erfolgt durch Zellwanderungen in der Frühschwangerschaft und kommt einer ersten Gewebedifferenzierung gleich. Vor der Keimblattbildung sind die embryonalen Zellen omnipotent. In den Keimblättern liegen nur noch multipotente Zellen vor.
Das heißt, dass sich das Gewebe der Keimblätter nur zu bestimmten Körpergeweben weiterentwickeln kann. Eines der drei Keimblätter ist das Ektoderm. Neben der Haut, der Darmauskleidung, dem Nervensystem und dem Nebennierenmark entwickeln sich aus dem Ektoderm Sinnesorgane sowie Zähne und Zahnschmelz.
Durch unterschiedliche Entwicklungsstörungen und genetische Defekte können sich Fehler bei der ektodermalen Gewebeentwicklung einstellen. Solche Fehler haben ektodermale Dysplasien zur Folge, so zum Beispiel das Christ-Siemens-Touraine-Syndrom. Diese Erkrankung entspricht einer sogenannten Systemdyplasie, da sie unterschiedliche Körpersysteme betrifft.
Die Erkrankung wird auch als anhidrotisch ektodermale Dysplasie bezeichnet und entspricht der häufigsten Dysplasie des Ektoderms. Anders als bei vielen anderen Fehlbildungen auf Basis des ektodermalen Gewebes handelt es sich beim Christ-Siemens-Touraine-Syndrom um einen genetischen Defekt mit einer weltweiten Prävalenz von etwa 1:10 000.
Ursachen
Das Christ-Siemens-Touraine-Syndrom ist ein Fehlbildungssyndrom mit genetischer Basis. Das heißt, dass die einzelnen Störungen der ektodermalen Gewebeentwicklung in diesem Fall auf interne Faktoren zurückgehen und primär nicht mit externen Faktoren wie Umweltgiften zusammenhängen. Der Komplex aus Symptomen wird offenbar X-rezessiv-chromosomal vererbt.
Die Basis der Erkrankung ist eine Mutation unterschiedlicher Gene, die auf dem X-Chromosom weitergegeben werden. Dabei handelt es sich um die Gene XLHED, EDA sowie ED1 mit Kartierung im Genlokus Xq12 bis Xq13.1. Ähnliche Fälle sind unabhängig vom X-chromosomalen Erbgang dokumentiert worden. Sowohl autosomal-dominante als auch autosomal-rezessive Weitergabe steht mittlerweile in Assoziation zu dem Syndrom.
Die Mutationen in den genannten Genen verändern die Erbsubstanz und ziehen damit physiologisch unvorhergesehene Vorgänge nach sich. Das EDA-Gen kodiert in der DNA zum Beispiel für das Protein Ectodysplasin-A, das der Familie der Tumornekrosefaktor-α-Liganden zuzuordnen ist.
Diese Kodierung bringt in einem gesunden Organismus das Genprodukt Ectodysplasin-A hervor, das die Interaktion zwischen Mesenchym und Epithel steuert. Damit spielt es vor allem für die Entwicklungskontrolle der Hautanhangsgebilde eine Rolle, die bei Defekten des Gens falsch zusammengesetzt werden.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Patienten mit Christ-Siemens-Touraine-Syndrom leiden an unterschiedlichen Fehlbildungen des ektodermalen Gewebes. Haut, Haar, Nägel, Schweißdrüsen und Talgdrüsen sind am Stärksten betroffen. Kernsymptomatisch bestehen Hypohidrose, Hypotrichose und Hypodontie, also Zahnunterzahl, verminderte Schweißsekretion und verminderte Haarbildung.
Darüber hinaus ist die Haut trocken, schuppig und oft von Ekzemen übersät. Die Wärmeanpassungen (Thermoregulation) sind durch die niedrige Schweißsekretion, sodass Fieber auftreten kann. Abstehende Ohren in einer abnormalen Tiefe kommen begleitsymptomatisch ebenso häufig vor wie unterentwickelte Wimpern und Augenbrauen, farbloses Haupthaar, abnormale Hautfärbung, Wulstlippen oder Sattelnasen.
In Einzelfällen liegen außerdem Stirnhöcker vor. Zu den eher seltenen Begleitsymptomen zählen zusätzliche Augenerkrankungen wie Katarakt oder Glaukom. In wieder anderen Fällen kann Gewebeabbau am Nervus opticus beobachtet werden (Optikusatrophie).
Außerdem ist eine Rückentwicklung der Netzhaut (Retinadegeneration) als Augensymptomatik vorstellbar. In einigen Fällen wurde neben den geschilderten Symptomen von Taubheit berichtet. Auch Minderwuchs kann im Rahmen des Syndroms auftreten.
Diagnose & Verlauf
Die Diagnose des Christ-Siemens-Touraine-Syndrom wird anhand des klinischen Bilds gestellt. Die Kombination aus verminderter Schweißsekretion und Auffälligkeiten von Haaren sowie Zähnen ergibt ein relativ typisches Bild. Nicht immer stellt der Arzt die Diagnose unmittelbar nach der Geburt.
Spätestens im frühen Kleinkindalter macht sich in vielen Fällen aber die fehlende oder reduzierte Anlage der Schweißdrüsen bemerkbar. Diagnosesichernd kann ein molekulargenetischer Test zum Einsatz kommen. Erweist der Test Mutationen in den entsprechenden Genen, gilt die Diagnose als erwiesen.
Die Prognose hängt für Patienten mit Christ-Siemens-Touraine-Syndrom von der Schwere der Symptome im Einzelfall ab. Fälle mit tödlichem Verlauf sind bekannt. Diese Fälle stehen meist mit hohem Fieber in Folge der Wärmeregulationsstörungen in Zusammenhang.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
In den meisten Fällen wird das Christ-Siemens-Touraine-Syndrom schon direkt nach der Geburt diagnostiziert, sodass eine zusätzliche Diagnose meist nicht mehr notwendig ist. Ein Arzt muss bei dieser Erkrankung dann aufgesucht werden, wenn der Betroffene nicht schwitzen und damit übermäßige Wärme nicht richtig an die Umwelt abgeben kann. Auch Haut und Nägel sind vom Syndrom betroffen, sie werden schuppig und trocken.
Zudem leiden die Patienten häufig an einer verminderten Haarbildung, sodass auch bei dieser Beschwerde eine ärztliche Untersuchung ratsam ist. Auch Augenerkrankungen können auf das Christ-Siemens-Touraine-Syndrom hindeuten und sollten untersucht werden. Ebenso kann das Syndrom zu Minderwuchs oder Taubheit führen, die Betroffenen sollten beim Auftreten dieser Beschwerden ebenso einen Arzt aufsuchen.
Die Erkrankung kann von einem Kinderarzt oder einem Allgemeinarzt diagnostiziert werden. Da es keine direkte Behandlung gibt, sind die Betroffenen auf spezielle Möglichkeiten der Abkühlung angewiesen. Bestimmte Fehlbildungen können durch den jeweiligen Facharzt behandelt werden.
Behandlung & Therapie
Bislang ist das Christ-Siemens-Touraine-Syndrom unheilbar. Eine ursächliche Therapie existiert noch nicht. Bei genetischen Erkrankungen müsste jede ursächliche Therapie an den Genen selbst ansetzen. Das ist bisher nicht möglich. Zwar haben gentherapeutische Ansätze in den vergangenen Jahrzehnten Fortschritte gemacht und sich zu einem Schwerpunkt der medizinischen Forschung entwickelt.
Die klinische Phase haben die Ansätze allerdings nicht erreicht. Daher erhalten Patienten mit Christ-Siemens-Touraine-Syndrom bisher nur eine symptomatische Behandlung, die mit supportiven Behandlungsschritten wie Selbsthilfegruppen kombiniert wird. Im Fokus der Therapie steht die Regulierung der Körpertemperatur.
Lebensgefährliche Zustände können so verhindert werden. Verdunstungsvorgänge sind im Einsatz: Um das Schwitzen nachzuahmen und eine Wärmabgabe zu erreichen, wird die Haut der Betroffenen zum Beispiel befeuchtet. Auch Wärmeleitung wird genutzt, indem die Patienten mit kühlen Objekten in Berührung gebracht werden.
Die Wärmeabgabe an die bewegte Umgebungsluft kann vor allem durch Zug, Ventilatoren oder Klimaanlagen erfolgen. Auch das Ess- und Trinkverhalten der Patienten lässt sich auf Wärmeregulierung ausrichten. Um sich abzukühlen, trinken die Betroffenen tagsüber und während der Nacht möglichst viel kaltes Wasser.
Grundsätzlich übernimmt ein interdisziplinäres Ärzteteam die Behandlung. Zahnersätze zur Verbesserung der Zahnsituation tragen zum Beispiel ungemein zur Lebensqualität der Patienten bei.
Aussicht & Prognose
Beim Christ-Siemens-Touraine-Syndrom kommt es nicht zu einer Selbstheilung. Die Betroffenen sind aus diesem Grund immer auf eine medizinische Behandlung angewiesen. Allerdings können die meisten Beschwerden des Syndroms relativ gut eingeschränkt werden, sodass die Patienten ein gewöhnliches Leben führen können.
Durch die Hautbeschwerden kommt es zu Schwierigkeiten bei der Wärmeabgabe, sodass die Betroffenen häufig an Fieber leiden. Auch die Ästhetik des Patienten wird durch die Fehlbildungen der Haare und die ungewöhnliche Färbung der Haut negativ beeinflusst.
Häufig kommt es dadurch auch zu psychischen Beschwerden. Das Christ-Siemens-Touraine-Syndrom kann dabei auch die Sehkraft negativ beeinflussen, wobei einige Patienten auch an einer Taubheit oder an Minderwuchs leiden. Diese Beschwerden können nicht behandelt werden, sodass die Betroffenen ihr gesamtes Leben lang mit Einschränkungen zu kämpfen haben.
In der Regel kann die gestörte Wärmeabgabe durch das Essensverhalten und durch das Trinkverhalten relativ gut gesteuert werden. Auch die Umgebung kann so angepasst werden, dass es nicht zu einer Überhitzung oder zu anderen Beschwerden kommt. Obwohl die Beschwerden nicht vollständig eingeschränkt werden können, wird die Lebenserwartung des Patienten durch das Christ-Siemens-Touraine-Syndrom in der Regel nicht negativ beeinflusst.
Vorbeugung
Dem Christ-Siemens-Touraine-Syndrom lässt sich bisher nur über genetische Beratung in der Familienplanung vorbeugen. Weitaus wichtiger als die Vorbeugung kann die Früherkennung der Erkrankung sein, so beispielsweise im Feinultraschall.
Nachsorge
Beim Christ-Siemens-Touraine-Syndrom stehen dem Patienten in den meisten Fällen keine oder nur sehr wenige Maßnahmen einer direkten Nachsorge zur Verfügung. Bei dieser Krankheit ist der Betroffene in erster Linie auf eine schnelle und vor allem auf eine frühzeitige Diagnose und Behandlung angewiesen, damit weitere Komplikationen verhindert werden können. Da es sich beim Christ-Siemens-Touraine-Syndrom um eine angeborene Krankheit handelt, kann diese auch nicht vollständig geheilt werden.
Falls bei Betroffenen ein Kinderwunsch besteht, sollte eine genetische Beratung erfolgen, um das erneute Auftreten dieser Krankheit zu verhindern. Eine Selbstheilung kann dabei nicht eintreten. Die Betroffenen müssen die Abgabe der Wärme bei dieser Krankheit selbst richtig regulieren. Dabei kann die Haut befeuchtet werden, falls sie zu heiß wird, damit die Wärme abgegeben werden kann.
Ebenfalls sind anstrengende oder körperliche Tätigkeiten zu vermeiden, um den Körper nicht unnötig anzustrengen. Auch das Trinken von kaltem Wasser kann dabei die Beschwerden des Christ-Siemens-Touraine-Syndroms lindern. Dabei wirkt sich nicht selten der Kontakt zu anderen Betroffenen des Syndroms positiv auf den Verlauf der Krankheit aus, da es häufig zu einem Austausch an Informationen kommt. Die Lebenserwartung wird durch diese Krankheit meist nicht verringert.
Das können Sie selbst tun
Eine eigene, zur Heilung führende Behandlung des Christ-Siemens-Touraine-Syndroms selbst ist leider nicht möglich. Es beruht auf einer Mutation des Erbguts, daher wäre eine Heilung nur auf genetischer Ebene möglich.
Den betroffenen Patienten bleibt daher im Sinne einer Eigentherapie nur die Behandlung der Symptome. In dieser Hinsicht steht vor allem eine Beeinflussung der Körpertemperatur im Mittelpunkt. Um der durch das Syndrom hervorgerufenen Überhitzung des Körpers entgegenzuwirken, können verschiedene Maßnahmen ergriffen werden.
Dazu gehört vor allem eine Befeuchtung der Haut, damit wird der Schwitzvorgang simuliert, der durch die Krankheit in der Regel stark beeinträchtigt ist. Auf die Haut gepresste, kühlende Gegenstände können ebenfalls dazu beitragen, eine Überhitzung zu vermeiden. Dasselbe gilt für alle Möglichkeiten der Kühlung, sei es durch Klimaanlagen oder auch einfach durch Zugluft.
So wird nicht nur das eigene Körpergefühl der Patienten verbessert, sondern durch die Wärmeableitung auch weiteren möglichen Körperreaktionen vorgebeugt werden. Entsprechend der Notwendigkeit des Abkühlens nehmen Patienten am Besten kalte Getränke zu sich und achten auch bei Speisen auf den Wärmehaushalt des Körpers.
Das Syndrom geht gelegentlich auch mit vermindertem Haarwuchs am Körper einher; zu diesem Thema können Medikamente helfen.
Quellen
- Dirschka, T., Hartwig, R.: Klinikleitfaden Dermatologie. Urban & Fischer, München 2011
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
- Orfanos, C. E. et al.: Therapie der Hautkrankheiten. Springer Medizin Verlag, Berlin Heidelberg 2001