Differenzierung
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. April 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die Differenzierung in der Biologie kennzeichnet die Umwandlung von einem wenig differenzierten in einen hoch differenzierten Zustand. Besondere Bedeutung besitzt dieser Prozess während der Entwicklung der befruchteten Eizelle zu einem vollständigen Organismus. Störungen im Differenzierungsprozess können zu schweren Erkrankungen wie Krebs oder Missbildungen führen.
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Was ist die Differenzierung?
Bei der biologischen Differenzierung geht es um die Spezialisierung von undifferenzierten Stammzellen in differenzierte Körperzellen. Besonders während der Embryogenese und des nachfolgenden Wachstums spielen diese Prozesse eine herausragende Rolle. Differenzierungsprozesse sind aber auch noch bei erwachsenen Organismen für die Aufrechterhaltung der Körperfunktionen wichtig.
Zunächst besitzen undifferenzierte Stammzellen noch die Fähigkeit, sich in alle anderen Körperzellen zu verwandeln. Dabei entstehen über mehrere Differenzierungsprozesse spezialisierte Körperzellen, welche die unterschiedlichen Organe bilden und schließlich die Fähigkeit verlieren, sich zu teilen.
Es gibt mehrere Arten von Stammzellen. So sind die sogenannten totipotenten Stammzellen noch in der Lage, sich jeweils in einen vollständigen Organismus zu verwandeln. Die pluripotenten Stammzellen können sich wiederum noch in alle Körperzellen differenzieren. Allerdings ist es für diese nicht mehr möglich, sich in einzelne Organismen zu entwickeln. Multipotente Stammzellen haben bereits eine gewisse Differenzierung zu einer bestimmten Zelllinie erlangt. Sie können sich jedoch noch in alle weiteren Zellen dieser Zelllinie differenzieren.
Funktion & Aufgabe
Die befruchtete Eizelle ist die erste totipotente Stammzelle, die zunächst einer Zellteilung in vier gleiche Zellen unterliegt. Jede dieser vier Zellen kann sich zu einem vollständigen genetisch identischen Organismus entwickeln. Wenn das Vierzellenstadium erreicht ist, kommt es zur Bildung der Blastozyste, welche aus pluripotenten embryonalen Stammzellen besteht. Diese pluripotenten Stammzellen können sich über die nächste Differenzierungsstufe in die drei Keimblätter Ektoderm, Entoderm und Mesoderm entwickeln und stellen somit den Ausgangspunkt für alle weiteren Körperzellen dar.
Im Gegensatz zu den totipotenten Stammzellen haben diese jedoch bereits die Fähigkeit verloren, sich in genetisch identische unabhängige Organismen zu entwickeln.
Aus den drei Keimblättern gehen weitere Zelllinien hervor, die zunächst aus multipotenten Stammzellen bestehen. Dabei sind die multipotenten Stammzellen in der Lage, sich in alle Zelltypen der jeweiligen Zelllinie zu entwickeln. Die Fähigkeit, sich in alle anderen Körperzellen zu verwandeln, besitzen diese Zellen nicht mehr, da sie bereits einen höheren Differenzierungsgrad als die pluripotenten Stammzellen erreicht haben.
Bei tierischen und menschlichen Organismen ist der Vorgang der Differenzierung mit einer Determination verbunden. Die Determination bezeichnet die Festlegung einer einmal eingeschlagenen Spezialisierung, wobei die weitere Entwicklung der Zelllinien auf epigenetischem Weg weitergegeben wird. Selbstverständlich werden bereits vordifferenzierte Zellen im Rahmen ihrer Determination weiter in die Zellen der entsprechenden Zelllinie differenzieren.
Die gesamte genetische Information jeder einzelnen Zelle ist zwar identisch, aber durch Genexpression wird sie je nach Zelltyp unterschiedlich aufgerufen. Das bedeutet unter anderem, dass beispielsweise in einer Leberzelle nur die genetischen Informationen für die Leberfunktion decodiert werden, während alle anderen Informationen ungelesen bleiben.
Die Differenzierung wird durch verschiedene äußere oder innere Faktoren beeinflusst. So spielen Hormone und Wachstumsfaktoren eine wichtige Rolle. Auch die Zellkontakte zu Nachbarzellen bestimmen die Richtung der Differenzierung.
Unter bestimmten Bedingungen kann es zu einer Transdetermination kommen. Dabei wird die Zelldetermination verändert. Das spielt besonders bei der Wundheilung eine Rolle. Wenn die Zellen dann schon differenziert sind, verlieren sie in diesen Fällen ihre Differenzierung und differenzieren sich neu. Bei Störungen dieses Prozesses kann es allerdings zu Krebs kommen.
Die Differenzierung ist für den Organismus essenziell, um als einheitliches biologisches System überhaupt funktionieren zu können.
Krankheiten & Beschwerden
Allerdings gibt es auch nichtgenetische Ursachen für Organmissbildungen. Ein Beispiel ist die Nierenagenesie bei fehlendem Fruchtwasser. Da sich der menschliche Embryo nur innerhalb des Fruchtwassers entwickeln kann, kommt es aufgrund des Platzmangels hier zu einer fehlerhaften Organdifferenzierung, wobei auch andere Organe und Gewebe betroffen sind.
Auch Medikamente können den Differenzierungsprozess während der Embryogenese stören. Ein bekanntes Beispiel stellt das Beruhigungsmittel Contergan dar, welches während der frühen Schwangerschaft zur Schädigung der Wachstumsentwicklung des Fötus führte. Dies wurde im Jahre 1961 durch den sogenannten Conterganskandal öffentlich.
Es kann jedoch auch passieren, dass bereits differenzierte Zellen sich entdifferenzieren und sich dann unkontrolliert vermehren. Diese Situation liegt bei Krebs vor. Je stärker die Entdifferenzierung der Zellen vorangeschritten ist, desto maligner ist der Tumor. Wie bereits erwähnt, ist eine Entdifferenzierung in manchen Fällen notwendig, wenn ein größerer Bedarf an Zellwachstum besteht. Das ist unter anderem bei Wundheilungen der Fall. Bei diesen Prozessen folgt der Entdifferenzierung jedoch wieder eine Differenzierung der Zellen. Wenn die Differenzierung dann jedoch ausbleibt, entsteht Krebs.
Auch somatische Mutationen in den Zellen können unter Umständen Gene betreffen, welche die Differenzierung beeinflussen. Daher wächst im Laufe des Lebens die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken.
Quellen
- Buselmaier, W. et al.: Humangenetik für Biologen. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2005
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
- Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013