Ellis-van-Creveld-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 2. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Das Ellis-van-Creveld-Syndrom ist eine äußerst selten auftretende genetisch bedingte Erkrankung. Charakteristisch sind kurze Rippen und eine Polydaktylie (Mehrfingrigkeit). Die Lebenserwartung ist abhängig von der Größe des Thorax und der Schwere eines eventuellen Herzfehlers.
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Was ist das Ellis-van-Creveld-Syndrom?
Das Ellis-van-Creveld-Syndrom wird aufgrund der Beteiligung des Knorpelgewebes und des Ektoderms auch als chondroektodermale Dysplasie bezeichnet. Es wurde erstmals im Jahre 1940 von den beiden Pädiatern Richard Ellis und Simon van Creveld beschrieben. Dabei gehört es zu einer Gruppe von Erkrankungen, die als Kurzripp-Polydaktylie-Syndrome (SRPS für Short Rib-Polydactyly-Syndrome) bezeichnet werden.
Diese Syndrome sind durch auffallend kurze Rippen und unterentwickelte Lungen charakterisiert. Alle Erkrankungen dieser Gruppe sind genetisch bedingt und werden autosomal rezessiv vererbt. Das Gleiche gilt auch für das Ellis-van-Creveld-Syndrom. Der Verlauf dieser Erkrankungen ist häufig letal. Das Ellis-van-Creveld-Syndrom ist eine extrem seltene Erkrankung. So wird die weltweite Häufigkeit bei Neugeborenen auf 1 zu 60.000 bis 1 zu 200.000 geschätzt.
Insgesamt wurden lediglich 150 Fälle beschrieben. Dabei kommt es in einigen Gemeinschaften etwas häufiger vor. Bei den Aborigines in Westaustralien und den Amischen in Lancaster County wird das Ellis-van-Creveld-Syndrom öfter diagnostiziert. Nach einer Schätzung liegt die Häufigkeit bei den Amischen in Lancaster County bei 1 zu 5000 pro Neugeborenes. Nach den neuesten Erkenntnissen zählt das Ellis-van-Creveld-Syndrom neben einigen anderen verwandten Syndromen zu den sogenannten Ziliopathien.
Ursachen
Das Ellis-van-Creveld-Syndrom ist eine Erbkrankheit, die autosomal rezessiv vererbt wird. Vermutlich können aber mehrere genetische Defekte zum Ausbruch dieser Erkrankung führen. Es wurde nämlich festgestellt, dass mindestens zwei Gene auf dem kurzen Arm des Chromosoms 4 beteiligt sein können. Dabei handelt es sich um die Gene EVC1 und EVC2. Beide Gene liegen auf Chromosom 4 nebeneinander und haben wahrscheinlich ähnliche regulatorische Aufgaben.
So wurden in einigen Fällen der Erkrankung von beiden Elternteilen die gleichen mutierten EVC-Gene homozygot weitervererbt. In anderen Fällen erhielt das Kind jedoch jeweils sowohl ein mutiertes EVC1 und ein mutiertes EVC2 von den Eltern. Alle Kinder entwickelten aber gleiche Symptome. Da bei einzelnen Personen auch nur ein mutiertes Gen gefunden wurde, wird davon ausgegangen, dass es noch mehr Erbfaktoren geben muss.
Beide EVC-Gene liegen nicht nur nebeneinander auf Chromosom 4, sondern teilen sich auch noch eine gemeinsame Promotor-Region. Bereits das legt den Verdacht nahe, dass beide Gene an ähnlichen Prozessen beteiligt sind. Meistens wird durch ein falsch gesetztes Startcodon die Erkrankung verursacht. Dabei kommt es zu einem späteren Beginn oder einem vorzeitigen Abbruch der Proteinbiosynthese, wobei eine zu kurze Polypeptidkette entsteht.
Es gibt jedoch auch andere Mutationen in beiden Genen, die bereits bei heterozygoter Weitergabe autosomal dominant vererbt werden. Das gilt beispielsweise für das Weyers-Syndrom, welches durch Knochenbildungsstörungen an Händen und Gesicht gekennzeichnet ist. Insgesamt muss beim Ellis-van-Creveld-Syndrom und verwandten Erkrankungen von einer komplexen Genetik ausgegangen werden, bei der noch weitere Mutationen involviert sein können.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Das Ellis-van-Creveld-Syndrom ist charakterisiert durch Kleinwuchs, Polydaktylie (Vielfingrigkeit), kurze Rippen, Lungenunterfunktion und angeborene Herzfehler. Die Fingernägel und Zähne sind dysplastisch. Die Patienten besitzen meist sechs Finger an den Händen, wobei der zusätzliche Finger neben dem Digitus mimimus (kleiner Finger) jeweils nach außen gerichtet ist. In etwa 10 Prozent der Fälle sind auch an den Füßen überzählige Zehen.
Oft besteht jedoch zwischen der großen und der zweiten Zehe ein größerer Abstand. Die Gliedmaßen sind verkürzt. Auch Gaumenspalten und pränatale Zahndurchbrüche werden gelegentlich beobachtet. Bei etwa 60 Prozent der Betroffenen besteht ein angeborener Herzfehler. Meist handelt es sich hier um einen Vorhofseptumdefekt. Die motorische und geistige Entwicklung ist jedoch nicht beeinträchtigt.
Bereits pränatal können durch Ultraschalluntersuchungen Missbildungen wie die Verkürzung der langen Röhrenknochen, Herzfehler und Sechsfingrigkeit festgestellt werden. Der enge Thorax verursacht bei den Neugeborenen größere Atemprobleme. Insgesamt ist das Krankheitsbild beim Ellis-van-Creveld-Syndrom differenziert. Die Prognose der Erkrankung richtet sich nach der Schwere der Lungen- und Herzmissbildungen sowie der eingeleiteten therapeutischen Maßnahmen.
Diagnose
Das Ellis-van-Creveld-Syndrom kann bereits pränatal durch Ultraschalluntersuchungen diagnostiziert werden. Allerdings muss es differenzialdiagnostisch gegen mehrere Syndrome wie dem Jeune-Syndrom, dem Verma-Naumoff-Syndrom, dem Weyers-Syndrom und dem McKusick-Kaufman-Syndrom abgegrenzt werden. Eine sichere Diagnose bietet nur ein Gentest auf EVC1 und EVC2.
Komplikationen
Beim Ellis-van-Creveld-Syndrom leiden die meisten Patienten vor allem an einer Mehrfingrigkeit und an kurzen Rippen. Auch führt das Syndrom bei vielen Patienten zum Kleinwuchs und zu Fehlformationen an den Zähnen und den Fingernägeln. Durch die Fehlbildungen kommt es oft zu psychischen Problemen und einem verringerten Selbstwertgefühl.
Der Betroffene leidet nicht selten an Mobbing. Bei ungefähr der Hälfte aller Erkrankten kommt es dazu zu einem Herzfehler. Dieser Herzfehler kann beim Ellis-van-Creveld-Syndrom die Lebenserwartung negativ beeinflussen. Allerdings hat das Syndrom keinen Einfluss auf die geistige und physische Entwicklung des Kindes, sodass das Denken nicht eingeschränkt ist. Falls der Betroffene an einem engen Thorax leidet, kann dies zu Atembeschwerden führen.
Das Ellis-van-Creveld-Syndrom ist nicht heilbar, weshalb nur eine Linderung der Symptome möglich ist. In den meisten Fällen beschränkt sich die Behandlung dabei auf die Korrektur des Herzfehlers und der Atembeschwerden. Ob es dabei zu einer verringerten Lebenserwartung kommt, hängt stark vom Ausmaß des Herzfehlers ab. Der Betroffene ist in seinem Alltag allerdings eingeschränkt und kann keine körperlich anstrengenden Tätigkeiten ausführen.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
In den meisten Fällen kann das Ellis-van-Crefeld-Syndrom schon direkt vor der Geburt oder kurz nach der Geburt diagnostiziert werden, sodass eine zusätzliche Diagnose in der Regel nicht mehr notwendig ist. Allerdings leiden die Betroffenen durch das Syndrom an einem Herzfehler, sodass dieser schnell korrigiert werden muss. Der weitere Verlauf der Erkrankung und die Lebenserwartung hängen damit stark von der Ausprägung des Herzfehlers ab.
Ein Arzt sollte dann aufgesucht werden, wenn das Kind an Kleinwuchs und an Mehrfingrigkeit leidet. Weiterhin sind beim Ellis-van-Crefeld-Syndrom regelmäßige Untersuchungen des Herzens notwendig, um einen plötzlichen Herztod zu vermeiden.
Dafür ist der Besuch eines Kardiologen notwendig. Im sehr jungen alter sollte das Syndrom von einem Kinderarzt behandelt werden. Ein Arzt ist auch dann aufzusuchen, wenn das Kind oder die Eltern an psychischen Beschwerden oder an Depressionen leiden. Weiterhin kann das Ellis-van-Crefeld-Syndrom zu Atembeschwerden führen, sodass auch hierbei ein Besuch bei einem Arzt notwendig ist.
Behandlung & Therapie
Eine ursächliche Therapie des Ellis-van-Creveld-Syndroms ist nicht möglich, da es eine erblich bedingte Erkrankung ist. Sofort nach der Geburt muss jedoch eine symptomatische Behandlung erfolgen, um die Auswirkungen des eingeengten Thorax und des eventuellen Herzfehlers zu begrenzen. Wichtig ist besonders die Beherrschung der Atemprobleme, die durch den engen Thorax verursacht werden. Der Herzfehler bedarf einer regelmäßigen Überwachung.
Die Knochendeformationen sind ebenfalls durch einen Orthopäden zu kontrollieren, um eventuell korrigierend eingreifen zu können. Des Weiteren ist auch eine ständige zahnärztliche Betreuung notwendig. Insgesamt hängt die Prognose der Erkrankung vom Status der Atmung in den ersten Lebensmonaten und von der Schwere der Herzfehler ab. Die Körpergröße im Erwachsenenalter kann nicht vorausgesagt werden.
Aussicht & Prognose
Die Prognose des Ellis-van-Creveld-Syndroms wird maßgeblich durch die Therapie in den ersten Lebensmonaten bestimmt. Am Anfang stellt die Lungenunterfunktion den wichtigsten Faktor für eine Einschränkung der Lebenserwartung dar. Dabei besteht eine erhebliche Atemnot, die einer sofortigen intensiven Therapie bedarf.
Wenn die Erkrankung in dieser Phase erfolgreich behandelt wird, spielt im Weiteren das Ausmaß des Herzfehlers für die Lebenserwartung eine große Rolle. Bei einer erfolgreichen Therapie dieser beiden limitierenden Faktoren kann der Patient durchaus ein normales Lebensalter erreichen. Allerdings liegen hierzu noch wenig statistische Erfahrungen vor, weil diese Erkrankung so selten ist.
Es handelt sich um eine erblich bedingte Erkrankung, die zu vielfältigen Dysmorphien führt und nicht geheilt werden kann. Ein weiteres Anliegen bei der Therapie besteht darin, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. So wird durch orthopädische Maßnahmen versucht, die Deformation der Knochen einzuschränken. Auch eine intensive zahnärztliche Betreuung ist notwendig.
Die Betroffenen leiden unter vielfachen Einschränkungen und äußerlichen Missbildungen, die auch zu psychischen Problemen führen können. Werden die Patienten allein gelassen, kann es zu Depressionen und Suizidgedanken kommen. In der Folge ist eine vollständige soziale Ausgrenzung möglich. Im Gesamtkonzept der Therapie sollte daher eine psychotherapeutische Betreuung nicht fehlen. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung kann auch bezüglich der Therapieerfolge zur Verbesserung der Lebensqualität noch keine abschließende statistische Aussage gemacht werden.
Vorbeugung
Dem Ellis-van-Creveld-Syndrom kann nicht vorgebeugt werden. Wenn in der Familie ein Ellis-van-Creveld-Syndrom diagnostiziert wurde, sollte durch eine genetische Beratung das Risiko für die Nachkommen abgeschätzt werden. Aufgrund des autosomal rezessiven Erbgangs und der Seltenheit der Mutation ist davon auszugehen, dass nur ein sehr geringes Risiko besteht.
Das können Sie selbst tun
Die Möglichkeiten einer Selbsthilfe sind für Patienten mit dem Ellis-van-Creveld-Syndrom sehr begrenzt. Eine Heilung ist trotz aller Bemühungen nicht zu erwarten. Dem menschlichen Organismus ist es mit seinen Selbstheilungskräften nicht möglich, die Erkrankung zu heilen oder die Symptome zu lindern.
Im Alltag geht es darum, einen Weg zu finden, um mit der Erkrankung eine gute Lebensqualität zu erreichen. Häufig ist die Lebenserwartung des Patienten verkürzt. Die Lebensplanung und die Strukturierung der gemeinsamen Zeit sollte von den Familienmitgliedern danach ausgerichtet werden. Gleichzeitig ist es wichtig, eine Lebensführung aufzubauen, die soweit wie möglich einem normalen Leben entsprechen.
Wichtig ist bei der Erkrankung die psychologische Unterstützung des Patienten sowie der nahen Angehörigen. Alle Beteiligten benötigen in dieser Situation einen individuellen Beistand. Neben einer professionellen Hilfe können gemeinsame Gespräche und der Austausch innerhalb von Selbsthilfegruppen als bereichernd und förderlich für die Bewältigung der alltäglichen Herausforderungen erlebt werden. Das Selbstbewusstsein des Patienten sollte durch positive Erlebnisse aufgebaut werden. Freizeitaktivitäten helfen dabei, um die Stärken des Betroffenen zu fördern und Lebensfreude zu entwickeln.
Zum Abbau von Stress und dem Aufbau von mentalen Reserven helfen Entspannungstechniken. Verschiedene Methoden werden in allen Altersklassen angeboten, um eine innere Balance zu entwickeln.
Quellen
- Classen, M., Diehl, V., Kochsiek, K. (Hrsg.): Innere Medizin. Urban & Fischer, München 2009
- Wassermann, K., Rohde, A.: Pränataldiagnostik und psychosoziale Beratung. Schattauer, Stuttgart 2009
- Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003