Erb-Punkt
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Im Erb-Punkt oder Punctum nervosum treten sensible Nervenäste aus dem Halsgeflecht gemeinsam an die Oberfläche. Die anatomische Region spielt seit der Erstbeschreibung für die Lokalanästhesie vor Operationen im Halsbereich eine Rolle. Da der Erb-Punkt am Hinterrand des Musculus sternocleidomastoideus liegt, kann er im Rahmen von Kompressionssyndromen pathologische Relevanz haben.
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Was ist der Erb-Punkt?
Wilhelm Heinrich Erb war ein deutscher Neurologe, der wichtige Beiträge zur modernen Neurologie geleistet hat. Erb ist der Namensgeber für mehrere anatomischen Regionen. Drei Punkte des Körpers werden ihm zu Ehren als Erb-Punkte bezeichnet. Einer davon ist der sogenannte Punctum nervosum, der einen wichtigen Bezugspunkt in der topografischen Anatomie des Halses darstellt.
Die sensiblen Nervenäste aus dem Nervengeflecht Plexus cervicalis treten hier am hinteren Rand des Musculus sternocleidomastoideus im seitlichen Halsdreieck gemeinsam an die Oberfläche. Die im Erb-Punkt aus der Tiefe hervortretenden Nerven sind als Nervus occipitalis minor, Nervus auricularis magnus, Nervus transversus colli und Nervi supraclaviculares bekannt. Vom Punctum nervosum sind die anderen Erb-Punkte zu unterscheiden. Einer davon liegt drei Zentimeter über dem Schlüsselbein und hinter dem großen Kopfwender.
Erb beschrieb den Punkt Ende des 19. Jahrhunderts in Arbeiten zur Elektrotherapie. Darüber hinaus ist ein nach Erb benannter Auskultationspunkt über dem Herzen vom Punctum nervosum abzugrenzen, von dem aus alle Herztöne und Herzgeräusche hörbar sind.
Anatomie & Aufbau
Bei den auftauchenden Nerven handelt es sich um sensible Nerven. Ihr genauer Durchbruchspunkt entspricht dem oberen Anteil des seitlichen Halsdreiecks. Die Nervenäste verlaufen im Erb-Punkt in unmittelbarer Nähe zueinander und passieren den Musculus sternocleidomastoideus am hinteren Rand. Neben den Halsmuskeln und den Nerven befinden sich unterschiedliche Gefäße in unmittelbarer Nähe des Punctum nervosum. Bei den sensiblen Nerven des Punctum nervosum handelt es sich um die Hautnerven des Halsnervengeflechts Plexus cervicalis, die nach dem Durchtritt an die Oberfläche unterschiedliche Richtungen einschlagen.
Der Nervus occipitalis minor zieht entlang des Hinterkopfes nach oben, der Nervus auricularis magnus verläuft zum Ohr und der Nervus transversus colli zieht horizontal den Hals entlang. Die Nervi supraclaviculares ziehen dagegen nach kaudal.
Funktion & Aufgaben
Der Erb-Punkt im Sinne des Punctum nervosum ist einer der wichtigsten Bezugspunkte in der topografischen Halsanatomie. Die Stelle entspricht sinngemäß einem Agglomerationspunkt von Nervenästen des Halsgeflechts und ermöglicht den einzelnen Nerven Durchtritt zu ihrem Bestimmungsort. Der für den Erb-Punkt relevante Nervus occipitalis minor ist besser als kleiner Hinterhauptnerv bekannt und spielt dementsprechend für die sensible Innervation des Hinterkopfes eine Rolle.
Die Hautabschnitte über der Ohrspeicheldrüse und auf der Hinterseite der Ohren wird wiederum vom Nervus auricularis Magnus sensibel innerviert, der ebenfalls durch den Erb-Punkt tritt. Der ebenfalls den Punctum nervosum passierende Nervus transversus colli oder querverlaufende Halsnerv übernimmt die sensible Innervation der Kehle und die Nervi supraclaviculares innervieren die Regionen über dem Schlüsselbein. Letztlich erfüllt der Punctum nervosum selbst keine aktive Funktion. Trotzdem handelt es sich um eine entscheidende Körperstelle, da die Region den sicheren Durchtritt der sensiblen Nerven ermöglicht und damit passiv die sensible Innervation von Schlüsselbeinregion, Ohrregion, Hinterkopf und Kehle sichert.
Obwohl der Erb-Punkt anatomisch im Prinzip dazu ausgelegt ist, die Nerven möglichst kompressionslos an die Oberfläche treten zu lassen, wird die Region in vielen Fällen zu einem Engpass. Der Punkt spielt aus klinischer Sicht außerdem für die Anästhesie eine Rolle. Eine lokale Betäubung der Region ermöglicht invasive Verfahren im Bereich des Halses.
Die Setzung von Lokalanästhesie in den Punctum nervosum schaltet zur selben Zeit mehrere sensible Nerven aus. Auf diese Weise erreichen Schmerzempfindungen zwar die Nervenenden, werden über afferente Bahnen aber nicht mehr ins zentrale Nervensystem transportiert. Damit ist das bewusste Schmerzempfinden des Patienten ausgeschaltet. Für Operationen im Halsbereich spielen diese Zusammenhänge seit der ersten Beschreibung des Punktes durch Wilhelm Erb eine gesteigerte Rolle.
Krankheiten
Zu den Thiracic-outlet-Syndromen zählen neben dem Costoclavikularsyndrom das Scalenussyndrom sowie das Hyperabduktionssyndrom, das Pectoralis minor Syndrom und das Schulter-Arm-Sydrom oder das Paget-von-Schroetter-Syndrom. TOS beinhalten eine Kompression des Plexus brachialis durch skelettal, muskulär oder fibrös anatomische Strukturen der oberen Thoraxapertur, die neurologische, arterielle und venöse Symptome zur Folge haben kann. Kompressionen sind im Punctum nervosum keine Seltenheit, wobei die neurologischen Symptome in diesem Fall überwiegen.
Gefühlsstörungen im Bereich des Halses, des Schlüsselbeins, des Hinterkopfes, der Ohren und der Kehle stellen sich bei einer Erb-Punkt-nahen Kompression der sensiblen Nerven ein. Dass der Erb-Punkt für Kompressionen derart anfällig ist, liegt an seiner Nähe zum Musculus sternocleidomastoideus. Bei Hyperplasien des Muskels sind Kompressionen besonders verbreitet. Darüber hinaus kann mechanische Gewalteinwirkung auf den Erb-Punkt Druckschäden an den vier sensiblen Nerven hervorrufen, die in der Region aufeinandertreffen. Diesem Phänomen geht häufig ein Unfall voraus.
Quellen
- Arasteh, K., et. al.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
- Kugler, P.: Der Menschliche Körper. Anatomie, Physiologie, Pathologie. Urban & Fischer/ Elsevier, München 2017
- Schwegler, J., Lucius, R.: Der Mensch – Anatomie und Physiologie. Thieme, Stuttgart 2016