Guillain-Barré-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 5. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine akute Entzündung der peripheren Nerven und Spinalganglien (Nervenknoten im Wirbelkanal) mit noch ungeklärter Ätiologie (Ursache). Mit einer Häufigkeit von 1 bis 2 Neuerkrankungen von 100.000 Personen pro Jahr ist das Guillain-Barré-Syndrom eine seltene Erkrankung, von welcher Männer etwas häufiger betroffen sind als Frauen.
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Was ist das Guillain-Barré-Syndrom?
Als Guillain-Barré-Syndrom wird eine akute idiopathische (unklare Ätiologie) Polyneuritis mit multifokalen (an mehreren Orten auftretende) Entzündungen im peripheren Nervensystem bezeichnet.
Entzündliche Veränderungen, insbesondere der Wurzeln der peripheren Nerven (Polyradikulitis) sowie der proximalen Spinalganglien, verursachen Sensibilitätsstörungen, motorische Lähmungen und vegetative Fehlfunktionen. Charakteristisch sind vor allem Parästhesien (Kribbeln bzw. „Ameisenlaufen“) sowie von den Beinen aufsteigende Lähmungen, die in Kombination mit Atemlähmung und/oder Herzrhythmusstörungen lebensbedrohlich werden können.
Darüber hinaus kann in einigen Fällen eine Beteiligung der Hirnnerven mit Schluck- und beidseitiger Faziallähmung beobachtet werden. In Abhängigkeit vom Verlauf wird das Guillain-Barré-Syndrom nach unterschiedlichen Formen differenziert, wobei die häufigste Variante auch als akute inflammatorische (entzündliche) demyelinisierende (die Markscheiden schädigende) Polyneuropathie bezeichnet wird.
Ursachen
Die dem Guillain-Barré-Syndrom zugrunde liegenden Ursachen konnten bislang nicht abschließend geklärt werden. Vermutet werden vor allem immunologische Vorgänge, da das Guillain-Barré-Syndrom bei über der Hälfte der Betroffenen (etwa 60 bis 70 Prozent) im Anschluss an pulmonale oder gastrointestinale Infektionserkrankungen auftritt.
Das Guillain-Barré-Syndrom wird insbesondere mit Zytomegalie-, Varizella-Zoster-, Masern-, Epstein-Barr-, Mumps-, Hepatitis- und HI-Viren sowie bestimmten Bakterien wie Salmonella, Brucella, Spirochäten, Mycoplasma pneumoniae oder Campylobacter jejuni assoziiert.
In sehr seltenen Fällen manifestiert sich ein Guillain-Barré-Syndrom nach Influenza- oder Tollwut-Impfungen. Vermutet wird, dass sich die infolge der Infektion vom Körper gebildeten Antikörper gegen körpereigene Strukturen, insbesondere gegen die vermehrt im Nervensystem befindlichen Gangliosiden, richten und in Kombination mit weiteren noch unbekannten Faktoren die Entwicklung des Guillain-Barré-Syndroms bedingen.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Die Symptomatik des Guillain-Barré-Syndroms ist maßgeblich von der entsprechenden Verlaufsform abhängig. Grundsätzlich werden akute und chronische Verlaufsformen unterschieden. Allgemein ist das Guillain-Barré-Syndrom durch eine zunehmende allgemeine Schwäche aufgrund der Zerstörung von peripheren Nerven und spinalen Nervenwurzeln gekennzeichnet.
Die akute Verlaufsform (Akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie oder AIDP) fängt an mit Rücken- und Gliederschmerzen, Kribbeln und Taubheitsgefühlen an Fingern, Zehen, Nase, Ohr oder Kinn (Akren) sowie Lähmungserscheinungen in den Beinen. Im Weiteren erlahmt die Muskulatur von Becken-, Rumpf- und Atemmuskulatur, wobei es zum Ausfall aller Reflexe kommt. Teilweise fallen auch bestimmte Hirnnerven aus.
Es kommt dabei zur Störung der Atemregulation, der Regulation der Herzfrequenz und der Blasenentleerung sowie der Temperaturregulation. Des Weiteren treten Kreislaufstörungen durch Blutdruckschwankungen auf. Die chronische Verlaufsform des Guillain-Barré-Syndroms, auch als chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) bezeichnet, beginnt schleichend und zeichnet sich durch eine abwechselnd ausgeprägte Symptomatik aus.
Bei der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie stehen die Lähmung der Beine und die Parästhesien der Akren im Vordergrund. Seltener wird hier die Beteiligung von Hirnnerven beobachtet. Die Lähmungen steigen bei der chronischen Verlaufsform wesentlich langsamer auf. Sie können sogar durch Gabe von Glukokortikoiden zurückgedrängt werden. Insgesamt kann ein Drittel der Patienten geheilt werden. Zehn Prozent der Erkrankten versterben. Ein Teil der Betroffenen bedürfen lebenslanger Betreuung.
Diagnose & Verlauf
Ein Guillain-Barré-Syndrom wird in der Regel anhand einer Liquoranalyse (Untersuchung des Nervenwassers) diagnostiziert. Ist bei normaler Zellzahl eine erhöhte Eiweißkonzentration (zytoalbuminäre Dissoziation) nachweisbar, kann von einem Guillain-Barré-Syndrom ausgegangen werden.
Zudem ist bei einem Guillain-Barré-Syndrom die Nervenleitgeschwindigkeit, die im Rahmen einer Elektroneurographie gemessen wird, herabgesetzt. Durch eine Elektromyographie werden Aussagen zu möglichen Störungen der die Muskelfasern versorgenden Nervenbahnen ermöglicht. Dieses Diagnoseverfahren ist allerdings nicht zur Frühdiagnose eines Guillain-Barré-Syndroms geeignet, da sich die entsprechenden Veränderungen erst nach etwa zwei Wochen feststellen lassen.
Vorliegende Herzrhythmusstörungen können mit Hilfe eines Elektrokardiogramms festgestellt werden, während durch eine Lungenfunktions- und Blutgasanalyse die Atemfunktion überprüft werden kann. Zudem sind in vielen Fällen Antikörper gegen Ganglioside im Serum nachweisbar. Ein Guillain-Barré-Syndrom weist in der Regel einen günstigen Verlauf auf und die Betroffenen sind innerhalb von 1 bis 6 Monaten weitestgehend oder vollständig ausgeheilt.
Komplikationen
Durch das Guillain-Barré-Syndrom leiden die Betroffenen an einer Entzündung der Nerven. Diese Entzündung führt dabei in den meisten Fällen zu Störungen der Sensibilität und zu Lähmungen. Diese müssen nicht am gesamten Körper auftreten, die betroffene Region hängt dabei in der Regel vom jeweilig gestörten Nerv ab. Der Patient leidet am typischen Kribbeln und an Taubheitsgefühlen.
Weiterhin kommt es bei den meisten Patienten zu Rückenschmerzen und zu Schmerzen in den Muskeln. Weiterhin treten auch Störungen der Koordination und Gangstörungen auf. Die Bewegung des Patienten wird durch das Guillain-Barré-Syndrom eingeschränkt. Im schlimmsten Falle kommt es zur Querschnittslähmung, wobei der Patient dann auf einen Rollstuhl angewiesen ist.
Nicht selten ist dann auch die Hilfe anderer Menschen im Alltag notwendig, um diesen weiterhin meistern zu können. Die Schmerzen können auch nachts auftreten und dabei zu Schlafbeschwerden führen. In vielen Fällen ist auch das Immunsystem des Patienten geschwächt, sodass es einfacher zu Entzündungen und Infekten kommt.
Das Guillain-Barré-Syndrom kann mit Hilfe von Medikamenten behandelt werden. Je früher die Behandlung eintritt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für eine vollständige Heilung des Patienten. Bei einer späten Behandlung kann es gegebenenfalls zu Folgeschäden kommen, die in der Regel irreversibel sind und nicht mehr behandelt werden können.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Das Guillain-Barré-Syndrom muss immer von einem Arzt untersucht werden. Es kann ohne Behandlung zu schwerwiegenden Beschwerden und Komplikationen führen, welche meist irreversibel sind. In der Regel ist der Arzt dann aufzusuchen, wenn es zu starken Rückenschmerzen oder zu Lähmungen kommt, die nicht von alleine wieder verschwinden.
Auch Taubheitsgefühle oder Störungen der Sensibilität können auf das Guillain-Barré-Syndrom hindeuten. Die Betroffenen leiden häufig unter einem Kribbeln in den Betroffenen Regionen. Weiterhin ist der Arzt dann aufzusuchen, wenn es zu starken Schmerzen in den Muskeln kommt.
Auch ohne Bewegung können die Schmerzen dabei eintreten. Ebenso weisen häufig Störungen der Koordination oder Gangstörungen auf das Guillain-Barré-Syndrom hin. Sollte das Syndrom nicht behandelt werden, so kann es im schlimmsten Fall zu einer vollständigen Querschnittslähmung des Betroffenen kommen. Diese ist irreversibel und kann nicht mehr behandelt werden.
Beim Eintreten dieser Beschwerden ist ein Allgemeinarzt aufzusuchen. Dieser kann das Guillain-Barré-Syndrom feststellen. Die weitere Behandlung richtet sich allerdings nach den genauen Beschwerden und Ursachen des Syndroms und wird dann von einem jeweiligen Facharzt behandelt.
Behandlung & Therapie
Die therapeutischen Maßnahmen korrelieren bei einem Guillain-Barré-Syndrom mit dem spezifisch vorliegenden Verlauf der Erkrankung. So zielt die Therapie bei leichten Verlaufsformen auf die Reduzierung vorliegender Paresen (Lähmungen der Muskulatur) und eine Minimierung des Risikos für Infektionskrankheiten, Lungenentzündungen, Thrombosen sowie Kontrakturen (eingeschränkte Beweglichkeit der Gelenke) und Dekubiti (Wundliegegeschwüre) durch physiotherapeutische Maßnahmen.
Zur Erhöhung der Oberflächensensibilität kommen ergotherapeutische Maßnahmen (bspw. Übungen mit dem Igelball) zum Einsatz. Bei schweren oder akuten Erkrankungsverläufen mit ausgeprägten Beeinträchtigungen wie Geh-, Atem- und/oder Schluckstörungen wird therapeutisch in das Immunsystem des Betroffenen (Immuntherapie) eingegriffen. Hierzu kommen in der Regel Plasmapherese oder intravenös infundierte Immunglobuline zum Einsatz.
Bei einer Plasmapherese-Therapie wird das körpereigene Plasma durch eine mit Albumin angereicherte Substitutionslösung ersetzt, um die für die neurologischen Beeinträchtigungen verantwortlichen Immunglobuline bzw. Antikörper auszutauschen. Im Rahmen einer Immunadsorption, die ein neueres Therapieverfahren darstellt, werden lediglich die pathologisch wirksamen Antikörper aus dem Plasma entfernt und substituiert.
Eine schonendere Therapiemaßnahme sind intravenös infundierte Immunglobuline, die die verantwortlichen körpereigenen sowie viralen und bakteriellen Antikörper neutralisieren und deren Synthese hemmen. Zudem reduzieren Immunglobuline die Aktivität bestimmter Zellen des Immunsystems, der sogenannten Makrophagen.
In vielen Fällen ist eine Intubation oder Beatmung der Betroffenen erforderlich, was atemgymnastische Therapiemaßnahmen nach sich ziehen kann. Weist das Guillain-Barré-Syndrom einen lebensbedrohlichen Verlauf auf, kann bei Vorliegen einer Bradykardie (verlangsamter Herzschlag) ein passager Herzschrittmacher notwendig werden.
Aussicht & Prognose
Das Guillain-Barré-Syndrom kann nicht vollständig geheilt werden, da es sich dabei um eine genetische Erkrankung handelt. Es kann daher nur eine symptomatische Behandlung erfolgen, die die Beschwerden einschränken und reduzieren kann.
In den meisten Fällen erkranken die Betroffenen durch das Syndrom sehr häufig an Entzündungen der Lunge, an Thrombosen und an weiteren Infektionskrankheiten, sodass die Lebenserwartung der Patienten häufig reduziert ist. Dabei kann es auch zu Atemstörungen oder zu Schluckstörungen kommen, sodass der Patient sein gesamtes Leben lang auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen ist.
Das Immunsystem kann durch Injektionen oder durch die Einnahme von Medikamenten gestärkt werden, wobei ebenfalls eine lebenslange Therapie notwendig ist. Viele Betroffene sind ebenso auf einen Herzschrittmacher angewiesen, um die Lebenserwartung zu verlängern. Mit Hilfe von physiotherapeutischen Übungen kann der Alltag des Patienten in einigen Fällen erleichtert werden.
Das Guillain-Barré-Syndrom führt nicht selten auch zu Depressionen oder zu anderen psychischen Verstimmungen, sodass die meisten Patienten auf eine psychologische Behandlung angewiesen sind. Sollte das Guillain-Barré-Syndrom nicht behandelt werden, so verringert sich die Lebenserwartung des Patienten drastisch und es kommt zu erheblichen Einschränkungen im Alltag.
Vorbeugung
Da die Ätiologie des Guillain-Barré-Syndroms nicht geklärt ist, existieren keine vorbeugenden Maßnahmen für diese Erkrankung.
Nachsorge
Da es sich beim Guillain-Barré-Syndrom um eine erblich bedingte Krankheit handelt, sind die Möglichkeiten der Nachsorge sehr stark eingeschränkt. Daher steht im Vordergrund auch die frühzeitige Erkennung und Behandlung dieser Krankheit. Sollte beim Betroffenen des Guillain-Barré-Syndroms ein Kinderwunsch vorliegen, kann auch eine genetische Beratung durchgeführt werden, sodass das Syndrom nicht weitervererbt wird.
Eventuell ist durch dieses Syndrom auch die Lebenserwartung des Patienten eingeschränkt und verringert. Die Behandlung des Syndroms richtet sich immer nach der genauen Ausprägung und der Art der Beschwerden. In der Regel ist der Patient dabei auf Maßnahmen er Physiotherapie angewiesen, wobei viele Übungen aus dieser Therapie auch im eigenen Zuhause durchgeführt werden.
In der Regel wird dadurch die Heilung beschleunigt. Ebenso ist der Körper des Patienten vor verschiedenen Infekten und anderen Krankheiten zu schützen, um das Immunsystem nicht unnötig zu belasten. Da auch die inneren Organe und das Herz vom Guillain-Barré-Syndrom betroffen sind, sollten regelmäßige Untersuchungen durchgeführt werden, um Schäden schon früh zu erkennen.
Eventuell sind auch operative Eingriffe am Herzen notwendig. In vielen Fällen kann auch der Kontakt zu anderen Patienten des Guillain-Barré-Syndroms sinnvoll sein, da es dabei zu einem Austausch an Informationen kommt.
Das können Sie selbst tun
Ziel aller Selbsthilfemaßnahmen ist, betroffene Personen zu größtmöglicher Selbstständigkeit im Alltag zu befähigen. Eine ambulante Physio- und Ergotherapie ist indiziert, um einen Mobilitätsverlust zu verhindern. Hier eignet sich insbesondere die Medizinische Trainingstherapie (MTT).
Im Rahmen dieses Trainings wird ein Trainingsplan erarbeitet, der an die Leistungsfähigkeit des Patienten angepasst ist. Nach einigen begleiteten Therapieeinheiten können die Betroffenen diese Übungen selbstständig ausführen. Dies ist in speziellen Trainingszentren sowie im häuslichen Bereich per Heimtrainer oder Gymnastik durchführbar.
Eine ergotherapeutische Behandlung ist in Bezugnahme auf die Sensibilitätsstörungen der oberen und unteren Extremität sinnvoll. Auch Funktionsstörungen der Extremitäten werden im Rahmen dieser Therapie durch Übungen verbessert, die nach Anleitung auch in den Alltag adaptierbar sind. Unabhängig von der Medizinischen Trainingstherapie empfiehlt sich Wassergymnastik.
Durch den Auftrieb im Wasser ist diese besonders muskelkräftigend. Ergänzend lässt sich ein Gangtraining bei alltäglichen Tätigkeiten durchführen. Wechselnde Untergründe, Treppensteigen und die Variation der Geschwindigkeit schulen den Gleichgewichtssinn und die Sensibilität der Füße.
Eine Beratung zur häuslichen Versorgung sowie eine Hilfsmittelberatung ist bei schweren Verläufen angezeigt. Der plötzliche Verlust von Fähigkeiten führt bei vielen Betroffenen zu einer reaktiven Depression. Psychologische Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung oder Selbsthilfegruppen steigern das Krankheitsverständnis und helfen bei der Adaption in den Alltag.
Quellen
- Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
- Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013
- Mattle, H., Mumenthaler, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013