Hypermobilitäts-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 28. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Hypermobilitäts-Syndrom (HMS) ist durch eine übermäßige Flexibilität der Gelenke gekennzeichnet, die durch eine angeborene Bindegewebsschwäche hervorgerufen wird. Über die Ursache der Erkrankung ist wenig bekannt. Die Lebensqualität ist besonders durch chronische Schmerzen in den Gelenken eingeschränkt.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Hypermobilitäts-Syndrom?

Das Hauptsymptom des Hypermobilitäts-Syndroms ist die Überbeweglichkeit der Gelenke bis hin zu ihrer Überstreckbarkeit.
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Beim Hypermobilitäts-Syndrom handelt es sich um eine Bindegewebsschwäche, welche zu einer ungewöhnlichen Überbeweglichkeit der Gelenke führt. Die Erkrankung ist durch eine Überstreckbarkeit der Gelenke gekennzeichnet. Dabei ist die Abgrenzung zwischen normaler Beweglichkeit und Hypermobilität fließend. Mit dem Syndrom sind Beschwerden im Muskel-Skelett-System verbunden, die aber von rheumatischen Erkrankungen abgegrenzt werden müssen.

Das HMS muss auch getrennt von anderen Erkrankungen betrachtet werden, die mit einer Überbeweglichkeit der Gelenke einhergehen wie das Marfan-Syndrom, die rheumatische Arthritis, die Osteogenesis imperfecta oder das Ehlers-Danlos-Syndrom. Bezüglich des Ehlers-Danlos-Syndroms gibt es jedoch Diskussionen, ob das Hypermobilitäts-Syndrom eine milde Variante dieser Erkrankung darstellt. Trotz gutartigen Verlaufs wird durch die Beschwerden die Lebensqualität sehr stark beeinträchtigt. Da die Erkrankung sehr selten auftritt, liegen sehr wenige Erfahrungen über ihre Ursachen und ihre Auswirkungen vor.

Ursachen

Zu den Ursachen des Hypermobilitäts-Syndroms ist sehr wenig bekannt. Im Jahre 1986 wurde es in die Internationale Nosologie vererbbarer Erkrankungen des Bindegewebes aufgenommen. In der Literatur sind widersprüchliche Angaben zu finden. So soll es sich um eine autosomal dominant vererbbare Erkrankung handeln. Das betroffene Gen wird jedoch nicht genannt. In anderen Veröffentlichungen wird nicht von einer vererbbaren Erkrankung ausgegangen.

Es ist auch nicht klar, inwieweit das Syndrom von anderen Erkrankungen abgegrenzt werden kann. Von einigen Forschern werden Verbindungen zum Ehler-Danlos-Syndrom vermutet, wobei das HMS eine milde Variante dieser Krankheit sein soll. Bei diesem Syndrom ist ein autosomal dominanter Erbgang bekannt.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das Hauptsymptom des Hypermobilitäts-Syndroms ist die Überbeweglichkeit der Gelenke bis hin zu ihrer Überstreckbarkeit. Bei Kleinkindern ist diese Hypermobilität noch physiologisch, weil das Bindegewebe in diesem Alter noch nicht voll ausgebildet ist. Während der Pubertät wird die Reifung der Gelenke abgeschlossen und ihre Beweglichkeit nimmt in der Regel ab. Beim Hypermobilitäts-Syndrom ist das jedoch nicht der Fall.

Die Beweglichkeit nimmt im Gegenteil sogar noch zu. Nach dem sogenannten Beighton Score wird das Syndrom definiert. Der Beighton Score ist ein Punktesystem, welches das Ausmaß der Überstreckung beschreibt. So gibt es jeweils einen Punkt, wenn die Überstreckbarkeit eines Ellenbogens größer als 10 Grad ist, der Daumen den Unterarm berührt, das Grundgelenk des kleinen Fingers auf 90 Grad gestreckt werden kann, die Überstreckbarkeit des Kniegelenks größer als 10 Grad ist und die Handflächen bei gestreckten Knien auf den Boden aufliegen. Bei vier oder mehr Punkten liegt ein Hypermobilitäts-Syndrom vor.

Die generalisierte Hypermobilität ist erst dann von pathologischem Wert, wenn chronische Schmerzen, Arthralgien, Weichteilrheuma an mehr als drei Stellen, neurologische und psychologische Probleme sowie weitere Symptome hinzukommen. Die Symptome können auftreten, müssen es aber nicht. Insgesamt ist das Krankheitsbild sehr variabel. Manche Kleinkinder haben Schwierigkeiten beim Erlernen des Laufens.

Bei anderen Personen treten die ersten Symptome erst während der Pubertät auf. Das gemeinsame Symptom ist der progressive fortschreitende Verlauf der Erkrankung. Die Lebenserwartung ist in der Regel normal mit Ausnahme der seltenen Fälle, wo eine Gefäßbeteiligung zu verzeichnen ist.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Zur Diagnose des Hypermobilitäts-Syndroms müssen Differenzialdiagnosen zur Abgrenzung zu anderen Erkrankungen durchgeführt werden. Zu diesen Erkrankungen zählen Marfan-Syndrom, rheumatoide Arthritis, Fibromyalgie, normale Wachstumsschmerzen und Ehlers-Danlos-Syndrom. Nach einigen Definitionen gibt es jedoch zum Ehlers-Danlos-Syndrom Überschneidungen.

Komplikationen

Durch das Hypermobilitäts-Syndrom kommt es einer starken Einschränkung und Verringerung der Lebensqualität. Der Betroffene leidet in der Regel an starken Schmerzen, die vor allem die Gelenke betreffen. Dadurch kommt es ebenfalls zu Bewegungseinschränkungen, sodass der Patient im Alltag möglicherweise auch auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen ist. Die Beweglichkeit der Gelenke nimmt dabei ab und führt zu starken Einschränkungen.

Damit sind gewöhnliche Tätigkeiten im Alltag oder sportliche Betätigungen für den Patienten nicht mehr ohne Weiteres durchführbar. Ebenso können die Gelenke überstreckt werden. Die Schmerzen können auch in Form von Ruheschmerzen auftreten und dadurch auch zu Schlafstörungen führen. Das Hypermobilitäts-Syndrom führt meistens nicht zu einer Verringerung der Lebenserwartung, allerdings schreitet das Syndrom mit der Zeit fort und führt zu immer stärkeren Beschwerden.

Durch die andauernden Schmerzen kommt es dadurch nicht selten bei den Patienten zu Depressionen und zu anderen psychischen Verstimmungen. Es ist nicht möglich, das Hypermobilitäts-Syndrom kausal zu behandeln. Aus diesem Grund wird nur eine symptomatische Behandlung durchgeführt. Diese führt nicht zu weiteren Komplikationen oder Beschwerden. Allerdings kann nicht vorausgesagt werden, ob die Behandlung auch zu einem positiven Krankheitsverlauf führen wird.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Ein Arzt sollte aufgesucht werden, sobald Beschwerden oder Schmerzen des Skelettsystems auftreten. Kommt es zu Veränderungen der Mobilität und Auffälligkeiten der Bewegungsmöglichkeiten, sollte ein Arzt die körperlichen Gegebenheiten näher untersuchen. Bei einer Überbeweglichkeit sowie Überstreckbarkeit der Gelenke liegen oftmals Erkrankungen vor, die einen schleichenden Krankheitsverlauf inne haben. Daher sollte frühstmöglich ein Arzt konsultiert werden.

Lässt die Leistungsfähigkeit des Betroffenen nach oder hat er das Gefühl eines Kräfteschwunds, ist ein Arzt aufzusuchen. Bei rheumatischen Beschwerden ist die Erkrankung bereits in einem fortgeschrittenen Stadium. Daher sollte in diesen Fällen unverzüglich ein Arztbesuch erfolgen. Können körperliche Aktivitäten nicht mehr wie gewohnt wahrgenommen werden, kommt es zu einer inneren Unruhe oder fühlt sich der Betroffene häufig erschöpft, ist eine Abklärung der Beschwerden anzuraten.

Bei einem Krankheitsgefühl, einem Unwohlsein oder psychischen Problemen ist ein Kontrollbesuch bei einem Arzt sehr zu empfehlen. Halten die Beschwerden über mehrere Wochen oder Monate an, besteht Anlass zur Besorgnis. Nehmen sie an Intensität oder Umfang zu, benötigt der Betroffene eine ärztliche Hilfe sowie eine medizinische Versorgung. Haben Kinder ungewöhnliche Probleme beim Erlernen der Fortbewegungen, ist es ratsam, die Beobachtungen mit einem Arzt zu besprechen. Wird das Laufen verweigert oder immer weiter eingeschränkt, sollte ein Arzt aufgesucht werden.

Behandlung & Therapie

Eine ursächliche Therapie des Hypermobilitäts-Syndroms ist nicht möglich. Vier Beschwerdegruppen müssen jedoch individuell behandelt werden. Dazu zählen:

  • die orthopädischen Probleme
  • die Schmerzbehandlung
  • die Auswirkungen auf das Nervensystem
  • die Blutgefäßveränderungen

Die orthopädischen Probleme müssen anders als bei klassischen rheumatischen Erkrankungen behandelt werden. Zurückhaltung ist bei chirurgisch en Eingriffen zu üben, weil Bänderraffungen oft nicht erfolgreich sind und eine gestörte Narbenbildung auftritt. Übungen zum Muskelaufbau sind sogar kontraproduktiv. So steht der Aufbau der Tiefenstabilität im Vordergrund. Kontaktsportarten und sich oft wiederholende Tätigkeiten sind zu meiden. Dafür sollten sanfte Trainingsformen ohne Überstreckungen durchgeführt werden.

Wenn öfter Nervenabklemmungen durch Muskelverspannungen auftreten, ist die Verwendung von Nackenkissen oder Halskrausen sinnvoll. Das Blutgefäßsystem sollte außerdem beobachtet werden, um bei ersten Anzeichen von drohenden Durchblutungsstörungen des Gehirns schnell reagieren zu können. Da die Schmerzen die Lebensqualität am meisten einschränken, sollte das Hauptaugenmerk auf die Schmerztherapie gelegt werden.

Die Schmerztherapie besteht aus Gesprächstherapie, Entspannungstechniken und der Einnahme von schwachen Opiaten wie Tilidin, Tramadol sowie Codein. Bei Depressionen ist auch eine Kombination mit schmerzlindernden Antidepressiva sinnvoll. In einer Verhaltenstherapie sollten Verhaltensweisen gefördert werden, die den Umgang mit der Erkrankung erleichtern und Strategien entwickeln, ihre Auswirkungen zu minimieren.

Die Variabilität der Erkrankung macht es notwendig, individuelle Strategien zur Bewältigung der Probleme zu entwickeln. Die Auseinandersetzung mit dem Hypermobilitäts-Syndrom ist ein lebenslanger Prozess.


Aussicht & Prognose

Die Prognose des Hypermobilitäts-Syndroms wird von Ärzten als ungünstig beschrieben. Wenngleich die Lebenserwartung durch die Störungen nicht verkürzt ist, kommt es zu starken Beeinträchtigungen bei der Bewältigung der alltäglichen Pflichten. Die chronische verlaufende Erkrankung basiert auf einem Gendefekt und gilt daher als nicht heilbar. Wissenschaftler und Forscher haben keine rechtliche Befugnis, um die Genetik eines Menschen verändern zu dürfen. Aus diesem Grund beschränkt sich die medizinische Behandlung der Krankheit auf die Versorgung der vorliegenden Beschwerden.

Die Symptome sind individuell, richten sich jedoch auf den Bewegungsapparat des Menschen. Zudem nehmen sie im Verlauf des Lebens für gewöhnlich zu. Bei einer Vielzahl der Patienten entwickeln sich durch die Einschränkungen der Erkrankung psychische Folgeerscheinungen oder Krankheiten. Die Belastung der körperlichen Defizite überträgt sich auf die emotionale Ebene und führt zu einer Minderung des Wohlbefindens. Das erschwert insgesamt mögliche Behandlungserfolge und kann zudem vorhandene Beschwerden verstärken. In vielen Fällen sind die Patienten täglich auf die Hilfe von Mitmenschen angewiesen, da sie keine alleinige Alltagsbewältigung leisten können. Das Gefühl der Hilflosigkeit kann Frustration, Verhaltensauffälligkeiten oder Änderungen der Persönlichkeit auslösen. Zudem leidet der Betroffene unter starken Schmerzen. Die Wirkstoffe schmerzlindernder Präparate bewirken ein Suchtverhalten und lösen weitere Folgeerkrankungen aus.

Vorbeugung

Es gibt keine Möglichkeit, dem Hypermobilitäts-Syndrom vorzubeugen, da es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen angeborenen Defekt des Bindegewebes handelt. Allerdings sollte alles getan werden, Folgeerkrankungen durch die vielfältigen Therapieangebote zu vermeiden. Dazu zählt der Aufbau der Tiefenstabilität der Gelenke durch sanfte Trainingsformen, die Überwachung der Blutgefäße zur Vermeidung von Durchblutungsstörungen oder Schlaganfällen, Verhinderung von Nerveneinklemmungen durch eine Halskrause und die Schmerztherapie.

Nachsorge

Beim Hypermobilitäts-Syndrom stehen dem Betroffenen in den meisten Fällen nur wenige Maßnahmen einer direkten Nachsorge zur Verfügung. Da es sich dabei auch um eine angeborene Krankheit handelt, kann diese nicht vollständig geheilt werden, sodass der Patient dabei auf eine lebenslange Therapie angewiesen ist. Falls es beim Betroffenen zu einem Kinderwunsch kommt, kann auch eine genetische Beratung durchgeführt werden.

Dadurch kann erkannt werden, wie wahrscheinlich die Krankheit bei den Kindern auftreten wird. Im Vordergrund beim Hypermobilitäts-Syndrom steht dabei die frühzeitige Erkennung und Behandlung, damit es nicht zu weiteren Komplikationen oder Beschwerden kommt. In der Regel werden die Beschwerden des Hypermobilitäts-Syndroms durch eine Physiotherapie oder einer Schmerztherapie behandelt.

Der Betroffene kann dabei viele Übungen aus diesen Therapien im eigenen Zuhause vornehmen und dadurch die Behandlung beschleunigen. Auch die Hilfe und die Unterstützung der eigenen Familie oder der Freunde ist bei dieser Krankheit sehr wichtig und kann vor allem Depressionen oder andere psychische Verstimmungen verhindern. Allerdings ist in einigen Fällen eine professionelle, psychologische Unterstützung notwendig. Die Lebenserwartung des Betroffenen wird durch das Hypermobilitäts-Syndrom allerdings nicht negativ beeinflusst oder anderweitig verringert.

Das können Sie selbst tun

Beim Hypermobilitäts-Syndrom können einige Beschwerden auch durch Mittel der Selbsthilfe eingeschränkt werden, sodass nicht immer eine ärztliche Behandlung stattfinden muss.

Bei den Muskelverspannungen können spezielle Kissen und andere Hilfsmittel verwendet werden, um diese vorzubeugen und zu behandeln. Auch Übungen zur Entspannung der Muskeln und des Körpers können beim Hypermobilitäts-Syndrom eingesetzt werden, wobei sich vor allem Yoga dafür eignet. Allerdings sollten anstrengende Tätigkeiten oder sportliche Aktivitäten gemieden werden, um den Körper und die Muskeln nicht zu überbelasten. Vor allem Übungen, die Muskeln aufbauen, sollten dabei vermieden werden. Auch eine Schmerztherapie sollte bei diesem Syndrom durchgeführt werden. Diese Therapie wird in der Regel nach einer ärztlichen Anordnung durchgeführt. Der Betroffene sollte Schmerzmittel jedoch in jedem Falle vermeiden, wenn dies möglich ist, da diese den Magen schädigen, falls sie über einen langen Zeitraum eingenommen werden.

Im Falle von Depressionen und anderen psychischen Beschwerden durch das Hypermobilitäts-Syndrom sollte immer ein Psychologe kontaktiert werden. Hierbei können sich jedoch auch Gespräche mit Verwandten oder Freunden positiv auf den Verlauf der Erkrankung auswirken. Die Betroffenen sind weiterhin auch auf eine regelmäßige Untersuchung der Blutgefäße und der Durchblutung angewiesen, um möglichen Komplikationen und Störungen vorzubeugen.

Quellen

  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Krämer, J., Grifka, J.: Orthopädie, Unfallchirurgie. Springer, Berlin 2013
  • Wülker, N., Kluba, T., Roetman, B., Rudert, M.: Taschenlehrbuch Orthopädie und Unfallchirurgie. Thieme, Stuttgart 2015

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