Juberg-Marsidi-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

Sie sind hier: Startseite Krankheiten Juberg-Marsidi-Syndrom

Das Juberg-Marsidi-Syndrom ist eine erblich bedingte Erkrankung, die mit geistiger Retardierung und körperlichen Störungen einhergeht. Das Syndrom ist mit einer Erkrankung pro eine Million Geburten eher selten. Ursache ist eine Mutation im ATRX-Gen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Juberg-Marsidi-Syndrom?

Das Juberg-Marsidi-Syndrom hat eine ungünstige Prognose. Dieses Syndrom stellt eine Mutation der Genetik des Patienten dar.
© BillionPhotos.com – stock.adobe.com

Das Juberg-Marsidi-Syndrom, auch als Smith-Fineman-Myers-Syndrom oder X-linked mental retardation-hypotonic facies Syndrom I bezeichnet, ist eine erblich bedingte Erkrankung. Sie gehört zur Gruppe der „Syndrome mit einer Assoziation von intellektuellem Defizit und hypotonem Gesicht“. Die Krankheit wurde erstmalig im Jahr 1980 von den amerikanischen Kinderärzten Richard C. Jubert und I. Marsidi beschrieben. Seit dem wurden mehrere Erkrankungsfälle nicht verwandter Familien beschrieben. Insgesamt ist die Erkrankung mit einem Krankheitsfall pro eine Million Geburten sehr selten.

Ursachen

Das Juberg-Marsidi-Syndrom wird vererbt. Es handelt sich um eine x-chromosomal-rezessive Vererbung. Bei der x-chromosomal-rezessiven Vererbung liegt das merkmalstragende Gen auf dem X-Chromosom. Das bedeutet, dass die Erkrankung geschlechtlich gebunden vererbt wird. In der Regel sind Frauen nur Überträgerinnen der Erkrankung.

Damit eine Frau erkrankt, müssten sowohl der Vater als auch die Mutter ein krankes X-Chromosom in sich tragen. Bei nur einem erkrankten X-Chromosom setzt sich eine rezessiv-vererbte Erkrankung nicht durch. Frauen sind somit normalerweise ausschließlich Konduktorinnen. Das bedeutet, dass sie das kranke Gen in sich tragen, selber aber keine entsprechenden Krankheitsmerkmale aufweisen. Da Männer im Gegensatz zu Frauen nur über ein X-Chromosom verfügen, sind sie, sofern das geschädigte X-Chromosom von der Mutter übertragen wurde, von der Krankheit betroffen.

Im Groben lässt sich sagen, dass bei einem erkrankten Vater alle Söhne gesund und alle Töchter Konduktorinnen sind. Ist die Mutter Trägerin des geschädigten X-Chromosoms, so erkranken 50 Prozent der Söhne. 50 Prozent der Töchter wären wiederum Konduktorinnen. Ursache des Syndroms ist eine Mutation im sogenannten ATRX-Gen in der Chromosomenregion Xq25 ungefähr in einem Intervall von 19,8Mb.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Hauptsymptom des Juberg-Marsidi-Syndroms ist eine schwere geistige Behinderung. Diese äußert sich durch unterdurchschnittliche kognitive Fähigkeiten und damit auch eine deutliche Einschränkung in Gefühl und Gemüt. Die Intelligenz der betroffenen Kinder ist deutlich herabgesetzt. Bereits im Mutterleib beginnen die Wachstums- und Entwicklungsstörungen, sodass die Kinder bereits schwerhörig oder taub zur Welt kommen.

Auffällig sind die malformierten Gesichter der erkrankten Kinder. Die Gesichtszüge sind bei recht schmalem Gesicht eher grob, die Lippen sehr prominent. Die Unterlippe wirkt hängend. Ebenso prominent erscheinen die oberen mittleren Schneidezähne. Generell stehen die Zähne recht weit auseinander. Die Augenbrauen sind buschig, die Lidachsen stehen schräg, die Lidspalten hingegen eher eng. An den Augenwinkeln findet sich eine vor den Augenlidern liegende Hautfalte. Diese Hautfalte wird Epikanthus genannt.

Der Nasenrücken ist breit und flach mit einer ausgedehnten Nasenspitze. Diese Nasendeformität wird auch als Sattelnase bezeichnet. Insgesamt ist der Kopf der erkrankten Kinder kleiner als der Kopf gesunder Kinder. Auch die Ohrmuscheln der betroffenen Kinder sind fehlgebildet. Man spricht hier auch von einer Ohrmuscheldysplasie. Die Wachstumsstörungen setzen sich in der Entwicklung fort, sodass die Kinder kleinwüchsig bleiben. Die Muskeln sind schwach ausgebildet, eventuell kommt es zu Muskelspastiken.

An den Händen findet sich eine Kamptodaktylie. Dabei handelt es sich um eine Beugekontraktur der Mittelgelenke des kleinen Fingers und in seltenen Fällen auch des Ringfingers. Diese wird vermutlich durch eine Verkürzung oder Schrumpfung von Sehnen und Sehnenscheiden verursacht. Neben der Kamptodaktylie kann beim Juberg-Marsidi-Syndrom auch eine Klinodaktylie auftreten. Bei der Klinodaktylie ist ein Fingerglied seitlich im Handskelett abgeknickt.

Ein weiteres Symptom des Juberg-Marsidi-Syndroms ist Mikrogenitalismus. Penis und Hodensack sind unterentwickelt. Man spricht hier auch von einem Mikropenis. Es kommt zudem zu einer Hodendystopie, also zu einer Lageanomalie des Hodens. Dabei liegt der Hoden vorübergehend oder dauerhaft außerhalb des Hodensacks.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Die Symptome des Juberg-Marsidi-Syndroms sind zwar recht auffällig, da die Erkrankung aber sehr selten ist, erfolgt die Diagnosestellung in der Regel nicht direkt. Erste Hinweise liefern Deformitäten des Schädels, ein geringes Geburtsgewicht, Missbildungen der Genitalien und Schwerhörigkeit. Im Laufe der Kindesentwicklung gesellen sich körperliche Entwicklungsstörungen und Einschränkungen in der kognitiven Entwicklung hinzu. Gewissheit, ob es sich bei der Erkrankung wirklich um das Juberg-Marsidi-Syndrom handelt, liefert nur ein Gentest bei Kind und Eltern.

Komplikationen

Durch das Juberg-Marsidi-Syndrom kommt es in der Regel zu erheblichen geistigen und körperlichen Störungen und Beschwerden beim Patienten. Diese können das Leben und den Alltag des Betroffenen deutlich einschränken. In den meisten Fällen sind die Patienten auch auf eine Betreuung durch die Familie oder Pfleger angewiesen. Schon im Kindesalter kommt es zu Störungen des Wachstums und der Entwicklung.

Weiterhin tritt auch eine starke geistige Behinderung ein. Dadurch können vor allem Kinder Opfer von Mobbing oder von Hänseleien werden. Ebenso sind die Gesichtszüge des Patienten verändert und es kommt zu einem Minderwuchs. Auch die Muskeln sind nur relativ schwach ausgebildet und die Belastbarkeit des Patienten ist durch das Juberg-Marsidi-Syndrom deutlich verringert.

Nicht selten kommt es auch zu einem Mikropenis. Auch der Kopf der Betroffenen ist deutlich kleiner als bei gesunden Menschen. Weiterhin kommt es zu einer Schwerhörigkeit und zu Beschwerden an den Augen. Eine kausale Behandlung des Juberg-Marsidi-Syndroms ist nicht möglich. Daher können nur die Beschwerden des Syndroms eingeschränkt werden, wobei verschiedene Therapien notwendig sind.

Dabei treten keine besonderen Komplikationen auf. Die Lebenserwartung des Patienten kann durch das Juberg-Marsidi-Syndrom verringert sein. Weiterhin benötigen auch oft die Eltern des Patienten eine psychologische Behandlung.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Eltern sollten mit ihren Kindern einen Arzt aufsuchen, sobald sich erste körperliche oder geistige Auffälligkeiten des Nachwuchses zeigen. Kommt es zu Entwicklungsverzögerungen, Schwierigkeiten innerhalb verschiedener Lernprozesse oder wird im direkten Vergleich zu gleichaltrigen Kindern eine verminderte Intelligenz wahrgenommen, sollte ein Arztbesuch erfolgen. Bei einer verminderten Hörfähigkeit, Verformungen der Ohren oder einer insgesamt schwach ausgebildeten Muskulatur ist die Einleitung von Kontrolluntersuchungen anzuraten. Körperliche Besonderheiten, Verwachsungen oder Deformierungen sind einem Arzt schnellstmöglich vorzustellen.

Wird das Laufen nicht erlernt oder können die Kinder ihre Gliedmaßen nicht ausreichend einsetzen, muss die Ursache ermittelt werden. Bei verkürzten Fingern, optischen Auffälligkeiten der Handform oder der Gelenke sowie bei einem Minderwuchs des Kindes besteht Anlass zur Besorgnis. Eine frühzeitige Diagnosestellung ist maßgeblich für die Wirksamkeit möglicher Therapien. Daher sollte bereits bei den ersten Unregelmäßigkeiten ein Arzt aufgesucht werden.

Jungen, die an dem Juberg-Marsidi-Syndrom leiden, weisen zudem Wachstumsstörungen des Geschlechts auf. Ein Mikropenis oder Anomalien der Hoden gehören zu den Kriterien, die auf eine Erkrankung hinweisen und untersucht werden sollten. Haben die Kinder im Alltag bei spielerischen Aktivitäten das Gefühl der Überforderung, werden sie trotz aller Bemühungen nicht selbständig oder zeigen sich anhaltende Verständnisprobleme, ist ein Arztbesuch ratsam.

Behandlung & Therapie

Für das Juberg-Marsidi-Syndrom gibt es keine spezifische Therapie. Die Behandlung ist rein symptomatisch. Ergotherapie und Physiotherapie können die Kinder in ihrer Entwicklung unterstützen. Auch Hörspezialisten und Augenärzte sind aufgrund der Beeinträchtigungen der Sinnesorgane meist Teil des behandelnden Teams. Zur Korrektur von Augenfehlstellungen und Sehstörungen können eventuell chirurgische Eingriffe indiziert sein. Meistens benötigen die erkrankten Kinder auch ein Hörgerät.

Eine frühstmögliche therapeutische Unterstützung ist bei der Behandlung des Juberg-Marsidi-Syndroms unabdingbar. Nur so können die Kinder rechtzeitig gefördert werden und mögliche Entwicklungsdefizite können noch rechtzeitig ausgeglichen werden.


Aussicht & Prognose

Das Juberg-Marsidi-Syndrom hat eine ungünstige Prognose. Dieses Syndrom stellt eine Mutation der Genetik des Patienten dar. Rechtliche Vorgaben verbieten Wissenschaftlern und Forschern einen Eingriff sowie eine Veränderung der menschlichen Genetik. Das führt dazu, dass eine Heilung für den Betroffenen nicht möglich ist.

Ärzte konzentrieren sich in ihrer Behandlung darauf, eine Verbesserung des Wohlbefindens sowie der Lebensqualität herzustellen. Unnötige Eingriffe, die lediglich eine optische Verschönerung bewirken können werden vermieden. Je eher ein umfassender Behandlungsplan erstellt wird und verschiedene Therapien beginnen, desto besser sind die Erfolgsaussichten für Förderungen und der Reduzierung von Entwicklungsdefiziten.

Da die Erkrankung von einer schweren geistigen Behinderung geprägt ist, kann trotz aller Bemühungen kein Gesundheitszustand erreicht werden, der ein Leben ohne medizinische Hilfe und tägliche Unterstützung ermöglicht. Lebenslang benötigt der Betroffene eine medikamentöse Versorgung sowie eine ganztägige Betreuung. Verschiedene Funktionsstörungen sowie körperliche Veränderungen treten bei dieser Erkrankung auf und führen zu einer starken Beeinträchtigung bei der Bewältigung von alltäglichen Verpflichtungen.

Operative Eingriffe werden durchgeführt, um eine Verbesserung von natürlichen Funktionen zu erreichen. Jeder Eingriff ist mit den damit verbundenen Risiken und Nebenwirkungen verbunden. Es können Komplikationen und neue Störungen auftreten. Die vorhandenen Beschwerden lösen in vielen Fällen Folgeerkrankungen aus, die bei der Stellung einer Gesamtprognose berücksichtigt werden müssen.

Vorbeugung

Dem Juberg-Marsidi-Syndrom lässt sich nicht vorbeugen. Mithilfe der pränatalen Diagnostik können Gendefekte frühzeitig erkannt werden. Mit der Heterozygotendiagnostik lässt sich feststellen, ob einer der beiden Elternteile das defekte Gen in sich trägt und es im Falle einer Fortpflanzung an das Kind weitergeben könnte. Nur in Ausnahmen dürfen in Deutschland die Gene von Ungeborenen auf bestimmte Erkrankungen geprüft werden. Dabei lässt sich das Erbgut des Embryos oft schon ausschließlich aus dem Erbgut der Mutter differenzieren. Ethisch sind die pränatalen Gentests aber durchaus umstritten.

Nachsorge

Die Maßnahmen einer Nachsorge sind beim Juberg-Marsidi-Syndrom in der Regel sehr stark eingeschränkt oder stehen dem Betroffenen gar nicht zur Verfügung. Dabei muss der Patient bei dieser Krankheit in erster Linie schon frühzeitig einen Arzt aufsuchen, damit es nicht zu weiteren Komplikationen oder zu anderen Beschwerden kommt, die die Lebensqualität eventuell weiterhin verringern könnten. Daher steht im Vordergrund bei dieser Krankheit eine frühzeitige Erkennung und Behandlung des Juberg-Marsidi-Syndroms.

Da es sich dabei um eine erblich bedingte Krankheit handelt, kann diese auch nicht vollständig geheilt werden. Bei einem Kinderwunsch sollte jedoch immer eine genetische Untersuchung und Beratung erfolgen, damit das Syndrom nicht erneut bei den Nachfahren auftritt. In den meisten Fällen werden die Beschwerden des Juberg-Marsidi-Syndroms durch die Maßnahmen einer Physiotherapie oder einer Krankengymnastik behandelt.

Viele der Übungen aus einer solchen Therapie können im eigenen Zuhause wiederholt werden, wodurch die Beschwerden weiterhin gelindert werden können. Bei Sehstörungen sollten Betroffene eine Sehhilfe tragen, damit sich diese Störungen nicht weiterhin verschlechtern. Vor allem bei Kindern müssen die Eltern auf das richtige Benutzen der Sehhilfen achten. Bei psychischen Verstimmungen sind intensive Gespräche mit den eigenen Eltern oder mit Angehörigen und Freunden sehr hilfreich.

Das können Sie selbst tun

Patienten mit dem Juberg-Marsidi-Syndrom sind deutlich in ihrer körperlichen sowie geistigen Entwicklung beeinträchtigt und oftmals nicht in der Lage, ein eigenständiges Leben zu führen. Somit erübrigen sich auch die meisten Möglichkeiten der Selbsthilfe, da vornehmlich die Sorgeberechtigten auf den Zustand des Patienten Einfluss nehmen. Wenngleich die Lebensqualität durch die Erkrankung enorm stark eingeschränkt ist, verbessert sich das physische und seelische Befinden der Patienten oft durch eine der Behinderung angemessenen Betreuung.

Hinsichtlich der geistigen Retardierung besuchen die Betroffenen üblicherweise eine Sonderschuleinrichtung. Die dortigen Pädagogen berücksichtigen den individuellen intellektuellen Zustand des Patienten und fördern ihn dementsprechend bestmöglich. In der Schule und weiteren Betreuungseinrichtungen lernt der Betroffene meist hilfreiche soziale Kontakte kennen, die den Umgang mit der seltenen Erkrankung erleichtern und die wahrgenommene Lebensqualität steigern.

Bestimmte Symptome lassen sich durch geeignete Arzneimittel lindern, wobei die Eltern auf die richtige Dosierung achten. Generell besuchen die Patienten meist mehrmals im Jahr diverse Ärzte, die die verschiedenen Beschwerden der Krankheit überwachen und weitere Therapien anordnen. Die körperliche Behinderung verhindert die Ausübung spezieller Arten von Sport, dennoch bleiben einige sportliche Alternativen bestehen. Ein Physiotherapeut unterstützt den Betroffenen bei der Stärkung seiner motorischen Fähigkeiten, die den Alltag erleichtern.

Quellen

  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

Das könnte Sie auch interessieren