Kartagener-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 4. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Als Kartagener-Syndrom wird eine angeborene Erkrankung bezeichnet, bei der die Organe seitenverkehrt angeordnet sind. Darüber hinaus leiden die Betroffenen unter Bronchiektasen sowie einer chronischen Entzündung der Nasennebenhöhlen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Kartagener-Syndrom?

Aufgrund der Fehlfunktion der Flimmerhärchen leiden die betroffenen Personen wiederholt unter Atemwegsinfektionen. Bereits im Säuglingsalter zeigen sich auffälliger Husten sowie eine ständig laufende Nase.
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Das Kartagener-Syndrom ist eine äußerst selten vorkommende Erbkrankheit. In Deutschland sind etwa 4000 Menschne von ihr betroffen. Bei circa 900 Patienten handelt es sich um Kinder oder Jugendliche. Das Syndrom ist eng mit der primären ciliären Dyskenesie (PCD) verbunden, die eine genetische Störung der beweglichen Zilien (Flimmerhärchen) darstellt.

Diese sind in den Schleimhäuten von Bronchien und Nase angesiedelt. Die Zilien haben die Funktion, die Lunge des Menschen vor Infektionen zu schützen. Zu diesem Zweck befördern sie Bakterien, die beim Einatmen in den Körper geraten, wieder aus ihm hinaus. Im Falle einer primären ciliären Dyskenesie liegt jedoch eine Fehlfunktion der Flimmerhärchen vor.

Weil sich deswegen die Keime nicht aus dem Organismus entfernen lassen, kommt es zu Erkrankungen und Beschwerden wie Hörproblemen, wiederholten Mittelohrentzündungen, chronischem Schnupfen und sogar mehrfach zu Lungenentzündungen.

Bei rund 50 Prozent aller Patienten besteht eine spiegelverkehrte Anordnung der inneren Organe (Situs inversus). Ärzte sprechen dann von einem Kartagener-Syndrom. So befindet sich in diesem Fall das Herz der betroffenen Personen nicht auf der linken, sondern auf der rechten Körperseite. Da die Zilienfehlfunktion außerdem die Samenbeweglichkeit beeinträchtigt, droht männlichen Patienten oft Unfruchtbarkeit.

Als Namensgeber des Kartagener-Syndroms diente der Schweizer Internist Manes Kartagener (1897-1975). Der Mediziner befasste sich mit dem Erforschen von Bronchiektasen.

Ursachen

Sowohl das Kartagener-Syndrom als auch die primäre ciliäre Dyskenesie sind angeboren. Ihre Vererbung erfolgt autosomal-rezessiv. Zu einer Erkrankung des Kindes kommt es nur dann, wenn ein verändertes Gen sowohl vom Vater als auch von der Mutter vererbt wird. Es ist also durchaus möglich, dass sich die Erbkrankheit nicht in jeder Generation zeigt.

Als verantwortliche Gene wurden DNAH5 sowie DNAH11 identifiziert, die Subeinheiten des Dynein-Komplexes kodieren. Bei Dynein handelt es sich um ein Motorprotein. Weil eine Dynein-Untereinheit fehlt, die für die Beweglichkeit der Mikrotubuli sorgt, erfolgt eine Schädigung der Flimmerhärchen von Lunge, Bronchien und Nasenschleimhaut.

Der Transport des Schleims fällt deswegen aus, wodurch die Reinigung dieser Organe ausbleibt, was wiederum chronische Entzündungen hervorruft. Die Fehlfunktion der motilen Zilien ist auch für das richtige Anordnen der Organe während der Embryonalentwicklung verantwortlich. Ein zusätzlicher Krankheitswert entsteht durch die Spiegelverkehrtheit der Organe jedoch in der Regel nicht. Von den verschiedenen Genen, die für eine primäre ciliäre Dyskenesie ursächlich sind, ließen sich bislang nur 50 bis 60 Prozent entschlüsseln.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Aufgrund der Fehlfunktion der Flimmerhärchen leiden die betroffenen Personen wiederholt unter Atemwegsinfektionen. Bereits im Säuglingsalter zeigen sich auffälliger Husten sowie eine ständig laufende Nase. Als typisch gelten zudem häufige Mittelohrentzündungen bei Kleinkindern, die sich medizinisch nur schwer kontrollieren lassen.

Gleichzeitig sind bei den betroffenen Kindern oftmals Bronchotiden oder Lungenentzündungen zu verzeichnen. Weil eine Reinigung durch das Flimmerepithel nicht möglich ist, verbleibt als einzige Reinigungsoption das Abhusten. Aus diesem Grund leiden die erkrankten Kinder ständig unter Husten.

Bei Kindern und Jugendlichen tritt im weiteren Verlauf außerdem eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis) auf. Nicht selten bilden sich an der Schleimhaut der Nase gutartige Wucherungen (Polypen). Ferner besteht die Gefahr, dass die sich wiederholenden Atemwegsinfektionen eine schleimgefüllte Aussackung im Bronchialsystem (Bronchiektasen) zur Folge haben.

Bei männlichen Patienten liegt bei etwa 60 Prozent aller Betroffenen eine Fortpflanzungsunfähigkeit vor. Grund dafür sind unbewegliche oder dysmotile Spermienschwänze. Auch bei einigen weiblichen Patientinnen können Fruchtbarkeitsprobleme bestehen. Grund dafür ist eine Störung der Eileiter-Transportfunktion. So sind die Eileiter mit Zilien ausgekleidet.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Ein Kartagener-Syndrom lässt sich in der Regel bereits durch die spiegelverkehrten Organe diagnostizieren. Darüber hinaus besteht ein typisches Beschwerdebild mit Atemwegsinfektionen. Eine primäre ciliäre Dyskenesie ohne die verkehrte Organanordnung zu erkennen, ist dagegen schwieriger.

So müssen aufwendige Untersuchungsverfahren durchgeführt werden. Dazu zählen eine Cilienschlaganalyse, die Entnahme einer Gewebeprobe (Biopsie), die unter einem Elektronenmikroskop untersucht wird, sowie ein Antikörpernachweis des DNAH5-Gens. Der Verlauf eines Kartagener-Syndroms oder einer PCD ist unterschiedlich.

So zeigen sich bei einigen Patienten milde Ausprägungen, während es bei anderen im mittleren Erwachsenenalter zum chronischen Versagen der Lungen kommt. In solchen Fällen ist eine Transplantation der Lunge erforderlich. Bei Kindern kann ein schwerer gastroösophagealer Reflux vorliegen.

Komplikationen

Durch das Kartagener-Syndrom kann es zu verschiedenen Beschwerden und Komplikationen kommen. In der Regel hängt der weitere Verlauf von der Ausprägung des Syndroms und von der genauen Anordnung der Organe ab. Die meisten Betroffenen leiden dabei an starken und häufigen Infektionen der Atemwege. Diese können ohne Behandlung im schlimmsten Falle auch tödlich verlaufen.

Ebenso tritt ein starker Husten auf, aus der Nase tritt unentwegt Schleim aus. Nicht selten leiden die Patienten auch an Entzündungen in den Ohren, die weiterhin zu einem Hörverlust führen können. Weiterhin führt das Kartagener-Syndrom zu Einschränkungen an den Genitalien, sodass die meisten Patienten an einer Fortpflanzungsunfähigkeit leiden.

Diese Beschwerde kann bei vielen Menschen Depressionen und anderen psychische Verstimmungen auslösen. Die Lebensqualität wird durch das Kartagener-Syndrom im Allgemeinen relativ stark verringert. Sollte die Lunge durch verschiedene Entzündungen oder Infektionen geschädigt werden, so ist gegebenenfalls eine Transplantation notwendig.

Auch die Lebenserwartung kann durch das Kartagener-Syndrom verringert sein. Bei einer Schwerhörigkeit können Hörgeräte diese wieder kompensieren. Andere Beschwerden können mit Hilfe von Medikamenten oder Therapien ebenfalls eingeschränkt werden, wobei es nicht zu besonderen Komplikationen kommt.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Kinder, die am Kartagener-Syndrom leiden, bedürfen in jedem Fall einer engmaschigen ärztlichen Überwachung. Die Erkrankung wird meist unmittelbar nach der Geburt festgestellt und direkt im Krankenhaus behandelt. Nach der initialen Behandlung müssen die Eltern weitere Ärzte und Therapeuten hinzuziehen. Bei Organschäden ist ein Internist einzuschalten, während die Fehlstellungen selbst chirurgisch behandelt werden müssen. Da die Erkrankung meist auch Auswirkungen auf die seelische Verfassung der Betroffenen hat, sollte die ärztliche Behandlung durch eine Therapie begleitet werden.

Die Eltern sollten sich hierzu an den zuständigen Arzt oder an eine Klinik für Erbkrankheiten wenden. Die ärztliche Behandlung dauert meist mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte an. In diesem Zeitraum muss auch eine physiotherapeutische Behandlung erfolgen, innerhalb welcher der Patient wesentliche Körperfunktionen wieder erlernt. Da dies ein langwieriger und für alle Beteiligten anstrengender Prozess ist, empfiehlt sich auch für die Angehörigen eine psychologische Betreuung. Die Behandlung sollte möglichst unmittelbar nach der Diagnose des Kartagener-Syndroms beginnen.

Behandlung & Therapie

Da das Kartagener-Syndrom sowie die primäre ciliäre Dyskenesie angeboren sind, lässt sich die auslösende Ursache nicht behandeln. Daher besteht die Therapie darin, das Voranschreiten der Erkrankung zu verlangsamen und die Symptome zu bekämpfen. Dazu sind regelmäßige Untersuchungen des Sputums, bildgebende Untersuchungsmethoden wie eine Computertomographie (CT) oder eine Bronchoskopie sowie Funktionstests der Lungen erforderlich.

Außerdem werden Hörtests durchgeführt, um eine eventuelle Schwerhörigkeit zu ermitteln. Da auch andere Organe von der Erkrankung betroffen sein können, ist eine Behandlung durch verschiedene Fachärzte notwendig.

Zur Therapie der Atemwegssymptome finden Inhalationen von Beta-2-Sympathomimetika wie Salbutamol, die Einnahme von Mukolytika wie N-Acetylcystein sowie regelmäßige physiotherapeutische Maßnahmen statt. Außerdem sollte der Patient reichlich Flüssigkeit zu sich nehmen. Um sekundären Schäden der Atemwege vorzubeugen, kann die Einnahme von Antibiotika sinnvoll sein. Auf diese Weise wird Bronchiektasen und Lungenentzündungen entgegengewirkt.


Aussicht & Prognose

Leider ist es beim Kartagener-Syndrom nicht möglich, dieses durch Selbsthilfemaßnahmen zu behandeln. Es kann lediglich eine Linderung der Beschwerden erreicht werden, wobei zu jeder Zeit eine ärztliche Behandlung zwingend erforderlich ist. Durch das Einhalten regelmäßiger Kontrolluntersuchungen können mögliche Komplikationen frühzeitig aufgedeckt und rasch adäquat therapiert werden. Vor einer Selbstmedikation mit frei verkäuflichen Medikamenten ohne vorherige Absprache mit dem Arzt wird in Bezug auf mögliche Wechselwirkungen gewarnt.

Die häufig vorhandene Schwerhörigkeit bedarf unbedingt der Behandlung durch ein Hörgerät, um eine weitere Verschlechterung des Hörsinnes zu verhindern. Betroffenen wird daher empfohlen dieses möglichst immer zu tragen. Insofern zudem eine Schallleitungsschwerhörigkeit vorliegt, kann diese meist operativ oder auch ergänzend durch ein teil implantiertes Hörgerät behandelt werden, bei einer Schallempfindungsschwerhörigkeit hingegen ein Cochlea Implantat. Diese Maßnahmen ermöglichen dem Kind ein ausreichendes Hörvermögen und gewährleisten in der Regel eine normale Sprachentwicklung.

Regelmäßig durchgeführte Funktionstests der Lunge lassen Probleme frühzeitig erkennen, wobei Beschwerden der Atemwege sich häufig durch physiotherapeutische Anwendungen lindern lassen. Patienten können diese in Teilen auch zu Hause in Eigenregie weiterführen und damit deren Wirksamkeit intensivieren.

Treten psychische Beschwerden auf ist meist bereits der Kontakt zu anderen Betroffenen in Form einer Selbsthilfegruppe ausreichend. Andernfalls steht selbstverständlich auch die Möglichkeit einer Psychotherapie im Raum.

Vorbeugung

Vorbeugende Maßnahmen gegen das Kartagener-Syndrom gibt es nicht, da es sich um eine bereits angeborene Erbkrankheit handelt.

Nachsorge

In den meisten Fällen sind die Maßnahmen oder die Möglichkeiten der Nachsorge beim Kartagener-Syndrom stark eingeschränkt oder stehen dem Betroffenen gar nicht zur Verfügung. In erster Linie ist eine schnelle und vor allem eine frühzeitige Diagnose der Krankheit notwendig, damit keine weiteren Komplikationen auftreten und sich die Beschwerden nicht weiterhin verschlimmern. Je früher dabei ein Arzt aufgesucht wird, desto besser ist meist auch der weitere Verlauf.

Da es sich beim Kartagener-Syndrom um eine genetisch bedingte Erkrankung handelt, sollte der Betroffene bei einem Kinderwunsch auf jeden Fall eine genetische Untersuchung und Beratung durchführen, damit das Syndrom nicht erneut bei den Nachfahren auftreten kann. Die Behandlung selbst richtet sich nach der Ausprägung der Beschwerden, wobei in den meisten Fällen die Einnahme von verschiedenen Medikamenten notwendig ist.

Dabei sollten Betroffene auf eine regelmäßige Einnahme und auch auf eine richtige Dosierung achten, um die Beschwerden dauerhaft zu lindern. Sollten Antibiotika eingenommen werden, sollte dazu kein Alkohol konsumiert werden. Ebenso sind regelmäßige Untersuchungen und Kontrollen der inneren Organe beim Kartagener-Syndrom sehr wichtig, damit andere Schäden früh erkannt und behandelt werden können.

Das können Sie selbst tun

Es ist nicht möglich, das Kartagener-Syndrom durch Mittel der Selbsthilfe zu behandeln. Lediglich ist eine Linderung der Beschwerden durch Selbsthilfemaßnahmen möglich, wobei eine ärztliche Behandlung unerlässlich ist.

In der Regel wirken sich beim Kartagener-Syndrom regelmäßige Untersuchungen positiv auf den Verlauf der Erkrankung aus, da dadurch verschiedene Komplikationen frühzeitig erkannt und therapiert werden können. Auch sind regelmäßige Funktionstests der Lunge notwendig, um mögliche Atembeschwerden zu vermeiden. Da die Betroffenen häufig auch an einer Schwerhörigkeit leiden, ist hier der Einsatz eines Hörgerätes zwingend erforderlich. Damit kann eine weitere Verschlechterung des Hörsinns verhindert werden. Der Patient sollte daher immer ein Hörgerät tragen, um die Ohren nicht weiter zu schädigen. Die Beschwerden der Atemwege werden dabei häufig durch Maßnahmen der Physiotherapie behandelt. Hierbei ist es für den Betroffenen möglich, die Übungen und Atemtechniken aus dieser Therapie auch im eigenen Zuhause durchzuführen und die Beschwerden dabei einzuschränken.

Bei der Einnahme von Antibiotika sollte auf mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten geachtet werden. Ebenso ist dabei auf die Einnahme von Alkohol zu verzichten. Im Falle von psychischen Beschwerden können hierbei Gespräche mit den Eltern oder den Freunden hilfreich sein. Ebenso kann sich der Kontakt zu anderen Patienten gut auf den Zustand des Betroffenen auswirken.

Quellen

  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

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